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Neue Zürcher Zeitung, 1 mai
Vincent van Gogh und Anselm Kiefer sind Seelenverwandte. Beide suchen das Unmögliche in ihrem Werk
Anselm Kiefer fand als Erstes in den Niederlanden Anerkennung. Und sein Held war schon als Teenager Vincent van Gogh. Zu Kiefers 80. Geburtstag richtet Amsterdam dem deutschen Berserker der Nachkriegskunst eine Retrospektive gleich in zwei Museen aus.
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Anselm Kiefers Werk ist eine monumentale, sperrige und nicht zuletzt auch düstere Materialschlacht. Die erdrückende Last seiner Kunst rührt von der für Kiefer nie vergehenden Vergangenheit her. Tonnenweise hat der deutsche Künstler deutsche Kriegsschuld auf seine Werke geschichtet. Kiefer, das war und ist manchen etwas zu viel. Kein Wunder, braucht es jetzt in Amsterdam für die Retrospektive zum 80. Geburtstag dieses Berserkers der Nachkriegskunst gleich zwei Museen: Dessen riesige Gemälde drohen auch noch die lichtesten Ausstellungsräume zu erdrücken.
Die Schau erstreckt sich vom Van-Gogh-Museum bis in die Räume gleich nebenan im Stedelijk-Museum. In dessen Sammlung befinden sich bedeutende Werke Kiefers, der als Erstes nicht in seiner Heimat, sondern in den Niederlanden Anerkennung fand. Darum also eine Retrospektive in Amsterdam. Warum aber auch im Van-Gogh-Museum?
Diesen finsteren Giganten der Gegenwartskunst über einen Künstlerstar wie Vincent van Gogh zu vermitteln, ist gewiss eine gute Idee. Anselm Kiefer aber zusammen mit der berühmten wie tragischen Künstlergestalt zu zeigen und damit einem breiteren Publikum zu erschliessen, liegt auch noch aus einem anderen Grund auf der Hand. In Vincent van Gogh hat Anselm Kiefer einen Seelenverwandten gefunden. Das niederländische Künstlergenie war für den Deutschen die grosse Inspirationsquelle. Das macht jetzt die Doppelausstellung in Amsterdam mehr als deutlich.
Sonnenblumen im Blow-up-Format
Anselm Kiefer hat van Gogh oft kopiert. Allerdings immer in Blow-up-Format. So lässt er jetzt auf einem raumhohen Gemälde eine riesige schwarze Sonnenblume ihren Kopf über die Besucher hängen. Daneben öffnet sich auf einem monumentalen Querformat ein weites, ödes Feld, das von einer staubigen Landstrasse durchfurcht wird. Man wähnt sich unter der sengenden Sonne von Südfrankreich, wo van Gogh seine halluzinierenden Landschaften auf die Leinwand gebannt hatte. Mit markanten, schwarzen Spuren von Ölfarbe im Himmel-Grund aus Blattgold tönt Kiefer die Krähen an, die bei van Gogh über einem leuchtend goldenen Kornfeld einen delirierenden Totentanz vollführen.
«Die Krähen» heisst das riesige Bild von 2019 bei Kiefer. «Krähen über Weizenfeld» lautet der Titel des im selben Raum gezeigten Gemäldes von van Gogh. Es soll sein letztes Werk gewesen sein, bevor er sich am 27. Juli 1890 eine Kugel in die Brust schoss.
Daneben sind ein paar zerschlissene Schuhe zu sehen – ein kleines Bild von magisch beseelter Präsenz, das fast wie ein Porträt anmutet. Es ist wohl das Schuhwerk einer Bäuerin, von van Gogh gemalt 1886 noch ganz im Stil seiner holländischen Periode, die von Braun-, Grau- und Schwarztönen bestimmt war. Jetzt in der Kiefer-Schau glaubt man in diesen geschundenen Schuhen unweigerlich das Resultat langer und strapaziöser Erkundungen in den schrundigen Weiten von Anselm Kiefers rauer Landschaftsmalerei zu erkennen.
Van Gogh hat sich für seine Kunst aufgerieben. Er ist selber verblüht wie eine Sonnenblume – oder verglüht wie es einst dem Gestirn beschieden sein wird, dem der Name dieser Pflanze seine Reverenz erweist. Ein anderes kleines Bild – «Sunflowers gone to seed» von 1887, fast schon ein symbolisches Selbstporträt – nimmt das tragische Ende vorweg. Es zeigt die welkenden, abgeschnittenen Köpfe von Sonnenblumen: die Vergänglichkeit des Lebens. Für Vincent van Gogh wie auch für Anselm Kiefer symbolisiert die Sonnenblume den ewigen Zyklus der Natur.
Dazu Kiefer: «Die Sonnenblume steht mit den Gestirnen in Verbindung, denn sie wendet ihren Kopf zur Sonne hin. Und in der Nacht ist sie geschlossen. Sie explodiert in phantastischem Gelb: Und das ist bereits der Punkt ihres Niedergangs. Deshalb sind Sonnenblumen ein Symbol unserer Condition d’être.» Unter seiner riesigen Sonnenblume von 1995 hat sich der Deutsche selber in der Totenstellung wiedergegeben, in der die Seele des Yogi eins wird mit der Natur.
Wie die Sonnenblume hat sich einst auch Kiefer gleichsam der Sonne zugewendet – seiner imaginären Künstler-Sonne van Gogh –, als er sich als junger Mann auf die Spuren seines Idols begab. Van Gogh nämlich war schon sein Held, als Kiefer noch ein Teenager war – 1960 mit fünfzehn fertigte er eine Kopie von van Goghs «Selbstporträt als Maler» von 1887/88 an, gleichsam, um seinen Entschluss zu untermauern, selber Künstler werden zu wollen.
1963 machte er sich als 18-Jähriger mit einem Reisestipendium auf nach Zundert, van Goghs Geburtsort. Von dort pilgerte Kiefer zum Teil per Autostopp über Amsterdam und Paris bis nach Arles, Saint-Rémy-de-Provence und Auvers-sur-Oise, wo van Gogh seine letzten Monate verbrachte. Der Van-Gogh-Trip – Kiefers erste Auslanderfahrung – war eine Art Initiation, erinnerte er sich später. Entstanden war ein Reisejournal mit unzähligen von van Gogh inspirierten Zeichnungen sowie zahlreichen Notizen.
Kiefer war es dabei nicht um den Van-Gogh-Kult des verkannten und leidenden Künstlers zu tun gewesen. Er interessierte sich nicht sonderlich für das emotionale Innenleben des unglücklichen Genies. Denkbar wäre das gewesen, als er sich als angehender Künstler aufmachte, um gleichsam in dessen Fussstapfen zu treten. «Was mich beeindruckte, war die rationale Struktur, die souveräne Konstruktion von van Goghs Bildern in einem Leben, das zusehends seiner Kontrolle entglitt», notierte er in sein Reisetagebuch. Bereits damals wird Kiefer realisiert haben, dass Leben und Werk eines Künstlers zweierlei Dinge sind.
Kunst als das Unmögliche
Was Kiefer bis auf den heutigen Tag an van Gogh fasziniert, ist «diese trotzige Entschlossenheit, das Unmögliche nicht nur zu versuchen, sondern zu erzwingen». Eine solche Fährte verfolgt auch er selber mit äusserster Entschlossenheit und Hartnäckigkeit, wenn man sein immenses Werk und seine Arbeitsweise betrachtet.
Für seine Sisyphusarbeit benötigt Kiefer ganze Fabrikhallen als Ateliers. Solche unterhielt er im Odenwald, dann bei Paris, heute arbeitet er in Südfrankreich. Dort schuftet er wie ein Besessener, wenn er Leinwände mit Farbe bewirft, mit Säure verätzt oder gar mit Flammenwerfern und anderem schwerem Gerät malträtiert. Damit will er vor allem eines demonstrieren: dass Kunst heute nur noch Verletzung, Trümmer, Zerstörung sein kann.
Denn Kiefer hat eine fast unmögliche Hypothek auf seine Schultern geladen: Geboren 1945, als sich der Zweite Weltkrieg in den letzten Monaten befand, gehört er wie sein Lehrer Joseph Beuys oder Gerhard Richter zu jener Generation deutscher Nachkriegskünstler, die sich die von Theodor W. Adorno aufgeworfene Frage stellen, wie man nach der Shoah noch Kunst machen könne. Daher rührt die schiere Unmöglichkeit von Kiefers künstlerischem Tun.
Anselm Kiefer ist der Künstler in Deutschland, der sich wohl am beharrlichsten mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat. In ihm steckt gleichsam eine kriegsversehrte Künstlerseele. Und so sehen denn auch seine Landschaften aus: zerfurchte Einöden, abgebrannte Stoppelfelder. «In meinen Werken können Sie den endlosen Kampf sehen – das ständige Verwerfen von Ergebnissen, die nicht meinen Ansprüchen gerecht werden.»
Kiefer hat einmal gesagt, dass nur der Bilderstürmer ein wahrer Künstler sei. In van Gogh, dem er im Gegensatz zu Picasso oder Matisse die Leichtigkeit des Talents abspricht, sieht er denn auch den um Form und Ausdruck ringenden, verzweifelten Maler, der nach dem Unmöglichen sucht. «In seinem ganzen Leben», so Kiefer, «wollte van Gogh etwas Grosses schaffen. Und scheiterte permanent.»
In Kiefers Augen war auch van Gogh ein Bilderstürmer. Mit Bildern wie etwa den berühmten «Kartoffelessern» gelang ihm viel. Diese dunkel-düsteren Anfänge aber radierte van Gogh später gleichsam aus: nämlich durch das tödlich-gleissende Licht der Sonne seines brillanten Spätwerks. In solchem Furor legen beide, Kiefer wie van Gogh, wenn es um die Sache der Kunst geht, denselben unerbittlichen Ernst an den Tag.
«Anselm Kiefer – Sag mir wo die Blumen sind», Van-Gogh-Museum und Stedelijk-Museum, Amsterdam, bis 9. Juni. Katalog: 32 Euro.
The Economist, Book Review, 25 avril
The heart of art : Exploring the mysteries of the Louvre
A colourful history of the world’s most popular museum
Adventures in the Louvre: How to Fall in Love with the World’s Greatest Museum. By Elaine Sciolino. W.W. Norton; 384 pages; $29.99 and £22.99
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IF YOU WERE to walk through each of the Louvre’s 400 galleries, you would cover about 14.5km (enough to burn off even the most calorific of Parisian indulgences). Stop to look at each artwork for 15 seconds, and you would be there for about 145 hours. As a result, few of the nearly 9m people who visit the Louvre each year leave feeling as if they have truly mastered it.
Elaine Sciolino, formerly the Paris bureau chief for the New York Times, has volunteered herself as a chatty, amiable tour guide. In “Adventures in the Louvre” she does not try to take readers through every room or compile the museum’s definitive history. Instead she focuses on themes and small details that will interest them.
The author has a journalist’s knack for posing a good question. Of all the faces in the Louvre, “Who is the fairest one of all?” she asks Sébastien Allard, director of paintings, who offers five suggestions (by Jacques-Louis David, Rembrandt, Pisanello, Titian and Johannes Vermeer). Many Louvre employees find Leonardo da Vinci’s “Mona Lisa”, the most famous work of art in the world, overrated. Yet around four-fifths of visitors come mainly to see it, bypassing other treasures.
Even those who are attuned to the collection’s subtleties have something to learn. For example, “MNR” (for Musées Nationaux Récupération, or National Museums Recovery) is marked on the placards of around 1,700 works. The acronym denotes “orphan” works, probably seized from Jews in the second world war, which are in the Louvre’s care but not part of its collection.
For the Louvre, history ended in 1848—later masterpieces are in France’s other national museums—but its transformation continues. Recently Emmanuel Macron, the country’s president, announced a renovation costing €700m-800m ($800m-900m), which would, among other things, give the “Mona Lisa” her own gallery. Visitors will have even more need of a discerning guide. ■
https://www.economist.com/culture/2025/04/24/exploring-the-mysteries-of-the-louvre
Le Figaro, 23 avril
«Tous ces nuages me montèrent au cerveau comme une boisson capiteuse»: quand Baudelaire, critique d’art à la dent dure, encensait Boudin
RÉCIT – Les fulgurances du poète s’appliquèrent d’abord à la critique d’art. Opposé au naturalisme, il appréciait les «magies liquides» de Boudin.
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Quiconque a bénéficié d’une instruction décente sait que Baudelaire a écrit quelques poèmes. Plus rares sont ceux qui connaissent sa prose ou ses traductions. Alors que dire de ses écrits sur l’art ? Qu’ils soient aussi peu lus aujourd’hui qu’ils l’étaient à son époque, que la quête de la pitance plus qu’une passion pour la critique d’art en soit la cause, que leur parti pris brutal et revendiqué soit patent, nul ne le conteste. Mais cela n’ôte rien à la richesse de leur contenu.
En quelques ouvrages (Salon de 1845, Salon de 1846, signés Baudelaire Dufaÿs), articles (« Le Musée classique du bazar Bonne-Nouvelle » paru en feuilleton dans Le Corsaire-Satan en 1846 ; le « Salon de 1859 » publié sous forme épistolaire dans la Revue française dirigée par son ami Jean Morel ; « Le Peintre de la vie moderne » dans Le Figaro en 1863), ou plaquettes (Le Salon caricatural, 1846), le poète a chroniqué avec clairvoyance, esprit et cruauté la peinture de son époque, ses poncifs et ses pontifes, tout en jetant les bases d’une esthétique générale qui n’a rien perdu de son actualité.
Né au XVIIIe siècle, le Salon de peinture et de sculpture qui se déroulait à Paris fut, jusqu’à la fin du Second Empire, l’événement artistique de l’année au cours duquel les œuvres d’artistes agréées par l’Académie des beaux-arts étaient exposées. C’est dire son importance aux yeux du grand public et des institutions. Baudelaire, réfractaire, en a fait peu de cas. Son commentaire de l’édition de 1859 est à cet égard éloquent : « Que dans tous les temps, la médiocrité ait dominé, cela est indubitable ; mais qu’elle règne plus que jamais, qu’elle devienne absolument triomphante et encombrante, c’est ce qui est aussi vrai qu’affligeant » ! Pour lapidaire qu’elles soient, ces lignes ont le mérite de la clarté. Rien, hormis Delacroix, ne trouve véritablement grâce à ses yeux dans cet amoncellement de « petitesse », de « puérilité », d’« incuriosité », de « calme plat de la fatuité »…
Éloge de Boudin
Delacroix, mais également Eugène Boudin. Cela peut surprendre, car si Baudelaire le cite, ce n’est pas principalement pour le tableau que le peintre expose à ce Salon (Le Pardon de Sainte-Anne-la-Palud), mais pour des études au pastel que le poète a eu l’occasion de découvrir dans l’atelier de l’artiste à Honfleur. Le peintre décrira plus tard cette visite en ces termes : « j’habitais mon pavillon “ensorcelé” des trente-six marches, rue de l’Homme-de-Bois. (…) J’ai eu là, pour visiteurs, bien des morts illustres… J’y reçus Courbet et Schaunard de La Vie de bohème. J’y “régalais” Baudelaire de la vue de mes ciels au pastel »… « Régaler » semble faible au regard du compte rendu que l’écrivain fit de son côté de cette expérience : « A la fin tous ces nuages aux formes fantastiques et lumineuses, ces ténèbres chaotiques, (…) ces fournaises béantes, ces firmaments de satin noir ou violet, (…) toutes ces profondeurs, toutes ces splendeurs, me montèrent au cerveau comme une boisson capiteuse ».
Cet éloge de Boudin sauvé des eaux vaseuses du Salon de 1859 est d’autant plus marqué que le poète, dans son compte rendu, éreinte violemment la plupart des gloires de l’époque. Qu’il s’agisse des peintres d’histoire ou de genre pour qui « l’érudition a pour but de déguiser l’absence d’imagination » et qui ne font que « transporter la vie commune et vulgaire dans un cadre grec ou romain » ou qui représentent « l’Amour, l’inévitable Amour » tel « l’immortel Cupidon des confiseurs ». Ou bien des élèves d’Ingres peignant toujours la même sylphide « diaphane et bégueule comme une élégie, et amaigrie par le thé et le beurre esthétiques ». Ou encore des peintres de paysage tel Millet dont les « paysans sont des pédants qui ont d’eux-mêmes une trop haute opinion » et « étalent une manière d’abrutissement sombre et fatal qui me donne l’envie de les haïr ». Tel Troyon qui « est le plus bel exemple de l’habileté sans âme », Rousseau « souvent incomplet »… La liste est longue et tous les genres y passent.
Plus tard, sans aucun doute, il nous étalera, dans des peintures achevées, les prodigieuses magies de l’air et de l’eau
Charles Baudelaire
Cet indubitable éloge du « peintre des ciels » est néanmoins assorti d’une réserve. Commentant ces études qui le transportent, le poète ajoute et complète : « Plus tard, sans aucun doute, il nous étalera, dans des peintures achevées, les prodigieuses magies de l’air et de l’eau. » Cette restriction de la louange permet de comprendre ce que doit être, pour Baudelaire, une œuvre d’art : l’alliance nécessaire d’une âme et d’une habileté. Et si Boudin possède la première, il convient d’attendre sa peinture achevée pour juger pleinement de la seconde. C’est que, pour le poète, « celui qui ne possède que de l’habileté est une bête, et l’imagination qui veut s’en passer est une folle ». L’âme ? Chez Baudelaire critique, ce terme renvoie toujours à l’imagination. Non pas « l’idée commune impliquée dans ce mot, dont on fait si grand abus, laquelle est simplement fantaisie », mais bien plutôt cette « mystérieuse faculté (…), cette reine des facultés », qui rend « les hommes qu’elle n’agite pas (…) facilement reconnaissables à je ne sais quelle malédiction qui dessèche leurs productions comme le figuier de l’Évangile ».
La nature absolue et relative du beau
Auxiliaire incontournable de l’expression du sentiment, l’imagination est, à ses yeux, indispensable à tout artiste, car « elle décompose toute la création et avec les matériaux amassés et disposés suivant des règles dont on ne peut trouver l’origine que dans le plus profond de l’âme, elle crée un monde nouveau ». Cela fait de l’artiste un démiurge utilisant le monde comme une matière susceptible d’incarner la ou les passions qui l’ont saisi.
C’est placer très haut la vocation de l’art. Et l’on comprend dès lors la fureur de Baudelaire devant le piteux spectacle que lui offrent les Salons de son époque, dans lequel abonde le naturalisme qu’il exècre : « Je trouve inutile et fastidieux de représenter ce qui est, parce que rien de ce qui est ne me satisfait. La nature est laide, et je préfère les monstres de ma fantaisie à la trivialité positive. »
Si Baudelaire place si haut l’imagination, c’est qu’elle est condition sine qua non de la perception du « Beau » et de son expression. Or, pour l’écrivain, le beau possède une double nature : absolue et relative. Il est éternel dans son principe et circonstanciel dans ses manifestations qui sont, entre autres, « l’époque, la mode, la morale, la passion ». Saisir et incarner l’actualité de ce lien dans une œuvre, telle est la tâche de l’artiste, telle est la définition que Baudelaire donne de la modernité. Le génie est précisément celui qui, à toute époque, accomplit cela. « En un mot, pour que toute modernité soit digne de devenir antiquité, il faut que la beauté mystérieuse que la vie humaine y met involontairement en ait été extraite. »
Prophétique et visionnaire
D’où la tâche éminemment complexe du critique. Il doit faire table rase avec brutalité et férocité de toute répétition stérile du passé, de toute copie vaine du présent, de tout esthétisme formalisant, de toute œuvre édifiante à visée morale ou philosophique. Il doit ensuite détecter l’irruption de l’éternel dans l’actuel afin de balayer toute modernité qui ne tiendrait qu’à son sujet ou à sa manière, qui ne serait qu’anecdotique ou documentaire ou technique. Cela suppose un accès, aussi partiel soit-il, à l’absolu et implique donc que « la critique touche à chaque instant à la métaphysique ».
Enfin, « un beau tableau étant la nature réfléchie par un artiste », la meilleure critique ne pourra être que « celle qui sera ce tableau réfléchi par un esprit intelligent et sensible ». Juger une œuvre peinte afin d’éclairer son prochain suppose ainsi, d’après le poète, la possession de facultés peu communes. Et la critique qui découle de leur exercice s’oppose en tous points – à l’époque de Baudelaire, mais encore de nos jours – aux normes positivistes, descriptives, objectivistes, « algébriques » qui régissent usuellement cette activité ; n’expliquant le nouveau qu’avec l’ancien et donc incapables de découvrir l’imagination créatrice à l’œuvre et d’en rendre compte. Pour l’écrivain, la critique authentique ne peut qu’être prophétique et visionnaire, donc nécessairement « partiale, passionnée, politique, c’est-à-dire faite à un point de vue exclusif, mais au point de vue qui ouvre le plus d’horizons ».
Méthode dangereuse, car il est aisé d’y contrevenir en confondant affinité élective et talent, modernité et anecdote, comme le montre l’éloge outrancier et vain que le poète fit de Constantin Guys. Méthode fertile si on la juge à ses résultats. Outre Delacroix et Boudin, Baudelaire saura défendre Courbet, Manet, Daumier et, dans une anticipation géniale – « Je voudrais les prairies teintes en rouge, les rivières jaune d’or et les arbres peints en bleu. » –, annoncer le fauvisme.
« Eugène Boudin, le père de l’impressionnisme », 160 pages, 14,90€, disponible en kiosque et sur le Figaro Store.
L’Express, 21 avril
L’exposition à voir : comment Fernand Léger a inspiré tant d’autres artistes
Arts. Au musée du Luxembourg, à Paris, Nouveaux Réalistes, pop artistes ou graffeurs ouvrent un dialogue fécond avec le pionnier de l’art moderne.
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En ce vendredi 13 mai 1960, plus de 5 000 personnes se pressent au mas Saint André, à Biot. Ce village perché entre Cannes et Nice inaugure le musée Fernand-Léger, fraîchement sorti de terre sous l’égide de Nadia Léger, la veuve de l’artiste disparu en 1955. Parmi les invités figure le jeune théoricien de l’art Pierre Restany, fervent admirateur du peintre, qui lui aurait directement inspiré le nom de son mouvement né trois semaines plus tôt, le “Nouveau Réalisme” : une formule utilisée par Léger dès les années 1920 pour qualifier son approche plastique, tandis qu’il réalisait son film expérimental Ballet mécanique, élaboré dans l’esprit dada. D’autres courants, comme le pop art outre-Atlantique, mais aussi des créateurs autonomes, à l’instar de Gilbert & George, à Londres, ou de Keith Haring, à New York, sont entrés en résonance avec l’œuvre du pionnier de l’art moderne français. Ce sont ces interactions, pays et périodes confondus, que le musée du Luxembourg, à Paris, met en lumière aujourd’hui, avec la complicité du musée de Biot et du Mamac de Nice, qui ont puisé dans leurs collections de quoi nourrir le dialogue entre Léger et ses héritiers.
La scène artistique hexagonale des années 1960 regorge ainsi de ces références, revendiquées ou suggérées, aux travaux d’un Léger touche-à-tout et visionnaire. Comme Fernand trente ans plus tôt, les Nouveaux Réalistes se focalisent sur les mutations du monde moderne. En modifiant le regard porté sur les objets, Daniel Spoerri et ses Tableaux-pièges ou Martial Raysse et ses figures féminines stéréotypées renvoyant à l’imagerie publicitaire questionnent la société de consommation dans un “recyclage poétique du réel”.
La couleur, élément thérapeutique chez Léger, est au centre de leur travail, à l’image d’Yves Klein, en quête de pigment à l’état pur. Quand, hier, Fernand Léger célébrait le temps libre accordé aux classes populaires avec l’adoption des congés payés en 1936, la puissance des cyclistes ou la virtuosité des acrobates, des membres du Nouveau Réalisme saluent l’univers des loisirs et l’émancipation des corps, à l’instar de Niki de Saint Phalle et de ses célèbres Nanas.
“Mes dessins ne tentent pas d’imiter la vie, ils tentent de créer la vie, de l’inventer”, martèle Keith Haring dans les années 1980. Au carrefour du pop art, du graffiti et de l’expressionnisme, le jeune Américain, comme nombre d’artistes de rue, reprend à son compte l’utopie rassembleuse de l’optimiste Fernand Léger qui, après-guerre, a répondu à des commandes publiques pour introduire sa peinture dans l’espace urbain ou naturel. Il a alors créé des compositions abstraites et décoratives pour l’architecture, telles que la mosaïque recouvrant la façade de l’église Notre-Dame-de-Toute-Grâce sur le plateau d’Assy, en 1946, ou, plus tard, les ornements colorés de l’hôpital-mémorial de Saint-Lô, éclatante démonstration des vertus chromatiques qu’il associe à son art.
Jusqu’au bout expérimentateur, les dernières années de sa vie, Léger travaille la céramique à Biot pour s’ouvrir au relief et à la troisième dimension, dans l’optique de réaliser des projets muraux monumentaux. Ils constituent le point d’orgue de son rêve humaniste d’un art accessible à tous, plébiscité par la cohorte d’artistes multidisciplinaires qui lui ont succédé.
“Tous Léger !”, au Musée du Luxembourg (Paris), jusqu’au 20 juillet 2025
The Wall Street Journal, 19 avril
Titian’s ‘Pietà’: The Atmosphere of Anguish
Likely the artist’s final work, this 16th-century painting is a vast, darkly burnished depiction of Christ’s death that is suffused with grief.
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Starting in the 1510s, when he was likely not yet 30 years old, Titian developed a style that used rich colors and striking dynamism to enliven the new medium of oil painting. He became Venice’s, indeed Europe’s, most celebrated artist, and then, some four decades later, that style began to break down. His brushstrokes became looser, and his contours grew vague, even hazy. Finally his vivid and varied palette, used to bestow emperors and popes with a kind of humanizing splendor, began to darken. This long, late flowering—ending only with his death, probably still short of 90, in 1576—helped make him Western art’s great forerunner, anticipating and influencing everyone from Rembrandt to Goya and beyond.
Late Titian is a category that can cover many remarkable paintings, including the sensual and sinister poesie series (1553-62), mythological scenes created for Spanish king Philip II, and his black-and-brown self-portrait from circa 1562, now in the Prado, which uncannily suggests the late Rembrandts of a century later. But none has quite the pathos of what was likely his very last painting, “Pietà” (1575-76), planned to mark his own tomb in the Frari, the immense Venetian church. Early this past December, during a visit to Venice, I made my way to the Gallerie dell’Accademia di Venezia, home to the “Pietà” for over two centuries. It was in the all-too-brief low season, between the last of November’s Biennale crowds and the first wave of Christmas tourists, and I was actually alone with the great work.
More often associated with sculpture than painting, a Pietà—Italian for compassion—was typically reduced to the Virgin Mary cradling the lifeless body of the crucified Christ. The best-known version, the marble sculpture by Michelangelo now in St. Peter’s Basilica in Rome, is an enormous chamber work, monumental in execution but intimate in tone. Titian, using paint and canvas, extends the atmosphere of anguish beyond Mary to a cast of figures and symbols, and what amount to several artworks within the artwork. His “Pietà” is a vast and burnished scene, set in its own nocturnal funerary chapel, in which even the stonework seems to be dissolving in grief.
Unlike marble sculpture, painted Pietàs can depict the red blood of the dead Christ; Titian’s Jesus, by contrast, is woundless and incandescent, practically sculptural. Mary, whose pain renders her somber and contemplative, is countered by Mary Magdalene, at left, who is beyond heartbroken, shrieking, or perhaps fleeing, in horror. At right, a figure who may be the old Pharisee Nicodemus or St. Jerome—and, according to many scholars, Titian in the guise of either—is grasping at Christ’s dead body, as his cloak and dignity slip away.
The scene is decorated by stately statues of Moses, replete with horns, and the Hellespontine Sibyl, an ancient Greek soothsayer believed to have foreseen Christ’s crucifixion. The two are placed on lion’s-head pedestals, stand-ins for the Venetian Republic. This coded pageantry of time passing—connecting the Old Testament with antiquity and the long lifespan of Venice itself—positions Christ’s passion as the culmination of human history.
Above, in a dim and curious mosaic in the chapel’s half-apse, a pelican is pecking at its own breast to feed blood to its young, a reminder of the Eucharist and Christ’s resurrection. Lurking in the painting’s lower right, in a picture-within-a picture, an apparent father and son—likely Titian and his own painter-son Orazio—are shown in front of a second, more crudely drawn Pietà.
In 1575, the plague reached Venice, and the smaller Pietà is perhaps Titian’s votive offering, in the event that he and his son did not survive. They didn’t, as it happens. Titian—whose exact date of birth remains a mystery—died on Aug. 27, 1576, followed days later by Orazio; the father may have died of old age, and his son and artistic heir succumbed to the plague.
Titian’s “Pietà,” thought to have been unfinished, was later worked on by the artist’s pupil Palma il Giovane. It was Palma who added the torch-bearing putto and a rather self-promoting inscription at the bottom. As it turned out, the painting itself never served its intended purpose. It briefly passed through the Frari before landing in another Venetian church. Then finally it arrived at the Accademia, not long before the museum opened in 1817.
Palma il Giovane’s attempt at completion notwithstanding, the painting’s more general, unfinished quality was intentional. Tom Nichols, professor in art history at the University of Glasgow and a scholar of Venetian art, told me that the white paint on Christ’s chest looks like it was layered without the use of a brush, and quite possibly with fingers. This technique, though only sporadically used by the artist, is closely associated with the late Titian. Centuries later, many modern-minded artists, equipped with palette knives and fingers and the wrong ends of paint brushes, wanted just this kind of rough and unfinished look in their paintings. Titian had seen what was coming, and alone with his “Pietà,” I saw a work subsumed by death but hinting at its own afterlife.
Mr. Marcus writes about art and design for the Journal and other publications
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18 avril
Alte Kunst: Zehn Figuren und ihr Geheimnis
Es ist fast 600 Jahre alt und bleibt ein österliches Bildgeheimnis von strahlender Schönheit: die „Kreuzabnahme“ von Roger van der Weyden aus dem Prado.
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Als Jerry Saltz neulich im Prado war, hat er seinen 700.000 Followern auf Instagram natürlich davon erzählt. Der New Yorker Kunstkritiker ist ein Meister der Popularisierung, und seine öffentlichen Gesten changieren zwischen Clownerie und authentischer Hingabe. Vor ein paar Gemälden im Prado – in seinen Augen „das größte Museum der Welt für die Malerei der abendländischen Zivilisation“ – ging Jerry Saltz sogar buchstäblich auf die Knie: vor den „Hoffräulein“ des Velázquez zum Beispiel. Und vor Rogier van der Weydens „Kreuzabnahme“. Der Kunstkritiker kniet dann da, wortlos, die erhobenen Hände gefaltet, und lässt sich fotografieren, damit die übrige Welt ihn in der Anbetungsgeste sehe. Der Prado, erzählte er in Madrid, sei eine „Ekstasemaschine“.
Die Schönheiten des von ihm beworbenen Gemäldes, der „Kreuzabnahme“, sind allerdings von besonderer Art. Einerseits liegen sie in der restaurierten Tafel – dem Mittelteil eines Triptychons – so offen zutage wie vor fast sechshundert Jahren, als sich die Zeitgenossen im Lob auf das Bild überschlugen. Andererseits sind sie vertrackt, Teil einer komplizierten Anlage, und führen, je länger man sie betrachtet, in immer größere Geheimnisse. Denn wir stehen vor einem Gemälde, das ein wenig so tut, als sei es eine Skulptur, seinen zehn Figuren aber so viel Lebendigkeit gibt, dass die „Kreuzabnahme“ die Materie selbst zu besiegen scheint. Man schaue nur auf die Gewänder. Die Fingernägel. Oder den Bartschatten auf den Wangen des fülligen Stifters.
Einerseits ist die empfundene Raumtiefe sehr gering, kaum einen Meter – andererseits staffelt der Maler fünf Schichten realer Handlung. Damit wir den optischen Trick nicht wahrnehmen, hat er die Ecken des Bildes kunstvoll verdeckt. Und um jede Illusion zu durchbrechen, ragt einer der Kreuznägel in der Hand des Mannes auf der Leiter aus dem Bild heraus!
„Kreuzabnahme“, das klingt einfach. Doch das Gemälde vollzieht auch hier eine doppelte Bewegung: Einerseits wirken die Figuren wie eingefroren in ihren augenblicklichen Gesten, andererseits scheint das Bild eher einen Prozess als einen Moment zu erzählen, eine fließende Geschichte – vom Kreuz herab in die Arme der anderen, während Maria in Ohnmacht gefallen ist und Johannes sie schon aufgefangen hat und bei vielen haltlos die Tränen fließen. Tränen, die nicht die allerersten, aber vielleicht die berühmtesten frühen Tränen der Malereigeschichte sind. Mit den Worten Erwin Panofskys: „leuchtende Perlen“. In gewissem Sinne fließen sie bis heute.
Auch die Klagegeste Maria Magdalenas ganz rechts gibt es zwar schon in der Antike, doch nicht so expressiv, so außer sich, fast wie Ausdruckstanz. In den nächsten Jahrzehnten wanderte diese Geste, vielfach kopiert, durch die europäischen Ateliers. Und auch die „Kreuzabnahme“ selbst wurde, ganz oder in Teilen, unendlich oft wiederholt – eine der besseren Kopien hängt in der Berliner Gemäldegalerie, eine andere, von Michiel Coxcie, im Escorial. Am besten aber ist es, all das zu vergessen, selbst vor das Original zu treten und – ob auf Knien oder nicht – zu verstummen.
Neue Zürcher Zeitung, 17 avril
Die Frauen waren am wichtigsten in seinem Schaffen. Die grösste Empathie empfand Egon Schiele aber für die russischen Soldaten.
In seiner kurzen Künstlerkarriere entwickelte sich der österreichische Maler vom selbstbezogenen Exzentriker zum einfühlsamen Visionär.
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Wally war nicht die Frau, die man heiratet. Das galt selbst für einen Lebemann und unkonventionellen Künstler wie Egon Schiele. Die langjährige Freundin war sozusagen seine Managerin, seine Sekretärin und Vermittlerin seiner Werke – was wäre Schiele ohne sie gewesen. Trotzdem sollte er sich von ihr abwenden.
Wally Neuzil stammte aus einfachsten Verhältnissen. Durch den frühen Tod ihres Vaters wurde ihre Familie mittellos. Sie war noch minderjährig, als sie Schieles wichtigstes Modell wurde. Sie war seine Muse und Lebensgefährtin. Die beiden lebten in wilder Ehe. Er zeichnete sie unzählige Male in expliziten Posen. Auch Schiele verlor seinen Vater früh. Ein Grund, warum er sich mit Wally durchaus identifiziert haben könnte.
Schiele befand sich gerade inmitten seiner kaum mehr als zehn Jahre währenden Künstlerkarriere. Es war für ihn eine Zeit des Umbruchs. Eine Rolle spielte auch die traumatische Erfahrung im Gefängnis. Schiele kam wegen eines Sittlichkeitsvergehens hinter Gitter. In seiner Wohnung, in der regelmässig auch Minderjährige zu Besuch waren, hing die Aktzeichnung eines Mädchens an der Wand.
Loyal zur Seite stand ihm allein Wally. Sie besuchte ihn im Gefängnis, sie war seine geistige Verbündete. Egon Schiele galt damals nicht als Künstler, sondern stand als Pornograf unter Beobachtung. Eines seiner bekanntesten Selbstporträts zeigt ihn bei der Masturbation. «Auch das erotische Kunstwerk hat Heiligkeit!», erklärte er. Seine Berufung erachtete Schiele als spirituelle Aufgabe.
Ihm dämmerte allerdings, dass er auf die Befindlichkeiten der Gesellschaft mehr Rücksicht zu nehmen hatte, wollte er als Künstler bestehen. Bis anhin hielt er wenig von den Anforderungen bürgerlicher Anständigkeit. Er war ein Exzentriker und freiheitsliebender Bohémien, der sich in gnadenlos kritischen Selbstporträts obduzierte. Der junge Schiele befasste sich intensiv mit der Suche nach seiner persönlichen, auch sexuellen Identität.
Die Nabelschau seiner Anfänge wurde in seinen letzten Jahren, bevor er mit nur 28 an den Folgen der Spanischen Grippe starb, durch ein ganz neues Selbstbild abgelöst. Das zeigt sich auch in seiner Technik. Schiele fand von einem erst kantigen und sprunghaften zu einem immer weicheren Strich. Die Linienführung wurde organischer und beruhigter, die Körperdarstellung plastischer. Alles tendierte sukzessive zu einer realistischeren, auch naturalistischeren Darstellungsweise. Das ist jetzt in der Wiener Ausstellung «Zeiten des Umbruchs – Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918» im Leopold-Museum zu sehen.
Die Ehe
Das Doppelporträt «Entschwebung (Die Blinden II)» markiert einen Wendepunkt. Darin werden seine neue Selbstwahrnehmung und das gewandelte Verständnis über seine Rolle in der Welt sichtbar. Als Künstler verstand sich Schiele stets als Seher, als Visionär, der dazu bestimmt war, die unwissende Öffentlichkeit ins Licht zu führen. In diesem Werk stellt er sich allerdings zweifach als Blinder dar, mit gläsernen, opaken Augen.
Die New Yorker Schiele-Spezialistin Jane Kallir findet dafür eine Erklärung. Das Bild bedeute den Abschied Schieles von seiner jugendlichen Seelenforschung und narzisstischen Selbstbezogenheit der Frühzeit. Kallir, deren Grossvater Otto Kallir in den dreissiger Jahren den ersten Catalogue Raisonné zu Schieles Werk verfasste, ist die Co-Kuratorin der Wiener Ausstellung. Sie hat auch eine These bezüglich Schieles Abwendung von Wally.
Im Entstehungsjahr 1915 des bedeutungsvollen Selbstporträts strebte Schiele gefestigtere Lebensverhältnisse an. «Ich habe vor zu heiraten, – günstigst, nicht Wally vielleicht.» Gemäss Jane Kallir besagt Schieles Postkarten-Notiz an seinen Förderer, den Wiener Kunstkritiker Arthur Roessler, alles. Zwar sei Wally in vieler Hinsicht die perfekte Partnerin für Schiele gewesen: «Der Grund für seinen Entschluss aber steckt in dem Wort ‹günstigst› verborgen.» Wenn es zu Überlegungen bezüglich des ehelichen Standes kam, betrachtete sich Schiele nämlich als Teil des Bürgertums.
Wally aber war in der Wiener Gesellschaft nicht mehr als das «süsse Mädel», wie es Arthur Schnitzler in seinem Bühnenerfolg «Liebelei» schilderte: die Idealvorstellung einer sexuell leicht zugänglichen Frau von einfachem Stand – eine männliche Fantasie, wie sie charakteristisch war für das Wiener Fin de Siècle. Damals kam eine junge Frau, die sich in Künstlerateliers entkleidet, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, einer Prostituierten gleich.
Er brach mit Wally. Die Auserwählte war Edith Harms, das schüchterne Mädchen von nebenan. «Schiele heiratete keine Psyche», schreibt die Kunsthistorikerin Alessandra Comini im Ausstellungskatalog: «Er heiratete mit Bedacht eine Fassade: nicht Wally, die Bohémienne, sondern Edith, die Verkörperung der Kleinbürgerin.»
Die damit einhergehende Selbstverleugnung schlägt sich unmittelbar in Schieles Zeichnungen von Liebespaaren aus jener Zeit nieder, davon ist die Co-Kuratorin Kerstin Jesse überzeugt. In diesen Blättern stellt sich Schiele wiederholt bei der Ausführung des Liebesakts mit einer nicht genauer zu identifizierenden Frau dar – ist es Edith?
Die leeren Blicke der ineinander verschlungenen Liebenden sprechen von emotionaler Distanz. Die Pupillen sind nur mehr winzige Punkte in weit offen stehenden Augen. Manchmal fehlen sie ganz. Der Visionär Schiele scheint mit Blindheit geschlagen zu sein.
In diesen Blättern dürfte seine Ahnung zum Ausdruck kommen, dass die Einwilligung in eine bürgerliche Ehe für ihn ein Stück weit auch Selbstaufgabe bedeutete. Das emotionslose Starren des Künstlers könnte allerdings auch damit zu erklären sein, dass Schiele diese Zeichnungen angefertigt hat, währenddessen er mit einer Frau vor einem Spiegel Sex hatte.
Unverständnis und Einsamkeit
Edith war konservativ. Sie mochte nur ungern für Schiele nackt posieren. Auch, weil seine erotischen Arbeiten – ganz im Gegensatz zu Klimts Aktzeichnungen, die dieser stets bei sich behielt – für den Verkauf bestimmt waren. Edith wollte sich von bekannten Wiener Kunstsammlern nicht wiedererkannt sehen. Ein einziges Blatt allerdings könnte seine Ehefrau kaum offenherziger zeigen. In dem Werk «Liegende Entblösste» von 1916 ist Edith mit weit gespreizten Beinen wiedergegeben.
Egon Schiele und Edith heirateten 1915. Die Flitterwochen verbrachten sie während dreier Tage in Prag. Dort erfolgte auch Schieles Einberufung. Es war der Beginn des Ersten Weltkriegs. Schiele liess Edith zurück in einem Prager Hotelzimmer, ohne Geld und völlig auf sich allein gestellt, zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben. Schiele riet ihr, mit seiner Zeichenmappe bei Prager Sammlern hausieren zu gehen und hinterliess ihr eine Liste mit Namen.
Edith Schieles erstmals zur Wiener Ausstellung veröffentlichtes Tagebuch gibt tiefe Einblicke in ihr oft von Einsamkeit, Entfremdung und Unverständnis begleitetes Eheleben: «Hätte ich nicht dies Buch, ich wäre schon längst verrückt.»
Schiele hat Edith als introvertierte, schüchterne Person wiedergegeben. Ihre blauen Augen hingegen sprechen Bände. Der Blick ist oft schwer von Melancholie, wenn nicht Traurigkeit und Depression. «Ich bin derart nervenkrank, dass mich mein Körper furchtbar schmerzt, ich weine stundenlang, quäle mich mit irgendwelchen Gedanken . . .»
Edith Schiele stammte aus gut behüteten Verhältnissen. Ihr war es nie gelungen, Teil von Schieles künstlerischem Leben zu werden, wie das für Wally der Fall gewesen war. Wenn Schiele seiner Gemahlin als Ehemann auch nicht geben konnte, was sie benötigte: Als Künstler hatte er sie in ihrer ganzen Person erfasst.
Der Militärdienst bedeutete für Egon Schiele eine neue Herausforderung. Er musste russische Soldaten in Gefangenschaft eskortieren. Und begann, sich mit diesen zu unterhalten, sich für deren Schicksale und Kriegserlebnisse zu interessieren, und porträtierte sie dabei. «Welche Qualen der Krieg der Freiheit und den fühlenden Menschen bringt, ist vielleicht am erbärmlichsten», notierte er im August 1915 in sein Kriegstagebuch.
Durch diese Erfahrungen wurde der blinde Narziss zum emphatischen Seher. Seine bis anhin nur wenig bekannten Porträts melancholischer Gesichter von jungen russischen Männern in k. u. k. Kriegsgefangenschaft sind etwas vom Berührendsten, was Schiele geschaffen hat. Kaum hat er jemals zuvor so tief und mit so viel Einfühlungsvermögen in Menschengesichter geblickt.
In diesen Bildern ist Schiele zur Reife eines erwachsenen Mannes gelangt. Das aber änderte nichts an der grossen Anziehungskraft, die die Frauen auf ihn ausübten. Sie nahmen zeitlebens und bis zu seinem frühen Ende den breitesten Raum in seinem Schaffen ein. Ein Meisterwerk seiner letzten Jahre ist die berühmte kolorierte Zeichnung «Sitzende Frau mit hochgezogenem Knie». Sie hat rotblondes Haar. Wie Edith. Aber auch wie Wally.
«Zeiten des Umbruchs – Egon Schieles letzte Jahre: 1914–1918», Leopold-Museum, Wien, bis 13. Juli. Katalog: 39.90 Euro.
BFM-TV, 17 avril
Robert Doisneau: la plus grande exposition consacrée au photographe depuis 20 ans ouvre à Paris
Le Musée Maillol à Paris organise du 17 avril au 12 octobre 2025 la plus grande rétrospective autour de Robert Doisneau depuis 20 ans

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Le Musée Maillol à Paris organise du 17 avril au 12 octobre 2025 la plus grande rétrospective autour de Robert Doisneau depuis 20 ans.
Des séries célèbres sur l’enfance ou les bistrots à d’autres méconnues, plus de 350 photographies de Robert Doisneau (1912-1994) sont exposées à partir de ce jeudi 17 avril au musée Maillol, plus grande rétrospective consacrée à cette figure de la photographie humaniste depuis 20 ans à Paris.
“Toute une vie de travail”, résume à l’AFP sa fille, Annette Doisneau, qui les a sélectionnées, avec sa sœur Francine Deroudille et la commissaire Isabelle Benoit, parmi les 450.000 de la collection de l’Atelier Robert Doisneau.
“Là, c’est Sabine Azéma”, s’enthousiasme-t-elle devant une photo en noir et blanc de l’actrice française qui “a fait partie des ‘très proches’ de son père avec (le violoncelliste) Maurice Baquet et (le poète) Jacques Prévert”.
“Il était allé la photographier sur le tournage d’Un dimanche à la campagne de Bertrand Tavernier et, à partir de là, ça a été son rayon de soleil”, ajoute-t-elle.
Travail ou vie de famille, “je n’ai que des souvenirs merveilleux avec mon père, qui était aussi un grand conteur et qui écrivait” lorsqu’il ne parcourait pas la Ville Lumière “avec de bonnes chaussures”, dit encore celle qui a “travaillé et voyagé 15 ans” avec Robert Doisneau, dont elle s’occupait de “l’agenda, impossible à tenir”.
Marronniers en fleurs
En ce début de printemps, la vision des marronniers en fleurs, que le photographe a évoqué dans un livre “en se demandant combien de fois encore il les verrait refleurir”, lui “serre le coeur”, confie-t-elle.
Intitulée Instants donnés, l’exposition “retrace l’intégralité de sa carrière de 1934 à 1992 en déclinant une dizaine de thèmes, connus et inconnus”, détaille Isabelle Benoit.
“On retrouve ses séries iconiques sur les enfants, les bistrots, les rues mais aussi son passage comme employé au journal Vogue. En contrepoint, 80 photographies, dans une section intitulée “gravité”, qui montrent comment il a su capter les bas-fonds de la société française des années 40 et 50″, ajoute-t-elle.
Quel que soit le sujet, “il est des jours, dit Robert Doisneau, où l’on ressent le simple fait de voir comme un véritable bonheur”.
L’exposition, qui se tient jusqu’au 12 octobre, aide à mieux comprendre comment ce poète des banlieues maussades et du quotidien des anonymes joue de l’art du cliché comme Jacques Prévert jouait avec les mots.
Gueules d’ivrognes, prostitution, sans-abris… Le regard qu’il porte sur ceux qui peuplent ces univers semble rempli d’une bienveillance amusée.
Collages
L’exposition met aussi en lumière des aspects de l’oeuvre de Robert Doisneau presque jamais montrés, comme des collages et montages photographiques aux accents surréalistes ou son travail de publicitaire et d’illustration de magazines et de livres de poche.
Cette “vision renouvelée de son œuvre” se révèle à travers des “séquences photographiques qui reflètent sa patience et son travail d’observation participante, car il se fondait dans la foule des gens qu’il photographiait”, souligne Isabelle Benoit.
Témoin de ce sens de l’observation, une série de photos en noir en blanc du 14 juillet, rue des Canettes à Paris, en 1949: il photographie les gens toute la journée en terminant, à la nuit tombée, par la célèbre “Dernière Valse”.
Couleurs
Parmi ses photographies peu ou pas connues, celles d’artistes comme Picasso, drapé d’une étoffe soyeuse orange, une vue plongeante de Giacometti dans son atelier, Niki de Saint Phalle entre deux de ses “nanas”, Georges Braque surpris en plein travail ou encore le Britannique David Hockney, blond péroxydé d’une quarantaine d’années.
Dans la section banlieues, “on découvre les années 40 et 50, en noir et blanc, très peuplées et mises en scène à la demande de Blaise Cendrars dans un livre, et, 30 ans plus tard, les photos des mêmes banlieues en couleurs, dans un espace totalement déshumanisé”, souligne la commissaire.
Une autre section parle des “rencontres” et présente une célèbre photo de concierge en 1945 ainsi que celle d’un policier devant l’entrée d’un cabaret qui semble vouloir le dévorer, intitulée “l’enfer”.
L’exposition se conclut sur les dernières œuvres de Robert Doisneau, en couleurs. “A la fin de sa vie, il dira que, si c’était à refaire, il referait tout en couleur”, indique la commissaire.
The New York Times, 16 avril
Van Gogh’s Last Painting Poses a Problem for an Idyllic French Village
It was recently determined that the artist painted his final work, “Tree Roots,” in Auvers-sur-Oise. The roots still exist, igniting a fight over their preservation.
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Auvers-sur-Oise, a village near Paris famed as an artist’s paradise, is also where Vincent Van Gogh spent his final days and it has long drawn tourists to walk in the tortured painter’s last footsteps. But ever since art experts identified his final work before he took his life, there has been strife in the town.
Van Gogh’s final painting was disputed for decades, because he didn’t date his works. But in 2020 experts concluded that gnarled tree roots protruding from a hillside in Auvers, as depicted in his “Tree Roots,” was made on the day he died. This finding may have settled one dispute, but it immediately stirred another, this one between the municipality and the owners of the property where the roots grow.
The main root depicted in the painting — from a black locust tree and dubbed the “elephant” by enthusiasts — abuts a public road. After the discovery of its historical value, the municipality claimed a section of privately owned land near the road as public domain, saying it was necessary for maintenance. Jean-François and Hélène Serlinger, the property owners, fought the village, and an appeals court recently concluded there was no basis for the municipality’s claim.
But the mayor of Auvers, Isabelle Mézières, has pledged to keep fighting, and she can still appeal to a higher court. After the decision, she insisted that the site should belong to the public, not private owners. “The Roots belong to the Auversois!” she wrote on social media, referring to the citizens of the region.
The continued fight over Van Gogh’s tree roots has cast a pall over what is usually a celebratory season in Auvers, population 7,000, where art tourism is a big business that heats up in the spring.
That the village has been depicted by other notable painters, including Pierre Auguste Renoir, Paul Cezanne and Camille Pissaro. has only added to its attraction. Its popularity is such that the French transit authorities run a seasonal line from Paris, dubbed the “Impressionists’ Train,” and people come from afar to see what the local tourist board calls “the open-air museum that Auvers has become over time.”
The property owners say the conflict is endangering the historic site, as the mayor has blocked them and experts from properly protecting the roots since their significance was established. In a phone interview, Mr. Serlinger accused the municipality of using the administrative case as a pretext for “an attempted takeover of a culturally significant site” and of simultaneously endangering the roots by “obstructing the installation of a permanent protective structure.”
The municipality and the mayor declined requests for comment. But it is perhaps fitting that these tree roots should be the subject of such a knotty dispute.
Van Gogh’s famous painting depicting the tangled tree shows “the struggle of life, and a struggle with death,” Wouter van der Veen, the researcher in France who identified the roots, said in 2020.
Still, the painting is bright and lively, made at the end of a productive period in Van Gogh’s troubled existence — after he famously cut off his ear and spent time in an asylum — and the village celebrates the Dutch painter whose work was rejected in life and embraced after his death. Van Gogh is a major attraction, including for the Serlingers.
The couple moved to Auvers in 1996 because Mrs. Serlinger, an artist, wanted to live where Van Gogh had worked. In 2013, they bought a small additional parcel of land near their house, connected to their yard, extending their territory. Only years later did it turn out that the roots on that new property were an important part of art history.
Now, the roots have their own website and nonprofit organization, run by the Serlingers, who say they want to protect the location for the public to enjoy. They’vepartnered with the Van Gogh Europe Foundation, which brings together key locations and museums linked to the painter under the direction of the Van Gogh Museum in Amsterdam. Last year, the Serlingers began opening their yard to visitors for tours.
Mr. Serlinger insists the couple did not intend to make their yard into a destination and has not profited from the tours. He noted that the main root is mostly visible to the public from the road, though the municipality has placed a 10-foot sign there highlighting the find that partially obstructs the view and “disfigures the front of the site.”
It was the enthusiasm of art experts and academics visiting them over the years, that convinced the couple to open up their land to the public, he said. They now charge about $9 for a 30-minute “walk through the landscape of Van Gogh’s final painting,” he added, with funds going to preservation costs.
Saturday was the start of the new tourist season. But the dispute has unsettled the property owners and raised concerns about the preservation of the roots.
“It created a deep sense of insecurity around a site that calls for calm and serenity,” Mr. Serlinger said. “We have a feeling of insecurity with a mayor who is still in a war.”
https://www.nytimes.com/2025/04/15/world/europe/van-gogh-tree-roots-france-auvers-sur-oise.html
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8 avril
Als die Apfelbäume wild wachsen durften
Mit Klimawandel, Artenschwund und intensiver Landnutzung ändert sich auch der Blick auf Landschaftsgemälde. Davon erzählt eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus mit Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts.
Als es in Südtirol noch keinen Massentourismus gab: Gabriele Münters Gemälde „Baumblüte in Lana“ von 1908 Lenbachhaus / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
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Auf den ersten Blick öffnet Max Joseph Wagenbauers kleines Gemälde bloß den Blick auf eine bäuerlich geprägte Landschaft Anfang des 19. Jahrhunderts, nur in Maßen idyllisch verklärt. Die Kühe neben dem blonden Mädchen in Tracht sind ziemlich mager. Es lohnt sich aber, nah an das Bild heranzugehen und auf den Mittelgrund zu fokussieren: ein elegantes Haus mit Portikus am Seeufer, auf dem Steg davor eine herausgeputzte, gerade einem Segelboot entstiegene Gesellschaft. Ganz eindeutig betuchte Münchner mit Zweitwohnsitz an dem hübschen Gewässer und damit die Vorhut jener Eigenheime, die den Starnberger See, denn um ihn handelt es sich, heute dicht umstehen und deren Besitzer die Gegend zu einer der wohlhabendsten des Landes machen.
Der Wunsch, am Unverfälschten teilzuhaben, läutet dessen Ende ein: Dies erzählt das Gemälde des bayerischen Hofzeichners Wagenbauer nur aus heutiger Sicht. In der Ausstellung im Münchner Lenbachhaus, in der es hängt, wird die Perspektive der Besucher des Jahres 2025 Teil des Konzepts.
„Was zu verschwinden droht, wird Bild“
Es ist, das wird vorausgesetzt, eine der Nachdenklichkeit angesichts sich vollziehender Verluste; eine, für deren stärkste Ausprägung es ein Fremdwort gibt: Solastalgie, die Trauer darüber, wie sich Landschaften durch ihre Nutzung, durch Klimawandel und Biodiversitätskrise verändern. Die Ausstellung „Was zu verschwinden droht, wird Bild“ – ein zwiespältiger, von den Kuratoren bei Klaus Modick, der ihn wiederum Bertolt Brecht zuschreibt, gefundener Satz – will die Vergänglichkeit, die in jedem Abbild steckt, um diese Betrachtungsebene erweitern und versammelt dafür aus den reichen Sammlungen des Lenbachhauses geschickt Gemälde und Skizzen.

Es geht dabei nur am Rande um das, was sich konkret so nicht mehr finden ließe, wie das Anfang des 20. Jahrhunderts noch durchweg nasse Moor am Kochelsee, das Jean Bloé Niestlé, ein Freund Franz Marcs, samt der darin nistenden Vögel naturgetreu zeichnete, bevor seine Bildsprache ins Expressionistische wechselte. Oder die ihre Äste in alle Richtungen streckenden Südtiroler Apfelbäume in Gabriele Münters beschwingter Ölstudie – heute bestehen die Plantagen in Europas größtem Apfelanbaugebiet aus gestutzten und in Stützgerüsten hängenden Exemplaren.
Vor allem ist es der Verlust des unbekümmerten Blicks, den die Bilder vor Augen führen: Das rot glühende Feuer im Wald von Fontainebleau, bei Landschaftsmalern im 19. Jahrhundert als Freiluftatelier beliebt, lässt unweigerlich an die Waldbrände von heute denken, die durch die klimawandelbedingte Trockenheit so verheerend sind. Albrecht Adams fast naive „Gebirgslandschaft mit pflügendem Bauern“ von 1825 zeigt bäuerlichen Alltag in einer Zeit, in der Mechanisierung, synthetische Düngung, Pflanzenschutzmittel noch in weiter Ferne liegen, lässt aber auch an die Kehrseite dieses Fortschritts denken: ausgelaugte Böden und Artenschwund. Und Gabriele Münters Fotografie des tief verschneiten Englischen Gartens erinnert an Winter, in denen Schnee noch nicht die Ausnahme war.
Sehnsucht danach, einmal durchzuatmen
Die Ausstellung macht aber ebenso klar, dass sich das Bedürfnis, der Natur nah zu sein, in ihr Erholung zu finden und ihre Erscheinungsformen zu studieren, vor hundert, zweihundert Jahren ebenso äußerte wie auf dem versehrten Planeten von heute. Auf Richard Riemerschmids „In freier Natur“ (1895) schaut man auf eine Frau, die auf Wiesen schaut, und meint das Durchatmen zu spüren, das ihren Blick ins weite Grün begleitet. Für Menschen wie sie, die Trägerin eines modernen, korsettfreien Reformkleids, entwarf Riemerschmid zehn Jahre später Hellerau, die erste Gartenstadt in Deutschland, die eine Alternative sein wollte zu steinerner Urbanität.
Kaum sattsehen kann man sich an Johann Georg von Dillis’ Wolkenstudien, zarten Skizzen auf blauem und grauem Papier, die im Lenbachhaus einen eigenen Raum bekommen. Eins der flüchtigsten Phänomene, vom kurfürstlichen „Bilder-Galerie-Inspector“ Dillis in seiner Dienstwohnung am Münchner Hofgarten mit dem dort bis heute unverbauten Blick in den Himmel wohl immer dann festgehalten, wenn er mal wieder einer Abwechslung in seinem Brotjob bedurfte.
Dass die Ausstellung ihren Fokus immer wieder weitet auf Kunst als Versuch, zu bewahren, was vergeht, macht sie umso gelungener. Wie beiläufig werden dafür hauseigene Schätze platziert wie eines der vier Dutzend ungeschönten Selbstporträts, die Lovis Corinth von sich malte, oft an seinem Geburtstag. Mürrisch, älter als seine 38 Jahre aussehend und mit übergroßer Krawatte seltsam korrekt gekleidet, sieht er uns an. Neben ihm steht ein Skelett.
„Was zu verschwinden droht, wird Bild“. Lenbachhaus, München. Kein Katalog.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7 avril
Relevanzmonitor: Kultur? Ja, wichtig. Aber nicht für mich.
Kultur, heißt es immer, sei ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Alle finden sie enorm wichtig. Aber wenn man genauer nachfragt, zeigt sich, dass sich in Wahrheit nur Wenige dafür interessieren.
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Wann immer davon die Rede ist, welche Bedeutung die Kultur hat, liegen die Phrasen griffbereit. Das ist keine besondere Eigenschaft von Kulturdebatten, es fällt nur besonders auf, weil es von den Werken absticht, die der Kultur zugeordnet werden. Kultur, heißt es dann, ist ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Sie spielt eine essenzielle Rolle für die Demokratie. Sie bildet das Fundament, auf dem wir unsere Gesellschaft und ihre Systeme bauen.
Wir zitieren aus den Vorworten zum „Relevanzmonitor Kultur 2025“ der Liz Mohn Stiftung, von denen eines der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) verfasst hat. Die Umfrage, die mit diesen Fanfaren eingeleitet wird, hat untersucht, wie die Leute ihre Freizeit verwenden, welches Interesse sie an verschiedenen Kunstformen nehmen, wie oft sie im Monat ein Buch lesen und im zurückliegenden Jahr im Kino, bei einem Popkonzert oder in der Oper waren und welche Bedeutung sie der Kultur zuschreiben.
Einmal im Theater gewesen
Die Antworten hinterlassen gemischte Gefühle. Hätte man nur einen Satz, um sie zusammenzufassen, könnte er lauten: Kultur ist enorm wichtig, ich gehe aber nur selten hin. Fürs Theater etwa interessiert sich nur – oder immerhin? – ein gutes Drittel der Befragten, noch weniger (29 Prozent) waren im vergangenen Jahr einmal dort. Für mehr als die Hälfte liegt der jüngste Theaterbesuch mindestens drei Jahre zurück oder sie waren (elf Prozent) überhaupt noch nie in einem Schauspielhaus. Die Operntotalverweigerer belaufen sich auf 35 Prozent, genau so viele haben noch nie ein „klassisches“ Konzert gehört. Knapp die Hälfte liest nicht gern „anspruchsvolle Bücher“, wobei es den Befragten überlassen blieb, was sie für anspruchsvoll halten und unter „gern“ verstehen. Dreißig Prozent nehmen jedenfalls seltener als einmal im Monat oder nie ein Buch zur Hand. Mehr als ein Viertel teilt immerhin mit, sie läsen täglich in einem Buch.
Demgegenüber stehen mehr als 70 Prozent, die es wichtig finden, an einem Ort mit breitem Kulturangebot zu leben. 91 Prozent finden, die Theaterhäuser sollten erhalten bleiben, fast 80 Prozent stimmen ihrer öffentlichen Finanzierung zu, auch wenn fast 60 Prozent meinen, diese Angebote wendeten sich nicht an sie. Alle diese Zahlen sind unabhängig vom Bildungsabschluss der Befragten, was weitgehend auch für die Frequenz der Theaterbesuche gilt, die allerdings – wie mit umgekehrter Tendenz auch der Kinobesuch – stark altersabhängig ist.
Fehl am Platz
Wer nach Gründen für die Distanz zum Theater sucht, stößt auf Aussagen wie die, man fühle sich dort fehl am Platz, der 71 Prozent zustimmen. Noch mehr Befragte meinen, sie wüssten nicht, wie sie sich im Theater richtig verhalten sollen. Je jünger sie sind, desto stärker melden sich solche Fremdheitsgefühle. Auch sie sind nur in Maßen bildungsabhängig. Ein Drittel auch der Befragten mit Abitur oder Studium fühlt sich vom Angebot der Theater nicht adressiert.
Bei den „wertvollen Gemeinschaftserlebnissen“, die mehr als 90 Prozent durch Kultur ermöglicht sehen, wird einstweilen also an das Kino und die Popkonzerte gedacht werden müssen, nicht an Oper und Schauspiel. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur wollte Carsten Brosda in der Diskrepanz zwischen grundsätzlichem Wohlwollen und begrenztem Zuspruch eine Aufgabe für die städtischen und staatlichen Bühnen erkennen, das Potential zu heben. Die Aussage, Theater seien von hohem gesellschaftlichen Wert, deutete er insofern nicht als Redensart, sondern als Anzeichen für eine generelle Bereitschaft, auch hinzugehen. Das passt allerdings nicht zu den drei Vierteln, die sagen, Theater interessiere sie kaum oder gar nicht; bei Oper und Ballett sind es sogar 81 Prozent. „Interessiere mich nicht“ ist ja schwerlich mit „Interessiere mich schon, aber finde keine Aufführungen, die mir gefallen“ zu übersetzen. Brosda hingegen macht aus bekundetem Desinteresse ein „nutze ich noch nicht“ und redet sich damit die Ergebnisse schön.
Anders formuliert: Sind alle Leute, die dagegen sind, die Kirche abzureißen, potentielle Besucher der Messe? Die Frage lenkt den Blick auf die Bedeutung von Sätzen, in denen der Kultur allerlei Bedeutung für das Gemeinwesen zugeschrieben wird. Was nicht gefragt wurde, war, wie Oper, Bücherlesen und Kino das denn machen, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zur Demokratie und allem anderen Wertvollen beizutragen. So lässt die Umfrage ihre Leser mit undurchdachten Bildern wie demjenigen Brosdas allein, Kultur sei nicht systemrelevant, sondern frei und funktionslos, aber dennoch das Fundament aller Systeme. Die merkwürdige Metapher vom funktionslosen Fundament erfüllt ihrerseits die Funktion, nicht sagen zu müssen, wodurch es der Kultur denn gelingt, durch Schönes und Wahres das Gute zu befördern. Sie soll kein Mittel sein, wird aber dafür gelobt, höchsten Zwecken durch Nichtdienstbarkeit zu dienen.
Das Paradox ist leicht aufzulösen. Es soll in Zeiten angespannter Haushalte ein Subventionsniveau für Kultur begründet werden, das in den Diskussionen über Verteidigungsaufgaben, Brückenbau und Bahnverkehr, Mütterrente und Gesundheitsversorgung nicht zurückbleiben dürfe. Dafür wird die Demokratiebedeutung der Kunst aufgeboten, so als sei sie ein Unterfall von politischer Bildung oder als vermittle der Besuch von Stücken Ibsens Gemeinschaftsgefühle über das Parkett hinaus. Wenn wir noch nicht alle erreicht haben, heißt das, bedarf es weiterer Mittel, denn es geht um mehr als Ibsen.
Eingeübte Reflexe der Verteidigung
Die Gefahr dieses eingeübten Reflexes der Verteidigung von Kunst besteht weniger in einer Haushaltsüberlastung durch die Kulturetats. Dazu sind sie selbst bei mehr als achtzig Opernhäusern in Deutschland nicht groß genug. Gefährlich ist die Phrase von Kultur als dem Fundament der Gesellschaft vielmehr, weil sie von den Bühnen Wirkungen behauptet, die sie niemals haben können. Es wird geredet, als reiche der ästhetische Eigensinn selbst nicht aus. Sich vor der Tradition des Theaters sehen lassen zu können, die Einbildungskraft spielen zu lassen, auf dem Niveau der Werke und im Rahmen der eigenen Mittel Gedanken anzuregen, wäre doch schon genug.
Als jüngst in Berlin scharfe Spargebote an den Kultursektor ergingen, wurde schnell die Sorge um Arbeitsplätze, aber auch Unterhaltungsmöglichkeiten für Touristen laut. Ob es Kunst gibt, die vom Gesichtspunkt der Kunst aus vermisst würde, wurde nicht gefragt, sondern vorausgesetzt. Aber die Kunst ist so wenig für Tourismus und Demokratie da, wie die Literatur für die Buchbindereien und die Bürgertugend.
New York Times, 4 avril
Everything We Ask of Art Is in These Marbles
The 2,000-year-old Torlonia collection of Roman sculptures, now at the Art Institute of Chicago, has the urgency of the greatest contemporary art.

Full text (and plenty of pics)
The two women are a coil of contradictions: Roman but also Greek, flesh but also stone. They both are confident, blessed with the poise of the noble and famous, yet also slightly shy. As if, after centuries of gazes, they can only appear before us slightly abashed. As if they know there is such a thing as too much beauty.
One of them is gazing down,
and one of them is gazing up.
“They stand before us like real human beings,” as the art historian Ernst Gombrich once wrote about classical sculpture, “and yet as beings from a different, better world.”
The younger of these two women is known to historians as the “fanciulla di Vulci”: a girl, or maiden, from one of the richest archaeological sites in Italy. Sculpted in the mid-first century B.C., the last years of the Roman Republic, she was pulled from the ground in the latter part of the 19th century.
Her braided hair, pulled tightly around her head, remains bound in a large circular knot:
Was this a funerary statue, commissioned by the parents of a young woman who died before she could marry? There’s no way to be certain.
But her stone earlobes are pierced. In antiquity, she would have worn earrings. The depressions in her eyes would have been inlaid with smooth ivory or glistening rock crystal.
The other woman, the older one, has an equally intricate hairstyle, though her coif is more majestic. She’s really not a woman at all, I suppose, but the goddess Aphrodite, looking to the right, crouching down, covering her breasts. It’s a pose that was first elaborated by a Greek artist, and later adapted throughout the Roman Empire.
At her foot is a honking swan. Coiling up her left biceps is an armband in the form of a snake:
Two women, two relics of Rome — but then again, not quite. There is a big difference between these two sculptures, which you can only see if you look them in the eyes.
The girl’s wide irises may be missing their inset stones, but she is gazing up at us from a distance of 2,000 years.
The goddess seems to be doing the same — but hold on. Look a little lower, at her neckline. See how the sour-cream marble of her head suddenly gives way to a stone that’s visibly more lemony, more weathered.
Only Aphrodite’s crouching body comes from the first century A.D. The arm with the snake bangle is from antiquity, but the head was sculpted and grafted onto the goddess’s decapitated body 1,600 years later, during the later Renaissance, by the artist Pietro Bernini (father of the much more famous Gian Lorenzo Bernini).
Members of the noble family that once owned this fragmentary Venus turned to their own generation’s artists to resuscitate her. Her downcast eyes are modern. Some talent and a fortune could bring the gods back to earth.
Old and new. Real and ideal. Life and immortality. Everything we ask of art is in the eyes of these women, just two of the 58 extraordinary works of “Myth and Marble: Ancient Roman Sculpture From the Torlonia Collection,” at the Art Institute of Chicago. The exhibition brings to light the last of Rome’s princely art collections, which was out of sight for the better part of a century. (The show tours to Fort Worth later this year, and to Montreal in 2026.)
Built up through successive acquisitions of aristocratic collections, it spills over with 622 sculptures — that’s 621 marbles and one astounding bronze, of the Roman general Germanicus, right arm raised in glory, pecs and abs undulating like ski moguls. The quality is astounding. To see finer holdings of Roman art, you’d have to go to the Vatican or the Louvre.
Much of the collection consists of portrait busts of emperors and eminences, which the Torlonia banking family — and principally Prince Alessandro Torlonia (1800-66), who elevated his family’s collecting into a scientific enterprise — admired for their projection of power and prestige.
An imposing display in Chicago of imperial busts leads from Hadrian, instantly recognizable with his stern mien and tight beard,
to his successor but one, Marcus Aurelius, philosopher-emperor, wearing a shaggier beard in imitation of his favorite Greek thinkers:
But the busts are just the half of it. There are marbles after mythological and literary themes, such as Odysseus escaping from the Cyclops’ den beneath a shaggy-coated ram,
as well as some rare examples of intact large-scale funerary monuments. There’s a sarcophagus of remarkable refinement, ringed on all four sides with scenes of the labors of Hercules:
In the leftmost niche, we see the strongman wrestle the Nemean Lion. In the next, wearing the lion’s skin, he clubs the human-headed Hydra.
Astoundingly, the sarcophagus’s lid is here, too. The deceased couple once inside the marble box were also represented on top, reclining at some eternal banquet. But don’t assume too much from their faces. The heads you see now belonged to some other Roman husband and wife, and were soldered on in modern times.
Even if you treat it as just a showcase of Roman sculpture, “Myth and Marble” would deserve all its laurel wreaths. But it’s about more than antiquity. It’s also about the recent past, about a special collection with a curious history — which almost no one saw for 75 years.
The Torlonia collection, which Alessandro Torlonia moved into a private museum in Rome in 1875, went into hiding in the early 1940s. And when World War II was over, they did not re-emerge.
Disputes among family members and with the government left the marbles hidden away, gathering dust and grime.
For all those years scholars had to beg and bribe to get in. One government official, desperate to see what gems the Torlonia prince had immured, resorted to dressing up as a cleaner.
The only hint of the prizes locked inside those damp Trastevere storerooms was an old catalog, published in 1885, that reproduced all of the marbles with a then-novel technology of camera-based engraving.
At last, the first restored masterpieces went on display at the Capitoline Museums in 2020. Like the exhibition in Chicago, that show included sculptures that scholars knew only from that old catalog, such as the grand goat reclining in majesty — its fur swirling like marble flames, and its bemused head restored by Gian Lorenzo Bernini himself.
And as the public has discovered these once secret masterpieces, the Torlonia Foundation has used the successive traveling shows to repair and restore its holdings. In Chicago, no fewer than 24 of the 58 sculptures are newly cleaned.
The premieres include several busts of eminent imperial women, such as Faustina the Younger, the daughter of Antoninus Pius and the wife of Marcus Aurelius. Look down, from her pulled-back hair to the full cheeks. You are looking at a projected image of the stable imperial succession.
Earlier versions of the Torlonia show emphasized the development of the collection over the 19th century, which the banking family amassed by purchasing entire collections from aristocrats who’d fallen on hard times. The family also undertook large excavations in the Italian countryside that, with varying degrees of care, disentombed masterpieces like the young maiden of Vulci.
In Chicago, the history of collecting is pushed to one side. But by cunningly installing the sculptures in the Art Institute’s spare modern extension, designed by Renzo Piano, the curators have emphasized a different side of the Torlonia Marbles. In powerful sequences of white on white, they impel us to reckon with these “Roman” artworks as time travelers.
In the last century, fascists of various stripes projected national fantasies onto cold stones like these — and online today, sophomoric social-media Hellenists power racist delusions of the past with Greek and Roman statuary.
But nothing here looks anything like it would have in ancient Rome. Most are elisions of ancient marble with freshly quarried replacements. Our image of antiquity arrives to us only after centuries of remaking and recycling, interchange and intermarriage.
Rome was a multiethnic, multilinguistic empire, happy to adopt wholesale an entire foreign religious pantheon. Its architecture, its literature, its educational curriculum and especially its statuary derived from a distant society it had conquered. (This is the place to quote Horace, on the cultural endurance of an occupied people: “Captive Greece took captive her fierce captor, and brought the arts to rustic Latium.”)
And the elite Romans immortalized in these marble busts spoke Greek as a matter of course.
Look at the stupendous Portus Relief: a vision of the capital’s imperial harbor, sitting at the mouth of the Tiber. Here is a slab of carved marble, full of merchant ships and far-sailing seamen,
We don’t know enough about just who made these marbles, but scholars have assumed that most “Roman” artists were Greeks, probably slaves or freedmen, who borrowed and adapted famous Hellenic examples for local audiences.
One of the Torlonia collection’s most impressive artworks, a 16-foot-tall statue of the goddess Hestia (or Vesta to Romans), is also one of its most intentionally archaic. Known as the Hestia Giustiniani, it dates from Hadrian’s time, but the front-facing pose and rigid drapery replicate a Greek bronze from the fifth century B.C.
It was a world of avatars and images, cults and commemorations. There were so many statues in ancient Rome that observers spoke of a second Roman population made of stone and bronze. Living politicians could become marble gods, present in public spectacles and private homes.
The finest feelings became intertwined with the bluntest propaganda. Corruption, violence, unashamed imperialism: All this could coexist with the most sophisticated cultural endeavors, which would endure and even mature as the republic transitioned into an autocracy.

These statues ask: What is power, who is worthy of it, and how long can it last? What is a culture, what happens when it encounters others, and how is it remade through contact and conquest?
The cultural tradition that gave us our laws and our language has always positioned these stone faces and bodies as an art for all time. In 2025, when the most fundamental matters of state and self are on the line, it feels more like the art of the hour. Because we are time travelers, too, blundering backward and forward, unsure which direction is even which. We live in ruins, and salvage from the marble at our feet what values and virtues we can.
Myth and Marble: Ancient Roman Sculpture From the Torlonia Collection
Through June 29 at the Art Institute of Chicago, artic.edu. The show travels to the Kimbell Art Museum in Fort Worth on Sept. 14 and to the Montreal Museum of Fine Arts in March 2026
Jason Farago, a critic at large for The Times, writes about art and culture in the U.S. and abroad. More about Jason Farago
https://www.nytimes.com/2025/04/03/arts/design/torlonia-marbles-chicago.html
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. März
Vincents und Anselms bleierne Kornfelder
Urd, Memoria, Verinnerung: Zum Achtzigsten des Künstlers Anselm Kiefer feiern ihn die Niederlande mit zwei gigantischen Ausstellungen im Stedelijk und Van-Gogh-Museum – und zeigen, warum der Expressionist so wichtig für den deutschen Maler war.

Full text :
Anselm Kiefer ist der Künstler der Erinnerung schlechthin. Seit den frühen Siebzigern provozierte der Maler die Deutschen mit gemalten Hitlergrüßen von der Akropolis und anderen Orten einstiger Weltbeherrschungsphantasien, die de facto vergiftete Grußpostkarten aus der nicht bewältigten deutschen Vergangenheit waren, wie es aktuell das Oxforder Ashmolean Museum und die zur Ausstellung entflammten Debatten in England zeigen (F.A.Z. vom 23. Februar). So ergibt auch zu Kiefers heutigem achtzigsten Geburtstag der Blick auf die Amsterdamer Doppelschau „Sag mir wo die Blumen sind“ zu Ehren des Künstlers Sinn, erinnert diese doch Bilder des Künstlers aus enormen fünfundsiebzig seiner achtzig Lebensjahre und bindet ihm schon im Titel einen Geburtstagsstrauß aus Blumen. Pflanzen waren und sind in Kiefers Kunst der bleiern-melancholischen „Nature morte“-Stillleben und endlosen Kreisläufe symbolträchtigen Werdens und Vergehens von jeher zentral.
Der früheste Kiefer ist in der ersten Station des riesigen Ausstellungsdiptychons im Amsterdamer Gogh-Museum und im Stedelijk zu sehen. Das Graphikkabinett des Van-Gogh-Museums präsentiert eine Zeichnung des vielleicht Fünfjährigen, die drei Schifflein mit kantigen Segeln und Paddeln auf einem See zeigen, wie sie auch Paul Klee und Lyonel Feininger im Bauhaus nicht anders festhielten. Natürlich, ließe sich einwenden, malen alle Kleinkinder abstrakt. Wenn man aber weiß, wie wichtig Kiefer das Meer ist, das er zeitlebens in allen Materialien nachzuahmen suchte – so ergießen sich Wellen von Blei über seine Leinwände, Wogen aus Beton schichtete er in seiner megalomanen Atelier-Landschaft Barjac so übereinander, dass die zementöse See trotz ihrer Härte doch fließt –, und er sich als Kind imaginierte, dass im heimischen badischen Keller der grenznahe Rhein durchflösse, nimmt man die Kinderzeichnung als ernstes Spiel.
Außer Picasso hat wohl noch kein Künstler eine Geburtstagsausstellung mit Werken fast der gesamten Lebensspanne erhalten
Die Doppelschau öffnet in jedweder Hinsicht die Augen, und es mutet beinahe peinlich an, dass die Amsterdamer den Deutschen erklären müssen, wer die künstlerische Hauptanregung für Kiefer war – kein geringerer nämlich als Vincent van Gogh. Zwar trifft nicht zu, dass der Künstlerprophet im eigenen Land nichts gilt – Kiefer wurde vor zwei Jahren von der Bundesregierung mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt, der höchsten Auszeichnung des Landes –, doch gibt es keine ihn ehrenden deutschen Großausstellungen und schon gar keine, die wie im Van-Gogh-Museum drei Riesensäle auf drei Etagen zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Hauses komplett leerräumt und dann auch noch so viel erhellend Neues über den Künstler vermittelt.
Parterre laufen alle Blicke auf die monumentale „Sternennacht“ zu, bei der Kiefer die wild rotierenden Sterne aus Kornwirbeln und der original holländische Bildtitel „De sterrennacht“ gleichermaßen wichtig sind. Als Achtzehnjähriger pilgerte er mit dem Geld eines wohldotierten Kunstpreises auf den Spuren des Vorbilds Van Gogh von Arnhem via Zundert und Paris nach Arles in das von Expressionisten so getaufte „Atelier des Südens“. Dort auch fertigte Kiefer in Van Goghs Manier psychogrammartige Porträts der Landarbeiter an, die – in Reihe im Grafikkabinett hängend und obwohl in Kohle und Graphit konterfeit – aus der Entfernung wie des Holländers Rohrfederzeichnungen wirken und von dessen Madonnen-Ersatz der „Berceuse“ (Madame Roulin, die wie eine Maria im Rosenhag vor Blumentapete eine Kinderwiege schaukelt) inspiriert sind. Kiefer wohnte in Arles in einem Bauernhaus, dessen Dachkammer ihn derart beeindruckte, dass sie bis zur Serie der „Deutschen Geistesgrößen“ als eichenes Oberstübchen auf mehreren Bildern wiederkehrt. Es fällt einem in Amsterdam wie Schuppen von den Augen: Die wild bewegten Weizenfelder in eigentümlicher Nichtperspektive sind allesamt und noch Jahrzehnte nach der holländisch-französischen Pilgerreise 1963 von Van Gogh inspiriert, ohne dass es im Mindesten auf ein bloßes „Nachmalen“ hinausliefe.
Poesie der Titel
Häufig tragen Kiefers Monumentalreliefs poetisch literarische Titel. Die Auftaktbilder im Van-Gogh-Museum, „Halme der Nacht“ oder „Nevermore“, beispielsweise sind benannt nach einem Gedicht von Celan und einem Vers von Edgar Allen Poe. Denn wie Van Gogh ist auch Kiefer staunenswert belesen, was sich in zahlreichen Bücher-Stillleben äußert, die bei Ersterem gemalt und oft gestapelt, bei Letzterem häufig in Blei gegossen oder angekokelt sind, womit sie durch diesen Läuterungsprozess für Kiefer gleichsam alchemistisch auf ein neues spirituelles Niveau gebracht werden. Auf beiden großen Materialbildern spielt das expressive goldene Getreide ebenso die Hauptrolle wie bei Kiefers vielen Sonnenblumen und Krähen über Weizenfeldern.
So ist besonders schlagend der Vergleich mit Van Goghs ikonischem „Weizenfeld mit Krähen“ (nicht sein letztes Bild und Testament, wie noch stets zu lesen ist – das ist das weit weniger bekannte, aber noch aufwühlendere blaue „Baumwurzel“ aus dem Juli 1890, die vor dem Umstürzen vergeblich Halt im Erdreich zu finden sucht). Aus der dritten intimen, fast etwas vor den „großen Brüdern“ von Kiefers Bildern abgeschirmten Koje blickt Van Gogh als Selbstbildnis durch geschickte Hängung direkt auf das Kiefersche Selbstbildnis „Sol invictus“. Auf dem fast fünf Meter hohen Bild wurzelt eine schon im Titel symbolträchtige Sonnenblume als unbesiegbares Zentralgestirn (und vor Kaiser Konstantins des Großen Umschwung zum Christentum dessen bevorzugte Gottheit) im Körper eines unter ihr liegenden Mannes mit Kiefers Gesichtszügen. Seit Van Dycks berühmtem „Selbstporträt mit Sonnenblume“ avancierte die Pflanze zum erstrangigen Künstlersymbol; Van Gogh wollte sein Bildnisse von zwei Sonnenblumen als sakral aufgeladenes Triptychon flankiert wissen. Bei Kiefer aber entspringt die für sein Œuvre so entscheidend wichtige Sonnenblume seinem am Boden liegenden Alter Ego wie eine Wurzel Jesse und schließt den Kreislauf.
Anders als in Deutschland wurde Kiefer fast von Beginn an geschätzt
Warum auch das Stedelijk als erstmaliger Kooperationspartner des Van-Gogh-Museums auf keinen Fall fehlen darf, erklärt allein schon die Tatsache, dass der niederländische Staat, der es betreibt, zentrale Werke Kiefers wie „Innenraum“ bereits in den Achtzigerjahren ankaufte, zu einer Zeit, als der Maler in Deutschland noch gern als Nationalist missverstanden und zur Projektionsfläche nicht bearbeiteter Traumata wurde. So besitzt das Stedelijk etwa den auferstehungsaffinen Grabestempel „Resurrexit“ von 1973, eines der ersten Bilder, auf dem eine kluge Schlange dem Betrachter entgegenkriecht, so wie sie dann 1986 im bleiernen „Flugzeug“ als Pilot im Cockpit liegt, die Welt wie Dürers „Nemesis“ aus göttlicher Warte überblickend.
Atemnehmend und überwältigend aber ist Kiefers eigens für die Schau im Stedelijk gefertigter Vierer-Zyklus „Sag mir, wo die Blumen sind“, der mehrere Hundert Quadratmeter Bildfläche füllt und an dem der Künstler ein Jahr lang gearbeitet hat. Wie der Pete-Seeger-Song „Where have all the flowers gone?“, in der deutschen Version etwa von Marlene Dietrich unvergessen intoniert, den Betrachter allein durch den Gedanken daran als tonale Zeitmaschine in die Nachkriegszeit zurückbeamt, sind auch die Massen an schlammgetränkten Uniformen in der unteren Zone der Schützengräben und Kriegsgräbern (über denen „Der Wind weht“, wie der Titel des Bildes lautet) brandaktuell, denkt man nur an den zunehmend verzweifelten Stellungskampf der Ukrainer gegen die russischen Angreifer. In der oberen Zone schweben vor Goldgrund indisch anmutende Frauen, den Tempelgöttinnen gleich, die dem Maler auf seinen Indienreisen begegneten, aber keinesfalls ätherisch sinnfrei umherschweben, vielmehr handfest als himmlische Trümmerfrauen überdimensionierte Kippen mit vom Mörtel befreiten Wiederaufbau-Klinkern schleppen und zusammen mit anderen hellenistisch-indischen Wasserträgerinnen den ewigen Kreislauf allen Lebens verkörpern.
Der Vergleich Kiefer-Van Gogh überzeugt auf gleich mehreren Ebenen
Wie sich bei Van Gogh Japonismen mit Impressionistischem und schmerzlich tief gefühlter Expression verbinden, amalgamiert Kiefer als Alchemist des Materials wie auch des Inhalts den Holländer mit griechischer Philosophie, der Bibel, der Apokalypse des Neuen Testaments sowie der nordischen Edda und deutscher Geschichte zu Bildsynthesen, die eines unhintergehbar werden lassen: In unausgesetzter Wiederkehr konfrontiert er die Menschen mit ihren existenziellsten Problemen, schlagen seine Bilder Schneisen in die Weizen- und Bleifelder der Geschichte. Mögen dem unermüdlichen Mahner von seinem heutigen Achtzigsten an noch viele Jahre vergönnt sein.
Sag mir wo die Blumen sind. Van-Gogh-Museum und Stedelijk, Amsterdam; bis zum 9. Juni. Der Katalog kostet 34,95 Euro.
Neue Zürcher Zeitung, 24. Februar
Kunst aus der Fabrik: In China werden van Goghs Sonnenblumen am Fliessband kopiert
Was im Westen als Fälschung ist, gilt in China als Nachschöpfung. Die Chinesen pflegen ein unverkrampftes Verhältnis zum Kopieren von Kunstwerken und Markenartikeln. Die in Handarbeit gefertigten Kopien sind so überzeugend und so preiswert, dass Kunden aus aller Welt bestellen.
Extraits:
In einem Labyrinth aus Strassen und engen Gassen reiht sich Laden an Laden, von oben bis unten vollgestopft mit Ölgemälden. Picassos «Dora Maar» lehnt halb über Rembrandts Selbstporträt und Leonardo da Vincis «Mona Lisa», daneben hängen Bildnisse von Mao Zedong, George W. Bush senior, Deng Xiaoping und Donald Trump, dazwischen Pandas, knallbunte Sonnenaufgänge, Spider-Man, van Goghs Sonnenblumen und dann wieder Vermeers «Mädchen mit dem Perlenohrring».
Der Mix ist abenteuerlich. Auf bunten Plastikstühlen sitzen die Maler beengt im wenigen verbleibenden Raum und arbeiten an ihren Bildern. Wir befinden uns in China, im Nordosten Shenzhens im Longgang-Bezirk, genauer gesagt im Dafen Oil Painting Village.
Die Bezeichnung Village, also Dorf, ist etwas irreführend, denn Dafen ist bestens an die Metropole Shenzhen angebunden. Der Stadtteil gilt als die grösste Kunstindustrie der Welt. Hier sind zwischen 5000 und 10 000 Maler aus ganz China angesiedelt, die Zahl variiert ständig. In den letzten Jahren haben sich auch Rahmenmacher und Händler von Künstlerbedarf niedergelassen. Doch den Kern machen die Malerinnen und Maler aus, die hier Kopien von westlichen Meisterwerken im Akkord schaffen.
Die offizielle Regel schreibt vor, dass nur Werke kopiert werden, deren Urheber seit über fünfzig Jahren tot sind. Wegen des Copyrights. Doch wenn Kunden ein Werk von einem noch lebenden Künstler in Auftrag geben, dann kann man wohl davon ausgehen, dass geliefert wird.
«Wir kopieren nicht nur jedes Detail eines Bildes, sondern fangen auch seine Seele ein», lautet der Slogan. Die in Handarbeit mit Ölfarben gefertigten Kopien sind so überzeugend und so preiswert, dass Kunden aus aller Welt hier bestellen. (…)
Die am häufigsten kopierten Künstler sind wohl van Gogh, Picasso und Monet. Laut Schätzungen stammten Mitte der 2000er Jahre, auf dem Höhepunkt der Dafen-Kunstproduktion, etwa 60 Prozent der weltweit verkauften Ölgemälde aus Dafen. 2015 soll der Jahresumsatz rund 65 Millionen Dollar betragen haben.
Doch die Margen der Händler sind hoch. Die Zahlen täuschen darüber hinweg, wie wenig Geld bei den Malern vor Ort ankommt. Sie hausen hier in höchst prekären Verhältnissen und verdienen durchschnittlich 2 Euro 50 pro Bild, also nur einen winzigen Bruchteil des Verkaufspreises im Ausland. Wenn wieder einmal eine Grossbestellung eingeht, also beispielsweise 6000 Sonnenblumenbilder von van Gogh, die innerhalb von zwanzig Tagen für die Lieferung nach Amsterdam fertig sein müssen, arbeiten die Maler nonstop rund um die Uhr.
Sie schlafen, malen und essen zu neunt im selben Raum. Die fertigen Bilder hängen zu Hunderten eng nebeneinander zum Trocknen von der Decke. Die Luft ist geschwängert vom Geruch der Ölfarben, gemischt mit Schweiss, Zigarettenrauch, Essensdüften und anderen undefinierbaren Gerüchen. Die neun Maler im Raum teilen sich die Bildabschnitte der Sonnenblumen in einem ausgeklügelten Prozess auf: Der eine fertigt nur den Hintergrund, ein anderer die Vase, wieder einer nur die Blüten, ein anderer die Blätter und so weiter.
Es gleicht einer Produktionsstrasse in einer Fabrik. Auf diese Weise stellen neun Maler an einem Tag 300 handgemalte Kopien her. Das fertige Bild landet am Ende in den unzähligen Souvenirshops rund um das Amsterdamer Van-Gogh-Museum und wird dort je nach Grösse und Rahmung für 30 bis 200 Euro über den Ladentisch gehen. (…)
In China herrscht ein grundlegend anderes Verständnis von Kopie und Original. Seit je war dort das wiederholte Kopieren grosser Meisterwerke gängige Praxis in der klassischen Kunstausbildung. Der europäische Kult um die Einzigartigkeit des Originals, wonach es als rein und unveränderlich gilt und im Umkehrschluss jede Kopie minderwertig und verachtenswert sein muss, ist China fremd. Nach der fernöstlichen Philosophie ist Schöpfung kein singulärer Akt, sondern ein Prozess, der einer permanenten Transformation unterliegt.
Der Unterschied zwischen den Denkweisen zeigt sich bereits deutlich in der Sprache. Auf Chinesisch heisst Original «zhenji» (真跡), wörtlich übersetzt die «authentische Spur». Dem Begriff der Spur, die etwas hinterlässt, sind ein Prozess und ein Wandel inhärent. Jedes Original ist stetigen Veränderungen unterworfen. Die Zeit nagt daran, je älter, desto blasser werden die Farben, der Bildträger wird brüchig.
Nicht nur das: Je berühmter das Bild ist, desto mehr wird es aktiv verändert. Chinesische Sammler der klassischen Rollbilder lieben es, Gedichte oder Kommentare auf die Original-Bildrolle zu schreiben und daneben ihr rotes Namenssiegel zu hinterlassen. Wie der Berliner Philosoph Byung-Chul Han eindrucksvoll darlegt, markieren sie auf den Bildern ihre Spur. Auf berühmten Meisterwerken finden sich mitunter fünf verschiedene Kalligrafien aus unterschiedlichen Zeitepochen. Man stelle sich vor, die jeweiligen Besitzer von Cézannes «Die Kartenspieler» hätten über die Jahrhunderte ihre Kommentare und Gedanken auf die Vorderseite des Bildes gekritzelt – undenkbar in Europa!
ür die westliche Idee der Kopie gibt es in China wiederum zwei unterschiedliche Begriffe. Fangzhipin (仿製品) sind offensichtliche Reproduktionen, die als solche erkennbar sein sollen. Kleinere Ausführungen der Terrakotta-Krieger oder der Nofretete-Büste beispielsweise fallen unter diese Kategorie. Sie sind oft auch vom Material und von der Farbigkeit her minderwertiger als das Original. Fuzhipin (複製品) hingegen sind perfekte Kopien, (…)
In welche dieser Kategorien gehören nun die kopierten van Goghs und Vermeers aus Dafen? Sicherlich können sie nicht das Original im Museum ersetzen, das ist klar. Sie sind aber auch nicht nur billige Nachdrucke. Die handgemalten kopierten Ölgemälde stehen in der Tradition einer Fälschungsindustrie, die um die Jahrtausendwende in der Region Shenzhen entstanden ist und die einen eigenen neuen Namen hat: Shanzhai. (…)
Der Dafen-Gründer Huang Jiang ist heute über 80 Jahre alt. Er lebt immer noch in Dafen, doch er produziert längst nicht mehr selbst. Er ist nun Agent für andere Maler. Das grosse Geld sei hier mit den Kopien nicht mehr zu holen, sagt er in einem Interview. Er träumt davon, die «Malarbeiter», wie sich die Maler hier selbst nennen, zu echten Künstlern zu machen, die eigene Werke herstellen: originale Bilder.
Neue Zürcher Zeitung, 15. Februar
Jean-Michel Basquiat malte in St. Moritz Berge und Bratwürste – wie das Engadin zum Hotspot des internationalen Kunstmarktes wurde
Als Kontrapunkt zur Alpenkulisse kann in St. Moritz auch das düstere Werk des Avantgardisten Wols erlebt werden.

Extraits:
September 1982. Drei Männer kurven in einem Mercedes durch die Appenzeller Berge. Einer von ihnen zündet einen Joint an und reicht ihn herum. Es ist der Galerist Bruno Bischofberger, der dem Künstler Jean-Michel Basquiat und seinem Assistenten von dem Marihuana anbietet. Die drei fahren nach Basquiats erster Zürcher Einzelausstellung in Bischofbergers Galerie nach Appenzell, zu einem Jahrmarkt.
Völlig zugedröhnt kommen sie in Appenzell an, kaufen sich vierzig Jetons für den Autoscooter und legen sich euphorisch mit dem ganzen Dorf an. Danach geht es weiter nach St. Moritz, wo Basquiat in Bischofbergers Ferienhaus wohnt und arbeitet.
In diesem Jahr wäre Jean-Michel Basquiat 65 Jahre alt geworden. Nun zeigt die Galerie Hauser & Wirth in St. Moritz rund dreissig seiner Werke, die einen besonderen Bezug zur Schweiz und vor allem zum Engadin haben.
Der Augenblick im Auto Richtung Appenzell wird im Begleitbuch zur Ausstellung geschildert, Basquiats Assistent erinnert sich noch gut daran. Es war das erste Mal, dass der amerikanische Künstler die Schweiz besuchte: 21 Jahre alt war er damals, ein aufstrebender Künstler aus dem lauten, bunten New York.
In der ruhigen Ostschweiz sah er erstmals die Alpen. Er war beeindruckt von der Landschaft und der Sprache. Später malte er «Bruno in Appenzell»: Das Auto mit Bischofberger drin, samt Krone und Autotelefon. Dahinter, auf einem rosafarbenen Grund, spitze schneebedeckte Berge und Tannenwälder.
Auf diesen ersten Aufenthalt in der Eidgenossenschaft folgten ein Dutzend weitere; sechs davon in St. Moritz. Wenige Jahre nach seiner ersten Reise in die Alpen, am 12. August 1988, starb Basquiat 27-jährig an einer Überdosis Heroin. Kein Land hat er in seinem kurzen Leben häufiger besucht, als die Schweiz.
Bilder fürs Ferienhaus
Für das Engadin ist Basquiat einer von vielen prominenten Gästen. Auch Friedrich Nietzsche, Marcel Proust, Gerhard Richter, Giovanni Segantini oder Alberto Giacometti kamen und fanden hier die Langsamkeit. Sie alle liessen sich von der Region inspirieren. Von der Geborgenheit der Bergtäler, vom besonderen, hellen Licht und von der magischen Stille.
Doch es kamen nicht nur Künstler ins Engadin, sondern immer mehr auch kaufkräftige Touristen. Bald eröffneten die ersten Galerien. So ist heute nicht nur St. Moritz, sondern das Engadin insgesamt auf engstem Raum ein Hotspot des internationalen Kunstmarkts geworden.
Die Feriengäste haben in den Bergen die nötige Ruhe und Zeit, um sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Fernab vom städtischen Trubel, von der Hektik des Alltags, treffen sie ihre Wahl. Hier oben kaufen sie Werke sowohl für ihre Ferienhäuser, als auch für ihre Sammlungen Daheim. Zeit für einen Besuch in den Engadiner Galerien.
Bratwurst, Skilift, Steinbock
Erster Stopp: Hauser & Wirth. Die Kunstgalerie steht neben den Modegeschäften von Giorgio Armani und Gucci, im Erdgeschoss gibt es eine schicke Bar.
Einige der hier ausgestellten Bilder von Basquiat entstanden in St. Moritz selbst. «See» zeigt den St. Moritzersee bei Nacht, unter dem Sternenhimmel, umgeben von Föhrenwald. Es wird erstmals seit bald vierzig Jahren ausgestellt. Der stille See und der klare Sternenhimmel beeindruckten Basquiat, der aus dem mit Smog überzogenen New York kam und in den Strassen von Brooklyn mit seinen Graffiti zum Künstler geworden war.
Seine Karriere als Maler dauerte nur sieben Jahre. In dieser Zeit aber schuf er 1000 Bilder, darunter 160 zusammen mit seinem Mentor Andy Warhol, und noch mehr Zeichnungen. Zur Serie der Bilder, die er 1983 in St. Moritz malte, gehört auch «Skifahrer», ein witziges Strichmännchen mit Ski auf rotem Grund, hinter ihm Bewegungsstriche wie bei einer Comicfigur. «Nachtleben» ist eine Aussicht auf weisse Berge, und «Alpendorf» zeigt ein Haus, umgeben von Tannen auf petrolgrünem Grund.
In der beschaulichen Schweiz versuchte Basquiat wie ein Kind zu malen. Ein Experiment, das schon Picasso inspiriert hat. Basquiat ging aber einen Schritt weiter und malt zusammen mit Bischofbergers vierjährigen Tochter Cora.
Basquiat saugte zudem alles auf, was er zu sehen bekam. Nach dem Besuch einer Viehschau in Neu St. Johann im Toggenburg malte er in einer einzigen Nacht eine vierteilige Serie mit Kühen und den Fladen, die diese hinterlassen. Und überall: die Bratwurst, als Wort und Bild. Hinzu kommen ganze Menukarten, inklusive Preisen, die Basquiat auf seinen Bildern verewigt hat: «Schafsvoressen», «Hackbratten», «Scwinis mit Kraut».
Auch Skilift und Steinbock wurden zu Motiven in Basquiats Werk, nicht nur bei seinen Besuchen in der Schweiz, sondern auch, wenn er in New York arbeitete.
Jean-Michel Basquiat: «Bull Show Two», 1983, verschiedene Stifte auf Papier., © Estate of Jean – Michel Basquiat, licensed by Artestar, New York Bischofberger Collection, Männedorf-Zürich
Der Zwiespalt Basquiats
Basquiat wird 1960 in eine mittelständische Familie geboren, der es etwas besser geht als vielen anderen im heruntergekommenen Brooklyn. Der Vater stammt aus Haiti, die Grosseltern mütterlicherseits sind puerto-ricanische Einwanderer. Schon früh nimmt die Mutter den Sohn mit in Museen.
Nach der Trennung der Eltern lebt Basquiat bei seinem Vater, die Mutter hat psychische Probleme. Der Jugendliche macht Probleme, verschwindet von zu Hause und bricht die Schule ab. Er besprayt Wände, malt auf Türen und sogar Kühlschränken, legt als DJ auf und spielt in einer Band. Eines seiner zentralen Themen: der allgegenwärtige Rassismus in den USA.
Ein paar Jahre später fällt seine Graffitikunst in der von Weissen dominierten Kunstwelt auf: Er wird aufgenommen und schnell weltbekannt, seine Werke werden an der wichtigen Kunstschau Documenta gezeigt. Von nun an lebt er in einem Zwiespalt: zwischen dem Ruhm als erster erfolgreicher Schwarzer in der weissen Kunstszene und der demütigenden Rolle des Hofkünstlers einer weissen Kulturelite.
Seine Rassismuskritik zeigt sich etwa im Bild «Big Snow», wo die Engadiner Landschaft mit Bobbahn als Kulisse für Olympische Spiele gilt. Als Kontrast dazu dient der Kopf des schwarzen Athleten Jesse Owens, dessen Name auf der Leinwand steht, darunter der Schriftzug «Berlin 1936». Damals, an den Olympischen Spielen in Nazideutschland, gewann Owens vier Goldmedaillen.
Jean-Michel Basquiat: «Skifahrer», 1983, Öl auf Leinwand., © Estate of Jean – Michel Basquiat, licensed by Artestar, New York Collection Carmignac, Foto: Thomas Hennocque
Afrofuturismus in den Alpen
Zweiter Stopp: Robilant + Voena. Ein Pop-up in der Dorfkirche von St. Moritz, etwa hundert Meter entfernt von der prestigeträchtigen Institution Hauser & Wirth. Auch das bietet St. Moritz inzwischen.
Hier zeigen Galeristen aus Italien Bilder von Jordan Watson, einem New Yorker Künstler mit jamaicanischen Wurzeln, geboren 1979. Während ein Basquiat bis über 30 Millionen kostet, bekommt man einen Watson bereits ab mehreren zehntausend Franken.
Watson hat sich zuerst als Kurator einen Namen gemacht. Entstanden sind grosse Bilder mit Schneesportmotiven im Stil des Afrofuturismus: Schwarze Menschen fahren in einer knallig-farbigen Zukunft in den Bergen Ski oder gleiten mit Schlittschuhen über das Eis. Es sind ästhetische Werke, die jedoch beinahe kitschig wirken.
Die Bilder von Jordan Watson werden in der Dorfkirche in St. Moritz von der Galerie Robilant + Voena ausgestellt., PD
Wols illustrierte Sartres Bücher
Dritter Stopp: Karsten Greve. Ein paar Häuser von der Dorfkirche weg, an der edlen Via Maistra, steht die älteste internationale Galerie in St. Moritz. Karsten Greve eröffnete sie vor 25 Jahren. Gerade zeigt der deutsche Kunsthändler und Verleger den ebenfalls deutschen Avantgardekünstler Wols, 1913 geboren, der eigentlich Alfred Otto Wolfgang Schulze hiess. Seine Werke kosten oft mehr als hunderttausend Franken.
Es sind im Gegensatz zum knalligen Werk Basquiats und zu den modischen Bildern Watsons oftmals sehr düstere, dichte Werke, viele davon entstanden während des Zweiten Weltkriegs. Sie stehen in maximalem Kontrast zu der schneebedeckten Ferienkulisse.
Wols war nicht nur Maler, sondern auch Fotograf, Dichter und Musiker, er spielte Geige und Banjo. 1932 zog er nach Paris, weil er den Nationalsozialismus ablehnte. Dort lernte Wols viele bedeutende Persönlichkeiten kennen. Etwa den Existenzialisten Jean-Paul Sartre, der ihm ein enger Freund wurde. Sartre kam zwei Jahre lang für Wols’ Hotelzimmer in Paris auf, wo der Künstler meistens im Bett arbeitete. Im Gegenzug illustrierte Wols Sartres Bücher.
Wols: ohne Titel, 1942, Tusche auf Papier., Courtesy Of Galerie Karsten Greve Köln Paris St. Moritz, Foto: Friedrich Rosenstiel, Köln
Kontrast zum Skitourismus
In Paris nahm Wols sich vorerst der Fotografie an, es folgten viele Zeichnungen, meist mit Tusche und Aquarell, inspiriert vom Surrealismus. Es sind feine Konstruktionen, die oftmals an Architekturzeichnungen erinnern, jeder Strich, jede Farbfläche scheint vorsichtig aufgetragen. Wols schrieb auch Aphorismen. Einer lautet: «Im Sehen soll man sich nicht darauf versteifen, was man aus dem, was man sieht, machen könnte. Man soll sehen, was ist.» Die Sätze passen zu Wols Rolle als Wegbereiter des Informel, der abstrakten Kunst der europäischen Nachkriegsjahre.
Bei Kriegsausbruch wurde er als unerwünschter Ausländer in verschiedene Internierungslager gebracht, zusammen mit anderen ausländischen Künstlern wie Max Ernst. Wols überlebte beide Weltkriege – und starb letztlich 1951 an einer Lebensmittelvergiftung im Alter von 38 Jahren.
Drinnen die finsteren Bilder, draussen die verschneiten Berge. Kunsttrunken können die Feriengäste nach dem Galeriebesuch wieder durchs beschauliche St. Moritz spazieren. Um die Ecke recken sich die Touristen auf der Terrasse einer Après-Ski-Bar in der Sonne, eingepackt in Pelz, das Gesicht verdeckt von übergrossen, glänzenden Sonnenbrillen. Vielleicht gibt es dort auch Bratwürste – oder sonst ein Gericht, das Basquiat gern gemalt hätte.
«Jean-Michel Basquiat. Engadin», Hauser & Wirth, St. Moritz, bis 29. März. «Wols», Galerie Karsten Greve, St. Moritz, bis 22. März. «Jordan Watson. Easier to Breathe», Robilant + Voena, Dorfkirche in St. Moritz, bis 6. März.
New York Times, February 8
Caspar David Friedrich: A Solitary Wanderer Finding His Way in the Fog
The first major U.S. exhibition of Germany’s great Romantic painter is a historic showcase. It’s also a blueprint for how to think, and how to feel, in a changing environment.

Extraits:
We always overhype our vacations. After a long morning’s climb the weather is clearing up, and we are peering into the distance, into the fog gathered beneath this craggy outcropping — high above Germany, or what is not yet Germany, where only little tufts of grass push from the bare rock. It was not an easy hike, but we had a purpose. This is what we keep telling ourselves, as we dust our Hessian boots or charge our D.S.L.R. cameras: Hike to the summit, behold the awesome view, and the sight of beauty will change our life.
Yet now, looking out through the thin mountain air … well, of course it’s spectacular. Still, when we look out at the mountains — at the picture of the mountains; we have trouble distinguishing, sometimes — the sensation that washes over us is not exultation but melancholy. This famous view we waited our whole life to see is missing details, seems washed of its particulars. Between us and eternity, between human understanding and the essence of the universe, lies a stubborn, obscuring bed of white cloud.
“Wanderer Above the Sea of Fog,” the wistful rear view that Caspar David Friedrich painted circa 1817, has the pesky distinction of epitomizing not just a single artist but also a whole epoch: the era of German Romanticism, when Enlightenment ideals of reason and skepticism unleashed a counterrevolution of passion and sentiment.
The solitary Wanderer, in his head-to-toe crushed green velvet, has become a metaphor for Germany itself, and the object of countless paste-ups and parodies. (Angela Merkel, recognizable from the back in her trademark pantsuit, was grafted into this landscape more than once.) Yet the Wanderer has never hiked as far as America, not until now, when from this weekend he will have his back turned to the visitors of “Caspar David Friedrich: The Soul of Nature.” Already, on a huge poster adorning of the Metropolitan Museum of Art facade, our crestfallen hero has cast his gaze away from Fifth Avenue.
“The Soul of Nature” is much more than a showcase of one Romantic icon, and it has some surprises for audiences who associate Friedrich, and early-19th-century art more generally, with calm and tranquillity. Organized with three German museums, the exhibit includes 88 paintings and drawings, of rocks gleaming in the moonlight, solitary crucifixes in evergreen forests, and lonely Germans gazing out onto the sea.
That’s a lot more than any American museum has ever assembled (only two Friedrich shows have ever taken place here before; one of his biggest fans, Adolf Hitler, cast a long shadow on the artist’s 20th-century reception), but also barely half as many in a related show last year commemorating Friedrich’s 250th birthday. When I saw that show in Hamburg, Germany, I found myself dumbfounded by the sensitivity of Friedrich’s drawings, how he lavished attention on the hatching of stones and the ribbing of leaves, turning one lifeless boulder into a reflection of the soul.
That part-to-whole magic is a little harder to find at the Met, but the core of Friedrich’s achievement is still present in this show: the spontaneous, occasionally visionary gaze on the natural world, and the unrivaled ability to imbue one view with an entire philosophy of the world. (…)
Most critically, as we keep failing to forge a culture serious about a changing climate, the curators here show us how tumultuous Friedrich’s glades and grasses really are. War. Nationalism. Religion. Industrialization. The world outside is changing, and the inner world too: racked by anxiety, cursed with nostalgia. It’s that double instability, that inner and outer climatology, that has turned Friedrich and the Romantics into my chosen guides through the Anthropocene. (…)
There is not much of a seashore to see in “Monk by the Sea,” just as the mountainscape the Wanderer beholds lacks the epic scale of, say, the Americans of the Hudson River School. (In an 1810 review of “Monk by the Sea,” an unimpressed young woman in the gallery moans to her governess, “That’s where goods from the colonies arrive.”) But that’s the whole point here; you don’t need to go all the way to the Matterhorn or the Grand Canyon to discover the infinite, because the infinite is inside you. As observed by the art historian Joseph Leo Koerner (a contributor to this show’s catalog), what’s sublime in Friedrich are not the mountains or trees — some of which, if we’re being honest, can tend into Bob Ross monotony in places.
What’s sublime in Friedrich are the subjective effects of these natural things on painter and viewer, or what a landscape does to an observer in history and time. The Romantics had a word for this: Erlebniskunst, an “art of experience,” in which what you feel has primacy over what you see. Shrouded in fog or illuminated by sunbeams, landscape for Friedrich was always finally a journey into the unknown, the geographic unknown but also the unknown of the heart. (…)
“A stranger I arrived; a stranger I depart,” goes the opening of Schubert’s “Winterreise,” and at the end of this beautiful show, in late sepia drawings of caves and cemeteries made after Friedrich abandoned painting and lost his fame, this most German of artists depicted the German landscape as an almost alien terrain. And I think one of the many reasons the Met’s exhibition feels so timely is just how much of a stranger Friedrich remained in landscape — and how much human longing he located within his rocks and evergreens. Longing for God. Longing for stranger shores. Longing for death, maybe. I have my own longings now, my nostalgia for a nature not yet human authored, as I wander through a climate as distant from Greifswald as from Babylon. But we may yet find peace, a measure of it, if we learn to see in the fog.
Caspar David Friedrich: The Soul of Nature
Feb. 8 to May 11, Metropolitan Museum of Art, 1000 Fifth Avenue, Manhattan; 212-535-7710, metmuseum.org.
https://www.nytimes.com/2025/02/06/arts/design/caspar-david-friedrich-metropolitan-museum.html
The Guardian, February 3, free accès
Emmanuel Macron’s got a point: Why shouldn’t we charge tourists to see our treasures?
The Louvre’s proposed two-tier fees are a better way to fund museums than iffy corporate sponsorship deals
Extraits:
Introducing, five years on, another Brexit bonus: the chance to support the renovation of the Louvre. President Emmanuel Macron has proposed paying for the “renaissance” of the Paris museum, in part, by increasing entrance fees for visitors from outside the EU.
After some initial attempts to represent this as a direct insult – “Brits will be forced to pay more than EU residents” (the Mail) – even the rabidly pro-Brexit press appears to have accepted that the scheme applies globally, to all non-EU visitors: an exceptionally cunning way of Brit-targeting, even for the French.
If anything, of course, this opportunity for Britons to pay more is a proud reminder of their own Brexit triumph: a cultural dividend up there with the loss of the Erasmus scheme and wrecked prospects for UK musicians. Happily for these purists, the current prime minister seems preoccupied with creating his own, potentially even uglier, legacy: that of an irreparably degraded UK environment.
As for Macron’s thinking: it was anticipated only last summer by a British curator, Sir Mark Jones. He proposed that the national collections in London pay for improvements by introducing admission fees for overseas visitors aged over 25. (…)
Since then, it has emerged that many of the very workers who deal, close up, with the mass tourism pressing into these invaluable spaces, are among London’s lowest paid. (…)
In not charging for entry, the UK’s national museums are, as any British tourist knows, anomalous. “It would make sense,” Jones said, “for us to charge overseas visitors for admission to museums as they charge us when we visit their museums.” And largely, even when nationals and local residents are exempted, these museums do so without accusations – occasionally levelled at UK proponents of museum tourist-charging – of xenophobia. When you see Venice’s older inhabitants being shoved out of vaporetti or run into by rucksacks, wheelie cases and gurning selfie-takers, its two-tier approach seems the very least tourism can offer by way of compensation. New York’s Metropolitan Museum is likewise forgiven an exemption whereby the state’s residents decide their own fee.
That less generous capitals deny tourists free admission does not amount to a case against the UK’s more hospitable entry principles, sometimes advertised with our-NHS levels of national pride and piety. To add to the arguments for universally free entry advanced in 2000, its supporters persuasively cite the importance, now better understood, of welcoming, to supposedly universal museums, visitors from countries that the colonising British relieved, more or less brutally, of future exhibits. Following Jones’s intervention, Prof David Abulafia argued in the Spectator against entrance fees: “These museums are custodians of their contents on behalf of all of mankind. This means that people from all countries of the world should be able to enter freely and see what these museums contain.” (…)
Like the Louvre, the British Museum is creaking, also leaking, under pressure to upgrade and, increasingly, to collaborate. Where are the resources to come from? That’s if there is no future for my own proposal: a £50 (for now) permit for in-gallery mobile phone/watch photography. It would only inconvenience the disparate millions united by one conviction: that there’s no universal treasure that can’t be improved – including for fellow visitors – by having their own face planted in front of it.
So, if not a Macron scheme, with inadequate state investment, what? At the same time that supporters of restitution and of fair pay have been demanding action from universal collections, other activists have challenged recourse to corporate funding, with campaigns against fossil fuel money, like BP’s deal with the British Museum. The Science Museum is under attack for its deal with Adani Green Energy, part of a conglomerate that invests in coal.
Neue Zürcher Zeitung, 30. Januar, nur für Abonnenten
Der Louvre verlottert, und Macron macht die Sanierung zur Chefsache
Der Pariser Louvre ist akut vom Verfall bedroht. Dabei hat Frankreich doch schon so viele andere Sorgen. Wie gut, dass Präsident Macron, der Retter der Notre-Dame, eine «Wiedergeburt» des weltberühmten Museums verspricht.
Extraits:
(…) Macron beeilte sich also mit seiner Visite. Dem Präsidenten, dem seit seiner Entscheidung vom letzten Jahr, das Parlament aufzulösen, innenpolitisch die Freunde ausgegangen sind und der auch in Umfragen historisch abgestürzt ist, dürfte die Aussicht auf eine neue Mission zur Rettung eines weiteren französischen Kultursymbols gefallen haben. Frankreich hat derzeit viele Sorgen, der Staat ist pleite, die Wirtschaft brummt nicht mehr, die Minderheitsregierung von François Bayrou könnte bald gestürzt werden. Aber manchmal, so wie bei der feierlichen Wiedereröffnung der Notre-Dame im Dezember, gibt es eben auch eine willkommene Ablenkung vom tristen Tagesgeschäft.
Vor der «Mona Lisa», dem berühmten Werk von Leonardo da Vinci – für das sich Touristen aus aller Welt überhaupt erst auf den Weg nach Paris machen –, präsentierte Macron seine mit Spannung erwarteten Pläne. (…)
Zuletzt war der Louvre in den 1980er Jahren renoviert worden, wobei der Architekt Ieoh Ming Pei die ikonische Pyramide für den Eingang errichtete, die 1989 eröffnet wurde. Sie sei ursprünglich für 4 Millionen Besucher vorgesehen gewesen, heute seien es jedoch 9 Millionen Besucher pro Jahr, sagte Macron. Der neue Eingang solle bis zum Jahr 2031 eingeweiht werden. Darüber hinaus werde auch die «Mona Lisa» einen eigenen Saal erhalten und damit für Besucher besser zur Geltung kommen.
Die Kosten des Projekts, das Macron als «Nouvelle Renaissance» (Neue Wiedergeburt) bezeichnete, nannte der Präsident nicht. Von einer Quelle des Élysée-Palasts aber wurde die Zahl 700 bis 800 Millionen Euro verbreitet. Finanziert werden soll das durch Eigeneinnahmen des Louvre, durch Spenden, durch den Erlös, den die Royaltys des Louvre in Abu Dhabi abwerfen, sowie durch erhöhte Eintrittspreise. (…)
Wird Macron, dem Retter der Notre-Dame, ein zweites Wunder gelingen? Wer Zeichen lesen kann, dürfte bemerkt haben, dass in dem Saal, in dem der Präsident am Dienstag sprach, auch die «Hochzeit zu Kana» des italienischen Malers Paolo Caliari hängt. Laut der Wundererzählung verwandelte Jesus bei der Hochzeit Wasser in Wein.
Neue Zürcher Zeitung, 20 janvier, article payant
Pissoirs, Bananen und jetzt auch noch Sandalen – soll denn alles Kunst sein?
Der Gesundheitsschuh-Hersteller Birkenstock will seine berühmten Treter urheberrechtlich als Kunstprodukte schützen lassen. Etwas Nachhilfeunterricht zum Unterschied zwischen Kunst und Alltagsprodukten wäre angebracht, findet unser Kunstkritiker.
Extraits:
Dass Gegenwartskunst auf den Hund gekommen ist, denken vermutlich viele Zeitgenossen, die damit Verständnisprobleme haben. Dass sie nun aber auch auf die Schuhe kommt, ist doch einigermassen neu: Die Firma Birkenstock sieht ihre Sandalen von Nachahmern bedrängt und möchte sie per Gerichtsbeschluss über den ohnehin bestehenden Produkteschutz von 25 Jahren hinaus urheberrechtlich als Werke der angewandten Kunst schützen lassen. Mit diesem Status wären sie bis zu siebzig Jahre nach dem Tod ihres Erfinders, des noch lebenden Karl Birkenstock, vor Nachahmung geschützt. Eine coole Geschäftsidee, auf die die Schweizer Pharmaindustrie bisher noch nicht gekommen ist. Das Oberlandesgericht Köln hat dieses Ansinnen abgelehnt, die Firma hat den Fall vor den Bundesgerichtshof weitergezogen. Während der mit seinem abschliessenden Urteil auf sich warten lässt, kann man sich fragen: Was macht den Unterschied zwischen Kunst und anderen Objekten aus? Was ist Kunst heute?
Üblicherweise tauchen solche Fragen auf, wenn irgendjemand ein Kunstwerk zerstört hat, weil er oder sie es nicht als solches erkannt hat. Die Liste ist lang, Joseph Beuys ein beliebtes Beispiel. Da ist etwa die berühmte Fettecke in Beuys’ Atelier, die der Hausmeister der Kunstakademie Düsseldorf 1986, bald nach dem Tod des Künstlers, in einem Mülleimer entsorgt hat. In der Tate Modern warf eine Reinigungskraft 2004 einen durchsichtigen Plastiksack mit Zeitungen und Pappe weg, der vor einem abstrakten Gemälde stand, weil sie nicht erkannte, dass er Teil des Kunstwerks von Gustav Metzger war. Und Banksys Spraybilder im öffentlichen Raum haben von Bristol bis Melbourne einen schweren Stand und wurden mehrfach entsorgt.
Dass heute alles Kunst sein will, weil da im Top-Segment des Marktes Wahnsinnspreise erzielt werden, dass Designerläden Kleidung und Accessoires wie Kunstwerke in Vitrinen und auf Sockeln präsentieren, als wären sie Kunstobjekte, kann man schon bei einem banalen Schaufensterbummel durch die Zürcher Bahnhofstrasse sehen. Dass eine Firma aber ihre Massenware als Kunstprodukt, sozusagen als Multiple für die fussgeplagten Zeitgenossen, schützen lassen will, ist aber neu.
Von Kunst wird üblicherweise mehr und anderes erwartet als ein bequemes Fussbett und ein Muster auf den Riemchen. Wer sie praktiziert, hat meistens eine (Akademie-)Ausbildung durchlaufen. Er oder sie will unsere Wahrnehmung für Sachverhalte schärfen, die ihnen wichtig erscheint. Im besten Fall entwerfen Kunstschaffende eine eigene Welt, in der sich Aspekte unseres Alltags spiegeln. Und gerne interessieren sie sich für Ränder ihrer Gebiete. Schubladen sind nicht ihre Sache. So ist Gerhard Richters Werk auch deshalb so bedeutend, weil er einer der Ersten war, die Fotografien zur Grundlage ihrer Malerei machten und den gesellschaftlichen Moment in einer allgemeinen Aussage aufbewahrten. Sein Werk zu Baader und Meinhof, «18. Oktober 1977», ist nicht eine Bildreportage zu den letzten Tagen der Terroristen, sondern erweitert diesen Ausgangspunkt zu einer Aussage über die Bundesrepublik Deutschland. Obendrein erneuert es die abgelegte Gattung des Historienbildes. Es hat einen vielfachen ästhetischen Mehrwert.
Künstlern ist es übrigens häufig egal, ob der Markt und das Publikum ihre Arbeiten als Kunst betrachten, als Kunsthandwerk oder etwas anderes. Marcel Duchamp hat flapsig befunden: «Kunst ist alles, was ein Künstler macht.» Und hat mit der Erfindung des Readymades gleich die Probe aufs Exempel geliefert: Er signierte ein Pissoir und stellte es aus, montierte ein Velorad auf einen Hocker und stellte einen Flaschentrockner ins Museum. Maurizio Cattelan tat es ihm kürzlich mit einer Banane gleich, die er an die Wand klebte. Alles handelsübliche Massenware. Was sie zu (inzwischen hochdotierten) Kunstwerken macht, ist der Kontext, in dem sie geschaffen und zu Kunst erklärt wurden: Das Museum, die Ausstellung haben Definitionsmacht, der Akt des Ausstellens an einem solchen Ort wird zur entscheidenden Handlung, die einem Gegenstand andere Bedeutung gibt. Sie nimmt Bezug auf die Geschichte der Kunst, auf ihre Formen (im Fall Duchamp die Skulptur), ihre Rolle in der Gesellschaft und auf den Diskurs der Kunst.
Auch wenn sich in unseren hoch individualisierten liberalen Gesellschaften also kaum verbindlich sagen lässt, was als Kunst gilt und was nicht, darf man doch insgesamt festhalten: Wenn Kunst interessant sein soll, hat sie mit Freiheit zu tun, mit der Überschreitung von Grenzen, die in der jeweiligen Gesellschaft bestehen. Dafür wird sie in Deutschland vom Grundgesetz geschützt: «Die Kunst ist frei», heisst es da lapidar und in Erinnerung an den Nationalsozialismus. Diese Freiheit von Zwecken ist eine auf Kant und die Aufklärung zurückgehende Errungenschaft, mit der die sich formierende bürgerliche Gesellschaft Kunst aus dem Dienst von Adel und Kirche entlassen hat. (…)
Kunst ist in diesem Sinn der Zweckfreiheit ein Raum und ein Medium zur Befreiung, ganz gleich, ob von Formen, Materialien oder Themen. Ein Rembrandt hat 1632 mit seiner «Anatomie des Dr. Tulp» das kirchliche Verbot der Öffnung und Untersuchung toter menschlicher Körper nicht beachtet. Eine Eva Hesse hat in den 1960er Jahren Kunststoffe und andere Materialien verwendet, die in der Kunst bis dahin nicht vorgekommen waren. Ein Paul McCarthy hat die sexuelle Doppelmoral im puritanerhaften Amerika blossgestellt. Immer geht es um Öffnung der Wahrnehmung, um Erweiterung des Horizonts, um Vermehrung des Darstellbaren und Sagbaren.
Das können natürlich auch Schuhe leisten. Die Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim hat ein Paar weisse Stöckelschuhe zusammengebunden, umgedreht und die spitzen Absätze mit Papierkrausen versehen, wie man sie um Poulet-Schenkeli drapiert bekam. Die Vorarlbergerin Anne-Marie Jehle hat einem Damenschuh einen Absatz aus einem Rasierpinsel untermontiert. Beide Künstlerinnen spielen mit dem Frauenbild von Männern, thematisieren Gewalt, Unterwerfung und Schwäche. Sie lassen uns auch heute noch schmunzeln und freier atmen. Was man nicht kann, ist mit den Schuhen gehen. Mit ihnen beschuht man sich mental für eine andere Reise als den Weg vom Sofa in die Küche. Sie sind Ausdruck einer künstlerischen Haltung, sie sind unbestreitbar Kunstwerke. Dass Birkenstock seine Sandalen ihnen gleichstellen möchte, ist entweder ein skurriler Witz oder einfach dumm. Im letzteren Fall hätten die Anwälte des Freizeittreters nicht begriffen, zu welcher Reise Kunst uns einlädt.
https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst-am-fuss-ld.1866115
Neue Zürcher Zeitung, 15 janvier, article payant
In der Schweiz galt Ernst Ludwig Kirchner erst nicht als Künstler
In den Bündner Bergen mutierte er vom Maler der Kokotten zum Bauernmaler. Dennoch wurde sein expressionistischer Stil in der Schweiz kritisiert. Als Reaktion gründete Kirchner mit ein paar Künstlerfreunden im Tessin die Gruppe «Rot-Blau». Zu deren Hundert-Jahr-Jubiläum zeigt das MASI in Lugano bedeutende Werke der Künstlergruppe.
Extraits :
Vor ziemlich genau hundert Jahren konnte man in der NZZ eine deftige Polemik gegen den expressionistischen Künstler Ernst Ludwig Kirchner lesen. Anlass war eine Ausstellung in der Basler Kunsthalle. Der Kunstkritiker der NZZ fand, Kirchner habe «viel Unheil» unter den jungen Basler Malern angerichtet. «Nach Scherer ist ihm nun auch Werner Neuhaus verfallen . . . Alle diese Kirchner-Epigonen mögen bedenken, dass Kirchner kein ursprünglicher Künstler ist und darum kein Ausgangspunkt für eine fruchtbare Entwicklung sein kann . . .»
Ernst Ludwig Kirchner sah sich nicht zum ersten Mal im Fegefeuer der Kritik. Dennoch erstaunen die Zeilen in der NZZ zu Kirchners Einfluss auf ein paar Basler Kunstschaffende, die an der traditionellen Kunsthallen-Ausstellung zum Jahresende ausstellten. Kirchner hatte selber nicht einmal daran teilgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich aber immerhin bereits einen festen Platz unter renommierten Kunstsammlern erobert. Er war der Protagonist des deutschen Expressionismus schlechthin, Gründungsmitglied der Künstlergruppe «Brücke» und bekannt für seine dynamischen, vibrierenden Grossstadtbilder. Was also war geschehen?
Im Jahr 1917 zog sich Kirchner, traumatisiert vom Kriegsgeschehen und gezeichnet von schwerer Krankheit, von Berlin zu einem Kuraufenthalt nach Davos zurück. Allerdings bezog er nicht eines der mondänen Luxussanatorien, die zu dieser Zeit aus dem Boden schossen, sondern die oberhalb von Davos gelegene Stafelalp. Es sollte wohl so etwas wie eine Rosskur werden.
Abseits von Ablenkungen und Ausschweifungen wollte sich Kirchner von Alkohol und Morphium lösen. «Gesunden oder Sterben» war seine Devise. In der Höhenluft und der Abgeschiedenheit stabilisierte sich sein Zustand, und ab 1920 widmete er sich wieder intensiver der Malerei.
Der Bruch allerdings war hinsichtlich seiner bisherigen Motive radikal. Der einstige Maler der Kokotten und Galane mutierte in den Schweizer Bergen zum Landschafts- und Bauernmaler. Seine Farbpalette behielt er bei, sie wurde jetzt sogar noch intensiver, noch leuchtender, noch bunter! (…)
Kirchner wollte den Augenblick, die Stimmung, den psychologischen Kern eines Moments zum Ausdruck bringen. Angesichts der grandiosen Natur taucht der Maler die Alpenlandschaft in ein glühendes Feuerwerk von Farben. So auch im Bild «Davos im Winter», in dem der Weltkurort im Tal zu einer Siedlung schrumpft, umfangen von den hoch in den Himmel ragenden Gebirgsketten. (…)
Kirchner, durchaus geschmeichelt von der Begeisterung seiner Anhänger, schart die jungen Künstler um sich, unterstützt sie in ihren Arbeiten und gibt Rat. Eine Einzelausstellung Kirchners 1924 in Winterthur entwickelt sich dann jedoch zum Debakel. Gelbe Kühe, rote Tannen, grüner Mond – Kirchner stellt mit seinen explosiv wirkenden Bildern die Kunstwelt auf den Kopf. Die Ausstellung erntet in der Öffentlichkeit nur Spott und Hohn. In der Kunstszene herrscht allgemeine Krisenstimmung. (…)
Lange kann sich die Gruppe nicht behaupten: Nach dem frühen, krankheitsbedingten Tod von Hermann Scherer und Albert Müller wird die Gruppe bereits 1927 wieder aufgelöst. Der Expressionismus aber hat begonnen, in der Schweiz Fuss zu fassen. Rechtzeitig zum Hundert-Jahr-Jubiläum der Künstlergruppe ist jetzt eine Schau zu diesem Kapitel Kunstgeschichte im MASI in Lugano zu sehen.
Zusammengestellt wurde eine Auswahl von zehn grossen bis mittelgrossen Gemälden Kirchners aus der Zeitspanne von 1918 bis 1926. Diesen Gemälden werden zehn Arbeiten von Kirchners Malerfreunden – den Mitgliedern der Gruppe «Rot-Blau» – gegenübergestellt.
Kirchners «Bauernmittag» ist ebenso dabei wie «Davos im Winter». Aber auch das ausdrucksstarke Doppelbildnis mit dem Titel «Vor Sonnenaufgang» (1925/26). Der Maler zeigt sich hier mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling auf der Veranda ihrer Unterkunft stehend, versonnen das Naturspektakel, den Aufgang der Sonne, beobachtend. (…)
Am 2. Dezember 1926 findet man Ernst Ludwig Kirchner mit folgenden Worten in der NZZ zitiert: «Man frage nur irgend einen der Jungen, ob ich nicht stets die eigene Individualität des Einzelnen als erstes Erfordernis für das Schaffen betone. Für uns ist die Natur und das eigene Erlebnis der Lehrmeister, nicht Kunstwerke, sie mögen sein, vom [sic] wem sie wollen.»
Nach Auflösung der Gruppe wird sich Kirchner auf seine eigene Kunst konzentrieren. Aus seiner Depression wird er nie wieder ganz herausfinden. Als in Deutschland die Nationalsozialisten auf den Plan treten, beschlagnahmen sie auch das Gemälde «Bauernmittag»; es wird zur Ikone der sogenannten entarteten Kunst. Verfemt und von Krankheit geplagt, begeht Ernst Ludwig Kirchner 1938 in Davos Suizid.
Le Figaro, 14 janvier, article payant
« Paris 1793-1794 », une exposition soignée mais édulcorée sur la Terreur
Le Musée Carnavalet revisite ce moment de notre histoire où la République trébuche d’entrée sur ses propres idéaux.
Extraits :
Quatre-vingt-treize. La date suffisait à saisir d’effroi le lecteur de Victor Hugo. Paris vacille alors entre rêves d’égalité intégrale et lame de la guillotine, entre utopie et coercition. Le Musée Carnavalet replonge dans ces mois intenses et suspendus sous l’angle de la vie quotidienne et de l’émotion des Parisiens. Le parcours est riche et classique : plus de 250 œuvres, dont une réplique du Marat assassiné de David, témoignent de cette Convention qui tâtonne puis s’embourbe dans la violence. Une Marseillaise guillerette en musique d’ambiance, on raconte comment les habitants des faubourgs sont sommés de porter la cocarde révolutionnaire, d’afficher leur identité à la façade de leur immeuble. Une société de délation se met en place, pour un kilogramme de sucre vendu au-delà du prix réglementaire, pour un dessin trop avantageux pour le roi. Une centaine de prisons fleurit dans la capitale, et on célèbre l’Être suprême dans des rues quadrillées par une surveillance oppressante.
L’exposition surprend pourtant par les distances confondantes qu’elle prend avec la notion de Terreur. Les panneaux de salle et les cartels usent à l’envi du « mais », comme si l’on ne se satisfaisait jamais de ce que l’histoire a retenu et malgré les innombrables travaux sur l’hubris généralisée du moment. Le mot « Terreur » a été, nous dit-on, « fabriqué pour des raisons politiques », et l’année du printemps 1793 à l’été 1794 doit aussi être vécue comme « un temps d’utopie et d’expériences politiques qui font brèche à la désespérance ». Les heureux exemples manquent… Certes, on détruit (ou on vole) partout les signes de l’Ancien Régime, mais « beaucoup d’autres sont protégés » (dans quelle proportion ?), et les saccages « reconfigurent le décor de Paris ». Certes, les Sœurs de la charité préexistaient aux « citoyennes de secours », mais c’est seulement alors que « l’assistance publique devient un droit ».
L’exécution de Marie-Antoinette et la mort du Dauphin sont, elles, parfaitement présentées, ainsi que l’onde de choc qui les accompagne dans la population. On signale que lorsque Thermidor arrive, on « cherche des coupables », et que Robespierre et ses proches deviennent « les cibles prioritaires [d’une] campagne d’épuration et de dénigrement, au cours de laquelle naissent mille légendes ». Mais nulle insistance sur les dizaines de milliers de morts : on se borne à rappeler que, pendant la période, les mesures d’exception « pèsent lourdement sur les vies collectives et individuelles ». La Terreur, héritage contrasté ? Les euphémismes ne feront jamais une vérité historique.
« Paris 1793-1794. Une année révolutionnaire », jusqu’au 16 février 2025. Musée Carnavalet, 23, rue de Sévigné, 75003 Paris ; carnavalet.paris.fr ; 01 44 59 58 58.
Le Point, 23 décembre, article payant
La gastronomie, une exception française
À TABLE ! Le critique, le théoricien et le cuisinier-artiste : tel est le triptyque idéal de la culture du bien manger. Mais pourquoi donc est-elle née en France ?
Extraits:
Malgré les incertitudes liées aux temps troublés que nous vivons actuellement, une image demeure en France comme à l’étranger : notre pays serait celui de la gastronomie. En 2010, l’Unesco s’en est même mêlée en inscrivant le « repas gastronomique des Français » sur la liste représentative du patrimoine culturel immatériel de l’humanité. Nous entendons par là non pas celui qu’on se paie au restaurant pour les grandes occasions et qui est préparé sous l’égide d’un chef « étoilé » (une invention française, celle du Guide Michelin, datant de 1926), mais celui que tout Français digne de ce nom est capable de mettre sur pied en suivant un rituel souple et, néanmoins, structuré.
Au XXIe siècle, plusieurs enquêtes d’opinion ont mis en lumière la forte résistance du repas à la française, un phénomène qu’on ne retrouve pas dans les pays voisins, mais ce constat s’est perdu dans le brouhaha des polémiques sur un éventuel déclin du modèle français. Pour éclairer ce que l’on met aujourd’hui derrière ces mots, essayons de revenir à quelques fondamentaux. (…)
C’est en effet dans ce pays, la France, que sont apparus les restaurants, un nom très moderne pour désigner un lieu où l’on propose une alimentation qui « restaure » notre organisme et un projet qui ne l’est pas moins, celui d’offrir le cadre, le service, la cuisine et la cave d’une grande maison privée en échange non pas d’une invitation de pair à compagnon mais d’argent. On est dans les années 1770, donc avant la fin de l’Ancien Régime. (…)
Au sommet du système, la figure la plus originale, celle du cuisinier-artiste. Elle s’identifie dès les années 1820 à Marie-Antoine Carême, pour qui l’anoblissement passe aussi bien par l’invention de la toque que par de constantes références aux beaux-arts. Plus tard, Auguste Escoffier pourra asseoir à l’échelle mondiale un véritable impérialisme français où à l’organisation rationnelle des cuisines répond l’individualisme de l’innovation culinaire. Insistons sur ce point : c’est sans doute là, dans la revendication d’une cuisine signée – soutenue par les flancs-gardes que sont le critique et le théoricien –, que se situe la contribution mondiale du modèle français. À ce stade, il est facile de définir ce mot redoutable et souvent mal compris : la gastronomie est, tout simplement, la culture du manger et du boire. (…)
À l’entrée du XXIe siècle, la gastronomie française fait l’objet des mêmes préoccupations que tous les autres secteurs de notre vie en société. Dès lors, cela n’a rien d’étonnant à ce qu’un mot les unifie presque toutes : identité. Le débat est vif autour de la survie des traditions culinaires face à une cuisine « moderniste », d’une cuisine nationale à l’heure de la mondialisation, d’une cuisine « genrée » à l’heure de la parité. Mais c’est encore la manière dont le système gastronomique français s’accommode de ces nouveaux défis qui témoigne de sa capacité à intégrer le changement. (…)
Au vrai, l’attraction française continue à opérer sur de nombreux jeunes chefs étrangers, au premier rang desquels les Japonais. Alors, il est plus facile de diagnostiquer la vague montante des influences étrangères encouragée par les échanges internationaux : l’évolution des cartes montre que la jeune génération de cuisiniers qui officient aujourd’hui en France a appris à jongler avec les produits, les recettes et les manières de faire du monde entier, mais toujours pour en faire des créations originales. (…)
Jusqu’à récemment, le partage « genré » se faisait très simplement : aux femmes la cuisine privée, aux hommes la cuisine publique – transposition dans l’univers gastronomique de la séparation qui a longtemps confiné les femmes en dehors du champ des institutions, qu’elles soient politiques, économiques ou culturelles. Tout, sur ce plan, est en train de basculer. Et il n’est pas sans intérêt de noter que le premier domaine de la gastronomie qui, sous nos yeux, se féminise à grande vitesse est celui du vin, avec notamment des femmes vigneronnes, œnologues ou sommelières. (…)
Mais c’est dans l’assiette comme dans le verre qu’on vérifiera – ou pas – si les hypothèses un tantinet essentialistes selon lesquelles le féminin apporterait en tous lieux où il s’impose la dimension du care, de l’empathie, se traduisent bel et bien par un primat de l’éthique, dimension sensible car les postulats écologiques et animalistes ont longtemps été étrangers au monde des cuisines. Ce qui demeure certain, c’est que, quelles que soient les nouvelles valeurs qui présideront à l’avenir dans la culture française du manger et du boire, celles-ci ne devraient pas conduire à mettre en cause ce qui en fait depuis deux siècles la réputation : l’éloge de la création et, surtout, la prise au sérieux des enjeux du passer à table.
* Pascal Ory est professeur émérite d’histoire à l’université Paris-1 (Panthéon-Sorbonne). Il est l’auteur, entre autres, du Discours gastronomique français, des origines à nos jours (Gallimard, 1998).
https://www.lepoint.fr/gastronomie/la-gastronomie-une-exception-francaise-03-12-2020-2404004_82.php