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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18 avril
Alte Kunst: Zehn Figuren und ihr Geheimnis
Es ist fast 600 Jahre alt und bleibt ein österliches Bildgeheimnis von strahlender Schönheit: die „Kreuzabnahme“ von Roger van der Weyden aus dem Prado.
Full text:

Als Jerry Saltz neulich im Prado war, hat er seinen 700.000 Followern auf Instagram natürlich davon erzählt. Der New Yorker Kunstkritiker ist ein Meister der Popularisierung, und seine öffentlichen Gesten changieren zwischen Clownerie und authentischer Hingabe. Vor ein paar Gemälden im Prado – in seinen Augen „das größte Museum der Welt für die Malerei der abendländischen Zivilisation“ – ging Jerry Saltz sogar buchstäblich auf die Knie: vor den „Hoffräulein“ des Velázquez zum Beispiel. Und vor Rogier van der Weydens „Kreuzabnahme“. Der Kunstkritiker kniet dann da, wortlos, die erhobenen Hände gefaltet, und lässt sich fotografieren, damit die übrige Welt ihn in der Anbetungsgeste sehe. Der Prado, erzählte er in Madrid, sei eine „Ekstasemaschine“.
Die Schönheiten des von ihm beworbenen Gemäldes, der „Kreuzabnahme“, sind allerdings von besonderer Art. Einerseits liegen sie in der restaurierten Tafel – dem Mittelteil eines Triptychons – so offen zutage wie vor fast sechshundert Jahren, als sich die Zeitgenossen im Lob auf das Bild überschlugen. Andererseits sind sie vertrackt, Teil einer komplizierten Anlage, und führen, je länger man sie betrachtet, in immer größere Geheimnisse. Denn wir stehen vor einem Gemälde, das ein wenig so tut, als sei es eine Skulptur, seinen zehn Figuren aber so viel Lebendigkeit gibt, dass die „Kreuzabnahme“ die Materie selbst zu besiegen scheint. Man schaue nur auf die Gewänder. Die Fingernägel. Oder den Bartschatten auf den Wangen des fülligen Stifters.
Einerseits ist die empfundene Raumtiefe sehr gering, kaum einen Meter – andererseits staffelt der Maler fünf Schichten realer Handlung. Damit wir den optischen Trick nicht wahrnehmen, hat er die Ecken des Bildes kunstvoll verdeckt. Und um jede Illusion zu durchbrechen, ragt einer der Kreuznägel in der Hand des Mannes auf der Leiter aus dem Bild heraus!
„Kreuzabnahme“, das klingt einfach. Doch das Gemälde vollzieht auch hier eine doppelte Bewegung: Einerseits wirken die Figuren wie eingefroren in ihren augenblicklichen Gesten, andererseits scheint das Bild eher einen Prozess als einen Moment zu erzählen, eine fließende Geschichte – vom Kreuz herab in die Arme der anderen, während Maria in Ohnmacht gefallen ist und Johannes sie schon aufgefangen hat und bei vielen haltlos die Tränen fließen. Tränen, die nicht die allerersten, aber vielleicht die berühmtesten frühen Tränen der Malereigeschichte sind. Mit den Worten Erwin Panofskys: „leuchtende Perlen“. In gewissem Sinne fließen sie bis heute.
Auch die Klagegeste Maria Magdalenas ganz rechts gibt es zwar schon in der Antike, doch nicht so expressiv, so außer sich, fast wie Ausdruckstanz. In den nächsten Jahrzehnten wanderte diese Geste, vielfach kopiert, durch die europäischen Ateliers. Und auch die „Kreuzabnahme“ selbst wurde, ganz oder in Teilen, unendlich oft wiederholt – eine der besseren Kopien hängt in der Berliner Gemäldegalerie, eine andere, von Michiel Coxcie, im Escorial. Am besten aber ist es, all das zu vergessen, selbst vor das Original zu treten und – ob auf Knien oder nicht – zu verstummen.
The Economist, Book review, 18 avril
Literary retellings : A celebrated novelist grapples with “Moby-Dick”
Xiaolu Guo, a fisherman’s daughter, reimagines the whaling epic with added Taoism
Call Me Ishmaelle. By Xiaolu Guo. Chatto & Windus; 448 pages; £18.99

Full text:
XIAOLU GUO has always been interested in people who leave. “A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers”, her novel published in 2007, follows a Chinese woman studying in London. The protagonist in “20 Fragments of a Ravenous Youth” (2008) forsakes her sleepy home in rural China for Beijing, an ever-changing city “that never showed its gentle side”.
Her tales of migration have won several prizes and have been translated into 30 languages. Along with Yiyun Li, Ha Jin and Gao Xingjian, Ms Guo is part of a cohort of celebrated writers of the Chinese diaspora who explore the experiences of émigrés. In “Once Upon A Time in the East”, an acclaimed memoir published in 2017, Ms Guo wrote about growing up in a fishing village in Zhejiang in eastern China, before moving to Beijing to attend film school and then to London for further study. She has lived outside China ever since.
In her tenth book in English—she has also written six in Chinese—Ms Guo takes the theme of journeys both physical and personal in a strikingly different direction. “Call Me Ishmaelle” retells one of the most famous adventure novels ever published: Herman Melville’s “Moby-Dick”. Like that classic tale, it chronicles a whaling voyage run by an obsessive captain. Yet, as the title implies, the narrator is an English woman disguised as a cabin boy.
Ishmaelle seeks money and freedom; she also hopes to join the man she loves in America (he is a captain aboard another ship). When she crops her hair and binds her breasts, she feels that “a truer me was somehow being born”.
Ms Guo makes other changes to Melville’s story. Her version is set two decades later, in 1861, at the start of the American civil war. Captain Ahab is reimagined as Captain Seneca, a free black man. (“My war is not with the Confederate soldier in the field,” he says, but with “a leviathan in this goddamn lost place”.) His crew includes Muzi, a Taoist monk and sailmaker, who guides the ship using divinations from the “I Ching”, an ancient Chinese text.
Photograph: Getty Images
When the author read “Moby-Dick” for the first time while studying in Beijing in the 1990s, its Shakespearean references and biblical framework were “completely lost” on her. “I always wonder how I should engage with Western cultures from a culture with no connection to biblical Christianity,” she says. Her version still explores man’s desire to establish dominion over nature. Seneca, like Ahab, considers the relationship between man and whale to be a contest between good and evil.
In her telling, however, Ms Guo toys with Manichaean ideas, not least through her cross-dressing heroine. She overlays the story with Buddhist and Taoist philosophy. The author also drops Chinese cultural references into her prose, from the bloom of “auspicious” flowers to a deckhand described as a “cockroach” (a common Chinese insult). She likens human life to a dragonfly skimming across the surface of water, touching the universe only briefly and superficially.
Ishmaelle’s time on the ship leads her to conclude that “We can only know ourselves by acting in the world.” This evokes the Taoist idea of “the way”: the question of how to chart a path through life that leaves the balance of the universe—and natural environment—undisturbed. The contest the author is interested in is an internal one. Ishmaelle’s voyage to sea is ultimately an exploration of her own psyche.
Ms Guo says recasting Melville’s work was a “bold” but obvious choice. (Other bold, strange choices include passages from the perspective of the whale: “Wwwoooooohhhhhh kkkkkkkkkkkkkkk www.”) As a fisherman’s daughter, raised on “ocean adventure stories”, she grew up knowing that life and death could be separated by a mere “three inches of deck”. She had the knowledge to imagine the “alternative possibilities” of the story.
In the end “Call Me Ishmaelle”, like Ms Guo’s other works, is about the impossibility of return. After the voyage, Ishmaelle finds England cold and different: she realises she is “made for the ocean and for that permanent exile”. ■
https://www.economist.com/culture/2025/04/16/a-celebrated-novelist-grapples-with-moby-dick
Neue Zürcher Zeitung, 17 avril
Die Frauen waren am wichtigsten in seinem Schaffen. Die grösste Empathie empfand Egon Schiele aber für die russischen Soldaten.
In seiner kurzen Künstlerkarriere entwickelte sich der österreichische Maler vom selbstbezogenen Exzentriker zum einfühlsamen Visionär.
Full text:
Wally war nicht die Frau, die man heiratet. Das galt selbst für einen Lebemann und unkonventionellen Künstler wie Egon Schiele. Die langjährige Freundin war sozusagen seine Managerin, seine Sekretärin und Vermittlerin seiner Werke – was wäre Schiele ohne sie gewesen. Trotzdem sollte er sich von ihr abwenden.
Wally Neuzil stammte aus einfachsten Verhältnissen. Durch den frühen Tod ihres Vaters wurde ihre Familie mittellos. Sie war noch minderjährig, als sie Schieles wichtigstes Modell wurde. Sie war seine Muse und Lebensgefährtin. Die beiden lebten in wilder Ehe. Er zeichnete sie unzählige Male in expliziten Posen. Auch Schiele verlor seinen Vater früh. Ein Grund, warum er sich mit Wally durchaus identifiziert haben könnte.
Schiele befand sich gerade inmitten seiner kaum mehr als zehn Jahre währenden Künstlerkarriere. Es war für ihn eine Zeit des Umbruchs. Eine Rolle spielte auch die traumatische Erfahrung im Gefängnis. Schiele kam wegen eines Sittlichkeitsvergehens hinter Gitter. In seiner Wohnung, in der regelmässig auch Minderjährige zu Besuch waren, hing die Aktzeichnung eines Mädchens an der Wand.
Loyal zur Seite stand ihm allein Wally. Sie besuchte ihn im Gefängnis, sie war seine geistige Verbündete. Egon Schiele galt damals nicht als Künstler, sondern stand als Pornograf unter Beobachtung. Eines seiner bekanntesten Selbstporträts zeigt ihn bei der Masturbation. «Auch das erotische Kunstwerk hat Heiligkeit!», erklärte er. Seine Berufung erachtete Schiele als spirituelle Aufgabe.
Ihm dämmerte allerdings, dass er auf die Befindlichkeiten der Gesellschaft mehr Rücksicht zu nehmen hatte, wollte er als Künstler bestehen. Bis anhin hielt er wenig von den Anforderungen bürgerlicher Anständigkeit. Er war ein Exzentriker und freiheitsliebender Bohémien, der sich in gnadenlos kritischen Selbstporträts obduzierte. Der junge Schiele befasste sich intensiv mit der Suche nach seiner persönlichen, auch sexuellen Identität.
Die Nabelschau seiner Anfänge wurde in seinen letzten Jahren, bevor er mit nur 28 an den Folgen der Spanischen Grippe starb, durch ein ganz neues Selbstbild abgelöst. Das zeigt sich auch in seiner Technik. Schiele fand von einem erst kantigen und sprunghaften zu einem immer weicheren Strich. Die Linienführung wurde organischer und beruhigter, die Körperdarstellung plastischer. Alles tendierte sukzessive zu einer realistischeren, auch naturalistischeren Darstellungsweise. Das ist jetzt in der Wiener Ausstellung «Zeiten des Umbruchs – Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918» im Leopold-Museum zu sehen.
Die Ehe
Das Doppelporträt «Entschwebung (Die Blinden II)» markiert einen Wendepunkt. Darin werden seine neue Selbstwahrnehmung und das gewandelte Verständnis über seine Rolle in der Welt sichtbar. Als Künstler verstand sich Schiele stets als Seher, als Visionär, der dazu bestimmt war, die unwissende Öffentlichkeit ins Licht zu führen. In diesem Werk stellt er sich allerdings zweifach als Blinder dar, mit gläsernen, opaken Augen.
Die New Yorker Schiele-Spezialistin Jane Kallir findet dafür eine Erklärung. Das Bild bedeute den Abschied Schieles von seiner jugendlichen Seelenforschung und narzisstischen Selbstbezogenheit der Frühzeit. Kallir, deren Grossvater Otto Kallir in den dreissiger Jahren den ersten Catalogue Raisonné zu Schieles Werk verfasste, ist die Co-Kuratorin der Wiener Ausstellung. Sie hat auch eine These bezüglich Schieles Abwendung von Wally.
Im Entstehungsjahr 1915 des bedeutungsvollen Selbstporträts strebte Schiele gefestigtere Lebensverhältnisse an. «Ich habe vor zu heiraten, – günstigst, nicht Wally vielleicht.» Gemäss Jane Kallir besagt Schieles Postkarten-Notiz an seinen Förderer, den Wiener Kunstkritiker Arthur Roessler, alles. Zwar sei Wally in vieler Hinsicht die perfekte Partnerin für Schiele gewesen: «Der Grund für seinen Entschluss aber steckt in dem Wort ‹günstigst› verborgen.» Wenn es zu Überlegungen bezüglich des ehelichen Standes kam, betrachtete sich Schiele nämlich als Teil des Bürgertums.
Wally aber war in der Wiener Gesellschaft nicht mehr als das «süsse Mädel», wie es Arthur Schnitzler in seinem Bühnenerfolg «Liebelei» schilderte: die Idealvorstellung einer sexuell leicht zugänglichen Frau von einfachem Stand – eine männliche Fantasie, wie sie charakteristisch war für das Wiener Fin de Siècle. Damals kam eine junge Frau, die sich in Künstlerateliers entkleidet, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, einer Prostituierten gleich.
Er brach mit Wally. Die Auserwählte war Edith Harms, das schüchterne Mädchen von nebenan. «Schiele heiratete keine Psyche», schreibt die Kunsthistorikerin Alessandra Comini im Ausstellungskatalog: «Er heiratete mit Bedacht eine Fassade: nicht Wally, die Bohémienne, sondern Edith, die Verkörperung der Kleinbürgerin.»
Die damit einhergehende Selbstverleugnung schlägt sich unmittelbar in Schieles Zeichnungen von Liebespaaren aus jener Zeit nieder, davon ist die Co-Kuratorin Kerstin Jesse überzeugt. In diesen Blättern stellt sich Schiele wiederholt bei der Ausführung des Liebesakts mit einer nicht genauer zu identifizierenden Frau dar – ist es Edith?
Die leeren Blicke der ineinander verschlungenen Liebenden sprechen von emotionaler Distanz. Die Pupillen sind nur mehr winzige Punkte in weit offen stehenden Augen. Manchmal fehlen sie ganz. Der Visionär Schiele scheint mit Blindheit geschlagen zu sein.
In diesen Blättern dürfte seine Ahnung zum Ausdruck kommen, dass die Einwilligung in eine bürgerliche Ehe für ihn ein Stück weit auch Selbstaufgabe bedeutete. Das emotionslose Starren des Künstlers könnte allerdings auch damit zu erklären sein, dass Schiele diese Zeichnungen angefertigt hat, währenddessen er mit einer Frau vor einem Spiegel Sex hatte.
Unverständnis und Einsamkeit
Edith war konservativ. Sie mochte nur ungern für Schiele nackt posieren. Auch, weil seine erotischen Arbeiten – ganz im Gegensatz zu Klimts Aktzeichnungen, die dieser stets bei sich behielt – für den Verkauf bestimmt waren. Edith wollte sich von bekannten Wiener Kunstsammlern nicht wiedererkannt sehen. Ein einziges Blatt allerdings könnte seine Ehefrau kaum offenherziger zeigen. In dem Werk «Liegende Entblösste» von 1916 ist Edith mit weit gespreizten Beinen wiedergegeben.
Egon Schiele und Edith heirateten 1915. Die Flitterwochen verbrachten sie während dreier Tage in Prag. Dort erfolgte auch Schieles Einberufung. Es war der Beginn des Ersten Weltkriegs. Schiele liess Edith zurück in einem Prager Hotelzimmer, ohne Geld und völlig auf sich allein gestellt, zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben. Schiele riet ihr, mit seiner Zeichenmappe bei Prager Sammlern hausieren zu gehen und hinterliess ihr eine Liste mit Namen.
Edith Schieles erstmals zur Wiener Ausstellung veröffentlichtes Tagebuch gibt tiefe Einblicke in ihr oft von Einsamkeit, Entfremdung und Unverständnis begleitetes Eheleben: «Hätte ich nicht dies Buch, ich wäre schon längst verrückt.»
Schiele hat Edith als introvertierte, schüchterne Person wiedergegeben. Ihre blauen Augen hingegen sprechen Bände. Der Blick ist oft schwer von Melancholie, wenn nicht Traurigkeit und Depression. «Ich bin derart nervenkrank, dass mich mein Körper furchtbar schmerzt, ich weine stundenlang, quäle mich mit irgendwelchen Gedanken . . .»
Edith Schiele stammte aus gut behüteten Verhältnissen. Ihr war es nie gelungen, Teil von Schieles künstlerischem Leben zu werden, wie das für Wally der Fall gewesen war. Wenn Schiele seiner Gemahlin als Ehemann auch nicht geben konnte, was sie benötigte: Als Künstler hatte er sie in ihrer ganzen Person erfasst.
Der Militärdienst bedeutete für Egon Schiele eine neue Herausforderung. Er musste russische Soldaten in Gefangenschaft eskortieren. Und begann, sich mit diesen zu unterhalten, sich für deren Schicksale und Kriegserlebnisse zu interessieren, und porträtierte sie dabei. «Welche Qualen der Krieg der Freiheit und den fühlenden Menschen bringt, ist vielleicht am erbärmlichsten», notierte er im August 1915 in sein Kriegstagebuch.
Durch diese Erfahrungen wurde der blinde Narziss zum emphatischen Seher. Seine bis anhin nur wenig bekannten Porträts melancholischer Gesichter von jungen russischen Männern in k. u. k. Kriegsgefangenschaft sind etwas vom Berührendsten, was Schiele geschaffen hat. Kaum hat er jemals zuvor so tief und mit so viel Einfühlungsvermögen in Menschengesichter geblickt.
In diesen Bildern ist Schiele zur Reife eines erwachsenen Mannes gelangt. Das aber änderte nichts an der grossen Anziehungskraft, die die Frauen auf ihn ausübten. Sie nahmen zeitlebens und bis zu seinem frühen Ende den breitesten Raum in seinem Schaffen ein. Ein Meisterwerk seiner letzten Jahre ist die berühmte kolorierte Zeichnung «Sitzende Frau mit hochgezogenem Knie». Sie hat rotblondes Haar. Wie Edith. Aber auch wie Wally.
«Zeiten des Umbruchs – Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918», Leopold-Museum, Wien, bis 13. Juli. Katalog: 39.90 Euro.
BFM-TV, 17 avril
Robert Doisneau: la plus grande exposition consacrée au photographe depuis 20 ans ouvre à Paris
Le Musée Maillol à Paris organise du 17 avril au 12 octobre 2025 la plus grande rétrospective autour de Robert Doisneau depuis 20 ans

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Le Musée Maillol à Paris organise du 17 avril au 12 octobre 2025 la plus grande rétrospective autour de Robert Doisneau depuis 20 ans.
Des séries célèbres sur l’enfance ou les bistrots à d’autres méconnues, plus de 350 photographies de Robert Doisneau (1912-1994) sont exposées à partir de ce jeudi 17 avril au musée Maillol, plus grande rétrospective consacrée à cette figure de la photographie humaniste depuis 20 ans à Paris.
“Toute une vie de travail”, résume à l’AFP sa fille, Annette Doisneau, qui les a sélectionnées, avec sa sœur Francine Deroudille et la commissaire Isabelle Benoit, parmi les 450.000 de la collection de l’Atelier Robert Doisneau.
“Là, c’est Sabine Azéma”, s’enthousiasme-t-elle devant une photo en noir et blanc de l’actrice française qui “a fait partie des ‘très proches’ de son père avec (le violoncelliste) Maurice Baquet et (le poète) Jacques Prévert”.
“Il était allé la photographier sur le tournage d’Un dimanche à la campagne de Bertrand Tavernier et, à partir de là, ça a été son rayon de soleil”, ajoute-t-elle.
Travail ou vie de famille, “je n’ai que des souvenirs merveilleux avec mon père, qui était aussi un grand conteur et qui écrivait” lorsqu’il ne parcourait pas la Ville Lumière “avec de bonnes chaussures”, dit encore celle qui a “travaillé et voyagé 15 ans” avec Robert Doisneau, dont elle s’occupait de “l’agenda, impossible à tenir”.
Marronniers en fleurs
En ce début de printemps, la vision des marronniers en fleurs, que le photographe a évoqué dans un livre “en se demandant combien de fois encore il les verrait refleurir”, lui “serre le coeur”, confie-t-elle.
Intitulée Instants donnés, l’exposition “retrace l’intégralité de sa carrière de 1934 à 1992 en déclinant une dizaine de thèmes, connus et inconnus”, détaille Isabelle Benoit.
“On retrouve ses séries iconiques sur les enfants, les bistrots, les rues mais aussi son passage comme employé au journal Vogue. En contrepoint, 80 photographies, dans une section intitulée “gravité”, qui montrent comment il a su capter les bas-fonds de la société française des années 40 et 50″, ajoute-t-elle.
Quel que soit le sujet, “il est des jours, dit Robert Doisneau, où l’on ressent le simple fait de voir comme un véritable bonheur”.
L’exposition, qui se tient jusqu’au 12 octobre, aide à mieux comprendre comment ce poète des banlieues maussades et du quotidien des anonymes joue de l’art du cliché comme Jacques Prévert jouait avec les mots.
Gueules d’ivrognes, prostitution, sans-abris… Le regard qu’il porte sur ceux qui peuplent ces univers semble rempli d’une bienveillance amusée.
Collages
L’exposition met aussi en lumière des aspects de l’oeuvre de Robert Doisneau presque jamais montrés, comme des collages et montages photographiques aux accents surréalistes ou son travail de publicitaire et d’illustration de magazines et de livres de poche.
Cette “vision renouvelée de son œuvre” se révèle à travers des “séquences photographiques qui reflètent sa patience et son travail d’observation participante, car il se fondait dans la foule des gens qu’il photographiait”, souligne Isabelle Benoit.
Témoin de ce sens de l’observation, une série de photos en noir en blanc du 14 juillet, rue des Canettes à Paris, en 1949: il photographie les gens toute la journée en terminant, à la nuit tombée, par la célèbre “Dernière Valse”.
Couleurs
Parmi ses photographies peu ou pas connues, celles d’artistes comme Picasso, drapé d’une étoffe soyeuse orange, une vue plongeante de Giacometti dans son atelier, Niki de Saint Phalle entre deux de ses “nanas”, Georges Braque surpris en plein travail ou encore le Britannique David Hockney, blond péroxydé d’une quarantaine d’années.
Dans la section banlieues, “on découvre les années 40 et 50, en noir et blanc, très peuplées et mises en scène à la demande de Blaise Cendrars dans un livre, et, 30 ans plus tard, les photos des mêmes banlieues en couleurs, dans un espace totalement déshumanisé”, souligne la commissaire.
Une autre section parle des “rencontres” et présente une célèbre photo de concierge en 1945 ainsi que celle d’un policier devant l’entrée d’un cabaret qui semble vouloir le dévorer, intitulée “l’enfer”.
L’exposition se conclut sur les dernières œuvres de Robert Doisneau, en couleurs. “A la fin de sa vie, il dira que, si c’était à refaire, il referait tout en couleur”, indique la commissaire.
The New York Times, 16 avril
Van Gogh’s Last Painting Poses a Problem for an Idyllic French Village
It was recently determined that the artist painted his final work, “Tree Roots,” in Auvers-sur-Oise. The roots still exist, igniting a fight over their preservation.
Full text:
Auvers-sur-Oise, a village near Paris famed as an artist’s paradise, is also where Vincent Van Gogh spent his final days and it has long drawn tourists to walk in the tortured painter’s last footsteps. But ever since art experts identified his final work before he took his life, there has been strife in the town.
Van Gogh’s final painting was disputed for decades, because he didn’t date his works. But in 2020 experts concluded that gnarled tree roots protruding from a hillside in Auvers, as depicted in his “Tree Roots,” was made on the day he died. This finding may have settled one dispute, but it immediately stirred another, this one between the municipality and the owners of the property where the roots grow.
The main root depicted in the painting — from a black locust tree and dubbed the “elephant” by enthusiasts — abuts a public road. After the discovery of its historical value, the municipality claimed a section of privately owned land near the road as public domain, saying it was necessary for maintenance. Jean-François and Hélène Serlinger, the property owners, fought the village, and an appeals court recently concluded there was no basis for the municipality’s claim.
But the mayor of Auvers, Isabelle Mézières, has pledged to keep fighting, and she can still appeal to a higher court. After the decision, she insisted that the site should belong to the public, not private owners. “The Roots belong to the Auversois!” she wrote on social media, referring to the citizens of the region.
The continued fight over Van Gogh’s tree roots has cast a pall over what is usually a celebratory season in Auvers, population 7,000, where art tourism is a big business that heats up in the spring.
That the village has been depicted by other notable painters, including Pierre Auguste Renoir, Paul Cezanne and Camille Pissaro. has only added to its attraction. Its popularity is such that the French transit authorities run a seasonal line from Paris, dubbed the “Impressionists’ Train,” and people come from afar to see what the local tourist board calls “the open-air museum that Auvers has become over time.”
The property owners say the conflict is endangering the historic site, as the mayor has blocked them and experts from properly protecting the roots since their significance was established. In a phone interview, Mr. Serlinger accused the municipality of using the administrative case as a pretext for “an attempted takeover of a culturally significant site” and of simultaneously endangering the roots by “obstructing the installation of a permanent protective structure.”
The municipality and the mayor declined requests for comment. But it is perhaps fitting that these tree roots should be the subject of such a knotty dispute.
Van Gogh’s famous painting depicting the tangled tree shows “the struggle of life, and a struggle with death,” Wouter van der Veen, the researcher in France who identified the roots, said in 2020.
Still, the painting is bright and lively, made at the end of a productive period in Van Gogh’s troubled existence — after he famously cut off his ear and spent time in an asylum — and the village celebrates the Dutch painter whose work was rejected in life and embraced after his death. Van Gogh is a major attraction, including for the Serlingers.
The couple moved to Auvers in 1996 because Mrs. Serlinger, an artist, wanted to live where Van Gogh had worked. In 2013, they bought a small additional parcel of land near their house, connected to their yard, extending their territory. Only years later did it turn out that the roots on that new property were an important part of art history.
Now, the roots have their own website and nonprofit organization, run by the Serlingers, who say they want to protect the location for the public to enjoy. They’vepartnered with the Van Gogh Europe Foundation, which brings together key locations and museums linked to the painter under the direction of the Van Gogh Museum in Amsterdam. Last year, the Serlingers began opening their yard to visitors for tours.
Mr. Serlinger insists the couple did not intend to make their yard into a destination and has not profited from the tours. He noted that the main root is mostly visible to the public from the road, though the municipality has placed a 10-foot sign there highlighting the find that partially obstructs the view and “disfigures the front of the site.”
It was the enthusiasm of art experts and academics visiting them over the years, that convinced the couple to open up their land to the public, he said. They now charge about $9 for a 30-minute “walk through the landscape of Van Gogh’s final painting,” he added, with funds going to preservation costs.
Saturday was the start of the new tourist season. But the dispute has unsettled the property owners and raised concerns about the preservation of the roots.
“It created a deep sense of insecurity around a site that calls for calm and serenity,” Mr. Serlinger said. “We have a feeling of insecurity with a mayor who is still in a war.”
https://www.nytimes.com/2025/04/15/world/europe/van-gogh-tree-roots-france-auvers-sur-oise.html
The Economist, 16 avril
A passion for freedom : Mario Vargas Llosa was shaped by authoritarianism
The Peruvian novelist and liberal died on April 13th, aged 89
Full text: https://kinzler.org/wp-content/uploads/2025/04/16-avril-1.pdf
Link: https://www.economist.com/obituary/2025/04/15/mario-vargas-llosa-was-shaped-by-authoritarianism
Le Figaro, 15 avril
Mario Vargas Llosa, Prix Nobel de littérature et homme de convictions, est mort à l’âge de 89 ans
DISPARITION – L’écrivain hispano-péruvien était admiré pour sa description des réalités sociales. Il est décédé à Lima, où il vivait depuis quelques mois en retrait de la vie publique.
Full text:
L’écrivain hispano-péruvien, prix Nobel de littérature 2010 et membre de l’Académie française, Mario Vargas Llosa est décédé dimanche à l’âge de 89 ans à Lima, où il vivait depuis quelques mois en retrait de la vie publique, a annoncé sa famille dans un message sur les réseaux sociaux. «C’est avec une profonde tristesse, que nous annonçons que notre père, Mario Vargas Llosa, est décédé aujourd’hui à Lima, entouré de sa famille et en paix», a écrit son fils aîné Alvaro dans un message également signé par son frère Gonzalo et sa soeur Morgana.
Ces derniers mois, les rumeurs sur la détérioration de l’état de santé de l’écrivain s’étaient multipliées. Il « est à l’aube de ses 90 ans, un âge où il faut réduire un peu l’intensité de ses activités », avait déclaré son fils Alvaro en octobre dernier, sans préciser l’état de santé de son père.
Mario Vargas Llosa faisait partie de ces écrivains qui pensent que le roman est un genre majeur, le seul à pouvoir exprimer «de façon vaste, ambitieuse, complexe» la totalité du monde fictif. « Lui seul peut profiter de toute l’expérience humaine. Témoignage subjectif, il exprime dans le même temps ce qu’ont été les hommes d’une époque et d’une société, mais aussi tous les fantômes qui l’ont créée à partir d’une réalité objective. »
Son traducteur et ami, Alain Bensoussan, écrivait déjà, en 1989, que «chaque époque, périodiquement, voit surgir son écrivain total, son démiurge qui fait de la littérature un absolu, un langage capable de déchiffrer les mystères de ce monde et de les transcender par la parole. S’il est dans l’Amérique de langue espagnole un écrivain de ce type, c’est bien, Mario Vargas Llosa». Pratiquant une confusion volontaire et permanente entre l’homme et l’écrivain, entre sa vie personnelle et la fiction, Mario Vargas Llosa ne sépara jamais son activité littéraire de son engagement personnel. Très jeune, il milita aux côtés des communistes péruviens contre la dictature du général Odría, devint journaliste à l’AFP et à Radio France, s’enthousiasma pour les thèses de Jean-Paul Sartre, adhéra dans un premier temps à la Révolution castriste, avant de rencontrer les grands écrivains latino-américains du XXe siècle : Julio Cortázar, Jorge Luis Borges, le Cubain Alejo Carpentier, son ami puis rival Gabriel García Márquez (lauréat du Nobel en 1982), et l’Uruguayen Juan Carlos Onetti. Sans renier ses engagements humanistes, il finit, en démocrate lucide, par s’éloigner du socialisme et par être, à 54 ans, le candidat de la droite libérale à l’élection présidentielle de 1990 au Pérou. Battu au second tour par Alberto Fujimori, il revint à la littérature et publia Le Poisson dans l’eau, en 1993. Dans ce livre, récit fiévreux de sa longue bataille électorale, Mario Vargas Llosa revenait une nouvelle fois sur son adolescence brimée par un père sévère, son séjour au collège militaire Leoncio Prado, où s’étaient succédé sanctions et brimades, son mariage précoce à l’âge de 19 ans avec sa tante et son voyage à Paris qui avait déterminé à jamais sa vocation d’écrivain. Cette amère expérience politique lui inspirera également un autre roman magistral, paru en 2016 : Cinco Esquinas.
« Mario Vargas Llosa ne sépara jamais son activité littéraire de son engagement personnel »
Cette vie d’adulte, jamais totalement séparée de l’enfance, passée à Arequipa, au sud du Pérou, constitue le terreau fondateur d’une œuvre multiple, variée, diverse. Il y avait, en effet, plusieurs Mario Vargas Llosa. Celui de la nostalgie, qui évoqua dans Les Cahiers de don Rigoberto les rêves de bonheur perdu du petit Fonfon. Celui de L’Orgie perpétuelle (à propos de Madame Bovary) qui s’étourdit dans la littérature afin de mieux supporter l’existence. Celui d‘Eloge de la marâtre, qui réinventa le roman érotique en dressant un malicieux catalogue de la luxure. Celui de La Guerre de la fin du monde, qui s’empara d’un thème historique pour brosser le portrait d’une société et en faire le procès. Sans oublier une intense activité journalistique, entamée dès le début des années 1960, et qu’il poursuivra dans les colonnes du quotidien madrilène El País. Il s’était également penché sur quelques destins singuliers, tels ceux de Gauguin et de Flora Tristan (Le Paradis – un peu plus loin, en 2003) ou encore celui de l’indépendantiste irlandais Roger Casement, dans Le Rêve du Celte (2010). En 2018, dans La llamada de la tribu, il avait rendu hommage à quelques penseurs du libéralisme : Adam Smith, Raymond Aron, ou encore Jean-François Revel.
Contempteur des tares et des dérives de notre société, il avait dénoncé sans relâche la civilisation du spectacle, la dégénérescence de l’art contemporain et la montée de l’islamisme en Europe, s’opposant même (et en public) aux velléités indépendantistes des Catalans, en 2017.
Invité au Collège de France par Antoine Compagnon, en 2017, il avait déclaré : «Le plus grand événement de votre vie a été l’apprentissage de la lecture à l’âge de cinq ans au collège Lassalle de Cochabamba, avec frère Giustiniano. J’ai découvert qu’en lisant, en traduisant les lettres, les mots, on pouvait vivre une existence beaucoup plus riche, beaucoup plus intéressante ou plus diverse que la vie véritable. Cela a été pour moi une découverte essentielle.»
Fasciné par Malraux, Hemingway et Faulkner
Dans tous ces livres, une question revient : quel rôle l’écrivain peut-il et doit-il jouer dans son temps ? Adolescent rebelle, le futur auteur de De sabres et d’utopies avait été affublé d’un surnom : le « vaillant petit Sartre ». Grand lecteur des Temps modernes, alors qu’il vivait à Paris, au début des années 1960, il y avait découvert que les mots sont des actes et qu’ils peuvent changer la vie : la littérature a donc une responsabilité morale vis-à-vis de l’histoire. La connaissance de ce concept issu des années de formation est indispensable à qui veut lire le Mario Vargas Llosa des œuvres de jeunesse, La Ville et les Chiens (1963), Conversation à la Cathédrale (sans doute son opus le plus ambitieux), etc… Et celui des romans de la maturité tel que La Fête au Bouc, paru en 2000.
Fasciné par les romanciers contemporains épiques comme Malraux, mais aussi par les romanciers américains de la «Lost Generation» (Hemingway, Fitzgerald, Dos Passos), sans oublier l’influence déterminante qu’exerça sur lui Faulkner, Mario Vargas Llosa savait mieux que nul autre qu’on peut décrire dans un roman des vies extraordinaires ancrées dans la réalité : «Je veux être un écrivain réaliste, mais qui raconte ce qu’il y a d’insolite dans la réalité en créant des personnages capables d’aller au-delà de leurs limites». Dans La Tante Julia et le Scribouillard (1977), Pedro Camacho était un feuilletoniste de radio qui, pour être en prise avec la réalité, avait installé son bureau dans la rue ! Sa profession de foi est hilarante : «Qu’est-ce que le réalisme, messieurs ? Quelle meilleure façon de faire de l’art réaliste que de s’identifier matériellement avec la réalité ?»
Mario Vargas Llosa, qui avait comme modèles avoués Victor Hugo et Gustave Flaubert, transformait en littérature tout ce qui lui arrivait. Ainsi sa vie entière fut-elle cannibalisée par le roman. Homme de l’incertitude lucide et du doute nécessaire, il savait que tout le monde, sans exception, pouvait être sujet de récit. Plus qu’une devise, voilà qui était une sorte de règle de vie, de posture philosophique, de théorie littéraire. Et lorsqu’on lui demandait si depuis La Ville et les Chiens, son premier roman, sa conception de la littérature avait évolué, il répondait : «J’ai lu, vu, vécu et cela a changé l’écrivain que je suis.»
« Un bon roman dit toujours la vérité, et un mauvais ment. »
Mario Vargas Llosa
Une autre «certitude» guidait son art : pour lui la notion de vérité en littérature ne relevait ni de la morale ni de l’idéologie : «Un bon roman dit toujours la vérité, et un mauvais ment.» La vérité passe donc à travers les mensonges, une vérité subjective, indirecte, mais qui enrichit et permet de mieux appréhender la réalité objective. Le roman, au sens où l’entendait Vargas Llosa, est une réponse critique à la réalité. La société produit des démons que le roman fustige. Vargas Llosa souscrivait pleinement à l’opinion de Dostoïevski affirmant que Don Quichotte était un livre où la vérité était sauvée par le mensonge. En donnant comme titre à l’un de ses recueils d’essais La Vérité par le mensonge, Vargas Llosa nous livrait une des clés de son univers. Revenons à l’un de ses livres les plus célèbres, La Fête au Bouc : le tyran dominicain Trujillo y touchait au mensonge par la vérité. Dans ces trente années de terreur, tout était vrai, et cependant tout conduisait au mensonge le plus intolérable.
Comme Flaubert, Mario Vargas Llosa affirmait qu’il fallait s’habituer à ne voir dans les gens qui nous entourent que des livres. Pour lui, la seule façon d’être écrivain était de se livrer corps et âme à la littérature. Beau projet en vérité que celui de vouloir offrir à la littérature comme mission principale l’élévation de l’homme, une sorte de salut par le livre. Contrairement à Albert Camus affirmant qu’il fallait un temps pour vivre et un autre pour témoigner de vivre, Vargas Llosa démontra avec beaucoup de conviction que vivre et écrire ne formait qu’une seule et même démarche. En racontant des histoires, l’écrivain ne s’est jamais éloigné de son siècle. Tout en lui y revient. L’œuvre de Mario Vargas Llosa, à la croisée des chemins entre biographie, roman, histoire et critique littéraire, est exemplaire. Dans Le Paradis – un peu plus loin, il montrait que la chute pouvait être aussi belle que l’envol. L’un comme l’autre sont porteurs d’espoir. Mario Vargas Llosa croyait en l’utopie. Les rêves, nous dit-il, sont nécessaires, ce sont les seules réalités de la vie. Les rêves sont ce que l’homme a de plus indécent à montrer, mais n’est-ce pas grâce à eux qu’il soulève la dalle de la nuit ?
Neue Zürcher Zeitung, 15 avril
Aufstand gegen die Wirklichkeit: Der Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist tot
Als einer der grossen Romanciers und Essayisten Lateinamerikas schrieb er gegen Gewalt und Ungerechtigkeit an. Im Jahr 1990 bewarb er sich erfolglos um das Präsidentenamt in seiner Heimat Peru. Nun ist der Jahrhundertschriftsteller im Alter von 89 Jahren gestorben.
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Es ist ein Lärm, der da einprasselt auf die Welt, die Ohren zudröhnt und ablenkt vom Wesentlichen. Tag für Tag bedrängt er das Publikum, nimmt ihm Zeit und Kraft zur Konzentration. Kein Wunder darum, dass es irgendwann nachgibt, sich gehen lässt, den Atem verliert. Sich mit immer kleineren, immer banaleren Themen abspeisen lässt. Und als wäre das nicht schlimm genug, folgt der Gipfel von Anmassung und Unverschämtheit erst noch. Er besteht darin, dass man sich darauf geeinigt hat, den Lärm unserer Tage als «Kultur» zu bezeichnen. Als wäre Kultur nicht etwas ganz anderes als jene schnell hingeworfenen Produkte des Boulevards, die jedenfalls den Verächtern der Zerstreuung mehr und mehr die Nerven rauben.
Es sind flammende Zeilen, die Mario Vargas Llosa in seinem Essay «Alles Boulevard» der allgegenwärtigen Unterhaltungsindustrie entgegenschleuderte – ein Aufgebot aus einem Reich, das zwar nicht im Schwinden begriffen ist, dessen Bewohner es jedoch immer schwerer haben, auf sich, nein: auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Echte Kultur hat es schwer gegen Surrogatkultur. Denn echte Kultur ist unbequem, will sie doch vor allem eines: sich der Welt zuwenden, sich ihr stellen. Und es notfalls mit ihr aufnehmen. «Romane zu schreiben», notierte Mario Vargas Llosa an anderer Stelle einmal, «ist ein Aufstand gegen die Wirklichkeit, gegen Gott, gegen die Schöpfung Gottes, die die Wirklichkeit ist.»
Anders kann man wohl kaum denken, wenn man in einem Land aufwächst, das von den grossen Ideologien der eigenen Zeit zerrissen ist. Während der berühmte peruanische Philosoph José Carlos Mariátegui die Ideen des Marxismus in seinem Land und darüber hinaus zu verbreiten sucht, knüpfen die herrschenden Militärs zeitgleich Kontakte zum faschistischen Spanien General Francos. Unversöhnlich stehen sich die beiden ideologischen Lager gegenüber; in den Wahlen der folgenden Jahre gewinnt mal die eine, mal die andere Gruppe. 1968 setzt ein Putsch unter General Juan Velasco Alvarado dem politischen Kräftemessen ein Ende, zwischen Kommunismus und Kapitalismus soll es nun ein weiterer, ein «dritter Weg» richten.
«Peru ist beschissen. Alle sind beschissen»
Vargas Llosa applaudiert der Politik des Generals, der den Kleinbauern Acker- und Weideflächen zukommen und sie an den natürlichen Reichtümern des Landes teilhaben lassen will. Doch auch Velasco Alvarado regiert mit grimmiger Entschlossenheit, und so verlaufen die Entscheidungsprozesse weiterhin wie gewohnt: unter autoritären Vorzeichen. Die peruanische Gesellschaft ist straff durchorganisiert, und entsprechend gering sind die Möglichkeiten der Bürger, eigene Entscheidungen zu treffen. «Im Heer», erklärt ein Kommandant aus Vargas Llosas erstem, 1963 erschienenem Roman «Die Stadt und die Hunde», «setzt sich Gerechtigkeit früher oder später durch. Gerechtigkeit ist Bestandteil seines Systems.»
Gerechtigkeit aber, das ist vor allem Disziplin, besser noch: Disziplinierung. Mit aller Konsequenz geht das Militär seine Rekruten an, unterwirft sie einem Regime, an dem die einen wachsen und die anderen zerbrechen. «Peru ist beschissen. Alle sind beschissen. Eine Lösung gibt es nicht», erklärt einer der Protagonisten von Vargas Llosas drittem Roman «Unterhaltung in der Kathedrale». Und sosehr Vargas Llosa in diesem Roman doch bereits die formalen Grenzen erweitert, die übliche Ordnung des Erzählens durch sich überlagernde Stimmen, Zeiten und Räume erweitert hat, so präsent ist doch die peruanische Gegenwart, die drückende, lastende Wirklichkeit eines Landes, das politisch ebenso wenig vorankommt wie wirtschaftlich.
Was tun gegen die nationale Misere? Man muss die Verhältnisse auf den Kopf stellen, glaubt der junge Vargas Llosa und träumt, wie so viele Lateinamerikaner seiner Generation, von der Revolution. Ein kleiner Inselstaat in der Karibik, Kuba, hat vorgemacht, wie das geht, und darum ist auch Vargas Llosa ein glühender Verehrer Fidel Castros – zunächst jedenfalls. Aber schon in den frühen siebziger Jahren wird ihm immer unbehaglicher angesichts der unübersehbaren Repression, die Castro an den Tag legt. Eingekerkerte und mundtot gemachte Oppositionelle, eine Bevölkerung, die ihre Heimat nicht verlassen darf: Das veranlasst Vargas Llosa, seine politischen Positionen noch einmal zu überdenken.
Er irrt sich in Fidel Castro
Zu Castro wird er in den folgenden Jahren immer schärfere Worte finden. Es sei möglich, dass Castro der Einzige sei, der den Unsinn glaube, den er verzapfe, schreibt Vargas Llosa im Jahr 2004 in einem seiner Essays in der spanischen Tageszeitung «El País». Das hindere ihn freilich nicht daran, seine Lehren zu verbreiten, «als seien es offenbarte Wahrheiten». Man kann eine solche Position als «rechts» bezeichnen – ebenso gut aber auch als «liberal». Denn ebenso entschieden wie gegen linke geht Vargas Llosa gegen rechte Autokraten vor. Im Herbst 1976, kurz zuvor haben sich in Argentinien die Militärs an die Macht geputscht, schreibt er als Präsident des PEN International einen Brief an den argentinischen Staatschef General Videla, in dem er die unter den Militärs verübten Menschenrechtsverletzungen in aller Deutlichkeit anspricht.
Um nicht nur zu mahnen, sondern selbst zu gestalten, tritt Vargas Llosa 1990 als Kandidat bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen an, in denen er aber gegen Alberto Fujimori verliert, der das Land für die kommenden zehn Jahre mit harter Hand reagiert. Kaum an der Macht, droht Fujimori dem unterlegenen Gegenspieler, mit der Aberkennung der peruanischen Staatsbürgerschaft. Umgehend beantragt Vargas Llosa in Madrid, wohin er nach der Wahl gezogen ist, die spanische Staatsbürgerschaft, die ihm 1993 auch gewährt wird. Einen etablierten Rechtsstaat im Rücken, kann er sich nun mit geringerem persönlichem Risiko in die politischen Debatten der Gegenwart einmischen.
Vornehmstes Ziel seiner Kritik sind weiterhin die Autokraten: Die Regierung der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bezeichnet er 2011 während der Eröffnungsrede der Buchmesse von Buenos Aires als «völliges Desaster», als «schlimmste Form von Peronismus, Populismus und Anarchie». Nicht minder harte Worte findet er im Sommer 2013 für die politischen Verhältnisse in Venezuela. Dort sieht er «Demagogie, Korruption und Gewalt» am Werk. Für diese wie auch für viele andere gegen den Geschmack des linken Justemilieu verstossende Worte ist Vargas Llosa vielfach angegriffen worden. Und doch drückt sich in seinem politischen Sinneswandel eine keineswegs selbstverständliche intellektuelle Fähigkeit aus: nämlich die, sich zu ändern, Abschied von gewohnten Weltbildern zu nehmen, dem als richtig Erkannten auch dann zu folgen, wenn hinter einem eine laute ideologische Meute kläfft.
Wie aber haben sich die politischen Missstände Lateinamerikas so lange halten können? Teilweise durch nichts als blosse Gewalt. Wie die sich zur Herrschaftssicherung einsetzen lässt, hat Vargas Llosa in seinem Roman «Das Fest des Ziegenbocks» gezeigt, einem politisch-psychologischen Porträt des dominikanischen Potentaten Rafael Leónidas Trujillo, der sein Land bis zu seiner Ermordung 1931 diktatorisch regierte und plünderte. Doch Macht kann auch auf der Kunst der Verführung beruhen, dem Versprechen auf eine andere, bessere Welt.
Anschreiben gegen die Gewalt
Diesem Phänomen ist Vargas Llosa in seinem Buch «Der Krieg am Ende der Welt» nachgegangen. Der Roman handelt von einem heilsgeschichtlich motivierten Aufstand im Hinterland von Brasilien im ausgehenden 19. Jahrhundert. In jener Zeit herrschen dort anarchische Verhältnisse: Allmächtige Grossgrundbesitzer betrachten die unzähligen Tagelöhner als willenlose Verfügungsmasse und gehen entsprechend mit ihnen um. Ihre rechtlose Lage ist ein mehr als fruchtbarer Boden für den Glauben an das nahende Weltenende, das der Prediger Antônio Conselheiro («Ratgeber») vorhersagt. Tausende Verzweifelte sammelt er durch seine Predigten und gründet mit ihnen einen Staat im Staate. Vier Feldzüge benötigte die Regierung in Rio de Janeiro, um das Terrain wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.
Eindrücklich zeigt Vargas Llosa, welche Kräfte Ideologie freizusetzen vermag. Wie sich solche Energien in den linken Heilsvorstellungen des 20. Jahrhunderts entfalten, zeigt Vargas Llosa in seinem Roman «Maytas Geschichte», in dem er die intellektuelle Entwicklung eines peruanischen Trotzkisten verfolgt. Nicht alle Werke Vargas Llosas sind indes überzeugend. Insbesondere in den letzten Jahren schien es, als seien dem peruanischen Romancier die Themen oder Ideen ausgegangen. «Der Traum des Kelten» oder «Ein diskreter Held» sind keine schlechten Bücher, können aber an die früheren, ungleich energischeren Werke des «angry young man» nur bedingt anschliessen. Dennoch: Der politisch ebenso streitbare wie persönlich liebenswürdige Peruaner ist einer der ganz grossen Autoren des 20. Jahrhunderts, der es mit seinen Werken zu höchster literarischer Anerkennung gebracht hat – unter anderem zum Rómulo-Gallegos- und zum Cervantes-, 2010 gar zum Nobelpreis.
Mario Vargas Llosa starb am Sonntag im Alter von 89 Jahren in der peruanischen Hauptstadt Lima, umgeben von seiner Familie und «in Frieden», wie sein Sohn Álvaro Vargas Llosa auf der Plattform X schrieb.https://www.nzz.ch/feuilleton/aufstand-gegen-die-wirklichkeit-nobelpreistraeger-mario-vargas-llosa-ist-tot-ld.1314970
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8 avril
Als die Apfelbäume wild wachsen durften
Mit Klimawandel, Artenschwund und intensiver Landnutzung ändert sich auch der Blick auf Landschaftsgemälde. Davon erzählt eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus mit Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts.
Als es in Südtirol noch keinen Massentourismus gab: Gabriele Münters Gemälde „Baumblüte in Lana“ von 1908 Lenbachhaus / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
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Auf den ersten Blick öffnet Max Joseph Wagenbauers kleines Gemälde bloß den Blick auf eine bäuerlich geprägte Landschaft Anfang des 19. Jahrhunderts, nur in Maßen idyllisch verklärt. Die Kühe neben dem blonden Mädchen in Tracht sind ziemlich mager. Es lohnt sich aber, nah an das Bild heranzugehen und auf den Mittelgrund zu fokussieren: ein elegantes Haus mit Portikus am Seeufer, auf dem Steg davor eine herausgeputzte, gerade einem Segelboot entstiegene Gesellschaft. Ganz eindeutig betuchte Münchner mit Zweitwohnsitz an dem hübschen Gewässer und damit die Vorhut jener Eigenheime, die den Starnberger See, denn um ihn handelt es sich, heute dicht umstehen und deren Besitzer die Gegend zu einer der wohlhabendsten des Landes machen.
Der Wunsch, am Unverfälschten teilzuhaben, läutet dessen Ende ein: Dies erzählt das Gemälde des bayerischen Hofzeichners Wagenbauer nur aus heutiger Sicht. In der Ausstellung im Münchner Lenbachhaus, in der es hängt, wird die Perspektive der Besucher des Jahres 2025 Teil des Konzepts.
„Was zu verschwinden droht, wird Bild“
Es ist, das wird vorausgesetzt, eine der Nachdenklichkeit angesichts sich vollziehender Verluste; eine, für deren stärkste Ausprägung es ein Fremdwort gibt: Solastalgie, die Trauer darüber, wie sich Landschaften durch ihre Nutzung, durch Klimawandel und Biodiversitätskrise verändern. Die Ausstellung „Was zu verschwinden droht, wird Bild“ – ein zwiespältiger, von den Kuratoren bei Klaus Modick, der ihn wiederum Bertolt Brecht zuschreibt, gefundener Satz – will die Vergänglichkeit, die in jedem Abbild steckt, um diese Betrachtungsebene erweitern und versammelt dafür aus den reichen Sammlungen des Lenbachhauses geschickt Gemälde und Skizzen.

Es geht dabei nur am Rande um das, was sich konkret so nicht mehr finden ließe, wie das Anfang des 20. Jahrhunderts noch durchweg nasse Moor am Kochelsee, das Jean Bloé Niestlé, ein Freund Franz Marcs, samt der darin nistenden Vögel naturgetreu zeichnete, bevor seine Bildsprache ins Expressionistische wechselte. Oder die ihre Äste in alle Richtungen streckenden Südtiroler Apfelbäume in Gabriele Münters beschwingter Ölstudie – heute bestehen die Plantagen in Europas größtem Apfelanbaugebiet aus gestutzten und in Stützgerüsten hängenden Exemplaren.
Vor allem ist es der Verlust des unbekümmerten Blicks, den die Bilder vor Augen führen: Das rot glühende Feuer im Wald von Fontainebleau, bei Landschaftsmalern im 19. Jahrhundert als Freiluftatelier beliebt, lässt unweigerlich an die Waldbrände von heute denken, die durch die klimawandelbedingte Trockenheit so verheerend sind. Albrecht Adams fast naive „Gebirgslandschaft mit pflügendem Bauern“ von 1825 zeigt bäuerlichen Alltag in einer Zeit, in der Mechanisierung, synthetische Düngung, Pflanzenschutzmittel noch in weiter Ferne liegen, lässt aber auch an die Kehrseite dieses Fortschritts denken: ausgelaugte Böden und Artenschwund. Und Gabriele Münters Fotografie des tief verschneiten Englischen Gartens erinnert an Winter, in denen Schnee noch nicht die Ausnahme war.
Sehnsucht danach, einmal durchzuatmen
Die Ausstellung macht aber ebenso klar, dass sich das Bedürfnis, der Natur nah zu sein, in ihr Erholung zu finden und ihre Erscheinungsformen zu studieren, vor hundert, zweihundert Jahren ebenso äußerte wie auf dem versehrten Planeten von heute. Auf Richard Riemerschmids „In freier Natur“ (1895) schaut man auf eine Frau, die auf Wiesen schaut, und meint das Durchatmen zu spüren, das ihren Blick ins weite Grün begleitet. Für Menschen wie sie, die Trägerin eines modernen, korsettfreien Reformkleids, entwarf Riemerschmid zehn Jahre später Hellerau, die erste Gartenstadt in Deutschland, die eine Alternative sein wollte zu steinerner Urbanität.
Kaum sattsehen kann man sich an Johann Georg von Dillis’ Wolkenstudien, zarten Skizzen auf blauem und grauem Papier, die im Lenbachhaus einen eigenen Raum bekommen. Eins der flüchtigsten Phänomene, vom kurfürstlichen „Bilder-Galerie-Inspector“ Dillis in seiner Dienstwohnung am Münchner Hofgarten mit dem dort bis heute unverbauten Blick in den Himmel wohl immer dann festgehalten, wenn er mal wieder einer Abwechslung in seinem Brotjob bedurfte.
Dass die Ausstellung ihren Fokus immer wieder weitet auf Kunst als Versuch, zu bewahren, was vergeht, macht sie umso gelungener. Wie beiläufig werden dafür hauseigene Schätze platziert wie eines der vier Dutzend ungeschönten Selbstporträts, die Lovis Corinth von sich malte, oft an seinem Geburtstag. Mürrisch, älter als seine 38 Jahre aussehend und mit übergroßer Krawatte seltsam korrekt gekleidet, sieht er uns an. Neben ihm steht ein Skelett.
„Was zu verschwinden droht, wird Bild“. Lenbachhaus, München. Kein Katalog.
The Wall Street Journal, 7 avril
The Incredibly Massive Number of Hackneyed Words Is Surreal
Overused, meaningless phrases fall out of fashion. It would be awesome if they did it a little quicker.
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A hackneyed phrase is one characterized by its unoriginality, overuse and, not least, imprecision. The air seems filled with such phrases just now. Consider how the often-used word “focused” has taken on the adjective “laser,” to become the fully hackneyed “laser-focused.” Not all hackneyed language comes in full phrases; some single words also qualify. How they catch on remains a bit of a mystery, but catch on they do. “Incredible,” you might say.
You might say it, that is, if you have no ear for language and don’t mind sounding like everyone else who currently avails himself of this hackneyed word. Incredible, a synonym for unbelievable or surpassing belief, has become the hackneyed word of the day. The word has a hackneyed history. An ad for “the incredible edible egg” ran in the 1970s. The show “That’s Incredible!” was on television from 1980-84.
Now the word has flared up again. “Incredible” is much favored by President Trump, who regularly cites people he has hired for doing “an incredible job,” often not long before firing them. In the mouths of sports announcers, athletes fairly regularly bring off “incredible” feats. The experience of younger actors working with older ones tends to be “incredible.” So many otherwise quite credible experiences are now considered incredible.
The use of “incredible,” to put it another way, is massive. A home run in the late innings of a game can also be massive. “Massive” was the Republicans’ defeat of the Democrats in the last election. As for the laughter at Sarah Silverman’s most recent HBO performance, it, too, was massive. With all these things and more being massive, we no longer have a word meaning large and heavy or solid, to describe mountains or skyscrapers or offensive linemen in the National Football League. When words become hackneyed, as incredible and massive have, they lose their original, useful functions, a loss for the language and another gain for unoriginality.
Surreal, really, when you think about it. Yet if you really thought about it, you would never call anything “surreal.” Derrek Lee recently described being elected to the Baseball Hall of Fame as “incredible,” adding that the feeling was “surreal.” Originally meaning fantastic, “surreal” is now regularly used to mean just about anything out of the ordinary. Your getting a ticket for speeding was surreal. So, too, was the way you first met your wife, and the recent firing of your supervisor at work. Surreal, all of it. As for the surrealism of the artists Miró, Magritte and Dalí, what did those jokers know about the surreal?
Hackneyed words that previously had their day pass, alas not quickly enough, into oblivion. Such seems to be the case with “awesome.” I used to lunch weekly at a neighborhood restaurant, where our waiter greeted my friends and me by saying, in response to our entrance, “Awesome.” When after having been seated we told him we were ready to order, he said, “Awesome.” When he asked if everything was all right, or if one or another of us wanted more coffee, in answer to our response, he replied, “Awesome.” Leaving I always thanked him for his good service, to which he replied not “thanks,” not even “no problem,” but with a final, “Awesome.”
The awesome waiter has long since left the restaurant to attend chef school, which I trust he will find awesome. Now, though, I wish that for every one of his awesomes, I had responded with a “Whatever!,” another hackneyed word that I hope is on its way out. “Whatever!,” always understood with an exclamation mark, was used as a way to end the thread of a conversation, if not the entire conversation. You make an interesting point, and, instead of engaging you on the point, I exclaim “Whatever!,” which means, in effect, case closed, I’d rather not talk about it. Damn rude, when you think about it, but then you may not wish to think about it.
Hackneyed words and phrases come and go. Let us hope that the mis- and overused “incredible,” “massive” and “surreal” will soon depart everyday language. No doubt newly hackneyed words await in the wings. Oh, well, rack ’em up; or, should I say, hack ’em up?
Mr. Epstein is author, most recently, of “Never Say You’ve Had a Lucky Life.”
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7 avril
Relevanzmonitor: Kultur? Ja, wichtig. Aber nicht für mich.
Kultur, heißt es immer, sei ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Alle finden sie enorm wichtig. Aber wenn man genauer nachfragt, zeigt sich, dass sich in Wahrheit nur Wenige dafür interessieren.
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Wann immer davon die Rede ist, welche Bedeutung die Kultur hat, liegen die Phrasen griffbereit. Das ist keine besondere Eigenschaft von Kulturdebatten, es fällt nur besonders auf, weil es von den Werken absticht, die der Kultur zugeordnet werden. Kultur, heißt es dann, ist ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Sie spielt eine essenzielle Rolle für die Demokratie. Sie bildet das Fundament, auf dem wir unsere Gesellschaft und ihre Systeme bauen.
Wir zitieren aus den Vorworten zum „Relevanzmonitor Kultur 2025“ der Liz Mohn Stiftung, von denen eines der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) verfasst hat. Die Umfrage, die mit diesen Fanfaren eingeleitet wird, hat untersucht, wie die Leute ihre Freizeit verwenden, welches Interesse sie an verschiedenen Kunstformen nehmen, wie oft sie im Monat ein Buch lesen und im zurückliegenden Jahr im Kino, bei einem Popkonzert oder in der Oper waren und welche Bedeutung sie der Kultur zuschreiben.
Einmal im Theater gewesen
Die Antworten hinterlassen gemischte Gefühle. Hätte man nur einen Satz, um sie zusammenzufassen, könnte er lauten: Kultur ist enorm wichtig, ich gehe aber nur selten hin. Fürs Theater etwa interessiert sich nur – oder immerhin? – ein gutes Drittel der Befragten, noch weniger (29 Prozent) waren im vergangenen Jahr einmal dort. Für mehr als die Hälfte liegt der jüngste Theaterbesuch mindestens drei Jahre zurück oder sie waren (elf Prozent) überhaupt noch nie in einem Schauspielhaus. Die Operntotalverweigerer belaufen sich auf 35 Prozent, genau so viele haben noch nie ein „klassisches“ Konzert gehört. Knapp die Hälfte liest nicht gern „anspruchsvolle Bücher“, wobei es den Befragten überlassen blieb, was sie für anspruchsvoll halten und unter „gern“ verstehen. Dreißig Prozent nehmen jedenfalls seltener als einmal im Monat oder nie ein Buch zur Hand. Mehr als ein Viertel teilt immerhin mit, sie läsen täglich in einem Buch.
Demgegenüber stehen mehr als 70 Prozent, die es wichtig finden, an einem Ort mit breitem Kulturangebot zu leben. 91 Prozent finden, die Theaterhäuser sollten erhalten bleiben, fast 80 Prozent stimmen ihrer öffentlichen Finanzierung zu, auch wenn fast 60 Prozent meinen, diese Angebote wendeten sich nicht an sie. Alle diese Zahlen sind unabhängig vom Bildungsabschluss der Befragten, was weitgehend auch für die Frequenz der Theaterbesuche gilt, die allerdings – wie mit umgekehrter Tendenz auch der Kinobesuch – stark altersabhängig ist.
Fehl am Platz
Wer nach Gründen für die Distanz zum Theater sucht, stößt auf Aussagen wie die, man fühle sich dort fehl am Platz, der 71 Prozent zustimmen. Noch mehr Befragte meinen, sie wüssten nicht, wie sie sich im Theater richtig verhalten sollen. Je jünger sie sind, desto stärker melden sich solche Fremdheitsgefühle. Auch sie sind nur in Maßen bildungsabhängig. Ein Drittel auch der Befragten mit Abitur oder Studium fühlt sich vom Angebot der Theater nicht adressiert.
Bei den „wertvollen Gemeinschaftserlebnissen“, die mehr als 90 Prozent durch Kultur ermöglicht sehen, wird einstweilen also an das Kino und die Popkonzerte gedacht werden müssen, nicht an Oper und Schauspiel. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur wollte Carsten Brosda in der Diskrepanz zwischen grundsätzlichem Wohlwollen und begrenztem Zuspruch eine Aufgabe für die städtischen und staatlichen Bühnen erkennen, das Potential zu heben. Die Aussage, Theater seien von hohem gesellschaftlichen Wert, deutete er insofern nicht als Redensart, sondern als Anzeichen für eine generelle Bereitschaft, auch hinzugehen. Das passt allerdings nicht zu den drei Vierteln, die sagen, Theater interessiere sie kaum oder gar nicht; bei Oper und Ballett sind es sogar 81 Prozent. „Interessiere mich nicht“ ist ja schwerlich mit „Interessiere mich schon, aber finde keine Aufführungen, die mir gefallen“ zu übersetzen. Brosda hingegen macht aus bekundetem Desinteresse ein „nutze ich noch nicht“ und redet sich damit die Ergebnisse schön.
Anders formuliert: Sind alle Leute, die dagegen sind, die Kirche abzureißen, potentielle Besucher der Messe? Die Frage lenkt den Blick auf die Bedeutung von Sätzen, in denen der Kultur allerlei Bedeutung für das Gemeinwesen zugeschrieben wird. Was nicht gefragt wurde, war, wie Oper, Bücherlesen und Kino das denn machen, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zur Demokratie und allem anderen Wertvollen beizutragen. So lässt die Umfrage ihre Leser mit undurchdachten Bildern wie demjenigen Brosdas allein, Kultur sei nicht systemrelevant, sondern frei und funktionslos, aber dennoch das Fundament aller Systeme. Die merkwürdige Metapher vom funktionslosen Fundament erfüllt ihrerseits die Funktion, nicht sagen zu müssen, wodurch es der Kultur denn gelingt, durch Schönes und Wahres das Gute zu befördern. Sie soll kein Mittel sein, wird aber dafür gelobt, höchsten Zwecken durch Nichtdienstbarkeit zu dienen.
Das Paradox ist leicht aufzulösen. Es soll in Zeiten angespannter Haushalte ein Subventionsniveau für Kultur begründet werden, das in den Diskussionen über Verteidigungsaufgaben, Brückenbau und Bahnverkehr, Mütterrente und Gesundheitsversorgung nicht zurückbleiben dürfe. Dafür wird die Demokratiebedeutung der Kunst aufgeboten, so als sei sie ein Unterfall von politischer Bildung oder als vermittle der Besuch von Stücken Ibsens Gemeinschaftsgefühle über das Parkett hinaus. Wenn wir noch nicht alle erreicht haben, heißt das, bedarf es weiterer Mittel, denn es geht um mehr als Ibsen.
Eingeübte Reflexe der Verteidigung
Die Gefahr dieses eingeübten Reflexes der Verteidigung von Kunst besteht weniger in einer Haushaltsüberlastung durch die Kulturetats. Dazu sind sie selbst bei mehr als achtzig Opernhäusern in Deutschland nicht groß genug. Gefährlich ist die Phrase von Kultur als dem Fundament der Gesellschaft vielmehr, weil sie von den Bühnen Wirkungen behauptet, die sie niemals haben können. Es wird geredet, als reiche der ästhetische Eigensinn selbst nicht aus. Sich vor der Tradition des Theaters sehen lassen zu können, die Einbildungskraft spielen zu lassen, auf dem Niveau der Werke und im Rahmen der eigenen Mittel Gedanken anzuregen, wäre doch schon genug.
Als jüngst in Berlin scharfe Spargebote an den Kultursektor ergingen, wurde schnell die Sorge um Arbeitsplätze, aber auch Unterhaltungsmöglichkeiten für Touristen laut. Ob es Kunst gibt, die vom Gesichtspunkt der Kunst aus vermisst würde, wurde nicht gefragt, sondern vorausgesetzt. Aber die Kunst ist so wenig für Tourismus und Demokratie da, wie die Literatur für die Buchbindereien und die Bürgertugend.
New York Times, 4 avril
Everything We Ask of Art Is in These Marbles
The 2,000-year-old Torlonia collection of Roman sculptures, now at the Art Institute of Chicago, has the urgency of the greatest contemporary art.

Full text (and plenty of pics)
The two women are a coil of contradictions: Roman but also Greek, flesh but also stone. They both are confident, blessed with the poise of the noble and famous, yet also slightly shy. As if, after centuries of gazes, they can only appear before us slightly abashed. As if they know there is such a thing as too much beauty.
One of them is gazing down,
and one of them is gazing up.
“They stand before us like real human beings,” as the art historian Ernst Gombrich once wrote about classical sculpture, “and yet as beings from a different, better world.”
The younger of these two women is known to historians as the “fanciulla di Vulci”: a girl, or maiden, from one of the richest archaeological sites in Italy. Sculpted in the mid-first century B.C., the last years of the Roman Republic, she was pulled from the ground in the latter part of the 19th century.
Her braided hair, pulled tightly around her head, remains bound in a large circular knot:
Was this a funerary statue, commissioned by the parents of a young woman who died before she could marry? There’s no way to be certain.
But her stone earlobes are pierced. In antiquity, she would have worn earrings. The depressions in her eyes would have been inlaid with smooth ivory or glistening rock crystal.
The other woman, the older one, has an equally intricate hairstyle, though her coif is more majestic. She’s really not a woman at all, I suppose, but the goddess Aphrodite, looking to the right, crouching down, covering her breasts. It’s a pose that was first elaborated by a Greek artist, and later adapted throughout the Roman Empire.
At her foot is a honking swan. Coiling up her left biceps is an armband in the form of a snake:
Two women, two relics of Rome — but then again, not quite. There is a big difference between these two sculptures, which you can only see if you look them in the eyes.
The girl’s wide irises may be missing their inset stones, but she is gazing up at us from a distance of 2,000 years.
The goddess seems to be doing the same — but hold on. Look a little lower, at her neckline. See how the sour-cream marble of her head suddenly gives way to a stone that’s visibly more lemony, more weathered.
Only Aphrodite’s crouching body comes from the first century A.D. The arm with the snake bangle is from antiquity, but the head was sculpted and grafted onto the goddess’s decapitated body 1,600 years later, during the later Renaissance, by the artist Pietro Bernini (father of the much more famous Gian Lorenzo Bernini).
Members of the noble family that once owned this fragmentary Venus turned to their own generation’s artists to resuscitate her. Her downcast eyes are modern. Some talent and a fortune could bring the gods back to earth.
Old and new. Real and ideal. Life and immortality. Everything we ask of art is in the eyes of these women, just two of the 58 extraordinary works of “Myth and Marble: Ancient Roman Sculpture From the Torlonia Collection,” at the Art Institute of Chicago. The exhibition brings to light the last of Rome’s princely art collections, which was out of sight for the better part of a century. (The show tours to Fort Worth later this year, and to Montreal in 2026.)
Built up through successive acquisitions of aristocratic collections, it spills over with 622 sculptures — that’s 621 marbles and one astounding bronze, of the Roman general Germanicus, right arm raised in glory, pecs and abs undulating like ski moguls. The quality is astounding. To see finer holdings of Roman art, you’d have to go to the Vatican or the Louvre.
Much of the collection consists of portrait busts of emperors and eminences, which the Torlonia banking family — and principally Prince Alessandro Torlonia (1800-66), who elevated his family’s collecting into a scientific enterprise — admired for their projection of power and prestige.
An imposing display in Chicago of imperial busts leads from Hadrian, instantly recognizable with his stern mien and tight beard,
to his successor but one, Marcus Aurelius, philosopher-emperor, wearing a shaggier beard in imitation of his favorite Greek thinkers:
But the busts are just the half of it. There are marbles after mythological and literary themes, such as Odysseus escaping from the Cyclops’ den beneath a shaggy-coated ram,
as well as some rare examples of intact large-scale funerary monuments. There’s a sarcophagus of remarkable refinement, ringed on all four sides with scenes of the labors of Hercules:
In the leftmost niche, we see the strongman wrestle the Nemean Lion. In the next, wearing the lion’s skin, he clubs the human-headed Hydra.
Astoundingly, the sarcophagus’s lid is here, too. The deceased couple once inside the marble box were also represented on top, reclining at some eternal banquet. But don’t assume too much from their faces. The heads you see now belonged to some other Roman husband and wife, and were soldered on in modern times.
Even if you treat it as just a showcase of Roman sculpture, “Myth and Marble” would deserve all its laurel wreaths. But it’s about more than antiquity. It’s also about the recent past, about a special collection with a curious history — which almost no one saw for 75 years.
The Torlonia collection, which Alessandro Torlonia moved into a private museum in Rome in 1875, went into hiding in the early 1940s. And when World War II was over, they did not re-emerge.
Disputes among family members and with the government left the marbles hidden away, gathering dust and grime.
For all those years scholars had to beg and bribe to get in. One government official, desperate to see what gems the Torlonia prince had immured, resorted to dressing up as a cleaner.
The only hint of the prizes locked inside those damp Trastevere storerooms was an old catalog, published in 1885, that reproduced all of the marbles with a then-novel technology of camera-based engraving.
At last, the first restored masterpieces went on display at the Capitoline Museums in 2020. Like the exhibition in Chicago, that show included sculptures that scholars knew only from that old catalog, such as the grand goat reclining in majesty — its fur swirling like marble flames, and its bemused head restored by Gian Lorenzo Bernini himself.
And as the public has discovered these once secret masterpieces, the Torlonia Foundation has used the successive traveling shows to repair and restore its holdings. In Chicago, no fewer than 24 of the 58 sculptures are newly cleaned.
The premieres include several busts of eminent imperial women, such as Faustina the Younger, the daughter of Antoninus Pius and the wife of Marcus Aurelius. Look down, from her pulled-back hair to the full cheeks. You are looking at a projected image of the stable imperial succession.
Earlier versions of the Torlonia show emphasized the development of the collection over the 19th century, which the banking family amassed by purchasing entire collections from aristocrats who’d fallen on hard times. The family also undertook large excavations in the Italian countryside that, with varying degrees of care, disentombed masterpieces like the young maiden of Vulci.
In Chicago, the history of collecting is pushed to one side. But by cunningly installing the sculptures in the Art Institute’s spare modern extension, designed by Renzo Piano, the curators have emphasized a different side of the Torlonia Marbles. In powerful sequences of white on white, they impel us to reckon with these “Roman” artworks as time travelers.
In the last century, fascists of various stripes projected national fantasies onto cold stones like these — and online today, sophomoric social-media Hellenists power racist delusions of the past with Greek and Roman statuary.
But nothing here looks anything like it would have in ancient Rome. Most are elisions of ancient marble with freshly quarried replacements. Our image of antiquity arrives to us only after centuries of remaking and recycling, interchange and intermarriage.
Rome was a multiethnic, multilinguistic empire, happy to adopt wholesale an entire foreign religious pantheon. Its architecture, its literature, its educational curriculum and especially its statuary derived from a distant society it had conquered. (This is the place to quote Horace, on the cultural endurance of an occupied people: “Captive Greece took captive her fierce captor, and brought the arts to rustic Latium.”)
And the elite Romans immortalized in these marble busts spoke Greek as a matter of course.
Look at the stupendous Portus Relief: a vision of the capital’s imperial harbor, sitting at the mouth of the Tiber. Here is a slab of carved marble, full of merchant ships and far-sailing seamen,
We don’t know enough about just who made these marbles, but scholars have assumed that most “Roman” artists were Greeks, probably slaves or freedmen, who borrowed and adapted famous Hellenic examples for local audiences.
One of the Torlonia collection’s most impressive artworks, a 16-foot-tall statue of the goddess Hestia (or Vesta to Romans), is also one of its most intentionally archaic. Known as the Hestia Giustiniani, it dates from Hadrian’s time, but the front-facing pose and rigid drapery replicate a Greek bronze from the fifth century B.C.
It was a world of avatars and images, cults and commemorations. There were so many statues in ancient Rome that observers spoke of a second Roman population made of stone and bronze. Living politicians could become marble gods, present in public spectacles and private homes.
The finest feelings became intertwined with the bluntest propaganda. Corruption, violence, unashamed imperialism: All this could coexist with the most sophisticated cultural endeavors, which would endure and even mature as the republic transitioned into an autocracy.

These statues ask: What is power, who is worthy of it, and how long can it last? What is a culture, what happens when it encounters others, and how is it remade through contact and conquest?
The cultural tradition that gave us our laws and our language has always positioned these stone faces and bodies as an art for all time. In 2025, when the most fundamental matters of state and self are on the line, it feels more like the art of the hour. Because we are time travelers, too, blundering backward and forward, unsure which direction is even which. We live in ruins, and salvage from the marble at our feet what values and virtues we can.
Myth and Marble: Ancient Roman Sculpture From the Torlonia Collection
Through June 29 at the Art Institute of Chicago, artic.edu. The show travels to the Kimbell Art Museum in Fort Worth on Sept. 14 and to the Montreal Museum of Fine Arts in March 2026
Jason Farago, a critic at large for The Times, writes about art and culture in the U.S. and abroad. More about Jason Farago
https://www.nytimes.com/2025/04/03/arts/design/torlonia-marbles-chicago.html
The Economist, Book Review, March 14
Living the dream? A new novel is published amid a boom in dystopian fiction
Laila Lalami’s “The Dream Hotel” tackles technology and privacy
The Dream Hotel. By Laila Lalami. Pantheon; 336 pages; $29. Bloomsbury; £16.99
Full text :
HOW DO YOU concoct a plausible fictional near-future, in which people’s reliance on technology has gone too far? If you read “The Dream Hotel”, a gripping new novel, you can discern one recipe. First, take a big handful of “1984”, with Big Brother and the surveillance state reimagined with private-sector incentives. Sprinkle in the rational irrationality of Joseph Heller’s and Franz Kafka’s best works. Next mix in a dollop of “Minority Report” (2002), a film starring Tom Cruise in which law enforcement solves “pre-crimes” before people commit heinous acts.
So far, so Orwell. However, “The Dream Hotel” is intriguing and (mostly) satisfying, even if the ingredients feel familiar, for what the novel says about the creep of technology and the trade-offs people make for convenience.
Laila Lalami, a Moroccan-American novelist and former finalist for a Pulitzer prize and National Book Award, tells her dystopian tale by combining traditional storytelling with excerpts from a company’s terms of service, medical reports, meeting minutes and customer-service email chains from hell. The novel’s protagonist is Sara Hussein, an archivist at the Getty Museum who returns from a work trip to London and runs afoul of bureaucrats at immigration control, who say her “risk-assessment” score is too high and that she could pose a threat to her husband’s life. Sara becomes “Retainee M-7493002”, held at a facility for what is supposed to be 21 days of monitoring but stretches much longer.
What went so wrong? In retrospect it was a mistake to get the “Dreamsaver”, a small implant invented by a medical-tech firm in Silicon Valley that Sara agreed to have installed during a desperate period of sleep deprivation. (She had recently had twins.) “Imagine what you could do with more time” was the alluring sales pitch, but it came at a dear price: the device tracked her dreams and shared them with third-party firms and the government.
“The Dream Hotel” evokes a world reminiscent of China’s social-credit system, in which citizens are assessed on a variety of metrics, with a touch of America’s private-prison complex. (“Retainees” are charged vast sums for snacks and internet service and depend on family to deposit money in their accounts.) AI, algorithms, augmented reality and facial recognition all feature in the novel.
Americans, who in real life are suspicious of the “deep state”, accept surveillance in Ms Lalami’s story because a gunman shot 86 people at the Super Bowl as millions watched the atrocity live. Tracking and mining data for the sake of crime-fighting became socially acceptable. While in custody Sara reads a newspaper editorial supporting “our bias-free, science-based crime-prevention system”; “retention”, it argues, is a “humane tool for reducing violence because it saves…communities both the trauma of the crime and the cost of prosecuting it”. There is no mention of what society gives up—in personal liberty and freethinking—in the name of progress.
Dystopian fiction is booming: five classic novels, including “1984” and Ray Bradbury’s “Fahrenheit 451”, saw a boost in sales after Donald Trump’s inauguration in January. But writing it is not for the faint of heart. So many scenarios have already been imagined; others can feel unimaginatively real. Ms Lalami explores themes that authors before her have already artfully unpacked. But readers will still want to check out “The Dream Hotel”—and be grateful they never have to check in. ■
Le Point, 13 mars
EXCLUSIF. Ce que Houellebecq dit de Trump
En 2018, le romancier du déclin occidental qualifiait Donald Trump de « bon président ». Nous lui avons demandé ce qu’il pensait de la version 2025.
Full text :
«Donald Trump x Michel Houellebecq ». Soudain, on a pris peur. On s’est demandé si le « x » en objet de notre mail à Michel Houellebecq n’allait pas passer pour un projet de film pornographique qui, au milieu d’autres, finirait dans la corbeille de son ordinateur. Emprunté aux petits génies du marketing, ce « x » doit être entendu comme « par » dans une collaboration entre une marque et un artiste. Car, depuis l’élection de Donald Trump, on ne cesse de penser à notre romancier national, bien discret ces temps-ci. On pense à lui car son œuvre plurivoque, dans sa dimension sociopolitique, peut aider à comprendre le résultat des élections aux États-Unis, la revanche des hillbillies et même la conquête de Mars.
En 2018, dans la revue Harper’s, il avait qualifié Trump de « bon président », notamment pour son refus de mener des guerres. Quid du Trump 2025 et de cette Amérique Maga, agrégat de communautés, des plus cupides aux plus religieuses, des plus botoxées aux plus marquées par les addictions ? S’intéresser à ces marges américaines, c’est comme tourner les pages d’un roman de Houellebecq. Les références y sont certes françaises, mais l’auteur de La Carte et le Territoire a acquis, avec le temps, le statut d’auteur qui parle à tout l’Occident. De l’Ohio à Liverpool, de Dresde à Roubaix, de la banlieue de Vienne à la campagne lombarde, le lecteur se reconnaîtra dans le personnage de Michel (Extension du domaine de la lutte), de Daniel (La Possibilité d’une île) ou de Jed (La Carte et le Territoire).
Deux jours après l’envoi de notre mail, Michel Houellebecq répond : « Je n’écrirais pas aujourd’hui le même article qu’en 2018, parce qu’un événement s’est produit entre-temps : l’attaque du Capitole. À mes yeux, Trump s’est discrédité et aurait dû disparaître de la vie politique. »
Grand lecteur de Tocqueville
Dans son œuvre, le romancier traite la violence sous plusieurs formes. Plutôt que de la glorifier, il la redoute et la décrit comme une conséquence inévitable du monde moderne. Le Capitole a été une charnière. Mais, quand le même président américain retire ses troupes et prône la « paix », Houellebecq approuve : « Ce point de vue, volontairement étroit, est celui d’un Français qui ne se sent pas concerné par la politique intérieure américaine et qui, au moment de l’élection d’un président américain, se demande au fond une seule chose : va-t-il déclencher de nouvelles guerres et nous demander d’y participer ? À ce titre, Trump me paraît toujours se situer aux antipodes des Bush père et fils, et, plus généralement, de ces néoconservateurs qui ont été une des pires catastrophes de l’histoire récente. »
Je me réjouis de la politique protectionniste et isolationniste de Trump […] tout en déplorant qu’elle soit incarnée par un individu aussi peu honorable.
Sur l’Ukraine, il eut ces mots définitifs, en septembre, dans le Financial Times : « Je m’en fiche. Au début de la guerre, j’étais surpris parce que je pensais que l’Ukraine était russe. » Et, en 2018, il déclarait au sujet de l’isolationnisme voulu par Washington : « Les Américains nous lâchent le morceau. Les Américains nous laissent exister. » Déjà cette idée, aujourd’hui répandue, d’une émancipation accélérée par l’abandon – ou la trahison. Au Point, il ajoute : « Je me réjouis de la politique protectionniste et isolationniste de Trump – dont la France, au passage, ferait bien de s’inspirer – tout en déplorant qu’elle soit incarnée par un individu aussi peu honorable. »
Est-il un « populism’s prophet », comme le prétend l’écrivain britannique G. Gavin Collins ? « Il a été l’un des premiers à identifier une sous-classe de jeunes hommes asexués et sous-socialisés, désormais communément appelés “incels” [abréviation de célibataire involontaire, NDLR]. » Un chiffre circule aux États-Unis : 27 % des hommes entre 16 et 30 ans n’ont jamais eu de partenaire sexuel.
Rien de ces signaux faibles n’échappe à l’œil de Houellebecq, grand lecteur de Tocqueville. « C’est du Nietzsche et du Muray, en meilleur », dit-il, notamment s’agissant de ce passage de De la démocratie en Amérique : « Je veux imaginer sous quels traits nouveaux le despotisme pourrait se produire dans le monde : je vois une foule innombrable d’hommes semblables et égaux qui tournent sans repos sur eux-mêmes pour se procurer de petits et vulgaires plaisirs, dont ils emplissent leur âme. »
Pouvoir d’identification
De nombreux comptes Maga, sur les plateformes X, Truth Social, Gab ou Substack, mettent en avant les écrits du romancier sur la décrépitude de l’Occident et les ravages de l’individualisme. « Continuons à diffuser la vérité sur les réalisations de Trump et les paroles perspicaces de Houellebecq. Plus nous partagerons, plus nous réveillerons les masses à la réalité de la grandeur de l’Amérique ! » lit-on sur le compte Stop Socialist Tyranny. On loue sa prescience, ses portraits sociaux et le pouvoir d’identification qui émane de ses romans. Lui-même ne se définit-il pas comme « l’auteur d’une ère nihiliste et de la souffrance associée au nihilisme » (Interventions) ?
La question européenne, devenue en haut lieu une question américaine, est également présente dans les commentaires de ses lecteurs Maga. Le New York Times a rapporté que, lors de son premier mandat, Trump a invité Emmanuel Macron à sortir la France de l’Union européenne en échange d’un accord commercial bilatéral. Certains comptes trumpistes ont relayé, pour accréditer la position de leur président, les déclarations du romancier sur l’Europe, comme celle-ci de 2018 : « Je suis prêt à voter pour n’importe qui pourvu qu’on propose la sortie de l’Union européenne et de l’Otan, ça, j’y tiens beaucoup. »
Le personnage [d’Elon Musk] est sans aucun doute intéressant.
« Les conservateurs américains ont tendance à interpréter Houellebecq comme un prophète du déclin occidental, explique Mathis Bitton, docteur en philosophie, auteur d’un brillant article sur les prophéties de Houellebecq dans la revue américaine City Journal. Ils s’intéressent au côté pessimiste de son œuvre – la misère sexuelle, la peur du déclassement, l’effondrement des provinces, etc. – sans guère porter attention aux ambiguïtés qui le séparent d’un réactionnaire traditionnel. Les conservateurs chrétiens, par exemple, ont tendance à oublier que Houellebecq critique incessamment la possibilité d’un renouveau de la foi. Ceux de la Silicon Valley ont tendance à oublier que Houellebecq déteste le transhumanisme. »
« Futurs catastrophiques »
La question est directement posée à l’intéressé, notamment au sujet d’Elon Musk, lecteur, comme lui, de science-fiction. « Le personnage est sans aucun doute intéressant […] Si je me sentais vraiment en mesure de me prononcer sur les sujets qui passionnent Musk, ce ne serait pas en raison de mes études d’ingénieur. Ce serait plutôt parce que j’ai été moi aussi, dans ma jeunesse, un grand lecteur de science-fiction (ça ne m’étonnerait d’ailleurs nullement qu’Elon Musk et moi ayons lu les mêmes livres). Ce qui ne fait pas forcément de moi un enthousiaste inconditionnel de la technologie. En y regardant bien, il me semble probable que la science-fiction ait davantage décrit de futurs catastrophiques que de futurs idylliques. »
À d’autres fins, les intellectuels new-yorkais se sont également emparés de l’écrivain français le plus traduit au monde. « Je pense que l’un des romanciers clés du populisme en tant que phénomène général ou de l’épuisement tardif du libéralisme dans le monde occidental est le romancier français Michel Houellebecq », explique le chroniqueur du New York Times Ross Douthat, dont le journal a recommandé, pour comprendre le phénomène Trump, la lecture du Complot contre l’Amérique, de Philip Roth, d’Impossible ici, de Sinclair Lewis, de La Servante écarlate, de Margaret Atwood… et de tous les romans de Michel Houellebecq.
https://www.lepoint.fr/postillon/exclu-ce-que-houellebecq-dit-de-trump-12-03-2025-2584603_3961.php
The Economist, March 12
Living the dream? Orwell, Kafka, Heller: a new book taps a dystopian-fiction boom
Laila Lalami’s “The Dream Hotel” tackles technology and privacy
The Dream Hotel. By Laila Lalami. Pantheon; 336 pages; $29. Bloomsbury; £16.99
Full text :
HOW DO YOU concoct a plausible fictional near-future, in which people’s reliance on technology has gone too far? If you read “The Dream Hotel”, a gripping new novel, you can discern one recipe. First, take a big handful of “1984”, with Big Brother and the surveillance state reimagined with private-sector incentives. Sprinkle in the rational irrationality of Joseph Heller’s and Franz Kafka’s best works. Next mix in a dollop of “Minority Report” (2002), a film starring Tom Cruise in which law enforcement solves “pre-crimes” before people commit heinous acts.
So far, so Orwell. However, “The Dream Hotel” is intriguing and (mostly) satisfying, even if the ingredients feel familiar, for what the novel says about the creep of technology and the trade-offs people make for convenience.
Laila Lalami, a Moroccan-American novelist and former finalist for a Pulitzer prize and National Book Award, tells her dystopian tale by combining traditional storytelling with excerpts from a company’s terms of service, medical reports, meeting minutes and customer-service email chains from hell. The novel’s protagonist is Sara Hussein, an archivist at the Getty Museum who returns from a work trip to London and runs afoul of bureaucrats at immigration control, who say her “risk-assessment” score is too high and that she could pose a threat to her husband’s life. Sara becomes “Retainee M-7493002”, held at a facility for what is supposed to be 21 days of monitoring but stretches much longer.
What went so wrong? In retrospect it was a mistake to get the “Dreamsaver”, a small implant invented by a medical-tech firm in Silicon Valley that Sara agreed to have installed during a desperate period of sleep deprivation. (She had recently had twins.) “Imagine what you could do with more time” was the alluring sales pitch, but it came at a dear price: the device tracked her dreams and shared them with third-party firms and the government.
“The Dream Hotel” evokes a world reminiscent of China’s social-credit system, in which citizens are assessed on a variety of metrics, with a touch of America’s private prison complex. (“Retainees” are charged vast sums for snacks and internet service and depend on family to deposit money in their accounts.) AI, algorithms, augmented reality and facial recognition all feature in the novel.
Americans, who in real life are suspicious of the “deep state”, accept surveillance in Ms Lalami’s story because a gunman shot 86 people at the Super Bowl as millions watched the atrocity live. Tracking and mining data for the sake of crime-fighting became socially acceptable. While in custody Sara reads a newspaper editorial supporting “our bias-free, science-based crime-prevention system”: “retention”, it argues, is a “humane tool for reducing violence because it saves…communities both the trauma of the crime and the cost of prosecuting it”. There is no mention of what society gives up—in personal liberty and freethinking—in the name of progress.
Dystopian fiction is booming: five classic novels, including “1984” and Ray Bradbury’s “Fahrenheit 451”, saw a boost in sales after Donald Trump’s inauguration in January. But writing it is not for the faint of heart. So many scenarios have already been imagined; others can feel unimaginatively real. Ms Lalami explores themes that authors before her have already artfully unpacked. But readers will still want to check out “The Dream Hotel”—and be grateful they never have to check in. ■
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. März
Vincents und Anselms bleierne Kornfelder
Urd, Memoria, Verinnerung: Zum Achtzigsten des Künstlers Anselm Kiefer feiern ihn die Niederlande mit zwei gigantischen Ausstellungen im Stedelijk und Van-Gogh-Museum – und zeigen, warum der Expressionist so wichtig für den deutschen Maler war.

Full text :
Anselm Kiefer ist der Künstler der Erinnerung schlechthin. Seit den frühen Siebzigern provozierte der Maler die Deutschen mit gemalten Hitlergrüßen von der Akropolis und anderen Orten einstiger Weltbeherrschungsphantasien, die de facto vergiftete Grußpostkarten aus der nicht bewältigten deutschen Vergangenheit waren, wie es aktuell das Oxforder Ashmolean Museum und die zur Ausstellung entflammten Debatten in England zeigen (F.A.Z. vom 23. Februar). So ergibt auch zu Kiefers heutigem achtzigsten Geburtstag der Blick auf die Amsterdamer Doppelschau „Sag mir wo die Blumen sind“ zu Ehren des Künstlers Sinn, erinnert diese doch Bilder des Künstlers aus enormen fünfundsiebzig seiner achtzig Lebensjahre und bindet ihm schon im Titel einen Geburtstagsstrauß aus Blumen. Pflanzen waren und sind in Kiefers Kunst der bleiern-melancholischen „Nature morte“-Stillleben und endlosen Kreisläufe symbolträchtigen Werdens und Vergehens von jeher zentral.
Der früheste Kiefer ist in der ersten Station des riesigen Ausstellungsdiptychons im Amsterdamer Gogh-Museum und im Stedelijk zu sehen. Das Graphikkabinett des Van-Gogh-Museums präsentiert eine Zeichnung des vielleicht Fünfjährigen, die drei Schifflein mit kantigen Segeln und Paddeln auf einem See zeigen, wie sie auch Paul Klee und Lyonel Feininger im Bauhaus nicht anders festhielten. Natürlich, ließe sich einwenden, malen alle Kleinkinder abstrakt. Wenn man aber weiß, wie wichtig Kiefer das Meer ist, das er zeitlebens in allen Materialien nachzuahmen suchte – so ergießen sich Wellen von Blei über seine Leinwände, Wogen aus Beton schichtete er in seiner megalomanen Atelier-Landschaft Barjac so übereinander, dass die zementöse See trotz ihrer Härte doch fließt –, und er sich als Kind imaginierte, dass im heimischen badischen Keller der grenznahe Rhein durchflösse, nimmt man die Kinderzeichnung als ernstes Spiel.
Außer Picasso hat wohl noch kein Künstler eine Geburtstagsausstellung mit Werken fast der gesamten Lebensspanne erhalten
Die Doppelschau öffnet in jedweder Hinsicht die Augen, und es mutet beinahe peinlich an, dass die Amsterdamer den Deutschen erklären müssen, wer die künstlerische Hauptanregung für Kiefer war – kein geringerer nämlich als Vincent van Gogh. Zwar trifft nicht zu, dass der Künstlerprophet im eigenen Land nichts gilt – Kiefer wurde vor zwei Jahren von der Bundesregierung mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt, der höchsten Auszeichnung des Landes –, doch gibt es keine ihn ehrenden deutschen Großausstellungen und schon gar keine, die wie im Van-Gogh-Museum drei Riesensäle auf drei Etagen zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Hauses komplett leerräumt und dann auch noch so viel erhellend Neues über den Künstler vermittelt.
Parterre laufen alle Blicke auf die monumentale „Sternennacht“ zu, bei der Kiefer die wild rotierenden Sterne aus Kornwirbeln und der original holländische Bildtitel „De sterrennacht“ gleichermaßen wichtig sind. Als Achtzehnjähriger pilgerte er mit dem Geld eines wohldotierten Kunstpreises auf den Spuren des Vorbilds Van Gogh von Arnhem via Zundert und Paris nach Arles in das von Expressionisten so getaufte „Atelier des Südens“. Dort auch fertigte Kiefer in Van Goghs Manier psychogrammartige Porträts der Landarbeiter an, die – in Reihe im Grafikkabinett hängend und obwohl in Kohle und Graphit konterfeit – aus der Entfernung wie des Holländers Rohrfederzeichnungen wirken und von dessen Madonnen-Ersatz der „Berceuse“ (Madame Roulin, die wie eine Maria im Rosenhag vor Blumentapete eine Kinderwiege schaukelt) inspiriert sind. Kiefer wohnte in Arles in einem Bauernhaus, dessen Dachkammer ihn derart beeindruckte, dass sie bis zur Serie der „Deutschen Geistesgrößen“ als eichenes Oberstübchen auf mehreren Bildern wiederkehrt. Es fällt einem in Amsterdam wie Schuppen von den Augen: Die wild bewegten Weizenfelder in eigentümlicher Nichtperspektive sind allesamt und noch Jahrzehnte nach der holländisch-französischen Pilgerreise 1963 von Van Gogh inspiriert, ohne dass es im Mindesten auf ein bloßes „Nachmalen“ hinausliefe.
Poesie der Titel
Häufig tragen Kiefers Monumentalreliefs poetisch literarische Titel. Die Auftaktbilder im Van-Gogh-Museum, „Halme der Nacht“ oder „Nevermore“, beispielsweise sind benannt nach einem Gedicht von Celan und einem Vers von Edgar Allen Poe. Denn wie Van Gogh ist auch Kiefer staunenswert belesen, was sich in zahlreichen Bücher-Stillleben äußert, die bei Ersterem gemalt und oft gestapelt, bei Letzterem häufig in Blei gegossen oder angekokelt sind, womit sie durch diesen Läuterungsprozess für Kiefer gleichsam alchemistisch auf ein neues spirituelles Niveau gebracht werden. Auf beiden großen Materialbildern spielt das expressive goldene Getreide ebenso die Hauptrolle wie bei Kiefers vielen Sonnenblumen und Krähen über Weizenfeldern.
So ist besonders schlagend der Vergleich mit Van Goghs ikonischem „Weizenfeld mit Krähen“ (nicht sein letztes Bild und Testament, wie noch stets zu lesen ist – das ist das weit weniger bekannte, aber noch aufwühlendere blaue „Baumwurzel“ aus dem Juli 1890, die vor dem Umstürzen vergeblich Halt im Erdreich zu finden sucht). Aus der dritten intimen, fast etwas vor den „großen Brüdern“ von Kiefers Bildern abgeschirmten Koje blickt Van Gogh als Selbstbildnis durch geschickte Hängung direkt auf das Kiefersche Selbstbildnis „Sol invictus“. Auf dem fast fünf Meter hohen Bild wurzelt eine schon im Titel symbolträchtige Sonnenblume als unbesiegbares Zentralgestirn (und vor Kaiser Konstantins des Großen Umschwung zum Christentum dessen bevorzugte Gottheit) im Körper eines unter ihr liegenden Mannes mit Kiefers Gesichtszügen. Seit Van Dycks berühmtem „Selbstporträt mit Sonnenblume“ avancierte die Pflanze zum erstrangigen Künstlersymbol; Van Gogh wollte sein Bildnisse von zwei Sonnenblumen als sakral aufgeladenes Triptychon flankiert wissen. Bei Kiefer aber entspringt die für sein Œuvre so entscheidend wichtige Sonnenblume seinem am Boden liegenden Alter Ego wie eine Wurzel Jesse und schließt den Kreislauf.
Anders als in Deutschland wurde Kiefer fast von Beginn an geschätzt
Warum auch das Stedelijk als erstmaliger Kooperationspartner des Van-Gogh-Museums auf keinen Fall fehlen darf, erklärt allein schon die Tatsache, dass der niederländische Staat, der es betreibt, zentrale Werke Kiefers wie „Innenraum“ bereits in den Achtzigerjahren ankaufte, zu einer Zeit, als der Maler in Deutschland noch gern als Nationalist missverstanden und zur Projektionsfläche nicht bearbeiteter Traumata wurde. So besitzt das Stedelijk etwa den auferstehungsaffinen Grabestempel „Resurrexit“ von 1973, eines der ersten Bilder, auf dem eine kluge Schlange dem Betrachter entgegenkriecht, so wie sie dann 1986 im bleiernen „Flugzeug“ als Pilot im Cockpit liegt, die Welt wie Dürers „Nemesis“ aus göttlicher Warte überblickend.
Atemnehmend und überwältigend aber ist Kiefers eigens für die Schau im Stedelijk gefertigter Vierer-Zyklus „Sag mir, wo die Blumen sind“, der mehrere Hundert Quadratmeter Bildfläche füllt und an dem der Künstler ein Jahr lang gearbeitet hat. Wie der Pete-Seeger-Song „Where have all the flowers gone?“, in der deutschen Version etwa von Marlene Dietrich unvergessen intoniert, den Betrachter allein durch den Gedanken daran als tonale Zeitmaschine in die Nachkriegszeit zurückbeamt, sind auch die Massen an schlammgetränkten Uniformen in der unteren Zone der Schützengräben und Kriegsgräbern (über denen „Der Wind weht“, wie der Titel des Bildes lautet) brandaktuell, denkt man nur an den zunehmend verzweifelten Stellungskampf der Ukrainer gegen die russischen Angreifer. In der oberen Zone schweben vor Goldgrund indisch anmutende Frauen, den Tempelgöttinnen gleich, die dem Maler auf seinen Indienreisen begegneten, aber keinesfalls ätherisch sinnfrei umherschweben, vielmehr handfest als himmlische Trümmerfrauen überdimensionierte Kippen mit vom Mörtel befreiten Wiederaufbau-Klinkern schleppen und zusammen mit anderen hellenistisch-indischen Wasserträgerinnen den ewigen Kreislauf allen Lebens verkörpern.
Der Vergleich Kiefer-Van Gogh überzeugt auf gleich mehreren Ebenen
Wie sich bei Van Gogh Japonismen mit Impressionistischem und schmerzlich tief gefühlter Expression verbinden, amalgamiert Kiefer als Alchemist des Materials wie auch des Inhalts den Holländer mit griechischer Philosophie, der Bibel, der Apokalypse des Neuen Testaments sowie der nordischen Edda und deutscher Geschichte zu Bildsynthesen, die eines unhintergehbar werden lassen: In unausgesetzter Wiederkehr konfrontiert er die Menschen mit ihren existenziellsten Problemen, schlagen seine Bilder Schneisen in die Weizen- und Bleifelder der Geschichte. Mögen dem unermüdlichen Mahner von seinem heutigen Achtzigsten an noch viele Jahre vergönnt sein.
Sag mir wo die Blumen sind. Van-Gogh-Museum und Stedelijk, Amsterdam; bis zum 9. Juni. Der Katalog kostet 34,95 Euro.
The Economist, March 6
Full steam ahead : Erotic writing is becoming more explicit
Gardening metaphors are out. Other things are very much in
Full text :
START WITH the nipples. The lover does in “Mistress and Mother”, a steamy romantic novel from the 1990s. Though, since it was written three decades ago, they are not always called “nipples”. Instead, the author also discreetly describes them as “little buds”.
Other erotica from this era has a similarly hearty, horticultural air: in another novel, the paramour enjoys his lover’s “rosebuds”; in a third, he moves lower to her enfolding “petals”. In other books there is swelling, blooming and, of course, “seed”. The aim is oblique eroticism. The overall effect is of an unexpectedly energetic gardening catalogue.
But eroticism is changing. Open “Onyx Storm”, the latest romantasy book (a genre that blends romance and fantasy) by Rebecca Yarros, and things are rather clearer. Hardy perennials are out. Words like “hard” are in—as too are words including “cock”, “fuck” and “straddle”. And people are buying it. Sales of erotica are booming: thanks to pre-orders, “Onyx Storm” had already been on Amazon’s bestseller list for 19 weeks by the time it was published in January. After release, it shifted almost 3m copies in a week. It sold faster than any novel in America in the past 20 years.
There is now a vast variety of erotica available, includingcosy erotica (knitwear is torn off), Austen erotica (Mr Darcy has assets even more impressive than £10,000 a year) and fairy erotica. There is even erotica featuring—readers may wish to brace themselves—physicists. These titles contain such explicit lines as, “Your dissertation on liquid crystals’ static distortions in biaxial nematics was brilliant, Elsie.”
Sex is not entirely novel for the novel, as readers of E.L. James and Alan Hollinghurst will know. But it is more frank and frequent. “The spiciness seems to be increasing,” says James Daunt, chief executive of Barnes & Noble and Waterstones, two bookshop chains. Look at the corpus of English fiction and the word “nipples” has doubled in frequency since the year 2000, while “orgasm” has quintupled; use of the word “clit” is 14 times higher (see chart).
In some ways this is unexpected. It was once assumed that erotica was a male pursuit and that its appeal was not merely the sex but the sin. Obscenity was legally defined in Britain in 1868 by a judge called—in a detail no novelist would dare attempt—Justice Cockburn. “Nine-tenths of the appeal of pornography”, wrote Bertrand Russell, a philosopher, “is due to the indecent feelings concerning sex which moralists inculcate in the young.” Obscenity laws were relaxed in Britain in the 1960s in the wake of the “Lady Chatterley’s Lover” trial, but the illicit thrill remained.
The world has changed since then. The moralists have faded. Whatever hold the patriarchy had on publishing has waned. Yet the sex remains, and it is women who are driving it. Most of these books are being written, edited and published by women. They are bought, in vast numbers, by women. The novels are promoted by women on social-media platforms, particularly TikTok, using hashtags such as #Spicybooks and #Steamyreads, then appear on Amazon with the phrase “TikTok made me buy it!”, which sounds less like an endorsement than a defence.
As the interest in #Darkromance shows, this sex is not all nice. In Ms Yarros’s books, the hero pins the heroine violently to the floor in wrestling matches; in the romantasy novels of Sarah J. Maas, who has sold almost 40m copies, faeries do things that would make Tinker Bell blush.
What has driven this is new digital formats, such as audiobooks. (Ms Yarros and Ms Maas dominate those charts, too.) The e-book has been especially consequential. It is discreet—no one can see what you are reading on a tablet. And it lets authors self-publish cheaply, as Ms James did in 2011 with “Fifty Shades of Grey”, a story of sadomasochism. It was later republished by Vintage, but romance lovers retained the habit of reading books digitally.
Authorial autonomy online means it is “impossible to police” what goes into books, says Hal Gladfelder of the University of Manchester. The ubiquity of internet pornography means that even to try to do so would feel “ridiculous”.
In one sense this new generation of erotic prose is more realistic than what came before. Floral analogies are out; proper body parts are in. But in another sense, it is not remotely realistic. Everyone is gorgeous; names like “Xaden” and “Aetos” dominate; most characters have remarkable powers, if not superpowers.
In Ms Yarros’s books, the hero and heroine, who are long-term lovers, can creep into each other’s minds, where they find each other thinking hot thoughts in an italic font, such as “How do you want me to take you?” and “You’re astounding” rather than, as might be the fear, “Did I switch the tumble dryer on?” or “It was definitely your turn to take the bins out.”
It is easy to smirk, but writing about sex is tricky—as a trawl through the back catalogue of the Bad Sex in Fiction Awards shows. The now-defunct prize, which ended during the pandemic, was set up in 1993 by Britain’s Literary Review to “highlight and gently discourage redundant, poorly written or unnecessarily pornographic descriptions of sex in fiction”. Given that the contenders in its final years included such phrases as she “offer[ed] her moist parts to my triumphant phallus” and her vagina was “slowly chugging my organ as a boa constrictor swallows its prey”, perhaps the discouragement was too gentle.
Part of the difficulty in writing about sex is what Julian Barnes, an English writer, called “the naming of parts”: “At the basic level, he put his what into her—or indeed his—what?” “Boa constrictor” is probably best avoided, but, as Mr Barnes observed, almost all terms are tricky. “Where between the Latinate and the Anglo-Saxon do you pitch it?”
Being biological can be as bad as being too oblique, as a contender for the Bad Sex award in 2019 clearly showed. “I have 8,000 nerves in my clitoris,” explained one character. “Your penis gets by on 4,000.” (Such a pronouncement would leave most lovers unsure whether to take notes or take flight.) At times characters seem to be enjoying sex as little as the reader. In a nominated work of 2019 a character, in a moment of high passion, “screamed as though [she] were being run over by a train”. The reader can only sympathise.
Most winners of the prize were, unsurprisingly, men: the male gaze does not always improve male prose. But the internet is changing the balance of power in fictional sex, just as it has in actual sex. Male misbehaviour is called out by such things as the “menwritingwomen” Reddit thread. (John Updike—the “penis with a thesaurus”—features heavily.) A popular parody pokes fun at a man writing a woman’s morning: “Cassandra…breasted boobily to the stairs, and titted downwards.”
Eroticism always “reflects what is going on in society at the time”, says Sharon Kendrick, a popular British romantic author. In the liberal 1970s, literary lotharios were in fashion. The arrival of the AIDs pandemic in the 1980s brought on a period of “sexual fastidiousness” and heroes who had one true love (and a condom).
The new generation of erotic prose may be easy to mock. But it is reflecting a society in which women can often get precisely what they want. That should give any feminist a bit of a thrill. ■
https://www.economist.com/culture/2025/02/27/erotic-writing-is-becoming-more-explicit
The Wall Street Journal, February 28
Fyodor Dostoevsky’s Struggle With Faith
The Russian novelist accepted the idea that belief includes doubt and embraces wonder.
Full text :
As Fyodor Dostoevsky was taken to Siberia as a political prisoner in 1850, Natalya Fonvizina gave him a copy of the New Testament, the only book prisoners were allowed to have. It sustained him in adversity and led him to faith. Five years later, when Fonvizina was deeply depressed, Dostoevsky consoled her in what is doubtless the best-known letter in Russian literature.
Recalling his own days of despair, Dostoevsky explained that “at such moments one thirsts for faith like ‘parched grass,’ and one finds it at last because the truth becomes evident in unhappiness.” The faith Dostoevsky found resembled not an unshakable conviction but a struggle with doubt. “I will tell you that I am a child of this century, a child of disbelief and doubt,” he wrote. “I am that today and (I know) will remain so until the grave.”
Since the rise of modern science, educated people have often found it difficult to believe with calm certainty the ideal of their medieval predecessors. Like Dostoevsky, they experience a painful internal conflict. “How much terrible torture this thirst for faith has cost me even now, which is all the stronger in my soul the more arguments I find against it,” Dostoevsky wrote.
Readers of “The Brothers Karamazov” will recognize this same tortured struggle in its intellectual hero, Ivan. As a student of natural science, Ivan accepts that amoral natural laws govern everything and that good and evil are social conventions. But he can’t relinquish a belief in transcendent, absolute morality. His whole being tells him that not all standards are mere convention; some things, such as child abuse, are plainly wrong. Ivan is torn by this contradiction. Dostoevsky’s spokesman, Father Zosima, assures Ivan that even if he never finds faith, he will never give up searching for it. “That is the peculiarity of your heart,” Zosima instructs, “but thank the Creator who has given you a lofty heart capable of such suffering . . . [and] of seeking for higher things, for our dwelling is in the heavens.”
To be sure, Dostoevsky writes to Fonvizina, God sometimes sends blissful moments when “I love and feel loved by others.” Then he affirms his own “credo”: Nothing is “more beautiful, profound, sympathetic . . . and more perfect than Christ.” Whether or not Christ existed, his image is an unsurpassable ideal, a picture of the best possible moral being.
Dostoevsky continues: “If someone proved to me that Christ is outside the truth, and that in reality the truth were outside Christ, I should still prefer to remain with Christ rather than with the truth.” How can one believe in what one knows to be untrue? In the Gospel of Mark, the father who implores Jesus to cure his afflicted child exclaims: “Oh Lord I believe, help Thou my unbelief.” That Dostoevsky writes “even if” someone were to prove that the truth excludes Christ already indicates that he, like Ivan, will never be content with the complacent nihilism of other intellectuals.
This peculiar kind of faith, which consists partly of doubt, has become Dostoevsky’s trademark and explains why he has brought so many people to God. It is hard to imagine educated Westerners converted by Dante or Milton, for whom God’s existence was a simple fact. Dostoevsky’s idea that the essence of faith lies in the process of searching for it speaks to those who are also children of “disbelief and doubt.”
Dostoevsky’s focus on process rather than goal shaped his view of human life. The utopian socialists of his day presumed that if you gave people everything so that they had nothing to strive for, they would be happy. Dostoevsky believed the opposite. People would instead soon see that “they had no more life left, no freedom of spirit . . . no personality. . . . They would see that their human image had disappeared.” They would recognize “that there is no happiness in inactivity, that the mind which does not labor will wither, that it is not possible to love one’s neighbor without sacrificing to him of one’s own labor.” In short, Dostoevsky concluded: “Happiness lies not in happiness but only in the attempt to achieve it.” So does faith.
Variations on this theme appear in several of his novels. In “The Idiot,” Ippolit declares that “Columbus was not happy when he had discovered America, but when he was discovering it. . . . It’s life that matters, nothing but life—the process of discovering, the everlasting and perpetual process, not the discovery itself.” But that is absurd, the unnamed hero of “Notes From Underground” comments. After all, once one knows he doesn’t really want the goal, how can he strive for it? For the underground man, “there seems to be a kind of pun in it all.”
Tolstoy once criticized Dostoevsky as “all struggle,” but it is that characteristic that explains why his ideas resonate with so many. Those who can’t view life with fashionable complacency, who understand that uncertainty can be a blessing and that no scientific discovery will ever reveal life’s meaning, find inspiration in Dostoevsky’s supremely paradoxical idea that true faith includes doubt and embraces wonder.
Mr. Morson is a professor of Slavic languages and literatures at Northwestern University.
The Economist, February 25
Banned books : Eight books you are forbidden from reading
In some places, at least. A brief world tour of book bans in the 21st century
Full text:
OVID WAS exiled by Augustus Caesar to a bleak village on the Black Sea. His satirical guide to seduction, “The Art of Love”, was banished from Roman libraries. In 1121 Peter Abelard, known for his writings on logic and his passion for Héloïse, was forced by the Catholic church to burn his own book. And in perhaps the most famous modern example of hostility to literature, Iran called for the murder of Salman Rushdie, author of “The Satanic Verses”, in 1989. For its perceived blasphemy, the novel remains banned in at least a dozen countries from Senegal to Singapore. Book-banning remains a favourite tool of the autocrat and the fundamentalist, who are both genuinely threatened by the wayward ideas that literature can contain. In democracies books can provoke a different sort of panic. Armies, prisons, prim parents and progressive zealots all seek to censor literature they fear could overthrow their values. Bans on books that shock, mock or titillate reveal much about a time and place. They invariably attract legions of curious readers, too. Here are eight books you shouldn’t read.
Lajja. By Taslima Nasrin. Translated by Anchita Ghatak. Viking-Penguin India; 337 pages; $13 and £9.99
Lesser-known than the fatwa condemning Sir Salman to death, but probably inspired by it, is that aimed at Taslima Nasrin for “Lajja” (Bengali for “shame”). Her novel depicts the revenge meted out by Muslims to Bangladesh’s Hindu minority after a Hindu mob tore down a mosque in Ayodhya in India in 1992. It observes the Dutta family, who still bear the scars of earlier spasms of anti-Hindu violence; each member of the family deals in their own way with the latest. Bangladesh’s government banned the book. Ms Nasrin fled to Sweden and won the European Parliament’s Sakharov prize for freedom of thought in 1994. Photocopies of “Lajja” spread in Bangladesh; in India, Hindu fundamentalists distributed it as propaganda on buses and trains. Yet her novel was less about the conflict between Hindus and Muslims, said Ms Nasrin, than about that “between humanism and barbarism, between those who value freedom and those who do not”. The story still reverberates: a temple to Ram, a Hindu god, will open in 2024 on the site of the destroyed mosque.
Friend. By Paek Nam Nyong. Translated by Immanuel Kim. Columbia University Press; 288 pages; $20 and £14.99
“Friend” is the first novel approved by North Korea’s totalitarian regime to be available in English. Published in 1988, it is a beloved classic there. A compassionate account of characters caught up in marital strife and disappointed by their spouses, it is based on Paek Nam Nyong’s experience of sitting in on North Korean divorce hearings. An illuminating afterword by the book’s translator, who has met Mr Paek, situates it within North Korea’s literary output. It is the government of the country’s democratic neighbour, South Korea, that has banned the book for some readers. “Friend” is sold in the South’s bookstores. But its defence ministry includes it in a list of 23 “seditious books” banned for reading in the South Korean army (among them are two by Noam Chomsky, a linguist with radical politics). This prohibition applies to all male citizens for the 18 months, or more, of their mandatory military service. The ministry’s apparent fear is that a sympathetic portrait of South Korea’s hostile northern neighbour could undermine soldiers’ resolve to defend their country. Readers of “Friend” can expect some socialist-realist moralising. But this novel’s power is in its depiction of ordinary lives.
The Devils’ Dance. By Hamid Ismailov. Translated by Donald Rayfield. Tilted Axis Press; 200 pages; £12
When Hamid Ismailov was forced to flee Uzbekistan in 1992, he stood accused by his government of “unacceptable democratic tendencies”. In exile ever since, Mr Ismailov has written more than a dozen novels. All are banned in Uzbekistan. Aptly, “The Devils’ Dance”—the first of his Uzbek novels to be translated into English—reimagines the lives of real Uzbek dissident intellectuals during their time in prison before their executions in 1938. They include the protagonist, Abdulla Qodiriy, a poet and playwright, and Choʻlpon, who translated Shakespeare into Uzbek. When Qodiriy was locked up by Stalin’s secret police a novel he had been writing on 19th-century khans, spies and poet-queens was destroyed. Mr Ismailov imagines that Qodiry reconstructs in his cell the novel he had been writing. (We reviewed the book in translation in 2018.)
The Bluest Eye. By Toni Morrison. Vintage International; 206 pages; $16 and £9.99
Toni Morrison’s celebrated novel about beauty and racial self-hatred has long appeared on lists of books banned in some of America’s high schools. Parents complain about passages that depict sexual violence; teachers counter that such topics are best broached in the classroom. “The Bluest Eye” was the fourth-most-banned book in the school year ending in 2022, says PEN America, a free-speech body. (Ahead of it were two on LGBT themes and a novel about an interracial teen couple.) The American Library Association (ALA) says that its tally of ban requests from school boards and removals from library shelves has never been so high: 1,600 titles in 2021. The political stakes have grown. In 2016 Virginia’s legislature passed the “Beloved bill”—named for another of Morrison’s controversial novels—to allow parents to exempt their children from reading assignments if they consider the material to be sexually explicit. The state’s Democratic governor vetoed the bill; his opposition to it was one reason he lost a bid for re-election to a Republican in 2021. “There is some hysteria associated with the idea of reading that is all out of proportion to what is in fact happening when one reads,” Morrison said—more than 40 years ago.
China in Ten Words. By Yu Hua. Translated by Allan H. Barr. Duckworth; 240 pages; £8.99
China’s government keeps tight control over printed matter: publication codes such as ISBNs are allocated, with rare exceptions, only to state-run publishers; censors scrutinise works before they go to print. But the boundaries for fiction can be more fluid. That let Yu Hua become a best-selling author in his native country of novels that depict China’s journey from the brutality of the Cultural Revolution to the dislocations wrought by materialism. But Mr Yu saw commonalities between history and the present, and to expand on these he turned to non-fiction: “China in Ten Words”, a collection of essays each built around a Mandarin term, is a mixture of memoir and meditation on past and contemporary China. It could not be published there. The first chapter, “People”, refers to the bloodshed at Tiananmen Square in 1989. Mr Yu refused to excise it. In expounding on words from “Revolution” to “Bamboozle” he offers a view of how China got to where it is.
Piccolo Uovo. By Francesca Pardi. Illustrated by Altan. Lo Stampatello; 22 pages; €11.90
And Tango Makes Three. By Peter Parnell and Justin Richardson. Illustrated by Henry Cole. Little Simon; 36 pages; $8.99 and £7.99
What harm could one small, anthropomorphic egg do? A lot, if you ask the mayor of Venice. In 2015, within days of being sworn in, Luigi Brugnaro ordered Venetian nursery schools to ban 49 children’s books deemed a threat to “traditional” families. Uproar ensued, and Mr Brugnaro agreed to reinstate all but two of the books. One still off-limits is “Piccolo Uovo”, a delightful tale inspired by the real story of a penguin egg adopted by two male penguins in New York’s Central Park Zoo. Piccolo uovo (“Little egg”) is afraid to hatch because it wonders what its family will look like. It goes on a journey to meet families of many compositions and colours, and is satisfied that all are magnificent. Readers old and young who do not speak Italian might instead seek out an American children’s book about the same penguins that makes the same point: “And Tango Makes Three” has appeared on nine occasions in the ALA’s annual list of top-ten books banned from American libraries.
The Bible. By various authors. Translated by various people. Various publishers; varying numbers of pages; various prices
Parts are deemed by some religious traditions to be the word of God. Others bring the good news of Jesus. But the two-volume work has its first murder in its fourth chapter. And there is no mistaking the erotic charge of the Song of Songs. In June 2023 a school district in Utah removed the King James version of the Bible from the shelves of elementary and middle-school libraries under a state law that permits the ban of “instructional material that is pornographic or indecent”. But this petition was brought by a parent frustrated with bans of other books, including “The Bluest Eye”. Upset by the stunt, conservatives accused the parent of seeking to undermine Utah’s efforts to protect children from pornography. The Bible banner seems to share the perspective of Leviticus 24: “eye for eye, tooth for tooth”. ■
Neue Zürcher Zeitung, 24. Februar
Kunst aus der Fabrik: In China werden van Goghs Sonnenblumen am Fliessband kopiert
Was im Westen als Fälschung ist, gilt in China als Nachschöpfung. Die Chinesen pflegen ein unverkrampftes Verhältnis zum Kopieren von Kunstwerken und Markenartikeln. Die in Handarbeit gefertigten Kopien sind so überzeugend und so preiswert, dass Kunden aus aller Welt bestellen.
Extraits:
In einem Labyrinth aus Strassen und engen Gassen reiht sich Laden an Laden, von oben bis unten vollgestopft mit Ölgemälden. Picassos «Dora Maar» lehnt halb über Rembrandts Selbstporträt und Leonardo da Vincis «Mona Lisa», daneben hängen Bildnisse von Mao Zedong, George W. Bush senior, Deng Xiaoping und Donald Trump, dazwischen Pandas, knallbunte Sonnenaufgänge, Spider-Man, van Goghs Sonnenblumen und dann wieder Vermeers «Mädchen mit dem Perlenohrring».
Der Mix ist abenteuerlich. Auf bunten Plastikstühlen sitzen die Maler beengt im wenigen verbleibenden Raum und arbeiten an ihren Bildern. Wir befinden uns in China, im Nordosten Shenzhens im Longgang-Bezirk, genauer gesagt im Dafen Oil Painting Village.
Die Bezeichnung Village, also Dorf, ist etwas irreführend, denn Dafen ist bestens an die Metropole Shenzhen angebunden. Der Stadtteil gilt als die grösste Kunstindustrie der Welt. Hier sind zwischen 5000 und 10 000 Maler aus ganz China angesiedelt, die Zahl variiert ständig. In den letzten Jahren haben sich auch Rahmenmacher und Händler von Künstlerbedarf niedergelassen. Doch den Kern machen die Malerinnen und Maler aus, die hier Kopien von westlichen Meisterwerken im Akkord schaffen.
Die offizielle Regel schreibt vor, dass nur Werke kopiert werden, deren Urheber seit über fünfzig Jahren tot sind. Wegen des Copyrights. Doch wenn Kunden ein Werk von einem noch lebenden Künstler in Auftrag geben, dann kann man wohl davon ausgehen, dass geliefert wird.
«Wir kopieren nicht nur jedes Detail eines Bildes, sondern fangen auch seine Seele ein», lautet der Slogan. Die in Handarbeit mit Ölfarben gefertigten Kopien sind so überzeugend und so preiswert, dass Kunden aus aller Welt hier bestellen. (…)
Die am häufigsten kopierten Künstler sind wohl van Gogh, Picasso und Monet. Laut Schätzungen stammten Mitte der 2000er Jahre, auf dem Höhepunkt der Dafen-Kunstproduktion, etwa 60 Prozent der weltweit verkauften Ölgemälde aus Dafen. 2015 soll der Jahresumsatz rund 65 Millionen Dollar betragen haben.
Doch die Margen der Händler sind hoch. Die Zahlen täuschen darüber hinweg, wie wenig Geld bei den Malern vor Ort ankommt. Sie hausen hier in höchst prekären Verhältnissen und verdienen durchschnittlich 2 Euro 50 pro Bild, also nur einen winzigen Bruchteil des Verkaufspreises im Ausland. Wenn wieder einmal eine Grossbestellung eingeht, also beispielsweise 6000 Sonnenblumenbilder von van Gogh, die innerhalb von zwanzig Tagen für die Lieferung nach Amsterdam fertig sein müssen, arbeiten die Maler nonstop rund um die Uhr.
Sie schlafen, malen und essen zu neunt im selben Raum. Die fertigen Bilder hängen zu Hunderten eng nebeneinander zum Trocknen von der Decke. Die Luft ist geschwängert vom Geruch der Ölfarben, gemischt mit Schweiss, Zigarettenrauch, Essensdüften und anderen undefinierbaren Gerüchen. Die neun Maler im Raum teilen sich die Bildabschnitte der Sonnenblumen in einem ausgeklügelten Prozess auf: Der eine fertigt nur den Hintergrund, ein anderer die Vase, wieder einer nur die Blüten, ein anderer die Blätter und so weiter.
Es gleicht einer Produktionsstrasse in einer Fabrik. Auf diese Weise stellen neun Maler an einem Tag 300 handgemalte Kopien her. Das fertige Bild landet am Ende in den unzähligen Souvenirshops rund um das Amsterdamer Van-Gogh-Museum und wird dort je nach Grösse und Rahmung für 30 bis 200 Euro über den Ladentisch gehen. (…)
In China herrscht ein grundlegend anderes Verständnis von Kopie und Original. Seit je war dort das wiederholte Kopieren grosser Meisterwerke gängige Praxis in der klassischen Kunstausbildung. Der europäische Kult um die Einzigartigkeit des Originals, wonach es als rein und unveränderlich gilt und im Umkehrschluss jede Kopie minderwertig und verachtenswert sein muss, ist China fremd. Nach der fernöstlichen Philosophie ist Schöpfung kein singulärer Akt, sondern ein Prozess, der einer permanenten Transformation unterliegt.
Der Unterschied zwischen den Denkweisen zeigt sich bereits deutlich in der Sprache. Auf Chinesisch heisst Original «zhenji» (真跡), wörtlich übersetzt die «authentische Spur». Dem Begriff der Spur, die etwas hinterlässt, sind ein Prozess und ein Wandel inhärent. Jedes Original ist stetigen Veränderungen unterworfen. Die Zeit nagt daran, je älter, desto blasser werden die Farben, der Bildträger wird brüchig.
Nicht nur das: Je berühmter das Bild ist, desto mehr wird es aktiv verändert. Chinesische Sammler der klassischen Rollbilder lieben es, Gedichte oder Kommentare auf die Original-Bildrolle zu schreiben und daneben ihr rotes Namenssiegel zu hinterlassen. Wie der Berliner Philosoph Byung-Chul Han eindrucksvoll darlegt, markieren sie auf den Bildern ihre Spur. Auf berühmten Meisterwerken finden sich mitunter fünf verschiedene Kalligrafien aus unterschiedlichen Zeitepochen. Man stelle sich vor, die jeweiligen Besitzer von Cézannes «Die Kartenspieler» hätten über die Jahrhunderte ihre Kommentare und Gedanken auf die Vorderseite des Bildes gekritzelt – undenkbar in Europa!
ür die westliche Idee der Kopie gibt es in China wiederum zwei unterschiedliche Begriffe. Fangzhipin (仿製品) sind offensichtliche Reproduktionen, die als solche erkennbar sein sollen. Kleinere Ausführungen der Terrakotta-Krieger oder der Nofretete-Büste beispielsweise fallen unter diese Kategorie. Sie sind oft auch vom Material und von der Farbigkeit her minderwertiger als das Original. Fuzhipin (複製品) hingegen sind perfekte Kopien, (…)
In welche dieser Kategorien gehören nun die kopierten van Goghs und Vermeers aus Dafen? Sicherlich können sie nicht das Original im Museum ersetzen, das ist klar. Sie sind aber auch nicht nur billige Nachdrucke. Die handgemalten kopierten Ölgemälde stehen in der Tradition einer Fälschungsindustrie, die um die Jahrtausendwende in der Region Shenzhen entstanden ist und die einen eigenen neuen Namen hat: Shanzhai. (…)
Der Dafen-Gründer Huang Jiang ist heute über 80 Jahre alt. Er lebt immer noch in Dafen, doch er produziert längst nicht mehr selbst. Er ist nun Agent für andere Maler. Das grosse Geld sei hier mit den Kopien nicht mehr zu holen, sagt er in einem Interview. Er träumt davon, die «Malarbeiter», wie sich die Maler hier selbst nennen, zu echten Künstlern zu machen, die eigene Werke herstellen: originale Bilder.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Februar
Jacques Rivière: Die Angst der Deutschen vor Irrtümern
„Sie begehren, sie erwarten, sie verlangen nichts“: Für Jacques Rivière waren die Deutschen das Gegenteil von Franzosen. Heute vor hundert Jahren ist der Essayist und Literaturkritiker gestorben.
Auszüge:
Ein französischer Schriftsteller gerät schon im August 1914 in deutsche Gefangenschaft. Das bewahrt ihn vor dem Schicksal seines besten Freundes, Henri-Alban Fournier, der im September desselben Jahres bei Verdun fällt. Alain-Fournier, wie er sich als Autor nannte, war der größte literarische Verlust aufseiten der Franzosen. Mit „Der große Meaulnes“ hatte er 1913 einen Roman über das Leben auf der Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein geschrieben, ein Buch über einen, „dessen Kindheit zu schön war“, wie Alain-Fournier in einem Brief schreibt. Zu schön, um sie nicht mitnehmen zu wollen, zu schön, um sie mitnehmen zu können. Es schildert das gemeinsame, oft vergebliche Warten, „über das wir nie sprachen“, ineinander und durcheinander Verliebter. Niemand, der eine Jugend hatte, kann dieses Buch lesen, ohne von ihm ergriffen zu sein.
Jacques Rivière, der durch Gefangenschaft am Leben bleibende Freund, geht drei Jahre lang durch deutsche Lager, nach einem Fluchtversuch auch durch ein Straflager. Dort beobachtet er die Deutschen und schreibt nach dem Krieg ein Buch über sie, „L’Allemande“, das Leser hierzulande noch heute aufzuwühlen vermag. Wenn Rivière einsetzt, es bestehe zwischen ihm als Franzosen und den Deutschen eine Unvereinbarkeit ihres Wesens, so klingt das wie die damals üblichen Pamphlete mit ihren unsinnigen Entgegensetzungen von Aufklärung und Preußentum, Händlern und Helden, Zivilisation und Kultur. Nichts davon vermag uns heute noch zu berühren.
Rivière jedoch unterscheidet anders. Er lehnt ab, wie die Deutschen, denen er begegnet ist, fast allesamt Männer, fühlen und denken. Er stellt einen Mangel an Temperament an ihnen fest. „Sie begehren, sie erwarten, sie verlangen nichts.“ Es gibt nichts, für das sie sich bedingungslos einsetzen. Sie warten vielmehr, bis ihnen jemand sagt, was zu tun sei, und führen die Anweisung dann mit großer Akkuratesse und Energie aus. Den Deutschen sei Ungeduld fremd, nichts jucke sie, vieles sei ihnen egal, gegenüber selbstsicherem Auftreten geben sie leicht nach, sie haben ständig Angst, sich zu irren. „Der Deutsche ist nicht fähig, irgendetwas zu tun, ohne sich vorher dazu verpflichtet zu haben.“
Die Belege für seine These sind bei Rivière deutsche Offiziere, die sich von den französischen Gefangenen verspotten und beleidigen lassen. (…)
Als es 1924 zu einer zweiten Auflage seines Buches kommt, kritisiert sich Rivière im Vorwort für den parodistischen Ton seines „ethnischen Porträts“. Es sei auch eines der Franzosen. In ihrer Welt atme die Seele oft zu schnell, sei oft von großer Einfalt, lege sich voreilig fest und sei bereit zu jeder Art von Ungerechtigkeit, weil sie sich stets mit Leidenschaft und dem „Nicht anders können“, dem Französischsein eben zu rechtfertigen vermag.
Der zweite Teil des Buches setzt sich mit zwei Aufsätzen des deutschen Philosophen Paul Natorp über das Wesen des deutschen Geistes auseinander. 1920 antwortete Natorp unter dem Titel „Hassenswert, weil wir nicht hassen?“ und warf Rivière vor, die Deutschen mit ihren Offizieren zu verwechseln und ihnen den Mangel an nationalen Gefühlen, der die Deutschen tatsächlich charakterisiere, schlecht anzurechnen. Es würde sich wirklich lohnen, wenn ein deutscher Verlag diesen Dialog herausbrächte. (…)
ls Jacques Rivière am 14. Februar 1925 in Paris an Typhus starb, war er noch nicht vierzig. Der Medizinersohn aus Bordeaux, der an der Universität gescheitert war, leitete damals die führende französische Literaturzeitschrift „Nouvelle Revue Française“ (NRF). 1909 hatte sie André Gide mit einer Handvoll seiner Freunde gegründet, und bald besaß sie einen eigenen Verlag. Rivière war von 1910 an, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, ihr Redaktionssekretär.
Als André Gide es ablehnte, den ersten Band von Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ im Verlag der NRF zu drucken, widersprach Rivière als Einziger. Für ihn war die Literatur seiner Zeit von zwei Gefahren bedroht, die Proust, wie der von ihm verehrte Paul Claudel, beide überwunden hatte: den Naturalismus als sklavische Nachahmung und Verzicht auf eine innere Welt und die Romantik als Verklärung vieldeutiger Gefühle. Hinreißend ist seine Beschreibung der Analysen, denen Proust in „Die Gefangene“ die Liebe unterzogen hat. Rivière nennt ihn mehrfach einen Wissenschaftler. Klarheit war ein ästhetischer Schlüsselbegriff für ihn. (…)
Rivière war ein kompletter Kritiker, er hatte die ganze französische Kunst seiner Zeit im Blick, schrieb über Musik, Ballett, Malerei und das politische Tagesgeschehen. Ein eigener schriftstellerischer Erfolg blieb ihm versagt. Sein 1922 veröffentlichter Roman „Aimée“, ein zweihundertseitiger innerer Monolog eines Mannes, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist, wurde von der Kritik weitgehend ignoriert. Übersetzt ins Deutsche ist sein nachgelassenes Buch über Arthur Rimbaud, in dem sich seine Abwendung vom literarischen Symbolismus und die Hinwendung zur katholischen Kirche abzeichneten. Nach seinem Tod erschienen philosophische und theologische Schriften sowie seine Briefwechsel, beispielsweise mit Alain-Fournier, Paul Claudel, Marcel Proust und Antonin Artaud. Hier, mehr aber noch aus seinen ästhetischen Essays, gibt es viel zu übersetzen.
Neue Zürcher Zeitung, 15. Februar
Jean-Michel Basquiat malte in St. Moritz Berge und Bratwürste – wie das Engadin zum Hotspot des internationalen Kunstmarktes wurde
Als Kontrapunkt zur Alpenkulisse kann in St. Moritz auch das düstere Werk des Avantgardisten Wols erlebt werden.

Extraits:
September 1982. Drei Männer kurven in einem Mercedes durch die Appenzeller Berge. Einer von ihnen zündet einen Joint an und reicht ihn herum. Es ist der Galerist Bruno Bischofberger, der dem Künstler Jean-Michel Basquiat und seinem Assistenten von dem Marihuana anbietet. Die drei fahren nach Basquiats erster Zürcher Einzelausstellung in Bischofbergers Galerie nach Appenzell, zu einem Jahrmarkt.
Völlig zugedröhnt kommen sie in Appenzell an, kaufen sich vierzig Jetons für den Autoscooter und legen sich euphorisch mit dem ganzen Dorf an. Danach geht es weiter nach St. Moritz, wo Basquiat in Bischofbergers Ferienhaus wohnt und arbeitet.
In diesem Jahr wäre Jean-Michel Basquiat 65 Jahre alt geworden. Nun zeigt die Galerie Hauser & Wirth in St. Moritz rund dreissig seiner Werke, die einen besonderen Bezug zur Schweiz und vor allem zum Engadin haben.
Der Augenblick im Auto Richtung Appenzell wird im Begleitbuch zur Ausstellung geschildert, Basquiats Assistent erinnert sich noch gut daran. Es war das erste Mal, dass der amerikanische Künstler die Schweiz besuchte: 21 Jahre alt war er damals, ein aufstrebender Künstler aus dem lauten, bunten New York.
In der ruhigen Ostschweiz sah er erstmals die Alpen. Er war beeindruckt von der Landschaft und der Sprache. Später malte er «Bruno in Appenzell»: Das Auto mit Bischofberger drin, samt Krone und Autotelefon. Dahinter, auf einem rosafarbenen Grund, spitze schneebedeckte Berge und Tannenwälder.
Auf diesen ersten Aufenthalt in der Eidgenossenschaft folgten ein Dutzend weitere; sechs davon in St. Moritz. Wenige Jahre nach seiner ersten Reise in die Alpen, am 12. August 1988, starb Basquiat 27-jährig an einer Überdosis Heroin. Kein Land hat er in seinem kurzen Leben häufiger besucht, als die Schweiz.
Bilder fürs Ferienhaus
Für das Engadin ist Basquiat einer von vielen prominenten Gästen. Auch Friedrich Nietzsche, Marcel Proust, Gerhard Richter, Giovanni Segantini oder Alberto Giacometti kamen und fanden hier die Langsamkeit. Sie alle liessen sich von der Region inspirieren. Von der Geborgenheit der Bergtäler, vom besonderen, hellen Licht und von der magischen Stille.
Doch es kamen nicht nur Künstler ins Engadin, sondern immer mehr auch kaufkräftige Touristen. Bald eröffneten die ersten Galerien. So ist heute nicht nur St. Moritz, sondern das Engadin insgesamt auf engstem Raum ein Hotspot des internationalen Kunstmarkts geworden.
Die Feriengäste haben in den Bergen die nötige Ruhe und Zeit, um sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Fernab vom städtischen Trubel, von der Hektik des Alltags, treffen sie ihre Wahl. Hier oben kaufen sie Werke sowohl für ihre Ferienhäuser, als auch für ihre Sammlungen Daheim. Zeit für einen Besuch in den Engadiner Galerien.
Bratwurst, Skilift, Steinbock
Erster Stopp: Hauser & Wirth. Die Kunstgalerie steht neben den Modegeschäften von Giorgio Armani und Gucci, im Erdgeschoss gibt es eine schicke Bar.
Einige der hier ausgestellten Bilder von Basquiat entstanden in St. Moritz selbst. «See» zeigt den St. Moritzersee bei Nacht, unter dem Sternenhimmel, umgeben von Föhrenwald. Es wird erstmals seit bald vierzig Jahren ausgestellt. Der stille See und der klare Sternenhimmel beeindruckten Basquiat, der aus dem mit Smog überzogenen New York kam und in den Strassen von Brooklyn mit seinen Graffiti zum Künstler geworden war.
Jean-Michel Basquiat: «See», 1983, Öl auf Leinwand.
© Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York
Seine Karriere als Maler dauerte nur sieben Jahre. In dieser Zeit aber schuf er 1000 Bilder, darunter 160 zusammen mit seinem Mentor Andy Warhol, und noch mehr Zeichnungen. Zur Serie der Bilder, die er 1983 in St. Moritz malte, gehört auch «Skifahrer», ein witziges Strichmännchen mit Ski auf rotem Grund, hinter ihm Bewegungsstriche wie bei einer Comicfigur. «Nachtleben» ist eine Aussicht auf weisse Berge, und «Alpendorf» zeigt ein Haus, umgeben von Tannen auf petrolgrünem Grund.
In der beschaulichen Schweiz versuchte Basquiat wie ein Kind zu malen. Ein Experiment, das schon Picasso inspiriert hat. Basquiat ging aber einen Schritt weiter und malt zusammen mit Bischofbergers vierjährigen Tochter Cora.
Basquiat saugte zudem alles auf, was er zu sehen bekam. Nach dem Besuch einer Viehschau in Neu St. Johann im Toggenburg malte er in einer einzigen Nacht eine vierteilige Serie mit Kühen und den Fladen, die diese hinterlassen. Und überall: die Bratwurst, als Wort und Bild. Hinzu kommen ganze Menukarten, inklusive Preisen, die Basquiat auf seinen Bildern verewigt hat: «Schafsvoressen», «Hackbratten», «Scwinis mit Kraut».
Auch Skilift und Steinbock wurden zu Motiven in Basquiats Werk, nicht nur bei seinen Besuchen in der Schweiz, sondern auch, wenn er in New York arbeitete.
Jean-Michel Basquiat: «Bull Show Two», 1983, verschiedene Stifte auf Papier., © Estate of Jean – Michel Basquiat, licensed by Artestar, New York Bischofberger Collection, Männedorf-Zürich
Der Zwiespalt Basquiats
Basquiat wird 1960 in eine mittelständische Familie geboren, der es etwas besser geht als vielen anderen im heruntergekommenen Brooklyn. Der Vater stammt aus Haiti, die Grosseltern mütterlicherseits sind puerto-ricanische Einwanderer. Schon früh nimmt die Mutter den Sohn mit in Museen.
Nach der Trennung der Eltern lebt Basquiat bei seinem Vater, die Mutter hat psychische Probleme. Der Jugendliche macht Probleme, verschwindet von zu Hause und bricht die Schule ab. Er besprayt Wände, malt auf Türen und sogar Kühlschränken, legt als DJ auf und spielt in einer Band. Eines seiner zentralen Themen: der allgegenwärtige Rassismus in den USA.
Ein paar Jahre später fällt seine Graffitikunst in der von Weissen dominierten Kunstwelt auf: Er wird aufgenommen und schnell weltbekannt, seine Werke werden an der wichtigen Kunstschau Documenta gezeigt. Von nun an lebt er in einem Zwiespalt: zwischen dem Ruhm als erster erfolgreicher Schwarzer in der weissen Kunstszene und der demütigenden Rolle des Hofkünstlers einer weissen Kulturelite.
Seine Rassismuskritik zeigt sich etwa im Bild «Big Snow», wo die Engadiner Landschaft mit Bobbahn als Kulisse für Olympische Spiele gilt. Als Kontrast dazu dient der Kopf des schwarzen Athleten Jesse Owens, dessen Name auf der Leinwand steht, darunter der Schriftzug «Berlin 1936». Damals, an den Olympischen Spielen in Nazideutschland, gewann Owens vier Goldmedaillen.
Jean-Michel Basquiat: «Skifahrer», 1983, Öl auf Leinwand., © Estate of Jean – Michel Basquiat, licensed by Artestar, New York Collection Carmignac, Foto: Thomas Hennocque
Afrofuturismus in den Alpen
Zweiter Stopp: Robilant + Voena. Ein Pop-up in der Dorfkirche von St. Moritz, etwa hundert Meter entfernt von der prestigeträchtigen Institution Hauser & Wirth. Auch das bietet St. Moritz inzwischen.
Hier zeigen Galeristen aus Italien Bilder von Jordan Watson, einem New Yorker Künstler mit jamaicanischen Wurzeln, geboren 1979. Während ein Basquiat bis über 30 Millionen kostet, bekommt man einen Watson bereits ab mehreren zehntausend Franken.
Watson hat sich zuerst als Kurator einen Namen gemacht. Entstanden sind grosse Bilder mit Schneesportmotiven im Stil des Afrofuturismus: Schwarze Menschen fahren in einer knallig-farbigen Zukunft in den Bergen Ski oder gleiten mit Schlittschuhen über das Eis. Es sind ästhetische Werke, die jedoch beinahe kitschig wirken.
Die Bilder von Jordan Watson werden in der Dorfkirche in St. Moritz von der Galerie Robilant + Voena ausgestellt., PD
Wols illustrierte Sartres Bücher
Dritter Stopp: Karsten Greve. Ein paar Häuser von der Dorfkirche weg, an der edlen Via Maistra, steht die älteste internationale Galerie in St. Moritz. Karsten Greve eröffnete sie vor 25 Jahren. Gerade zeigt der deutsche Kunsthändler und Verleger den ebenfalls deutschen Avantgardekünstler Wols, 1913 geboren, der eigentlich Alfred Otto Wolfgang Schulze hiess. Seine Werke kosten oft mehr als hunderttausend Franken.
Es sind im Gegensatz zum knalligen Werk Basquiats und zu den modischen Bildern Watsons oftmals sehr düstere, dichte Werke, viele davon entstanden während des Zweiten Weltkriegs. Sie stehen in maximalem Kontrast zu der schneebedeckten Ferienkulisse.
Wols war nicht nur Maler, sondern auch Fotograf, Dichter und Musiker, er spielte Geige und Banjo. 1932 zog er nach Paris, weil er den Nationalsozialismus ablehnte. Dort lernte Wols viele bedeutende Persönlichkeiten kennen. Etwa den Existenzialisten Jean-Paul Sartre, der ihm ein enger Freund wurde. Sartre kam zwei Jahre lang für Wols’ Hotelzimmer in Paris auf, wo der Künstler meistens im Bett arbeitete. Im Gegenzug illustrierte Wols Sartres Bücher.
Wols: ohne Titel, 1942, Tusche auf Papier., Courtesy Of Galerie Karsten Greve Köln Paris St. Moritz, Foto: Friedrich Rosenstiel, Köln
Kontrast zum Skitourismus
In Paris nahm Wols sich vorerst der Fotografie an, es folgten viele Zeichnungen, meist mit Tusche und Aquarell, inspiriert vom Surrealismus. Es sind feine Konstruktionen, die oftmals an Architekturzeichnungen erinnern, jeder Strich, jede Farbfläche scheint vorsichtig aufgetragen. Wols schrieb auch Aphorismen. Einer lautet: «Im Sehen soll man sich nicht darauf versteifen, was man aus dem, was man sieht, machen könnte. Man soll sehen, was ist.» Die Sätze passen zu Wols Rolle als Wegbereiter des Informel, der abstrakten Kunst der europäischen Nachkriegsjahre.
Bei Kriegsausbruch wurde er als unerwünschter Ausländer in verschiedene Internierungslager gebracht, zusammen mit anderen ausländischen Künstlern wie Max Ernst. Wols überlebte beide Weltkriege – und starb letztlich 1951 an einer Lebensmittelvergiftung im Alter von 38 Jahren.
Drinnen die finsteren Bilder, draussen die verschneiten Berge. Kunsttrunken können die Feriengäste nach dem Galeriebesuch wieder durchs beschauliche St. Moritz spazieren. Um die Ecke recken sich die Touristen auf der Terrasse einer Après-Ski-Bar in der Sonne, eingepackt in Pelz, das Gesicht verdeckt von übergrossen, glänzenden Sonnenbrillen. Vielleicht gibt es dort auch Bratwürste – oder sonst ein Gericht, das Basquiat gern gemalt hätte.
«Jean-Michel Basquiat. Engadin», Hauser & Wirth, St. Moritz, bis 29. März. «Wols», Galerie Karsten Greve, St. Moritz, bis 22. März. «Jordan Watson. Easier to Breathe», Robilant + Voena, Dorfkirche in St. Moritz, bis 6. März.
The Economist, Book Review, February 14
Chapter and (re)verse : How did the Catholic church go so wrong?
Jesus Wept. By Philip Shenon. Knopf; 608 pages; $35 and £30
A little-remembered gathering might have changed everything, a new book argues
Full text :
The moment when Pope Pius XII’s nose fell off was awkward, both because the pope’s body had been put on public display and because the embalmer was none other than Pius’s own doctor. Many had been suspicious of Pius’s choice of medic: he was, they felt, a quack. Pius ignored them. A pope, after all, is infallible.
Pius might have been. His doctor clearly was not. Quickly Pius’s skin turned blue-green. Then it ruptured. Then his nose fell off. The smell became so bad the body had to be covered in cellophane. A Swiss Guard watching over the corpse collapsed.
Pius was buried in 1958. But the suspicion that something was rotten in the Vatican remained. It still does, argues a new book by Philip Shenon, formerly a reporter for the New York Times. To critics the Catholic church, which claims over 1.3bn followers, is irony incarnate. It was founded by a man who advocated poverty; yet its last pope, Benedict, wore filigree gold crosses and tailor-made shirts at several hundred dollars a pop. The Catholic church long declared homosexuality a “depravity”, yet a study published in 1990 estimated that perhaps a fifth of American priests were gay. It is run by celibate men, yet its priests find time to rule, in Latin, on everything from whether one should use condoms (non) to whether masturbation is a sin (ita vero).
What it did not find time to do was to stop the abuse of children by Catholic priests. A church founded by a man who instructed his followers to “suffer little children” is therefore now better known for making children suffer: in France alone an estimated 200,000 children were abused by priests between 1950 and 2020.
This much is familiar. But Mr Shenon chronicles these failures through the history of the last seven popes, which is unusual. Medieval histories make much of popes, with good reason: bad popes are good copy. The classmates of Joseph Ratzinger (later Pope Benedict XVI), who died in 2022, used to play a parlour game: who was the worst pope? Was it Sergius III, who assassinated his predecessors, or Alexander VI, who held orgies at which prepubescent boys jumped out of cakes?
Modern histories pay less attention, for many reasons. Partly it is because popes matter less. Partly it is practicality: many Catholic documents are locked away not merely in Vatican archives but also in Latin (yet another barrier). The exception was statements on the cold war, which were drafted in French because Latin lacked a term for “nuclear war”. It has since been coined: bellum nucleare.
It is also a matter of taste: secular, modern histories tend to focus on secular, modern powers and on rulers whose reach is geographical rather than spiritual. Popes may also be ignored because they sometimes seem so silly. They wear dresses and funny hats. They travel in a popemobile. Until relatively recently the pope’s minions included two men whose job it was to follow him and fan him with ostrich feathers.
Besides, the Vatican is tiny. It has a population of just 600-odd citizens. It does not have an army (and certainly no arma nuclearia); instead it is guarded by Swiss Guards, with their toy-soldier pikes and plumed helmets. The entire place is a mere 108.7 acres. Many Legolands are larger.
But this toy-town is no game. Though its bureaucracy might not be as riveting as misbehaving medieval popes, it matters. At the heart of the book is an ecumenical council, which convened in the 1960s, at the behest of a liberal and reformist pope, John XXIII, to consider “updating” the church. It was known as Vatican II. To non-Catholics, that title sounds slightly comic: a film sequel, not serious theology.But it was deeply serious. Had it succeeded it would have revolutionised the church’s attitudes to everything from birth control to divorce, homosexuality and heresy.
It did not. John died. The reforms that followed were footling, not revolutionary. Latin mass was ditched. New musical choices were allowed. As Tom Lehrer, a satirist, observed, Catholics could now “Do whatever steps you want if/ You have cleared them with the pontiff”. Though, as Mr Lehrer said, if the church “really wants to sell the product”, its reforms should have gone further. This gripping and damning book shows how, over the course of the next five popes, they did not. It is a long history, well summed up by the shortest verse in the King James Bible that forms this book’s title: “Jesus wept”. ■
https://www.economist.com/culture/2025/02/13/how-did-the-catholic-church-go-so-wrong
The Economist, February 13
The old college try: Does more education lead to less sex?
Trying to make sense of the sexual “degree divide” in America
Full text :
UNIVERSITY LIFE in America is often portrayed as an alcohol-fuelled, sexual free-for-all. In “The Sex Lives of College Girls”, a TV show created by Mindy Kaling, a comedian, which just concluded its third season, sexual escapades are as common as beer kegs. In reality, however, the sex lives of American university students are surprisingly tame. In 2024 one in five seniors at Harvard revealed to the Crimson, a student newspaper, that they had never had sex.
This is not unusual. Sexual activity among college-age Americans has dropped by nearly half in the past 20 years, part of a broader decline in sexual activity that some journalists have dubbed a “sex recession” (see chart).
An analysis by The Economist suggests that a sexual slowdown is affecting not just university students but graduates, too. This is creating a “degree divide” in the bedroom. Between 2002 and 2023, 25- to 35-year-olds with a bachelor’s degree had sex 11% less often than the average adult; those with a graduate degree had sex 13% less frequently (see chart). A regression analysis of data from the National Survey of Family Growth, a survey of nearly 10,000 Americans conducted by the Centres for Disease Control and Prevention, suggests that, even after controlling for age, drinking habits, employment, health and marriage status, a university degree is associated with 7-8% less frequent sex, on average.
This effect is greatest among married couples. But even among single people, degree-holders are six percentage points less likely to say they had sex in the past year. This trend also holds true in Britain but not in Ireland, a country with more robust hanky-panky among the educated.
Little research has been done to answer conclusively why educated Americans would be having less frequent fun in the bedroom. The most popular theories for why people are having less sex in general, from technological distractions to young adults delaying moving out of their parents’ house, fail to explain the inactivity among university graduates specifically. Young people are marrying later and less often, and there is no doubt that this is leading to less lovemaking (married couples do it around twice as often as single people). But those with degrees marry at higher rates than those without; their marriages last longer, too.
Screen time is associated with lower sex rates. But graduates do not stream or play video games more often than the rest of the population; in fact, they do so less often. Americans may be reporting higher rates of depression and anxiety than in previous decades—which can lead to lower libido—but higher education is associated with better mental health, not worse.
So what could be going on? Perhaps the most obvious theory is that well-educated people work more, on average, and therefore have less free time. “Certainly a percentage of people with college degrees just seem busier with professional pursuits than sex,” says Nicholas Wolfinger, a sociologist at the University of Utah. This degree-donning group also spends more time taking care of children, on average. Add in streaming platforms—“more Netflix, less chill”, as Lyman Stone, a senior fellow at the Institute for Family Studies puts it—and educated professionals have very little time left for romance.
Another theory holds that better-educated women face a smaller pool of eligible suitors, which may make it harder for them to find a mate (and mate regularly). “We have this situation where women perform better in education, and in some settings, they have better jobs, more money, which leads to a scarcity of suitable men, making it harder for people to match,” says Peter Ueda of the Karolinska Institute, a medical university in Sweden. Magdalene Taylor, a sex and culture writer, argues that college graduates, who marry later, may also be better at delaying gratification, which could influence their sexual behaviour.
Meanwhile, other experts posit that some traits that contribute to excellent academic performance in the classroom may lead to worse performance in the bedroom (sorry, bookworms). “There’s certainly no question young adults who are more focused on education, career and their long term success are more risk-averse, more careful, and that seems to be expressed as having less sex,” says Brad Wilcox, a sociologist at the University of Virginia. Those skilled at spreadsheets may still have a lot to learn in the bed sheets. ■
https://www.economist.com/culture/2025/02/11/does-more-education-lead-to-less-sex
New York Times, February 8
Caspar David Friedrich: A Solitary Wanderer Finding His Way in the Fog
The first major U.S. exhibition of Germany’s great Romantic painter is a historic showcase. It’s also a blueprint for how to think, and how to feel, in a changing environment.

Extraits:
We always overhype our vacations. After a long morning’s climb the weather is clearing up, and we are peering into the distance, into the fog gathered beneath this craggy outcropping — high above Germany, or what is not yet Germany, where only little tufts of grass push from the bare rock. It was not an easy hike, but we had a purpose. This is what we keep telling ourselves, as we dust our Hessian boots or charge our D.S.L.R. cameras: Hike to the summit, behold the awesome view, and the sight of beauty will change our life.
Yet now, looking out through the thin mountain air … well, of course it’s spectacular. Still, when we look out at the mountains — at the picture of the mountains; we have trouble distinguishing, sometimes — the sensation that washes over us is not exultation but melancholy. This famous view we waited our whole life to see is missing details, seems washed of its particulars. Between us and eternity, between human understanding and the essence of the universe, lies a stubborn, obscuring bed of white cloud.
“Wanderer Above the Sea of Fog,” the wistful rear view that Caspar David Friedrich painted circa 1817, has the pesky distinction of epitomizing not just a single artist but also a whole epoch: the era of German Romanticism, when Enlightenment ideals of reason and skepticism unleashed a counterrevolution of passion and sentiment.
The solitary Wanderer, in his head-to-toe crushed green velvet, has become a metaphor for Germany itself, and the object of countless paste-ups and parodies. (Angela Merkel, recognizable from the back in her trademark pantsuit, was grafted into this landscape more than once.) Yet the Wanderer has never hiked as far as America, not until now, when from this weekend he will have his back turned to the visitors of “Caspar David Friedrich: The Soul of Nature.” Already, on a huge poster adorning of the Metropolitan Museum of Art facade, our crestfallen hero has cast his gaze away from Fifth Avenue.
“The Soul of Nature” is much more than a showcase of one Romantic icon, and it has some surprises for audiences who associate Friedrich, and early-19th-century art more generally, with calm and tranquillity. Organized with three German museums, the exhibit includes 88 paintings and drawings, of rocks gleaming in the moonlight, solitary crucifixes in evergreen forests, and lonely Germans gazing out onto the sea.
That’s a lot more than any American museum has ever assembled (only two Friedrich shows have ever taken place here before; one of his biggest fans, Adolf Hitler, cast a long shadow on the artist’s 20th-century reception), but also barely half as many in a related show last year commemorating Friedrich’s 250th birthday. When I saw that show in Hamburg, Germany, I found myself dumbfounded by the sensitivity of Friedrich’s drawings, how he lavished attention on the hatching of stones and the ribbing of leaves, turning one lifeless boulder into a reflection of the soul.
That part-to-whole magic is a little harder to find at the Met, but the core of Friedrich’s achievement is still present in this show: the spontaneous, occasionally visionary gaze on the natural world, and the unrivaled ability to imbue one view with an entire philosophy of the world. (…)
Most critically, as we keep failing to forge a culture serious about a changing climate, the curators here show us how tumultuous Friedrich’s glades and grasses really are. War. Nationalism. Religion. Industrialization. The world outside is changing, and the inner world too: racked by anxiety, cursed with nostalgia. It’s that double instability, that inner and outer climatology, that has turned Friedrich and the Romantics into my chosen guides through the Anthropocene. (…)
There is not much of a seashore to see in “Monk by the Sea,” just as the mountainscape the Wanderer beholds lacks the epic scale of, say, the Americans of the Hudson River School. (In an 1810 review of “Monk by the Sea,” an unimpressed young woman in the gallery moans to her governess, “That’s where goods from the colonies arrive.”) But that’s the whole point here; you don’t need to go all the way to the Matterhorn or the Grand Canyon to discover the infinite, because the infinite is inside you. As observed by the art historian Joseph Leo Koerner (a contributor to this show’s catalog), what’s sublime in Friedrich are not the mountains or trees — some of which, if we’re being honest, can tend into Bob Ross monotony in places.
What’s sublime in Friedrich are the subjective effects of these natural things on painter and viewer, or what a landscape does to an observer in history and time. The Romantics had a word for this: Erlebniskunst, an “art of experience,” in which what you feel has primacy over what you see. Shrouded in fog or illuminated by sunbeams, landscape for Friedrich was always finally a journey into the unknown, the geographic unknown but also the unknown of the heart. (…)
“A stranger I arrived; a stranger I depart,” goes the opening of Schubert’s “Winterreise,” and at the end of this beautiful show, in late sepia drawings of caves and cemeteries made after Friedrich abandoned painting and lost his fame, this most German of artists depicted the German landscape as an almost alien terrain. And I think one of the many reasons the Met’s exhibition feels so timely is just how much of a stranger Friedrich remained in landscape — and how much human longing he located within his rocks and evergreens. Longing for God. Longing for stranger shores. Longing for death, maybe. I have my own longings now, my nostalgia for a nature not yet human authored, as I wander through a climate as distant from Greifswald as from Babylon. But we may yet find peace, a measure of it, if we learn to see in the fog.
Caspar David Friedrich: The Soul of Nature
Feb. 8 to May 11, Metropolitan Museum of Art, 1000 Fifth Avenue, Manhattan; 212-535-7710, metmuseum.org.
https://www.nytimes.com/2025/02/06/arts/design/caspar-david-friedrich-metropolitan-museum.html
The Guardian, February 3, free accès
Emmanuel Macron’s got a point: Why shouldn’t we charge tourists to see our treasures?
The Louvre’s proposed two-tier fees are a better way to fund museums than iffy corporate sponsorship deals
Extraits:
Introducing, five years on, another Brexit bonus: the chance to support the renovation of the Louvre. President Emmanuel Macron has proposed paying for the “renaissance” of the Paris museum, in part, by increasing entrance fees for visitors from outside the EU.
After some initial attempts to represent this as a direct insult – “Brits will be forced to pay more than EU residents” (the Mail) – even the rabidly pro-Brexit press appears to have accepted that the scheme applies globally, to all non-EU visitors: an exceptionally cunning way of Brit-targeting, even for the French.
If anything, of course, this opportunity for Britons to pay more is a proud reminder of their own Brexit triumph: a cultural dividend up there with the loss of the Erasmus scheme and wrecked prospects for UK musicians. Happily for these purists, the current prime minister seems preoccupied with creating his own, potentially even uglier, legacy: that of an irreparably degraded UK environment.
As for Macron’s thinking: it was anticipated only last summer by a British curator, Sir Mark Jones. He proposed that the national collections in London pay for improvements by introducing admission fees for overseas visitors aged over 25. (…)
Since then, it has emerged that many of the very workers who deal, close up, with the mass tourism pressing into these invaluable spaces, are among London’s lowest paid. (…)
In not charging for entry, the UK’s national museums are, as any British tourist knows, anomalous. “It would make sense,” Jones said, “for us to charge overseas visitors for admission to museums as they charge us when we visit their museums.” And largely, even when nationals and local residents are exempted, these museums do so without accusations – occasionally levelled at UK proponents of museum tourist-charging – of xenophobia. When you see Venice’s older inhabitants being shoved out of vaporetti or run into by rucksacks, wheelie cases and gurning selfie-takers, its two-tier approach seems the very least tourism can offer by way of compensation. New York’s Metropolitan Museum is likewise forgiven an exemption whereby the state’s residents decide their own fee.
That less generous capitals deny tourists free admission does not amount to a case against the UK’s more hospitable entry principles, sometimes advertised with our-NHS levels of national pride and piety. To add to the arguments for universally free entry advanced in 2000, its supporters persuasively cite the importance, now better understood, of welcoming, to supposedly universal museums, visitors from countries that the colonising British relieved, more or less brutally, of future exhibits. Following Jones’s intervention, Prof David Abulafia argued in the Spectator against entrance fees: “These museums are custodians of their contents on behalf of all of mankind. This means that people from all countries of the world should be able to enter freely and see what these museums contain.” (…)
Like the Louvre, the British Museum is creaking, also leaking, under pressure to upgrade and, increasingly, to collaborate. Where are the resources to come from? That’s if there is no future for my own proposal: a £50 (for now) permit for in-gallery mobile phone/watch photography. It would only inconvenience the disparate millions united by one conviction: that there’s no universal treasure that can’t be improved – including for fellow visitors – by having their own face planted in front of it.
So, if not a Macron scheme, with inadequate state investment, what? At the same time that supporters of restitution and of fair pay have been demanding action from universal collections, other activists have challenged recourse to corporate funding, with campaigns against fossil fuel money, like BP’s deal with the British Museum. The Science Museum is under attack for its deal with Adani Green Energy, part of a conglomerate that invests in coal.
The Economist, Book Review, February 3, pay wall
The bloom is off the rose : Are internet firms the problem, or are you the problem?
A veteran critic of technology offers his take on a familiar target
Full article : https://kinzler.org/wp-content/uploads/2025/02/2-fevrier-2.pdf
Link: https://www.economist.com/culture/2025/01/30/are-internet-firms-the-problem-or-are-you-the-problem
Neue Zürcher Zeitung, 30. Januar, nur für Abonnenten
Der Louvre verlottert, und Macron macht die Sanierung zur Chefsache
Der Pariser Louvre ist akut vom Verfall bedroht. Dabei hat Frankreich doch schon so viele andere Sorgen. Wie gut, dass Präsident Macron, der Retter der Notre-Dame, eine «Wiedergeburt» des weltberühmten Museums verspricht.
Extraits:
(…) Macron beeilte sich also mit seiner Visite. Dem Präsidenten, dem seit seiner Entscheidung vom letzten Jahr, das Parlament aufzulösen, innenpolitisch die Freunde ausgegangen sind und der auch in Umfragen historisch abgestürzt ist, dürfte die Aussicht auf eine neue Mission zur Rettung eines weiteren französischen Kultursymbols gefallen haben. Frankreich hat derzeit viele Sorgen, der Staat ist pleite, die Wirtschaft brummt nicht mehr, die Minderheitsregierung von François Bayrou könnte bald gestürzt werden. Aber manchmal, so wie bei der feierlichen Wiedereröffnung der Notre-Dame im Dezember, gibt es eben auch eine willkommene Ablenkung vom tristen Tagesgeschäft.
Vor der «Mona Lisa», dem berühmten Werk von Leonardo da Vinci – für das sich Touristen aus aller Welt überhaupt erst auf den Weg nach Paris machen –, präsentierte Macron seine mit Spannung erwarteten Pläne. (…)
Zuletzt war der Louvre in den 1980er Jahren renoviert worden, wobei der Architekt Ieoh Ming Pei die ikonische Pyramide für den Eingang errichtete, die 1989 eröffnet wurde. Sie sei ursprünglich für 4 Millionen Besucher vorgesehen gewesen, heute seien es jedoch 9 Millionen Besucher pro Jahr, sagte Macron. Der neue Eingang solle bis zum Jahr 2031 eingeweiht werden. Darüber hinaus werde auch die «Mona Lisa» einen eigenen Saal erhalten und damit für Besucher besser zur Geltung kommen.
Die Kosten des Projekts, das Macron als «Nouvelle Renaissance» (Neue Wiedergeburt) bezeichnete, nannte der Präsident nicht. Von einer Quelle des Élysée-Palasts aber wurde die Zahl 700 bis 800 Millionen Euro verbreitet. Finanziert werden soll das durch Eigeneinnahmen des Louvre, durch Spenden, durch den Erlös, den die Royaltys des Louvre in Abu Dhabi abwerfen, sowie durch erhöhte Eintrittspreise. (…)
Wird Macron, dem Retter der Notre-Dame, ein zweites Wunder gelingen? Wer Zeichen lesen kann, dürfte bemerkt haben, dass in dem Saal, in dem der Präsident am Dienstag sprach, auch die «Hochzeit zu Kana» des italienischen Malers Paolo Caliari hängt. Laut der Wundererzählung verwandelte Jesus bei der Hochzeit Wasser in Wein.
Neue Zürcher Zeitung, 27. Januar, nur für Abonnenten
Er schreibt: «Heute bin ich wieder etwas blöd.» Sie nennt ihn «mein liebstes Kleines»: Im Briefwechsel mit seiner Frau sieht man Hugo von Hofmannsthal in geradezu sympathischer Verwandlung
Hugo von Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau Gerty im Maschinenraum der Beziehung sitzt. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen der Intimität.
Extraits:
Wer ein wahrer Weltbürger werden soll, der wird schon im Zeichen der Krise gezeugt. Just als Hugo von Hofmannsthals künftige Eltern zur Tat schritten, brach die internationale Finanzwirtschaft zusammen. Das Vermögen der Familie war weg, aber der Sohn war 1874 da. Der Schock habe ihn zu einem Hypersensiblen gemacht, wird der Dichter später erzählen. Er hat sich selbst stilisiert und seinen Stil aus Intellekt und Nervosität geschöpft.
Es schadet nicht, wenn das Pathos seiner Selbstinszenierungen entlarvt wird, und schon deshalb ist die Edition der Briefe, die er mit seiner Ehefrau gewechselt hat, eine Grosstat. Hier sieht man den Sprachzweifler beim hemdsärmeligen Handwerk der Ehe und in geradezu sympathischer Verwandlung. Liebt der Dichter, wird er schlichter: «Geliebtestes Engerl, ich dank Dir für Dein gutes Brieferl und die Photografierl. Ich freu mich so sehr, dass du wirst arbeiterln. Ich thu aber auch dichten», notiert Hugo von Hofmannsthal für seine Gerty, «denn wer schreibt Stücki, der hat Geldi.»
Geld war es nicht, das die beiden glücklich machte, denn davon hatten sie sehr wenig. Es war die Liebe, die sich über drei Jahrzehnte erstreckte und bis zum plötzlichen Tod des Schriftstellers währte. Gerty Schlesinger war die Tochter eines höheren Wiener Bankbeamten. Die Hochzeit mit Hofmannsthal im Jahr 1901 bedeutete einen Aufstieg in den Adel und zugleich das Abenteuer einer Ehe zweier seelenverwandter Ungleicher. «Mir ist die Ehe etwas Hohes, wahrhaft das Sacrament – ich möchte das Leben ohne die Ehe nicht denken», hat der Schriftsteller einmal festgehalten. Gerty war sein Anker, er ihr Schiff auf hoher See. Immer unterwegs, eine ideale Bedingung, um Briefe schreiben zu können, wie der 1800-Seiten-Band «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» zeigt.
(…) Dass die jetzt von Nicoletta Giacon sorgsam edierte und grossartig genau kommentierte Korrespondenz dennoch ohne Dramen auskommt, liegt an einer klaren Rollenverteilung. «Das grausig Einsame des Künstlerdaseins» steht der Frau als einer «überschwänglich Hilfreichen, Lastenabnehmenden» gegenüber. Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau die Lasten des Alltags zu tragen hat.
Viele Berichte, die Hugo von Hofmannsthal an seine Frau schickt, sind eine Mischung aus Meteorologie und Gemütswetterlage. «Heute bin ich wieder etwas blöd, übrigens ohne Nervosität», schreibt er aus dem Kurort Semmering. Aus Salzburg berichtet er von «sehr starkem Hitzschnupfen» und «rothem Hals». «Übelkeit, Schneefälle, Herumfahrerei» werden aus München gemeldet. «Gestern stockheiser, ganzen Tag allein im Zimmer» steht auf einer Postkarte aus Berlin.
Der Schriftsteller führt das Leben eines Neurasthenikers. Oft ist er am Rande des Zusammenbruchs und am Ende seiner Nerven. In den Briefen wird die behauptete Erschöpfung mitunter auch zur rhetorischen Figur, zu einem Weltbewältigungsmodell, das das lesende Gegenüber zur Empathie zwingt und es damit in einen Erlebniszusammenhang bringt. So wird die Ferne überbrückt. Nicht nur geografisch, sondern auch substanziell. (…)
Aus 973 Briefen, Postkarten und Telegrammen besteht die oft in einer kindlichen Spezialsprache geführte Korrespondenz zwischen Hugo und Gerty von Hofmannsthal. Das alles ist in der jetzigen Edition nachzulesen, und wenn es darin Redundanzen gibt, dann hat das System. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen einer Intimität, die sich ihres heiligen Reichs täglich neu versichert. Im Hin und Her der Briefe ist ein Nebeneinander simuliert, das es im täglichen Leben kaum gibt. Man schreibt einander, als wäre man im Gespräch. Obwohl es zu Beziehungszeiten der Hofmannsthals das Telefon schon gab und ein Apparat sogar in der Villa in Rodaun hing, war ihm diese Technik suspekt.
Das geschriebene Wort war das gültige, obwohl der Briefwechsel keineswegs elaboriert ist, sondern eine Art Jahrhundertwende-Chat-Format. (…)
Im Gegensatz zu anderen Schriftstellerbriefwechseln ist Hofmannsthals Korrespondenzverkehr gleich auf mehrfacher Ebene skandalfrei. Hier wird nichts und niemand entblösst. Das Unisono einer glücklichen Ehe hat keinen doppelten Boden, sondern eine bisweilen fast ans Langweilige grenzende Vorbildlichkeit. (…)
Schon die Familie des Vaters hat in Wirtschaftskrisen immer wieder Geld verloren, und der Schriftsteller selbst wird durch seine künstlerischen Unternehmungen nicht reich. Die Villa, die er mit Gerty und der Familie in Rodaun, am Rand von Wien, bewohnt, ist in bedauerlichem Zustand. Hofmannsthals Reisen sind klandestine Fluchten, Expeditionen auf der Suche nach den Idealreichen der Kunst. Er will Orte zum Schreiben finden, und es gehört zu seiner psychosomatischen Natur, dass das leibliche Wohl dabei nicht zu kurz kommen darf. «Kleines Nachtmahl, Schinken u ½ Fachinger auf dem winzigen Schreibtisch, und dabei so einen guten Kopf, sowohl für das Politische als für andere Dinge», schreibt der Dichter aus Berlin. «Hier ist gutes Essen. Hugo», steht auf einer Ansichtskarte aus Ragusa, die einen Passagierdampfer zeigt. Arthur Schnitzler schickt auch herzliche Grüsse mit.
Sich für Politik interessieren zu sollen, war für Hugo von Hofmannsthal eine gelinde Überforderung. Weil er mit seiner Konstitution kaum wehrtauglich war, wird er kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs ins Wiener Kriegsfürsorgeamt versetzt und schreibt in der Etappe statt Belletristik bellizistische Propaganda. Seine Frau lässt er im Herbst 1914 wissen, dass der Feind nur «um der niederträchtigen Überzahl willen» auf polnischem Gebiet die ersten Siege einfährt. Es gibt «ungeheure Opfer», aber: «Man muss es halt ertragen, und wenn noch Schwereres kommt, wird man es auch ertragen müssen.» (…)
Gerty von Hofmannsthal sitzt im Maschinenraum der Beziehung. Sie ist Hausfrau, Mutter der drei gemeinsamen Kinder und Sekretärin des Schriftstellers. Umsichtig leitet sie wichtige Post weiter und bekommt dafür in einem Brief-PS Lob vom Ehemann: «Wie rührend brav du alles besorgst! So viele Sachen!» (…)
Um sich in der Liebe auf Augenhöhe zu begegnen, braucht es solches offenbar nicht auch noch im sonstigen Beziehungsalltag. Das Ehepaar Hofmannsthal liefert in den Briefen Anzeichen dafür, dass man in Sachen Libertinage modern ist und sich seine Freiheiten gönnt. Andere emanzipatorische Möglichkeiten scheinen allerdings etwas zu kurz zu kommen. Das Gefälle bleibt, und Gerty richtet sich in ironischer Demut darin ein. Aus Frankfurt schreibt der Dichter, er sei froh, «dass du so selbständig bist, das ist so herzig, ganz wie ein Grosses benimmst du dich, das gefallt mir sehr».
Gertys Grösse liegt darin, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Ihre Liebesbriefe sind genauso anrührend, wie sie den Alltagskram in pragmatischer Nüchternheit rapportiert. «Mein liebstes Kleines» nennt sie ihren Ehemann. Sie holt ihn damit zielsicher vom hohen Ross der Kunst, um sich selbst in Poesie zu versuchen: «Unser Leben kommt mir wie etwas schönes Geschlossenes vor», schreibt Gerty im Jahr 1900 an Hugo von Hofmannsthal. «Deine Briefe sind auch so wie geschlossene Teile aus einem grossen Ganzen, so wie Sternschnuppen vom Himmel!» Am Firmament aller Ehen strahlte diese besonders hell. Dass sie ganz plötzlich verglühen musste, als Hugo von Hofmannsthal bei den Vorbereitungen zum Begräbnis seinen Sohnes Franz an einem Schlaganfall starb, hat deshalb eine besondere Tragik.
Gerty von Hofmannsthal und Hugo von Hofmannsthal: «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» Briefwechsel 1896–1929. Herausgegeben von Nicoletta Giacon. Mit einem Nachwort von Ursula Renner. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. 1840 S., Fr. 115.90.
The Economist, January 24, pay wall
Pontificating autobiographies : Sex, drugs or chastity?
Pope Francis has written the first memoir by a sitting pope. God help us
Hope. By Pope Francis with Carlo Musso. Translated by Richard Dixon. Random House; 320 pages; $32. Viking; £25
Extraits:
His Holiness Pope Francis—the 266th bishop of Rome, supreme pontiff of the Universal Church, sovereign of the Vatican City State—is a man with fancy titles, a simple soul and simpler prose. He likes punctuality (“I like punctuality”), does not feel worthy (“I feel unworthy”) and thinks war is stupid (“War is stupid”).
He reveres humility, his grandmother, football, God and pizza, probably not in that order. His great sadness on becoming pope was that he could no longer pop out for pizza but must order it in to the Vatican instead (“quite a different flavour”). He is very nice, very kind and very, very boring.
Pope Francis is a good man who has written a bad book. This hardly matters. It is the first autobiography by a sitting pope and will probably sell millions of copies. Spiritual memoirs are often big hits: St Augustine’s “Confessions”, written in the fourth century, still attracts faithful buyers.
Autobiographies of the very famous sell better yet: Prince Harry’s “Spare” was the bestselling autobiography of 2023 in America, and Melania Trump’s was top of the charts in 2024. Meanwhile, in Britain one of the most popular books over Christmas was “A Pawtobiography”, the memoir of a celebrity dog called Ted (ghostwritten by a human, of course). It contains phrases like “We all love a lamppost.”
The pope had intended “Hope” to be published posthumously—perhaps even popes fear reviewers—but he has brought it forward because of “the needs of our times”. Less the “life story” promised by the blurb than a sermon, its evident aim is to make readers question such things as inequality, poverty and war. But “Hope” also raises other questions, such as: surely the pope can find a way to go out for pizza? Is it a good idea to have a book title that rhymes with your own title? And above all, what makes a good autobiography?
Bestseller lists offer some answers. They tend to feature lives that have gone very right or appallingly wrong (in the past couple of years two memoirs by Holocaust survivors, Elie Wiesel and Viktor Frankl, have been in America’s top ten). Or, better yet, both: the memoir of Matthew Perry, an actor who died of a drug overdose, sold well in 2023 and 2024. Mere fame is not enough, says Jonny Geller, a literary agent who represented John le Carré and Nelson Mandela: “It’s got to be a good story.”
This is tricky for a pope. Almost by definition, if you are a good candidate for the papacy, you are a bad one for biography. “I’m not sure it’s possible in that position to write a frank book,” says Robert Harris, a novelist, who was inspired by Pope Francis to write his novel “Conclave” (now a film). A great memoir should be “intimate, genuine and revelatory”, and that would “hardly be compatible with the job”. (…)
Part of the problem is that the pope did not use a ghostwriter, who might have taken more control. (Instead he worked with a co-author, Carlo Musso, an Italian writer.) This was a mistake. Holy fathers are better with holy ghosts. “People can be exceptional in certain fields,” says Mr Geller, “then write very wooden prose.” (…)
“Hope” still offers some nice moments. The pizza is one; Pope Francis’s refusal to wear the usual papal white trousers (“I don’t want to be an ice cream seller”) is another. But far too much of this is too abstract to be gripping. (…)
Even philosophers can be clear: Nietzsche’s autobiography has chapters called “Why I Am So Wise”, “Why I Am So Clever” and “Why I Write Such Good Books”. But Pope Francis’s chapters are vaguer. His introduction is titled “All Is Born to Blossom”—an ominous start. Things get little better from there. One chapter is called “Life and the Art of Encounter”; another is “I Am Just One Step”. Most feel like quotes from Paulo Coelho, an indecipherable Brazilian novelist, which have been translated by ChatGPT. (…)
One reason autobiography is so hard is that people assume it is easy: everyone thinks he is an expert about his own life. But as Robert Douglas-Fairhurst, a professor of English at the University of Oxford and author of his own memoir, “Metamorphosis”, points out, you are not. “The one person that you can’t watch is yourself.” You are your own “great blind spot”. (…)
The very best autobiographies do more: they take the humdrum daily detail of life, fillet, shape it and so, says Mr Douglas-Fairhurst, “redeem all that chaos”. The pope’s biography does not do this. It gives the reader a mass of detail: trousers, pizza, his parents’ first address. But it does nothing with this. As a result, this biography of a pope offers, ironically, no redemption—and precious little sense of the man himself. The devil, as always, is in the details. The pope, alas, is not. ■
https://www.economist.com/culture/2025/01/23/sex-drugs-or-chastity
Neue Zürcher Zeitung, 20 janvier, article payant
Pissoirs, Bananen und jetzt auch noch Sandalen – soll denn alles Kunst sein?
Der Gesundheitsschuh-Hersteller Birkenstock will seine berühmten Treter urheberrechtlich als Kunstprodukte schützen lassen. Etwas Nachhilfeunterricht zum Unterschied zwischen Kunst und Alltagsprodukten wäre angebracht, findet unser Kunstkritiker.
Extraits:
Dass Gegenwartskunst auf den Hund gekommen ist, denken vermutlich viele Zeitgenossen, die damit Verständnisprobleme haben. Dass sie nun aber auch auf die Schuhe kommt, ist doch einigermassen neu: Die Firma Birkenstock sieht ihre Sandalen von Nachahmern bedrängt und möchte sie per Gerichtsbeschluss über den ohnehin bestehenden Produkteschutz von 25 Jahren hinaus urheberrechtlich als Werke der angewandten Kunst schützen lassen. Mit diesem Status wären sie bis zu siebzig Jahre nach dem Tod ihres Erfinders, des noch lebenden Karl Birkenstock, vor Nachahmung geschützt. Eine coole Geschäftsidee, auf die die Schweizer Pharmaindustrie bisher noch nicht gekommen ist. Das Oberlandesgericht Köln hat dieses Ansinnen abgelehnt, die Firma hat den Fall vor den Bundesgerichtshof weitergezogen. Während der mit seinem abschliessenden Urteil auf sich warten lässt, kann man sich fragen: Was macht den Unterschied zwischen Kunst und anderen Objekten aus? Was ist Kunst heute?
Üblicherweise tauchen solche Fragen auf, wenn irgendjemand ein Kunstwerk zerstört hat, weil er oder sie es nicht als solches erkannt hat. Die Liste ist lang, Joseph Beuys ein beliebtes Beispiel. Da ist etwa die berühmte Fettecke in Beuys’ Atelier, die der Hausmeister der Kunstakademie Düsseldorf 1986, bald nach dem Tod des Künstlers, in einem Mülleimer entsorgt hat. In der Tate Modern warf eine Reinigungskraft 2004 einen durchsichtigen Plastiksack mit Zeitungen und Pappe weg, der vor einem abstrakten Gemälde stand, weil sie nicht erkannte, dass er Teil des Kunstwerks von Gustav Metzger war. Und Banksys Spraybilder im öffentlichen Raum haben von Bristol bis Melbourne einen schweren Stand und wurden mehrfach entsorgt.
Dass heute alles Kunst sein will, weil da im Top-Segment des Marktes Wahnsinnspreise erzielt werden, dass Designerläden Kleidung und Accessoires wie Kunstwerke in Vitrinen und auf Sockeln präsentieren, als wären sie Kunstobjekte, kann man schon bei einem banalen Schaufensterbummel durch die Zürcher Bahnhofstrasse sehen. Dass eine Firma aber ihre Massenware als Kunstprodukt, sozusagen als Multiple für die fussgeplagten Zeitgenossen, schützen lassen will, ist aber neu.
Von Kunst wird üblicherweise mehr und anderes erwartet als ein bequemes Fussbett und ein Muster auf den Riemchen. Wer sie praktiziert, hat meistens eine (Akademie-)Ausbildung durchlaufen. Er oder sie will unsere Wahrnehmung für Sachverhalte schärfen, die ihnen wichtig erscheint. Im besten Fall entwerfen Kunstschaffende eine eigene Welt, in der sich Aspekte unseres Alltags spiegeln. Und gerne interessieren sie sich für Ränder ihrer Gebiete. Schubladen sind nicht ihre Sache. So ist Gerhard Richters Werk auch deshalb so bedeutend, weil er einer der Ersten war, die Fotografien zur Grundlage ihrer Malerei machten und den gesellschaftlichen Moment in einer allgemeinen Aussage aufbewahrten. Sein Werk zu Baader und Meinhof, «18. Oktober 1977», ist nicht eine Bildreportage zu den letzten Tagen der Terroristen, sondern erweitert diesen Ausgangspunkt zu einer Aussage über die Bundesrepublik Deutschland. Obendrein erneuert es die abgelegte Gattung des Historienbildes. Es hat einen vielfachen ästhetischen Mehrwert.
Künstlern ist es übrigens häufig egal, ob der Markt und das Publikum ihre Arbeiten als Kunst betrachten, als Kunsthandwerk oder etwas anderes. Marcel Duchamp hat flapsig befunden: «Kunst ist alles, was ein Künstler macht.» Und hat mit der Erfindung des Readymades gleich die Probe aufs Exempel geliefert: Er signierte ein Pissoir und stellte es aus, montierte ein Velorad auf einen Hocker und stellte einen Flaschentrockner ins Museum. Maurizio Cattelan tat es ihm kürzlich mit einer Banane gleich, die er an die Wand klebte. Alles handelsübliche Massenware. Was sie zu (inzwischen hochdotierten) Kunstwerken macht, ist der Kontext, in dem sie geschaffen und zu Kunst erklärt wurden: Das Museum, die Ausstellung haben Definitionsmacht, der Akt des Ausstellens an einem solchen Ort wird zur entscheidenden Handlung, die einem Gegenstand andere Bedeutung gibt. Sie nimmt Bezug auf die Geschichte der Kunst, auf ihre Formen (im Fall Duchamp die Skulptur), ihre Rolle in der Gesellschaft und auf den Diskurs der Kunst.
Auch wenn sich in unseren hoch individualisierten liberalen Gesellschaften also kaum verbindlich sagen lässt, was als Kunst gilt und was nicht, darf man doch insgesamt festhalten: Wenn Kunst interessant sein soll, hat sie mit Freiheit zu tun, mit der Überschreitung von Grenzen, die in der jeweiligen Gesellschaft bestehen. Dafür wird sie in Deutschland vom Grundgesetz geschützt: «Die Kunst ist frei», heisst es da lapidar und in Erinnerung an den Nationalsozialismus. Diese Freiheit von Zwecken ist eine auf Kant und die Aufklärung zurückgehende Errungenschaft, mit der die sich formierende bürgerliche Gesellschaft Kunst aus dem Dienst von Adel und Kirche entlassen hat. (…)
Kunst ist in diesem Sinn der Zweckfreiheit ein Raum und ein Medium zur Befreiung, ganz gleich, ob von Formen, Materialien oder Themen. Ein Rembrandt hat 1632 mit seiner «Anatomie des Dr. Tulp» das kirchliche Verbot der Öffnung und Untersuchung toter menschlicher Körper nicht beachtet. Eine Eva Hesse hat in den 1960er Jahren Kunststoffe und andere Materialien verwendet, die in der Kunst bis dahin nicht vorgekommen waren. Ein Paul McCarthy hat die sexuelle Doppelmoral im puritanerhaften Amerika blossgestellt. Immer geht es um Öffnung der Wahrnehmung, um Erweiterung des Horizonts, um Vermehrung des Darstellbaren und Sagbaren.
Das können natürlich auch Schuhe leisten. Die Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim hat ein Paar weisse Stöckelschuhe zusammengebunden, umgedreht und die spitzen Absätze mit Papierkrausen versehen, wie man sie um Poulet-Schenkeli drapiert bekam. Die Vorarlbergerin Anne-Marie Jehle hat einem Damenschuh einen Absatz aus einem Rasierpinsel untermontiert. Beide Künstlerinnen spielen mit dem Frauenbild von Männern, thematisieren Gewalt, Unterwerfung und Schwäche. Sie lassen uns auch heute noch schmunzeln und freier atmen. Was man nicht kann, ist mit den Schuhen gehen. Mit ihnen beschuht man sich mental für eine andere Reise als den Weg vom Sofa in die Küche. Sie sind Ausdruck einer künstlerischen Haltung, sie sind unbestreitbar Kunstwerke. Dass Birkenstock seine Sandalen ihnen gleichstellen möchte, ist entweder ein skurriler Witz oder einfach dumm. Im letzteren Fall hätten die Anwälte des Freizeittreters nicht begriffen, zu welcher Reise Kunst uns einlädt.
https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst-am-fuss-ld.1866115
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18 janvier, article payant
Julia Schochs Trilogie: Der traurige DDR-Soldat im Birkenwald
So wie die Mauer ein Land teilte, teilte der Mauerfall Biographien: Julia Schoch beendet mit ihrem Roman „Wild nach einem wilden Traum“ ihre bewegende Trilogie „Biographie einer Frau“.
Extraits:
„Wild nach einem wilden Traum“ bewegt sich zwischen der Berliner Gegenwart, aus der sich die Ich-Erzählerin erinnert, und dem Jahr 2002, als sie, damals noch angehende Literaturwissenschaftlerin an der Universität, einen Sommer in einer amerikanischen Künstlerkolonie in den Catskill Mountains nördlich von New York verbringt. Und ausgerechnet hier, in den Wäldern der Appalachen, erinnert sie sich an eine längst vergangene Episode, als sie zu DDR-Zeiten als Offizierstochter in der Garnisonsstadt E. im Wald auf einen Soldaten traf, der eigentlich Gärtner war und die Literatur liebte und nicht so recht in die Kasernenwelt zu passen schien.
Auf knapp 180 Seiten entfaltet Julia Schoch ein Panorama von vierzig Jahren. Ohnehin schreibt die 1974 in Potsdam geborene Autorin ja nur vordergründig von sich, um in Wahrheit Material zu bergen, das den Blick auf eine ganze Epoche öffnet.
Erst jetzt, da der dritte und letzte Band von Julia Schochs „Biographie einer Frau“ vorliegt, zeigt sich die innere Mechanik dieser Trilogie. Darauf verweist in „Wild nach einem wilden Traum“ schon der erste Satz, der bei dieser Autorin ja immer einen kurzen Stromschlag auslöst: „Ich setze noch einmal an, an einem andern Punkt.“
Das Triptychon besteht also nicht aus Erzählungen, die aufeinander aufbauen, sondern aus drei verschiedenen Zugängen zu einem Leben, die nicht chronologisch erzählt werden, sondern stofflich und motivisch inspiriert sind und immer autofiktional. Die Schlüsselfrage lautet dabei nicht, wie so oft in diesem Genre: Wer bin ich? Sie lautet vielmehr: Wer bin ich im Verhältnis zu anderen? Auch deshalb erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin mal als Mutter, Tochter oder Schwester (Teil 1), mal als Mutter, Freundin oder Ehefrau (Teil 2) und nun im dritten Teil mal als Schülerin, Geliebte oder Mutter erwachsener Kinder, um nur einige ihrer Rollen zu nennen. (…)
So schlicht mitunter Schochs Prosa anmutet, ist sie doch alles andere als einfach. Denn Julia Schoch als Beobachterin des eigenen Lebens ist das Ich ihrer Geschichten und ist es zugleich auch nicht. Im ersten Teil der Trilogie, „Das Vorkommnis“, fällt nicht zufällig der Satz „Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie“. Und natürlich kennt sie das berühmte Zitat von Jonathan Franzen: „Je größer der autobiographische Gehalt im Werk eines Schriftstellers, desto geringer die oberflächliche Ähnlichkeit mit seinem eigentlichen Leben.“ (…)
Die große Geschichte, das Weltgeschehen, wird bei ihr nicht zum dekorativen Hintergrund einer intimen Selbsterkundung, sondern lauert immer und überall. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen, Gesellschaft und Einzelnem wird in vielen Details deutlich. Im aktuellen Band vor allem in den Szenen in der Garnisonsstadt E., die von der Militär- und Gewaltgeschichte der DDR bis in die Gegenwart reichen, als die Ich-Erzählerin befürchtet, dass ihr siebzehnjähriger Sohn der neuen Wehrpflicht unterliegen wird. Hier wird das pessimistische Geschichtsbild der Autorin greifbar. Sosehr wir auch glauben und hoffen, den Fortschritt zu erleben, am Ende erweist sich alles als Zirkelschluss, und wir sind wieder da, wo wir schon einmal waren. (…)
Erstaunlich ist, dass diese Erinnerungsprosa das Ungeheuerliche meist in aller Kürze entwirft. Im ersten Teil der Trilogie, „Das Vorkommnis“, genügen fünf Worte, um der Ich-Erzählerin den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Es ist der Satz einer Fremden: „Wir haben übrigens denselben Vater.“ Das bringt die Herkunftsfamilie aus dem Gleichgewicht und wirft die Frage auf: War sie je im Gleichgewicht? (…)
Auch im zweiten Teil, „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, geht Schoch dem Verlorenen nach, wendet es hin und her, schaut es an, um Klarheit in das Unbegreifliche zu bringen: das Ende einer Beziehung nach 31 Jahren, von der ersten Begegnung in der Plattenbauwohnung, als es noch Telefone mit Kabel gab und man auf dem Boden saß. Selbst da gab es schon Erinnerung, wenn das junge Paar nach Bukarest fuhr, um dort das verlorene Land seiner Kindheit wiederzufinden.
Die Zeit und wie sie vergeht, ist wohl einer der größten Unsicherheitsfaktoren bei Julia Schoch, die verheerendste Triebfeder für Enttäuschung und Erschöpfung. Davon und ob man sich dagegen wappnen kann, handelt nun „Wild nach einem wilden Traum“. So kann man diesen Abschlussband auch isoliert lesen, aber das Vergnügen steigt, wenn man die beiden vorangegangenen Titel kennt. Zumal der Zugriff aufs „Ich“ bei Julia Schoch noch einmal eine andere Dimension erfährt.
The Economist, 18 janvier, article payant
Many happy returns? What firms are for
The framework for thinking about business and capitalism is hopelessly outdated, argues a new book
The Corporation in the 21st Century. By John Kay. Yale University Press; 448 pages; $35. Profile; £25
Voir « Article du Jour » ici : https://kinzler.org/wp-content/uploads/2025/01/18-janvier-2.pdf
Link : https://www.economist.com/culture/2025/01/16/what-firms-are-for
Neue Zürcher Zeitung, 15 janvier, article payant
In der Schweiz galt Ernst Ludwig Kirchner erst nicht als Künstler
In den Bündner Bergen mutierte er vom Maler der Kokotten zum Bauernmaler. Dennoch wurde sein expressionistischer Stil in der Schweiz kritisiert. Als Reaktion gründete Kirchner mit ein paar Künstlerfreunden im Tessin die Gruppe «Rot-Blau». Zu deren Hundert-Jahr-Jubiläum zeigt das MASI in Lugano bedeutende Werke der Künstlergruppe.
Extraits :
Vor ziemlich genau hundert Jahren konnte man in der NZZ eine deftige Polemik gegen den expressionistischen Künstler Ernst Ludwig Kirchner lesen. Anlass war eine Ausstellung in der Basler Kunsthalle. Der Kunstkritiker der NZZ fand, Kirchner habe «viel Unheil» unter den jungen Basler Malern angerichtet. «Nach Scherer ist ihm nun auch Werner Neuhaus verfallen . . . Alle diese Kirchner-Epigonen mögen bedenken, dass Kirchner kein ursprünglicher Künstler ist und darum kein Ausgangspunkt für eine fruchtbare Entwicklung sein kann . . .»
Ernst Ludwig Kirchner sah sich nicht zum ersten Mal im Fegefeuer der Kritik. Dennoch erstaunen die Zeilen in der NZZ zu Kirchners Einfluss auf ein paar Basler Kunstschaffende, die an der traditionellen Kunsthallen-Ausstellung zum Jahresende ausstellten. Kirchner hatte selber nicht einmal daran teilgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich aber immerhin bereits einen festen Platz unter renommierten Kunstsammlern erobert. Er war der Protagonist des deutschen Expressionismus schlechthin, Gründungsmitglied der Künstlergruppe «Brücke» und bekannt für seine dynamischen, vibrierenden Grossstadtbilder. Was also war geschehen?
Im Jahr 1917 zog sich Kirchner, traumatisiert vom Kriegsgeschehen und gezeichnet von schwerer Krankheit, von Berlin zu einem Kuraufenthalt nach Davos zurück. Allerdings bezog er nicht eines der mondänen Luxussanatorien, die zu dieser Zeit aus dem Boden schossen, sondern die oberhalb von Davos gelegene Stafelalp. Es sollte wohl so etwas wie eine Rosskur werden.
Abseits von Ablenkungen und Ausschweifungen wollte sich Kirchner von Alkohol und Morphium lösen. «Gesunden oder Sterben» war seine Devise. In der Höhenluft und der Abgeschiedenheit stabilisierte sich sein Zustand, und ab 1920 widmete er sich wieder intensiver der Malerei.
Der Bruch allerdings war hinsichtlich seiner bisherigen Motive radikal. Der einstige Maler der Kokotten und Galane mutierte in den Schweizer Bergen zum Landschafts- und Bauernmaler. Seine Farbpalette behielt er bei, sie wurde jetzt sogar noch intensiver, noch leuchtender, noch bunter! (…)
Kirchner wollte den Augenblick, die Stimmung, den psychologischen Kern eines Moments zum Ausdruck bringen. Angesichts der grandiosen Natur taucht der Maler die Alpenlandschaft in ein glühendes Feuerwerk von Farben. So auch im Bild «Davos im Winter», in dem der Weltkurort im Tal zu einer Siedlung schrumpft, umfangen von den hoch in den Himmel ragenden Gebirgsketten. (…)
Kirchner, durchaus geschmeichelt von der Begeisterung seiner Anhänger, schart die jungen Künstler um sich, unterstützt sie in ihren Arbeiten und gibt Rat. Eine Einzelausstellung Kirchners 1924 in Winterthur entwickelt sich dann jedoch zum Debakel. Gelbe Kühe, rote Tannen, grüner Mond – Kirchner stellt mit seinen explosiv wirkenden Bildern die Kunstwelt auf den Kopf. Die Ausstellung erntet in der Öffentlichkeit nur Spott und Hohn. In der Kunstszene herrscht allgemeine Krisenstimmung. (…)
Lange kann sich die Gruppe nicht behaupten: Nach dem frühen, krankheitsbedingten Tod von Hermann Scherer und Albert Müller wird die Gruppe bereits 1927 wieder aufgelöst. Der Expressionismus aber hat begonnen, in der Schweiz Fuss zu fassen. Rechtzeitig zum Hundert-Jahr-Jubiläum der Künstlergruppe ist jetzt eine Schau zu diesem Kapitel Kunstgeschichte im MASI in Lugano zu sehen.
Zusammengestellt wurde eine Auswahl von zehn grossen bis mittelgrossen Gemälden Kirchners aus der Zeitspanne von 1918 bis 1926. Diesen Gemälden werden zehn Arbeiten von Kirchners Malerfreunden – den Mitgliedern der Gruppe «Rot-Blau» – gegenübergestellt.
Kirchners «Bauernmittag» ist ebenso dabei wie «Davos im Winter». Aber auch das ausdrucksstarke Doppelbildnis mit dem Titel «Vor Sonnenaufgang» (1925/26). Der Maler zeigt sich hier mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling auf der Veranda ihrer Unterkunft stehend, versonnen das Naturspektakel, den Aufgang der Sonne, beobachtend. (…)
Am 2. Dezember 1926 findet man Ernst Ludwig Kirchner mit folgenden Worten in der NZZ zitiert: «Man frage nur irgend einen der Jungen, ob ich nicht stets die eigene Individualität des Einzelnen als erstes Erfordernis für das Schaffen betone. Für uns ist die Natur und das eigene Erlebnis der Lehrmeister, nicht Kunstwerke, sie mögen sein, vom [sic] wem sie wollen.»
Nach Auflösung der Gruppe wird sich Kirchner auf seine eigene Kunst konzentrieren. Aus seiner Depression wird er nie wieder ganz herausfinden. Als in Deutschland die Nationalsozialisten auf den Plan treten, beschlagnahmen sie auch das Gemälde «Bauernmittag»; es wird zur Ikone der sogenannten entarteten Kunst. Verfemt und von Krankheit geplagt, begeht Ernst Ludwig Kirchner 1938 in Davos Suizid.
Le Figaro, 14 janvier, article payant
« Paris 1793-1794 », une exposition soignée mais édulcorée sur la Terreur
Le Musée Carnavalet revisite ce moment de notre histoire où la République trébuche d’entrée sur ses propres idéaux.
Extraits :
Quatre-vingt-treize. La date suffisait à saisir d’effroi le lecteur de Victor Hugo. Paris vacille alors entre rêves d’égalité intégrale et lame de la guillotine, entre utopie et coercition. Le Musée Carnavalet replonge dans ces mois intenses et suspendus sous l’angle de la vie quotidienne et de l’émotion des Parisiens. Le parcours est riche et classique : plus de 250 œuvres, dont une réplique du Marat assassiné de David, témoignent de cette Convention qui tâtonne puis s’embourbe dans la violence. Une Marseillaise guillerette en musique d’ambiance, on raconte comment les habitants des faubourgs sont sommés de porter la cocarde révolutionnaire, d’afficher leur identité à la façade de leur immeuble. Une société de délation se met en place, pour un kilogramme de sucre vendu au-delà du prix réglementaire, pour un dessin trop avantageux pour le roi. Une centaine de prisons fleurit dans la capitale, et on célèbre l’Être suprême dans des rues quadrillées par une surveillance oppressante.
L’exposition surprend pourtant par les distances confondantes qu’elle prend avec la notion de Terreur. Les panneaux de salle et les cartels usent à l’envi du « mais », comme si l’on ne se satisfaisait jamais de ce que l’histoire a retenu et malgré les innombrables travaux sur l’hubris généralisée du moment. Le mot « Terreur » a été, nous dit-on, « fabriqué pour des raisons politiques », et l’année du printemps 1793 à l’été 1794 doit aussi être vécue comme « un temps d’utopie et d’expériences politiques qui font brèche à la désespérance ». Les heureux exemples manquent… Certes, on détruit (ou on vole) partout les signes de l’Ancien Régime, mais « beaucoup d’autres sont protégés » (dans quelle proportion ?), et les saccages « reconfigurent le décor de Paris ». Certes, les Sœurs de la charité préexistaient aux « citoyennes de secours », mais c’est seulement alors que « l’assistance publique devient un droit ».
L’exécution de Marie-Antoinette et la mort du Dauphin sont, elles, parfaitement présentées, ainsi que l’onde de choc qui les accompagne dans la population. On signale que lorsque Thermidor arrive, on « cherche des coupables », et que Robespierre et ses proches deviennent « les cibles prioritaires [d’une] campagne d’épuration et de dénigrement, au cours de laquelle naissent mille légendes ». Mais nulle insistance sur les dizaines de milliers de morts : on se borne à rappeler que, pendant la période, les mesures d’exception « pèsent lourdement sur les vies collectives et individuelles ». La Terreur, héritage contrasté ? Les euphémismes ne feront jamais une vérité historique.
« Paris 1793-1794. Une année révolutionnaire », jusqu’au 16 février 2025. Musée Carnavalet, 23, rue de Sévigné, 75003 Paris ; carnavalet.paris.fr ; 01 44 59 58 58.
Neue Zürcher Zeitung, 12 janvier, article payant
Man muss sich weit von der Erde entfernen, um sie noch einmal neu entdecken zu können
Samantha Harvey schickt in ihrem Roman «Umlaufbahnen» sechs Menschen in den Weltraum und öffnet den Lesern die Augen für eine gefährdete Schönheit.
Extraits :
Endlich frei sein, endlich nichts mehr mit Katastrophen und Kriegen zu tun haben, endlich die Erde hinter sich lassen, sie allenfalls aus der Ferne betrachten. Wer hätte nicht schon einmal dieses Sehnen empfunden, wissend, dass es sich dabei um eine blosse Tagträumerei handelt? Die englische Autorin Samantha Harvey gibt sich mit solchen kleinen Fluchten nicht zufrieden. Ihr fünfter, vor kurzem mit dem Booker Prize 2024 ausgezeichneter Roman «Umlaufbahnen» macht aus Wünschen Ernst und gibt sechs Menschen, sechs Astronauten, die Möglichkeit, sich neun Monate lang im wahren Wortsinn über die Erde zu erheben.
Vier Männer und zwei Frauen – die Britin Nell, der Amerikaner Shaun, der Italiener Pietro, die Japanerin Chie und die Russen Anton und Roman – verbringen ihr Leben in einer Raumstation, einer «Sardinenbüchse», die der International Space Station nachempfunden ist. Mit einer Geschwindigkeit von 28 000 Kilometern in der Stunde umkreist die «fliegende Familie» die Erde, sechzehn Mal an einem Tag, was ihr sechzehn Sonnenaufgänge und sechzehn Sonnenuntergänge beschert.
Nur diesen einen Tag schenkt Samantha Harvey ihren Figuren und ihren Lesern – vierundzwanzig Stunden irdischer Zeitrechnung, die angefüllt sind mit Aufgaben, die die Besatzung zu erledigen hat. Man analysiert Mikroben, experimentiert mit Mäusen, führt Protokolle aller Art, unternimmt Weltraumspaziergänge, hütet sich, Flüssigkeiten – auch keine Tränen – abzusondern, treibt ausgiebig Morgensport und versucht mit dem eingeschränkten Nahrungsangebot zurechtzukommen. (…)
Samantha Harvey hat einen staunenswerten, brillanten und mutigen Roman geschrieben, der mit spielerischer Leichtigkeit davon Zeugnis ablegt, was die Uraufgabe von Literatur ist: sich fremde Sphären anzueignen und an diesem Akt der Imagination teilhaben zu lassen. (…)

Harveys Roman, der gar nichts von herkömmlicher Science-Fiction an sich hat, braucht keinen Plot, um in Bann zu ziehen. Allenfalls ein schwerer Taifun, der sich über den Philippinen zusammenbraut, reisst die Weltraum-Reisenden aus ihrem staunenden, ziellosen Schauen heraus. Pietro hat dort seine Flitterwochen verbracht und sorgt sich um die Fischer, die er damals kennenlernte. Werden sie dem Wirbelsturm entkommen? Eine Möglichkeit des Eingreifens ist ihm und seinen Mitstreitern verwehrt. Distanz führt jedoch nicht zur Empathielosigkeit.
Die Routinen der wissenschaftlichen Aufgaben werden von dem Glück begleitet, dass die Forscher sich dem Zauber der Erde und ihrer entrückten Schönheit hingeben können. Samantha Harvey findet dafür grossartige Bilder, die heftige Emotionen spiegeln, dabei erliegt die Autorin an keiner Stelle der Gefahr, in Nature-Writing-Kitsch zu verfallen. Denn der entzückte Blick auf diesen einzigartigen blauen Planeten legt zugleich dessen Verletzbarkeit offen, er ist bestimmt von der Einsicht, dass der Mensch nie von seinem Bestreben, zu prägen und zu gestalten, ablassen wird. (…)
So ist dieser Roman voller dichter sinnlicher Eindrücke, die neue Sichtweisen eröffnen. Er reflektiert in einem Atemzug den Glauben an eine göttliche Schöpfung und die Abläufe des Urknalls, und er spielt mit Motiven der Kunst. Naheliegend ist es, an Virginia Woolfs «Die Wellen» zu denken, an einen Roman mit sechs Akteuren und einer erzählten Zeit von einem Tag.
Gleich zu Anfang erinnert Samantha Harvey an das Gemälde «Die Hoffräulein» des Spaniers Diego Velázquez. Welche Perspektiven dieses einnehme, was es zeige und nicht zeige, wurde in der Kunstgeschichte unzählige Male erörtert. Der Reiz solcher nie an ein Ende kommenden Betrachtungen liegt in Velázquez’ Bild und auf ganz andere Weise in Samantha Harveys beglückend grossartigem Roman.
Samantha Harvey: Umlaufbahnen. Roman. Aus dem Englischen von Julia Wolf. DTV, München 2024. 224 S., Fr. 33.90.
Le Point, 23 décembre, article payant
La gastronomie, une exception française
À TABLE ! Le critique, le théoricien et le cuisinier-artiste : tel est le triptyque idéal de la culture du bien manger. Mais pourquoi donc est-elle née en France ?
Extraits:
Malgré les incertitudes liées aux temps troublés que nous vivons actuellement, une image demeure en France comme à l’étranger : notre pays serait celui de la gastronomie. En 2010, l’Unesco s’en est même mêlée en inscrivant le « repas gastronomique des Français » sur la liste représentative du patrimoine culturel immatériel de l’humanité. Nous entendons par là non pas celui qu’on se paie au restaurant pour les grandes occasions et qui est préparé sous l’égide d’un chef « étoilé » (une invention française, celle du Guide Michelin, datant de 1926), mais celui que tout Français digne de ce nom est capable de mettre sur pied en suivant un rituel souple et, néanmoins, structuré.
Au XXIe siècle, plusieurs enquêtes d’opinion ont mis en lumière la forte résistance du repas à la française, un phénomène qu’on ne retrouve pas dans les pays voisins, mais ce constat s’est perdu dans le brouhaha des polémiques sur un éventuel déclin du modèle français. Pour éclairer ce que l’on met aujourd’hui derrière ces mots, essayons de revenir à quelques fondamentaux. (…)
C’est en effet dans ce pays, la France, que sont apparus les restaurants, un nom très moderne pour désigner un lieu où l’on propose une alimentation qui « restaure » notre organisme et un projet qui ne l’est pas moins, celui d’offrir le cadre, le service, la cuisine et la cave d’une grande maison privée en échange non pas d’une invitation de pair à compagnon mais d’argent. On est dans les années 1770, donc avant la fin de l’Ancien Régime. (…)
Au sommet du système, la figure la plus originale, celle du cuisinier-artiste. Elle s’identifie dès les années 1820 à Marie-Antoine Carême, pour qui l’anoblissement passe aussi bien par l’invention de la toque que par de constantes références aux beaux-arts. Plus tard, Auguste Escoffier pourra asseoir à l’échelle mondiale un véritable impérialisme français où à l’organisation rationnelle des cuisines répond l’individualisme de l’innovation culinaire. Insistons sur ce point : c’est sans doute là, dans la revendication d’une cuisine signée – soutenue par les flancs-gardes que sont le critique et le théoricien –, que se situe la contribution mondiale du modèle français. À ce stade, il est facile de définir ce mot redoutable et souvent mal compris : la gastronomie est, tout simplement, la culture du manger et du boire. (…)
À l’entrée du XXIe siècle, la gastronomie française fait l’objet des mêmes préoccupations que tous les autres secteurs de notre vie en société. Dès lors, cela n’a rien d’étonnant à ce qu’un mot les unifie presque toutes : identité. Le débat est vif autour de la survie des traditions culinaires face à une cuisine « moderniste », d’une cuisine nationale à l’heure de la mondialisation, d’une cuisine « genrée » à l’heure de la parité. Mais c’est encore la manière dont le système gastronomique français s’accommode de ces nouveaux défis qui témoigne de sa capacité à intégrer le changement. (…)
Au vrai, l’attraction française continue à opérer sur de nombreux jeunes chefs étrangers, au premier rang desquels les Japonais. Alors, il est plus facile de diagnostiquer la vague montante des influences étrangères encouragée par les échanges internationaux : l’évolution des cartes montre que la jeune génération de cuisiniers qui officient aujourd’hui en France a appris à jongler avec les produits, les recettes et les manières de faire du monde entier, mais toujours pour en faire des créations originales. (…)
Jusqu’à récemment, le partage « genré » se faisait très simplement : aux femmes la cuisine privée, aux hommes la cuisine publique – transposition dans l’univers gastronomique de la séparation qui a longtemps confiné les femmes en dehors du champ des institutions, qu’elles soient politiques, économiques ou culturelles. Tout, sur ce plan, est en train de basculer. Et il n’est pas sans intérêt de noter que le premier domaine de la gastronomie qui, sous nos yeux, se féminise à grande vitesse est celui du vin, avec notamment des femmes vigneronnes, œnologues ou sommelières. (…)
Mais c’est dans l’assiette comme dans le verre qu’on vérifiera – ou pas – si les hypothèses un tantinet essentialistes selon lesquelles le féminin apporterait en tous lieux où il s’impose la dimension du care, de l’empathie, se traduisent bel et bien par un primat de l’éthique, dimension sensible car les postulats écologiques et animalistes ont longtemps été étrangers au monde des cuisines. Ce qui demeure certain, c’est que, quelles que soient les nouvelles valeurs qui présideront à l’avenir dans la culture française du manger et du boire, celles-ci ne devraient pas conduire à mettre en cause ce qui en fait depuis deux siècles la réputation : l’éloge de la création et, surtout, la prise au sérieux des enjeux du passer à table.
* Pascal Ory est professeur émérite d’histoire à l’université Paris-1 (Panthéon-Sorbonne). Il est l’auteur, entre autres, du Discours gastronomique français, des origines à nos jours (Gallimard, 1998).
https://www.lepoint.fr/gastronomie/la-gastronomie-une-exception-francaise-03-12-2020-2404004_82.php
Wall Street Journal, Book Review, 21 décembre, article payant
Fiction: ‘The MANIAC’ by Benjamín Labatut
‘The Pole’ by J.M. Coetzee.

Extraits:
The great man interpretation of history is making a resurgence, though in place of the usual statesmen and generals a new crop of destiny-makers has arisen: scientists and tech pioneers. Following close after Christopher Nolan’s marathon biopic on J. Robert Oppenheimer and Walter Isaacson’s hagiography of Elon Musk appears Benjamín Labatut’s darkly absorbing novel, “The MANIAC,” which proposes a lesser known candidate for the pantheon of world-changing demigods: John von Neumann (1903-1957), the Hungarian-born polymath who established the mathematical framework for quantum mechanics, founded the field of game theory, was integral in the Manhattan Project and, most ominously to Mr. Labatut, made the first serious advances into the creation of artificial intelligence.
Mr. Labatut, a Chilean who has also lived in Europe, will be known to American readers for his unlikely breakthrough “When We Cease to Understand the World” (2021), a collection of essays and fictions about 20th-century scientific trailblazers such as Fritz Haber and Werner Heisenberg. Though grounded in fact, these pieces read like works of Gothic horror, depicting geniuses driven to insanity by the ramifications of their discoveries. “The MANIAC” continues the nightmarish portrayal of modernity, opening with a prelude about the 1933 suicide of an Austrian physicist, Paul Ehrenfest, whose despair was spurred by the quantum revolution, in which a coherent model of the physical world was replaced by impossibly complex mathematics, a regime change that simultaneously unveiled the secret processes of the universe and rendered its meanings altogether opaque. (…)
Mr. Labatut stresses an inherent continuity between thermonuclear weapons and AI, both staggering innovations that pose existential threats to humanity. Von Neumann, in this telling, is another Dr. Frankenstein, but it is only after his death that his digital progeny slouch toward Silicon Valley to be born. The novel ends with a coda set in 2016 that dramatizes the victory over the grandmaster of Go, the world’s most complicated board game, by AlphaGo, a computer program trained through machine learning—a Pyrrhic triumph of “pure calculation” over human artistry and intuition.
It all makes for a brooding, heady narrative that is addictively interesting and, at times, somewhat troublingly unreliable. (…) But while the streamlined story arc he fashions—this is essentially an age-old cautionary tale of scientific progress run amok—makes “The MANIAC” highly readable, it brooks very little uncertainty or nuance. A bit of a Dr. Frankenstein himself, Mr. Labatut arrogates the power to imagine the innermost thoughts of real people, and he has shaped those thoughts to conform to a portentous vision of spiritual terror. The science and biography lend a veneer of factual validity to what is really a work of fantasy. Certainly read this gripping, provocative novel—but read it with utmost skepticism.(…)
https://www.wsj.com/arts-culture/books/fiction-the-maniac-by-benjamin-labatut-c54ad210
The Economist, 19 décembre, article payant
Charlemagne : We need to talk about Europe’s Kevins
How an American name became a European diagnosis
Extraits:
(…) To grow up with the name in Europe has not been an altogether easy experience. Being a Kevin came to be seen as a sign that one hails from the great cultural unwashed, at least in the eyes of sophisticated types who claimed to be more familiar with the names of characters in Victor Hugo or Hermann Hesse than those in American pop culture. (Kevin is of Irish origin but is more common across the Atlantic.) Now in their 30s, Europe’s Kevins have put up with a torrent of bourgeois snootiness. Was it the kid from “Home Alone” they were named after? Or Kevin Costner, whose hit film “Dances with Wolves”was also out at that time? Or perhaps one of the Backstreet Boys, early 1990s heart-throbs? (Or elsewhere: the French had discovered the name by 1989.)
Whatever the reason, in England “Kev” has become a synonym for working-class wastrel, a denigration as severe as being a Karen in America. Germans speak of Kevinismus, or the plight of prejudice felt by those bearing the name; a Kevinometer app helps parents avoid giving their kid a name that sounds great today but will come to be seen as a marker of poor parental taste come 2040. So bad is the name’s reputation there that a German wag once summarised the existential angst of bearing it: “Kevin is not a name, it’s a diagnosis.” Studies that seek to establish whether employers or potential dates discriminate against certain types of job applicants often focus on two male names, Muhammad and Kevin. Bigotry against Muhammads is considered poor form these days. For Kevins, it remains open season.
The urbane pomposity towards European Kevins is in part a reaction to the upper classes having themselves been snubbed. Tradition in many parts of the continent once dictated that names should cascade down the social ladder: blue-bloods would innovate with newfangled forenames, which the merely well-heeled would then adopt before the plebeian underclass was allowed to recycle them. But in the 1980s, those at the bottom of the totem pole started to balk at such nomenclaturic hand-me-downs. To plump for Kevin was a mark of social emancipation, of the downtrodden refusing to play the role elites had ascribed to them. (…)
Some Kevins have found fame and fortune, often in fields the elites consider beneath them. A Dutch rapper born in 1994 defiantly goes by his first name alone. The Kevins Behrens and De Bruyne, both born in 1991, are star footballers for Germany and Belgium respectively. Since 2022 two Kévins, accent and all, sit in the French parliament, the subject of much sniggering at the time. They are MPs for the National Rally, a party whose migrant-bashing rhetoric has attracted plenty of blue-collar voters (its leader is himself a Jordan, born in 1995). Whether in hardscrabble northern France or Saxony in Germany, Kevins are most prevalent in the “left behind” places where the hard right has thrived.
Given how its popularity cratered in the 1990s, Kevin is itself a “left behind” name. Having topped the charts in France until 1994, it is no longer in the top 500 given names. But visit a European registry office today and you might conclude Kevins were merely forerunners. Anglo-Saxon names are everywhere. Noah, the English spelling of a biblical name, is the most common boys’ name in Germany today. Liam, a Britpop staple, is popular in France and Spain. Polish parents are naming kids Alan or Amelia, while Emma is ubiquitous from Spain to the Netherlands. For decades Europe has mocked its Kevins. It may be they will have the last laugh. ■
https://www.economist.com/europe/2024/12/19/we-need-to-talk-about-europes-kevins
L’Express, 17 décembre, article payant
Lendemain, licorne, tante… Petite histoire des “mots soudés”
Sur le bout des langues. Nous ne nous en rendons pas toujours compte, mais de nombreux termes de la langue française sont issus de la jonction de plusieurs mots différents. Et parfois de manière extravagante…
Extraits:
C’est le genre d’histoire que j’adore. Savez-vous qu’une licorne s’appelle ainsi à la suite d’une double erreur? Eh oui! Cet animal fabuleux se nommait en latin unicornis, autrement dit “doté d’une seule corne”. Seulement voilà : au fil du temps, notre “unicorne” a été comprise comme l’article indéfini “une” suivi du nom “icorne” : “une icorne”. Dans la foulée, on a donc “logiquement” créé “l’icorne”, avec un article défini. Première erreur! Mais on ne s’en est pas tenu là. Un peu plus tard, on a perdu de vue qu’il s’agissait de deux mots séparés pour les rassembler en un seul : “l’icorne” est alors devenue “licorne”, d’où “la licorne”! (…)
C’est là une illustration amusante du destin de certains termes que l’on appelle les mots soudés. On les emploie tous les jours sans y prendre garde, en oubliant qu’à l’origine, ils se composaient de deux vocables différents. Et pourtant, ces agglutinations, comme disent aussi les linguistes, se rencontrent fréquemment, vous allez le voir.
Certains présentent tous les dehors de l’évidence. “Bonjour” correspond bien sûr à une composition associant “bon” et “jour”. “Bonhomme” à l’union de “bon” et d'”homme”. Il en va de même pour “adieu”, “entracte”, “madame”, “portefeuille”, etc.
D’autres ont été légèrement déformés par le temps et sont un (tout petit) peu plus difficiles à reconnaître. “Naguère” correspond ainsi à la soudure de l’expression “n’a guère” (il n’y a pas longtemps); “gendarme” à la liaison de “gens” et “d’arme”, et “vinaigre” à celle de “vin” et d'”aigre”. Dans ce dernier exemple, c’est la prononciation qui a changé, puisque l’on ne prononce pas “vin” “aigre”, mais “vi-naigre”. Au départ, pourtant, il s’agissait bel et bien d’un vin aigri par la production de l’acide acétique.
D’autres encore supposent de réelles connaissances linguistiques pour être reconstitués. Jugez plutôt :
L’expression “être dupe” est la contraction de “de” et de “huppe”, ce terme désignant un passereau réputé stupide. Terme argotique à l’origine, il a accédé par la suite à la langue littéraire avec le sens de “crédule”, “naïf”, “niais”, acceptions que l’on retrouve aussi dans “plumé” et dans “pigeon”. Pauvres piafs!
“Jadis” est l’évolution de l’ancien ja a dis,dis faisant référence aux jours (comme dans lundi, mardi, mercredi, tous issus du latin diem). Il faut donc comprendre “il y a déjà plusieurs jours”.
Plus extravagant encore : comme notre licorne, certains mots soudés résultent de “mécoupures” totalement rocambolesques. En clair : des erreurs dans la transcription écrite du découpage des sons que l’on entend à l’oral. Jugez plutôt.
On l’ignore souvent, mais “le lendemain” est un effroyable pléonasme! En effet, on a affaire ici à l’agglutination de l’article “l'” et du mot “endemain”. C’est à force d’effectuer la liaison que l’erreur a été commise. “L’endemain”, qui se suffisait à lui seul, a fini par être perçu comme un vocable en soi, si bien que l’on a éprouvé le besoin de le faire précéder d’un “le” superfétatoire. Un peu comme si l’on disait “le lavion” ou “le lorage”…
Même phénomène pour le lierre, qui s’écrivait au Moyen Age iereou ierre. Ce mot est en effet issu du latin hederaet devrait donc s’écrire “l’ierre”. Notons au passage que le vocable a également changé de genre, puisqu’il était au départ féminin.
“Tante” est la contraction de l’ancien français ta ante, ante (sans le “t” initial) désignant la soeur du père ou de la mère (on le reconnaît facilement dans l’anglais aunt).
Erreur encore pour “l’alaise” (on peut écrire aussi “l’alèse”) puisqu’il s’agit en fait de la laize, ce dernier mot ayant au départ le sens général de “largeur”, et notamment de “largeur d’étoffe”. C’est en raison d’une mauvaise interprétation que la laize est devenue “l’alaise”…
Il en va de même pour “la griotte”, qu’il faudrait en fait écrire “l’agriotte”, puisque le terme provient du provençal agriota(cerise aigre).
C’est aussi probablement le cas de “la boutique”, que l’on suppose venir du grec apothêkê(lieu de dépôt, magasin de vivres), l’aboutiquedevenant au fil du temps “la boutique”. On retrouve d’ailleurs le mot originel dans “apothicaire”, création tardive du XIIIe siècle.
Autant de bizarreries qui, selon certains, justifieraient une sérieuse réforme de notre orthographe, mais qui, selon d’autres, contribuent au contraire à faire le charme de l’alangue française…
Source : Dictionnaire historique de la langue française, éd. le Robert.