VII.2. Langue & littérature

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The Economist, Book Review, 9 mai

Proto type : The language that changed the world

Around half of the world’s population speaks a descendant of Proto-Indo-European. Most know little about it

Proto: How One Ancient Language Went Global. By Laura Spinney. Bloomsbury; 352 pages; $29.99. William Collins; £22

Full text: 

Dante did like a category. Famously, he split sinners into different circles in Hell. Those who committed milder misdemeanours (the violent; tyrants) went in the outer realms; more serious sinners (bankers, naturally) he tortured farther in.

But he also categorised other things. Because Dante—a linguistic Darwin—held a heretical theory. Europe’s languages, he thought, had not been made in a single moment, in a biblical Babel, but had evolved. With the care of a Victorian naturalist, he thus split Europe’s languages into families by their words for yes: thus those who lived in southern France and said “Oc” spoke a “Langue d’oc”.

The truth of Dante’s Hell is debatable, but, linguistically, he was spot-on. Four centuries later, a British judge and polyglot called Sir William Jones arrived in Calcutta and was struck by the similarities between Latin and Sanskrit words for terms such as house (domusdam) and god (deusdeva). Clearly they had “sprung from some common source, which, perhaps, no longer exists”. The world’s languages were not a babel but a brotherhood.

“Proto”, a new book by Laura Spinney, a journalist who has written for this newspaper, offers a biography of that brotherhood—or rather its parent. For Jones’s “common source” now has a name: “Proto-Indo-European” (PIE). It was first spoken by as little as a few dozen people around the Black Sea then, roughly 5,000 years ago, spread with rapidity “from Ireland to India”. Today, its offshoots include Irish and Hindi—and more or less everything in between. Almost half of the world’s population speaks a descendant of it.

PIE is long dead, but traces of it remain caught, like insects in amber, in modern languages, allowing academics to bring it back to life. Scholars know its speakers (perhaps) had the wheel (*kwekwlos, in PIE’s odd transcription, seen in English “circle” and “wheel” itself); and fields (*h2egros—“agriculture”) and drank mead (*medhu). They know speakers found visitors irritating: the PIE word “*ghostis” gives English not just “guest” but “ghost”, and Latin its word for “host” but also “enemy”. (Everyone has had a guest like that.) Its ancient wordscapes are enlightening, if at times puzzling. A hero was “one who urinated standing up”—which feels like a low bar.

This book is at its best on the language: to learn that English “mother”, Latin mater and Sanskrit mata share a root provokes a pleasing etymological “Ah!” Its (lengthy) agricultural sections are drier and contain too many mentions of the word “goat”. Topics, like guests, can outstay their welcome. But logophiles will enjoy getting to know a little more about their *meh2ter (mother) tongue. ■

https://www.economist.com/culture/2025/05/08/the-language-that-changed-the-world


Neue Zürcher Zeitung, 8 mai

In den Eingeweiden des Krieges – der Pole Szczepan Twardoch hat mit «Die Nulllinie» ein schonungsloses Buch geschrieben

Ein Krieg, wie er derzeit in der Ukraine stattfindet, gehört zu den extremsten menschlichen Grenzerfahrungen. Der polnische Romancier Szczepan Twardoch meistert die unmögliche Aufgabe, ihn in seiner Brutalität und Sinnlosigkeit zu beschreiben, mit Bravour.

Full text: 

Alle Romane des erfolgreichen polnischen Schriftstellers Szczepan Twardoch haben dramatische Sujets, spielen in brisanten historischen Epochen und umkreisen den Krieg. Zuletzt «Kälte», darin ein russischer Revolutionär im Gulag landet und auf abenteuerlichen Wegen durch den hohen Norden entflieht.

Mit seinem neusten Werk «Die Nulllinie» begibt sich Twardoch mitten in die Hölle des Kriegs in der Ukraine. Seit dem Überfall der Russen auf das Nachbarland ist er selber mit Hilfsgütern mehrmals an die Front im Donbass gefahren, hat sich unter Lebensgefahr in Schützengräben versteckt und mit ukrainischen Soldaten gesprochen, ein Reporter der besonderen Art.

Ohne Augenschein und Fakten hätte er das Buch wohl nicht schreiben können, wobei er der Fiktion mehr «Wahrheit» zutraut, da sie «synthetisch» sei, so Twardoch in einem Interview. Bei einem Thema wie dem Krieg, einer «ungeheuren Grenzsituation, in der die conditio humana auf ihre Essenz reduziert wird» und Charakter und Menschlichkeit sich auf dem Prüfstand befinden, sei eine vielseitige Sicht besonders wichtig.

In der zweiten Person erzählt

«Die Nulllinie» erfüllt dieses Postulat auf eindrückliche Weise. Detailwissen über Waffensysteme, insbesondere Drohnen, über Stellungskrieg, das grausame Ausharren in Unterständen, Erdlöchern und nassen Gräben unterfüttert den Text, doch geht dieser mit seiner psychologischen Durchdringung der beteiligten Kämpfer weit über jede Reportage hinaus.

Das liegt an der Machart des Romans. Twardoch lässt seinen Protagonisten in der zweiten Person erzählen, in einem inneren Dialog, der Vergangenheit, Gegenwart und imaginierte Zukunft vereint und gleichzeitig eine Vogel- oder Drohnenperspektive simuliert.

Wer ist dieser Mann? Ein Pole mit ukrainischen Wurzeln, dessen Grossvater in der Waffen-SS-Division Galizien und bei der Ukrainischen Aufstandsarmee diente, ein studierter Historiker mit gründlichen «Ilias»-Kenntnissen, ein Familienvater, der seine Ehe nicht retten konnte und als Legionär in die Ukraine ging, dann in drei Brigaden kämpfte, bis er einem Sonderkommando am «falschen» Ufer des Dnipro, in unmittelbarer Frontnähe, zugeteilt wurde. Sein Rufname: Pferd (polnisch Kon).

Was hinter ihm liegt, bezeichnet er als Brandreste, sich selbst als einen, «der den Tod sucht und jetzt plötzlich festgestellt hat, dass er doch leben will». Nur ist die Aussicht, diesen Krieg zu überleben, gering. Das bestätigt sich am Ende, als «Pferd» nur noch Worte lallt, die ihm im Mund zerfallen. Finita la storia.

Was der Leser auf 255 Seiten erfährt, wühlt die Eingeweide auf. Nahkampf-Optik in der Nachfolge von Remarque und Hemingway. Brutales Töten und Getötetwerden, freilich mit Drohnen und Starlink. Und in den Gefechtspausen das Hereinbrechen von Erinnerungen und die Sehnsucht nach einer weiblichen Umarmung. Denn trotz der Rohheit des Krieges sind Menschen am Werk, mit ihren urmenschlichen Bedürfnissen.

Durch seinen Erzähler charakterisiert Twardoch ein ganzes «Figurenkabinett» von Kämpfern: Da ist der stumpfe «Leopard», einst schwerer Alkoholiker, vom «Alte-Männer-Sadismus» in der Armee traumatisiert, jetzt Aussitzer, der das Warten als einzigen Widerstand gegen die Welt begreift; «Jagoda», immer nüchtern, gebildet und belesen, mit siebenhundert Büchern auf dem Kindle, die er in ruhigen Momenten zu lesen versucht; «Schabla», Säbel, der mutige Scharfschütze, «Ratte», «Arier» und «Malpa», die kein Risiko scheuen, um die «Russacken» zu erledigen.

Verheerende Bilanz

Sie alle kommunizieren in vulgärer Soldatensprache, fluchen, was das Zeug hält. Tauschen sich über Foltermethoden der «Päderussen» aus, wobei auch eine Geliebte des Erzählers ins Spiel kommt, die Vergewaltigung und Folter am eigenen Leib erfahren hat. Notrufe werden chiffriert, «zweihundert» bedeutet «tot», «dreihundert» «verwundet», diese Zahlen kursieren ständig, in Bezug auf die eigenen Leute und den Feind.

Kurzum, der Krieg ist ein Horror, ein Schlachthaus. Über dessen Sinn sich bei weitem nicht alle Beteiligten einig sind. Vaterländischer Verteidigungswille hebt die Moral, für die Desperados, die nichts zu verlieren haben aber, spielt das keine Rolle. Der Erzähler selbst traut den «gut gelaunten Allmachtsfantasien der Sondereinsatzkräfte» nicht. Er weiss um den Munitionsmangel, das Fehlen von Soldaten, kann sich nicht vorstellen, verlorene Gebiete zurückzuerobern. Während andere nicht bereit sind, die Grenzen von 2014 aufzugeben, «für die sie einen so hohen Preis gezahlt haben». Eine «Erkenntnisdissonanz», die die Wirklichkeit in unvereinbare Versionen zerfallen lässt.

Auch unsereins weiss nicht, wie dieser unselige Krieg enden wird, dessen Opferbilanz nach drei Jahren verheerend ist. Twardoch untersucht ihn sozusagen viszeral, indem er tief in die Kampfhandlungen eindringt, vor allem aber in die Köpfe und Körper jener, die sie ausführen. Das gilt es in seiner Drastik auszuhalten. Keine Frage, Krieg gehört zu den extremsten Grenzerfahrungen. Ob daraus zu lernen ist, mag Twardoch nicht entscheiden. Aber was er uns in seinem Roman aufzeigt und wie er es tut, bleibt geradezu physisch haften. Das schafft nur starke Literatur.

Szczepan Twardoch: Die Nulllinie. Roman aus dem Krieg. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt-Berlin-Verlag, Berlin 2025. 255 S., Fr. 34.90.

https://www.nzz.ch/feuilleton/in-den-eingeweiden-des-krieges-der-pole-szczepan-twardoch-hat-mit-die-nulllinie-ein-schonungsloses-buch-geschrieben-ld.1881166


The New York Times, 1 mai

In a Nazi-Era Filmmaker’s Compromises, a Novelist Finds Reasons to Fear

Daniel Kehlmann wrote “The Director” only to realize how loudly the moral quandaries faced by G.W. Pabst would resonate today.

Full text: 

The spark of inspiration for “The Director,” Daniel Kehlmann’s new historical novel about a filmmaker toiling for the Nazi regime, came during the first Trump administration. Kehlmann noticed Americans taking special care about what they said and to whom they said it. The self-censorship faintly echoed stories he’d heard from his father, who was a Jewish teenager in Vienna when the Third Reich came to power.

The word “Austria,” for example, was banned by the regime. Suddenly, everyone lived in Ostmark.

Kehlmann, a boyish 50-year-old born in Munich, has long been fascinated by the ways that citizens accommodated Hitler’s dictatorship. He centers his novel on the largely forgotten G.W. Pabst, an Austrian film director who gained fame in the era of silent movies and flamed out in Hollywood in the 1930s.

Through an unfortunate happenstance — he’d returned to Austria to check on his ailing mother just as war broke out — Pabst was stuck when the Nazis slammed shut the borders. Eventually, he worked for the German film industry, which was overseen by the propaganda minister Joseph Goebbels.

In Kehlmann’s telling, this was both a nightmare and a golden opportunity.

“That’s the crazy irony here,” he said. “Pabst had more artistic freedom of expression under Goebbels than he did in Hollywood. And that’s what I really wanted to write about. A world where everybody is forced to make compromises all the time. And eventually, those small compromises end in a situation that is completely unacceptable, completely barbaric.”

Kehlmann is surprisingly buoyant and sunny given the darkly comic pickles he regularly creates for his characters. During a three-hour conversation at a small kitchen table in his Harlem apartment, he held forth on his work, his life and on politics, which became unnervingly relevant to his latest novel when Donald Trump was re-elected.

He spent four years researching and writing “The Director” (published in Germany in 2023), splitting his time between Manhattan and Berlin with his wife, an international criminal lawyer, and their 16-year-old son. He dug into film archives and libraries, studying the career of one of the great auteurs of the Weimar Era. Pabst peaked early. He helped make Greta Garbo an icon with “The Joyless Street” in 1925 and four years later launched Louise Brooks in “Pandora’s Box,” which Quentin Tarantino has called one of his favorite films.

To understand how the left-leaning Pabst ended up as one of the Nazis’ marquee directors, Kehlmann read deeply about Germany’s slide into autocracy. Now he sees chilling parallels between what happened then and what has unfolded since Trump’s second inauguration. Eroding the rule of law, persecuting “enemies,” elevating incompetents and extremists to top jobs — it all comes from the same playbook.

“I’m not surprised it’s happening,” he said, in a matter-of-fact tone. “I’m surprised it’s happening this fast.”

His message comes across like a scholar’s sober warning about the future, and it would provoke pure dread were he not such a surpassingly gifted storyteller. Among his big influences are the filmmakers Joel and Ethan Coen. Like them, he is a master at depicting decent people making terrible choices, with results that are both droll and catastrophic. An atmosphere of moral queasiness permeates “The Director,” and the author is in perfect control of the barometric pressure.

Kehlmann is best known for “Measuring the World,” which reimagined the adventures of two real-life 19th century scientists and established him as one of literature’s foremost ironists. The novel, planted at the top of the German best-seller list for 37 weeks, became a career-maker in 2005.

Twelve years later, he published “Tyll,” the story of a court fool and tightrope walker who pranks his way through the Thirty Years’ War, leaving a trail of patrons and spectators in his wake, some injured, others amused. It didn’t sell very well, but it developed a base of fans so ardent that they occasionally approach Kehlmann and weep as they discuss it.

Though fame has so far eluded Kehlmann in the U.S., he’s achieved the kind of renown in Germany that is rare for writers.

“I was once on this tiny boat in Gambia with some Germans and I didn’t know what to say to them, so I mentioned that I knew Daniel and it was like, they went insane,” said the writer Zadie Smith, a longtime friend who blurbed “The Director.” “I think he’s sold a book to everyone in the country.”

Kehlmann’s interest in film started in childhood. His father, Michael, survived a few months in a Nazi labor camp when he was 17 years old and went on to direct movies, television and theater. The younger Kehlmann would gravitate to historical novels through an interest in the way minds are rewired by culture and circumstance.

In “The Director,” he unpacks what is “total” about totalitarianism. Nazism warps every interaction and every opinion, and social status is no longer determined by talent. Gifted people on the wrong side of the ideological divide are persecuted. Hacks are elevated and praised.

There is no record of a meeting between Goebbels and Pabst, one of the artistic liberties taken in “The Director.” But the minister really did demand high-quality movies and micromanaged what became known as “Hitler’s Hollywood,” a studio system that produced more than 1,000 films, including screwball comedies and musicals.

American and British productions had been banned, and Goebbels wanted polished features to prove the cultural superiority of German art. He also needed to fill theaters to feed pro-Nazi newsreels to the masses.

Volker Schlöndorff, the director of “The Tin Drum,” which won an Academy Award in 1980, remembers meeting directors in the 1960s who had worked for the Nazis. Many were under the mistaken impression that they’d fooled the system by making escapist fare.

“They had played right into Goebbels’s plan,” Schlöndorff said in a phone interview. “He didn’t want straight propaganda. He wanted something more devious than that. Many of the actors and directors had no idea they were helping the Nazis.”

In the novel, Pabst starts off physically repulsed by the mere idea of working for the Reich, but gradually comes around. It beats life in a concentration camp, his other option, and the regime places his mother in a comfortable home for seniors. He and his family eat well. He gains cachet.

As the war ends, Pabst has made two films, “The Comedians” (1941) and “Paracelsus” (1943) — yes, those are real movies — and he has devolved into a state of moral derangement. Scrambling to finish “The Molander Case,” which was filmed in Prague, he desperately demands extras to serve as the audience for a scene set at a classical music venue. The next day he is directing a startled group of starving Jews, ferried in from the nearby Theresienstadt transit camp, who have been quickly fitted with appropriate costumes.

“The Molander Case” is real, too, though it went missing and has never been shown. As Kehlmann says in an afterword, little is known about its production, so the appearance of these doomed extras is an invention of the novel. What’s certain is that camp prisoners appeared in other Nazi-era films, one of which Pabst co-directed with Leni Riefenstahl, a Hitler favorite.

“The studios in Berlin and Prague were surrounded by barracks filled with prisoners, and the film industry used slave labor on the sets, with kids as young as 10 years old,” Kehlmann said. “Pabst must have used 10-year-old slave laborers. I don’t see much difference between that and what happens in the novel.”

Moral and financial corruption were endemic in the Reich. Kehlmann’s paternal grandparents survived because a Nazi official swung by every month and left with a piece of furniture, a bribe just large enough to get their file regularly placed at the bottom of a pile. Most of Kehlmann’s relatives perished in the Holocaust.

We met the day after Germany’s parliamentary elections, in which the hard-right Alternative for Germany party had over-performed, winning 20 percent of the vote.

Kehlmann greeted the news with equanimity. The AfD would not join the ruling coalition, he predicted — correctly, it turned out — because there remains in his home country a powerful social stigma against extremist politicians, something he finds alarmingly absent in the U.S.

At a dinner at the Metropolitan Museum of Art not long ago, he sat next to a man who proudly identified himself as a major Trump donor. By Kehlmann’s lights, the Republican Party is now demonstrably more dangerous than the AfD. Deep-pocketed members of the party are mixing in the highest echelons, he said, even though they support an administration posing an existential threat to democracy. “Everybody says that society here is too polarized and too fractured,” he said. “But maybe on the level of the really wealthy, it’s really not fractured and polarized enough.”

American friends tell Kehlmann that he’s being alarmist. But if you grow up in a country where the guardrails failed, he said, you appreciate the fragility of guardrails.

“For us visa- and green-card holders, free speech is already practically suspended,” he said. “Lawyers are advising us to not go to demonstrations, and the media is telling us to delete all messages not favorable to Trump from our phones before we try to enter the U.S., otherwise we might be turned back or even disappear into detention.

“Immediately I’m thinking, can it be bad for me to say something like this to The New York Times? Which, I think, proves my point.”

https://www.nytimes.com/2025/04/30/books/daniel-kehlmann-the-director.html


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30 avril

100 Jahre „Der Process“: Prag liegt hier im Nirgendwo

Handlung ohne Ortsangabe, erzählt ohne Pause, ohne Aufatmen und ohne jegliche Abschweifung: Vor einhundert Jahren erschien als Publikation aus dem Nachlass Franz Kafkas „Der Process“.

Full text: 

Franz Kafkas Werk gehört in besonderer Weise der Welt. In alle Sprachen übersetzt, mit Einfluss auf alle Literaturen, in allen Schulen unterrichtet, vielfach verfilmt und vercomict, zeichnet es sich gegenüber anderen Werken aus, in denen sich im zwanzigsten Jahrhundert die modernen Erzählweisen meldeten. Denn so unterschiedliche Romane wie Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“, der „Ulysses“ von James Joyce und Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ teilen mit Heimito von Doderers „Strudelhofstiege“, Rilkes „Malte Laurids Brigge“ und Thomas Manns „Buddenbrooks“ eines: Sie alle betten das Erzählte in einen bestimmten ländlichen oder städtischen Raum ein. Nicht zufällig spielt ihre Handlung in der Normandie und Paris, in Dublin und Wien oder Lübeck. Noch „Der Zauberberg“ konzen­triert sein internationales Personal an einem konkreten Ort, und auch die Werke E. M. Forsters oder Julien Greens sind an lokale Atmosphären gebunden.

Das ist nicht erstaunlich, die Schauplätze der Romane haben seit jeher Ortsnamen. Sie handeln von Individuen, und Individuen leben nicht irgendwo, sondern in benennbaren Städten und Dörfern. Sie leben außerdem in Milieus, die eine regionale Färbung haben, einen Akzent, eine Geschichte. Dem Wirklichkeitsgehalt der Darstellung kommt es zugute, wenn ihre Lebensmittelpunkte auf Landkarten zu finden sind.

Bei Kafka sind sie es nicht. Seine beiden Romane „Der Process“ und „Das Schloß“ spielen in der Stadt und auf dem Land. In irgendeiner Stadt und irgendwo auf dem Land. Häuser, Straßen, ein Schlossberg, eine Kneipe – nicht mehr. Selbst das Romanfragment „Der Verschollene“, das vom Nachlassverwalter in „Amerika“ umbenannt wurde, handelt von einem erfundenen Land und beruht nicht auf dem Erleben und kaum auf der Wiedererkennbarkeit seiner Schauplätze. Das berühmte „Naturtheater von Oklahoma“ kam in Kafkas Manuskript aus „Oklahama“, weil er den Druckfehler in einem Reisebericht Arthur Holitschers abgeschrieben hatte. Wo die Strafkolonie liegt, wo sich die Verwandlung ereignet, wird so wenig benannt wie der Ort der „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“. Nur die Chinesische Mauer der gleichnamigen Erzählung liegt vermutlich in China. Wenn in Kafkas Werk einmal ein Ortsname fällt – Petersburg, Konstantinopel, der Schwarzwald, in dem „Der Jäger Gracchus“ lebte –, zuckt man leicht zusammen.

Wo spielt „Der Process“ überhaupt?

Im Roman „Der Process“, der heute vor einhundert Jahren aus dem Nachlass Kafkas erschien, ist seine Gleichgültigkeit gegen die städtischen Schauplätze besonders zu spüren. Der Bankangestellte Josef K. wird in seiner Wohnung verhaftet. Als er das Haus verlassen kann und ein Automobil zur Bank nimmt, gibt es keine Beschreibung der städtischen Szenerie. Kein Haus wird von außen beschrieben, keine Straße. Am Haustor hören die Hinweise auf die Umgebung auf. Gibt es Bäume? Brücken? Einen Fluss? Einmal wird ein Brunnen erwähnt.

Treppen gibt es sehr viele, aber bis auf einen einzigen Fall sind es Treppen in Häusern. So gut wie jede Szene beginnt in einem Zimmer. Darin trägt sich das Geschehen zu. Über die Stadt hingegen erfährt man so gut wie nichts. Das Wort „Stadt“ fällt im Roman ganze sechs Mal, nimmt man „Vorstadt“ hinzu, sticht das immer noch stark gegen vierzig Erwähnungen von Treppen und Treppenhäusern ab. Es gibt eine Straßenbahn, eine „Elektrische“ in der Stadt, ein Kaffeehaus wird erwähnt, eine „ärmere Gegend“, und auf dem Weg zum Unter­suchungsrichter kommt Josef K. durch eine Juliusstraße.

Die Historikerin Marie Vachenauer hat vor zehn Jahren versucht, diese Straße in der Prager Kleinseite zu identifizieren. Es könnte sich um die heutige Nerudastraße handeln, benannt nicht nach dem chilenischen Nobelpreisträger Pablo Neruda, sondern nach dem tschechischen Feuilletonisten Jan Neruda, dessen Nachnamen Pablo sich als Pseudonym wählte. Der einzige Absatz im „Process“, der eine Straßenszene enthält, spielt dort. Aber weder passt die Topographie in das historische Stadtbild, noch hat Kafka das geringste Interesse an Lokalfarben. Man kann mit Kafka durch Prag spazieren gehen, aber aus dem „Process“ lässt sich so gut wie nichts für einen Stadtführer ziehen.

Wie mit gesenktem Blick durch die Stadt

Das fällt umso stärker auf, als Kafka kein Autor von Symbolen ist, in denen das Konkrete eingeschmolzen wäre. Er schrieb auch, anders als oft behauptet, keinen bebilderten Traktat über Schuld, Existenz, Gottferne und Justiz, sondern war überkonkret. Das gilt auch für die Schauplätze, solange es die eines Kammerspiels sind. „Es war ein sehr langes, aber schmales, einfenstriges Zimmer. Es war dort nur so viel Platz vorhanden, daß man in den Ecken an der Türseite zwei Schränke schief hätte aufstellen können, während der übrige Raum vollständig von dem langen Speisetisch eingenommen war, der in der Nähe der Tür begann und knapp zum großen Fenster reichte, welches dadurch fast unzugänglich geworden war.“ Der Raum könnte aufgrund von Kafkas Text nachgebaut werden.

Durch die Stadt geht Kafka hingegen wie mit gesenktem Blick, der sich nur hebt und zwar sofort, wenn Personen auftauchen oder es zu einem Gespräch kommt. Man könnte seinen Stil soziomagnetisch nennen. Dialoge, Gesten, Verlegenheiten und Empörungen, Kleidung und Accessoires schildert er minutiös – aber nicht Landschaften, Straßenfluchten, Panoramas, Viertel.

Wir kennen literarische Gattungen, in denen dieses Absehen von konkreten Ortsangaben und von Schilderungen der Schauplätze außerhalb von Wohnungen üblich ist. Das Märchen und die Fabel gehören dazu. Dort gibt es den Berg und das Schloss, die Stadt und den Wald, den Brunnen und den Fluss – und alle haben keine Namen.

Die Märchenähnlichkeit

Im Märchen ergibt sich das aus den vielen mündlichen Traditionen, denen es sich verdankt. Es kommt außerdem aus Epochen, in denen oft schon der Name der Berge am Horizont unbekannt war, das Schloss nur vom Hörensagen bekannt und für die Leute, wie bei Kafka, das nächste Dorf mitunter unerreichbar weit entfernt lag. Lokale Besonderheiten schliffen sich in der Überlieferung ab. Wenn es nur „in der Stadt“ hieß und nicht „in Bamberg“, sparte das Erläuterungen ein. Das erweist sich noch heute als Vorteil, wenn Kindern Märchen vorgelesen werden, denn Kinder außerhalb von Bamberg können wenig anfangen mit Bamberg.

Kafka interessiert sich als Schriftsteller auf ähnliche Weise nur für das, was überall verständlich ist. Es liegt nahe, präziser zu formulieren, dass er sich für alles interessierte, das überall unverständlich ist. In „Der Process“ wird kein Prozess geführt, Josef K. wird verhaftet, ohne dass er in Haft genommen wird, die Geliebten lieben nicht, der Advokat verteidigt nicht, Eingaben können gemacht werden, aber haben von vornherein keine Aussicht. So geht es immer weiter. Jeder Begriff hat nur beinahe die Bedeutung, die wir ihm gemeinhin zuschreiben, und „beinahe“ heißt bei Kafka: Er hat fast die gegenteilige Bedeutung. In dem berühmten Gleichnis „Vor dem Gesetz“, das Josef K. vom Geistlichen im Dom vorgetragen wird, werden diese Rätsel so sehr verdichtet, dass am Ende völlig unklar bleibt, wofür das Gleichnis eines ist.

Kafkas Blickrichtung ist also nicht nur die eines Autors, der noch fast nirgendwo gewesen ist und die meisten Orte (und auch fast alles andere) nur aus Schul­büchern und anderen Schriften kennt. Er nimmt die Wirklichkeit auch als Netz von Rätselhaftigkeiten wahr, die es nicht erlauben, sich auch nur eine Sekunde von der Umwelt ablenken zu lassen. Alles wird, wie in einem Gerichtsverfahren oder einem anwaltlichen Schriftwechsel, darauf geprüft, ob es zur Beantwortung der gestellten Frage beitragen kann. „Unbeträchtlich“ lautet darum Kafkas erzählerisches Urteil über so viele Merkmale der Wirklichkeit.

Kein Satz, der nicht von Fragezeichen begleitet würde

Wer die theologische Energie dieses Stils beschreiben wollte, könnte ihn mit den Paulusbriefen vergleichen, in denen, nach einem Aperçu von Jacob Taubes, nicht einmal ein Baum erwähnt wird. Kafka erreicht ein Maximum an unsentimentalem Erzählen, das Gefühl schweift bei ihm nie aus, er geht nie Gedanken nach. In gewisser Weise ist er der Antipode von Marcel Proust. Die große Ökonomie seiner Erzählweise besteht in der Verweigerung, sich den Umständen seiner Geschichten, Bildern und Eindrücken hinzugeben. Anders als viele moderne Erzähler ist er nicht bereit, sich an die Wirklichkeit zu verlieren.

Das verlangt uns eine besondere Art des Lesens ab. Kein Satz, der nicht von vielen Fragezeichen begleitet würde. Kein Füllmaterial. Kein Abschweifen, kein Schwärmen und kein Aufatmen. Kafka erlaubt keine Pausen. Das macht ihn in der Geschichte des Erzählens zu einem singulären Fall. Denn er ist keine Scheherezade, die uns durch das Er­zählen von der Sterblichkeit und allen ­anderen unauflösbaren Rätseln ablenken möchte. Seine Kunst enthält keinen Trost. Wer darin einen Einwand gegen Kafka sähe, hat nichts verstanden.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/vor-hundert-jahren-erschien-kafkas-roman-der-process-110438028.html?premium=0x59e7316f12fae2276c4545c66ea74e98714e2789c42d5b8e31d5393bf878fe97


The Wall Street Journal, 29 avril

As ‘Gatsby’ Turns 100, Looking Back at Great American Novels

Read a collection of Masterpiece columns on some of the nation’s brightest literary achievements.

Full text: 

When a New York Times reviewer announced Edith Wharton’s “The Age of Innocence” in 1920, he hailed its critique of the outdated values of 1870s New York high society: “Mrs. Wharton is all for the new,” he wrote, “and against the old.”

Reading Wharton’s Pulitzer Prize-winning novel today, we might tend to agree. Her protagonist, Newland Archer, married to a wife he no longer loves, falls for the exotic Countess Ellen Olenska, a woman estranged from her despicable Polish husband. Bound on every side by unspoken rules, and under the watchful eyes of the clans of New York’s elite “Four Hundred,” these lovers edge closer to consummating their forbidden desire. But at the novel’s denouement, they are thwarted when their families send Ellen back to Europe and Archer’s wife reveals that she is pregnant with their first child. Faced with this fact, the hero gives up his dreams of a better life for the sake of the one he has. It feels like a tragedy: Love capitulates to duty, and personal desire falls to the pressure of social norms.

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‘All the King’s Men,’ by Robert Penn Warren

Half a lifetime ago, I read Robert Penn Warren’s “All the King’s Men” and thought it just breathtakingly wonderful, so much so that I spent money I didn’t have to buy the 1946 first edition in a fine dust jacket. Last week I decided to reread it, partly because the book is widely viewed as our finest novel about American politics. How, I wondered, does this Pulitzer Prize winner look in the tumultuous present?

Short answer: It’s still amazing.

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‘The Bridge of San Luis Rey,’ by Thornton Wilder

“The Bridge of San Luis Rey,” Thornton Wilder’s 1927 novel about the cruelties of fate and the redemptive power of love, still resonates with renewed urgency.

As novelist Russell Banks notes in his introduction to a 2004 edition of the book, “We are the only species that does not know its own nature naturally and with each new generation has to be shown it anew,” adding that, “It is interesting, therefore, and possibly useful to consider this novel in the long and (at the time of this writing) still darkening shadow of the terrorist attacks on New York City and Washington, D.C.”

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‘A Confederacy of Dunces,’ by John Kennedy Toole

As another commencement season arrives this month, spilling hundreds of thousands of new graduates into the employment market, perhaps we should give each of them a copy of John Kennedy Toole’s “A Confederacy of Dunces,” a comic and cautionary lesson in how not to get a job.

Written in the 1960s, but not published until 1980, “Confederacy” serves up an unlikely antihero in Ignatius Reilly, a 30-year-old living with his mother in blue-collar New Orleans. Ignatius, a medieval scholar with a master’s degree, missed a chance at a university job because he arrived for the interview without a necktie, opting for a lumber jacket instead. An odd mix of snob and slob, Ignatius mourns the loss of civility, yet sports a green hunting cap, plaid flannel shirt and “voluminous tweed trousers.” His hobbies include hating contemporary cinema, writing screeds against The Enlightenment and belching. He speaks like Mr. Belvedere but looks like Oliver Hardy. Imagine Felix Ungar caught in Oscar Madison’s body and you’ll get the picture.

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‘The Friends of Eddie Coyle,’ by George V. Higgins

“Ever hear bones breaking?” asked the stocky man. “Just like a man snapping a shingle.” The stocky man was Eddie Fingers, a sobriquet he’d earned, along with a shattered hand, by making trouble for the wrong people. His real name was Coyle. He was the most famous character of the crime novelist George V. Higgins, though one would have been well-advised not to call Higgins a crime novelist to his face. He was a novelist, end of story. It simply happened that, as an Assistant U.S. Attorney for the District of Massachusetts, the Boston demimonde was what Higgins knew best.

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‘The Grapes of Wrath,’ by John Steinbeck

John Steinbeck’s novel “The Grapes of Wrath,” published in 1939, begins with a colossal description of dust: “The dawn came, but no day . . . . Houses were shut tight and cloth wedged around doors and windows, but the dust came in so thinly that it could not be seen in the air, and it settled like pollen on the chairs and tables, on the dishes.” This is a book about how the natural environment seals human destiny, even while fathoming human character as has rarely been done in literature.

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‘The Great Gatsby,’ by F. Scott Fitzgerald

“The Great Gatsby,” published 100 years ago, is F. Scott Fitzgerald’s most perfectly realized work of art. It reveals a new and confident mastery of his material, a fascinating if sensational plot, deeply interesting characters, a silken style that conveys nuances of mood and feeling, and a Keatsian ability to evoke a romantic atmosphere. Fitzgerald portrays the theme of corrupted idealism and satirizes attractive but vacuous people who “played polo and were rich together.” 

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‘The House of the Seven Gables,’ by Nathaniel Hawthorne

When Herman Melville read “The House of the Seven Gables” in April 1851, he wrote Nathaniel Hawthorne a letter in his ebullient prose. “With great enjoyment we spent almost an hour in each separate gable,” he gushed; “it has robbed us of a day, and made us a present of a whole year of thoughtfulness.” Melville, who would publish “Moby-Dick” later that year, praised the novel’s mood and Hawthorne’s tragic imagination, and demanded a visit from his friend: “Walk down one of these mornings and see me. No nonsense; come.”

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‘Ironweed,’ by William Kennedy

William Kennedy, intoxicated both by James Joyce’s “Ulysses” and by his own father’s memories of Albany, N.Y., once resolved to write an “Albany fantasy” that would “reconstitute the city’s past.” To his notes he appended an ultimatum: “Commit a decade to the creation of this book.” Anyone who has hatched and abandoned a project of such a scope will have reason to smile. Yet, by writing novel after novel of “average size,” he accomplished his goal with his celebrated Albany Cycle. “Ironweed,” the third book in the cycle, is not only a crucial part of his magnum opus but also a work of genius that stands alone, defiantly, on its own two chilblained feet.

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‘Mrs. Bridge,’ by Evan S. Connell

It is the lot of certain exceptional novels to be underread and underappreciated. But for assorted reasons—perhaps they’re the frequent choice of book groups with the-road-less-taken tastes; perhaps they’re the beneficiary of grassroots evangelizing—some of these books get a second chance and a second act. They’re reappraised, rhapsodized over, sometimes reissued in a 20th- or 25th-anniversary edition with a sleek new cover and a foreword written by an admirer of the author.

One shining example is “Mrs. Bridge” (1959), a character study, by turns satirical, compassionate and sorrowful, of an upper-middle-class clubwoman and Kansas City, Mo., transplant in the years just before World War II. Its author, Evan S. Connell (1924-2013), a Kansas City native probably best known for “Son of the Morning Star,” his 1984 nonfiction account of the Battle of the Little Bighorn, often said that Mrs. Bridge was modeled on his mother.

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‘My Ántonia,’ by Willa Cather

‘I simply don’t care a damn what happens in Nebraska,” ranted a New York critic, “no matter who writes about it.”

Or so Willa Cather claimed. In the long leisure of the grave, the alleged scoffer may ponder how it is that a century after its September 1918 publication, Cather’s “My Ántonia,” its every page rooted in Nebraska, remains very much alive and in print—while he is neither.

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‘The Sun Also Rises,’ by Ernest Hemingway

Even those who revere Ernest Hemingway’s debut novel should admit that the author was something of a scoundrel to write it. “The Sun Also Rises,” published in 1926, turned Hemingway into a literary star overnight. It also played with the reputations of several of his real-life acquaintances who appear in the book as thinly disguised versions of themselves.

https://www.wsj.com/arts-culture/books/as-gatsby-turns-100-looking-back-at-great-american-novels-ea6548a7?mod=arts-culture_lead_story


Atlantico, 28 avril

“La Bête humaine” de Emile Zola : un bijou de la littérature française

De : Émile Zola Version audio réalisée par Sixtrid éditions Texte lu par Éric Herson-Macarel Parution en 2016 Durée 12 h 20 Livre audio gratuit (Éditions livre de Poche, 507 pages, 3,60 €)

Full text: 

Il est difficile de n’en retenir qu’un unique au sein de la multitude des sujets évoqués : l’univers du train en premier lieu avec le quotidien de ses ouvriers, la jalousie, le crime passionnel, le meurtre prémédité, la fièvre dévorante de l’avarice, la concupiscence, l’adultère, l’addiction au jeu, les enjeux politiques s’immisçant dans la sphère juridique, la débauche, la mesquinerie des petits bourgeois… Pour illustrer tout cela, une pléiade de personnages secondaires…

THÈME

Il est difficile de n’en retenir qu’un unique au sein de la multitude des sujets évoqués : l’univers du train en premier lieu avec le quotidien de ses ouvriers, la jalousie, le crime passionnel, le meurtre prémédité, la fièvre dévorante de l’avarice, la concupiscence, l’adultère, l’addiction au jeu, les enjeux politiques s’immisçant dans la sphère juridique, la débauche, la mesquinerie des petits bourgeois… Pour illustrer tout cela, une pléiade de personnages secondaires…

POINTS FORTS

Un regard sur la société de la fin du XIXème siècle : on connaît la méticulosité du romancier à décrire le monde tangible au plus proche, ce qui constitue un précieux document sociologique. L’auditeur actuel s’amuse à loisir à déceler les différences entre la Troisième République et notre époque ainsi que les constantes de l’âme humaine. Jacques Lantier : avec une modernité surprenante, l’écrivain campe un tueur sanguinaire qui lutte en vain contre ses pulsions destructrices. Pas de libre-arbitre pour le fils de Gervaise Macquart mais un déterminisme expliqué par la génétique, domaine dans lequel l’ancien journaliste s’est révélé visionnaire. La locomotive : bien que inorganique, c’est le protagoniste. Le portrait de « la Lison » est entièrement construit sur une métaphore filée avec le corps de la femme. Une personnification magistrale qui s’étend de longues minutes et qui humanise cet appareil de métal.Un style remarquable : indépendamment de l’intrigue, la beauté de la langue se suffit à elle seule, engendrant le bonheur de redécouvrir une syntaxe qui n’exclut pas des subjonctifs aujourd’hui disparus.

QUELQUES RÉSERVES

Un peu long ? pourrait critiquer un lecteur contemporain, habitué à zapper sans cesse. Personnellement, j’ai éprouvé un vif plaisir à me replonger à une époque où l’on prenait le temps de la description.

ENCORE UN MOT…

A son insu, Zola fut le bourreau de nombreux collégiens dont je fis partie. J’incite ces suppliciés à dépasser leurs souvenirs scolaires car, peut-être faut-il une certaine maturité pour apprécier ce bijou de la littérature française.

UNE PHRASE

“ Qu’importaient les victimes que la machine écrasait en chemin ! N’allait-elle pas quand même à l’avenir, insoucieuse du sang répandu ? Sans conducteur, au milieu des ténèbres, en bête aveugle et sourde qu’on aurait lâchée parmi la mort, elle roulait, elle roulait, chargée de cette chair à canon, de ces soldats, déjà hébétés de fatigue, et ivres, qui chantaient.”

L’AUTEUR

On ne présente pas Zola (1840-1902), le défenseur de Dreyfus, le chef de file du mouvement naturaliste, qui s’efforçait de peindre le réel avec une minutie exemplaire. Décédé à la suite d’ une intoxication au monoxyde de carbone, des experts remettent en cause la thèse de l’accident au profit de celle de l’assassinat…

Le Lecteur Acteur de théâtre, Éric Herson-Macarel incarne une kyrielle de rôles et aborde des monstres sacrés tels Shakespeare, Pirandello, Corneille… Il joue dans divers téléfilms et apparaît également au cinéma notamment dans des films de Bertrand Tavernier, L. 627 (1991), Capitaine Conan (1996) etc.

https://atlantico.fr/article/decryptage/la-bete-humaine-de-emile-zola-un-bijou-de-la-litterature-francaise


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27 avril

Literaturgeschichte: Wie stark ließ sich Thomas Mann von Ernst Jünger inspirieren?

Am Ende seines „Zauberbergs“ schildert Thomas Mann den Ersten Weltkrieg – mit Worten, die an Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ erinnern. Eine neue Analyse zeigt: Das war wohl kein Zufall.

Full text: 

Am Schluss seines zweibändigen, 1924 erschienenen Romans „Der Zauberberg“ schickt Thomas Mann seinen Protagonisten in einen Krieg, der über vier Jahre hinweg zum Ersten Weltkrieg werden sollte. Allerdings informiert der Verfasser seine Leser nicht darüber, was ihn dazu veranlasst hat, Hans Castorp nach dem siebenjährigen Aufenthalt in einem Da­voser Sanatorium diesen für ihn ver­mutlich tödlichen Weg gehen zu lassen. Einen Vorstoß hat nun Martin Mosebach zu Beginn seiner Stilanalyse des „Zauberbergs“ unternommen, die am 31. Dezember 2024 auf den Seiten Geisteswissenschaften der F.A.Z. erschienen ist. Mosebach fragt „die Literaturwissenschaft“, ob die „letzten Seiten“ in Thomas Manns Roman „mangels eigener Erfahrungen und angesichts mancher Formulierungen nicht nach Lektüre der ‚Stahlgewitter‘ Ernst Jüngers geschrieben sein könnten“.

Die Frage ist in der umfangreichen Literatur zum „Zauberberg“ nie gestellt worden, hat aber ihre Berechtigung und ist, fügt man die Indizien zusammen, positiv zu beantworten. Thomas Mann, so ist zunächst festzuhalten, kannte ­spätere Werke Ernst Jüngers. Oft zitiert wird sein Brief an Agnes E. Meyer vom 14. Dezember 1945, in dem es über die Äußerung eines Bekannten zu Jüngers 1939 erschienener Erzählung „Auf den Marmorklippen“ heißt: „In das Lob der ‚Marmorklippen‘ stimmt er ein, – es ist ein Renommierbuch der 12 Jahre und sein Autor zweifellos ein begabter Mann, der ein viel zu gutes Deutsch schrieb für Hitler-Deutschland. Er ist aber ein Wegbereiter und eiskalter ­Genüßling des Barbarismus und hat noch jetzt, unter der Besetzung, erklärt, es sei lächerlich, zu glauben, daß sein Buch mit irgendwelcher Kritik am nationalsozialistischen Regime etwas zu tun hat.“

Über das krasse Urteil zu Jüngers Haltung gegenüber dem NS-Regime ist viel geschrieben worden (zuletzt instruktiv von Helmuth Kiesel in „Jünger-Debatte“ 4/2021), doch lässt sich aus der Äußerung schließen, dass Thomas Mann auch andere Schriften Jüngers kannte. Zu ihnen gehört „Der Arbeiter“ von 1932, über den Thomas Mann 1933 einen ­Beitrag gelesen hat (so eine Notiz in den Tagebüchern). Auch spätere Aufzeichnungen zeigen, dass er die publizistischen Aktivitäten Jüngers beobachtet hat. Die Tagebücher der Jahre von 1922 bis 1932, in welche die Schlussphase der Arbeit im „Zauberberg“ fällt, sind allerdings vernichtet, während in den erhaltenen ­Aufzeichnungen zwischen 1918 und 1921 von Jünger nicht die Rede ist. Alles andere wäre für diese frühe Zeit auch unwahrscheinlich, da die erste Ausgabe der „Stahlgewitter“ 1920 im Selbstverlag gedruckt wurde und vor allem unter Kriegskameraden des Autors verbreitet war.

Erst 1922 erschien eine Verlagsausgabe bei E. S. Mittler & Sohn, dem führenden preußischen Militärverlag, mit einer Auflage von 5000 Exemplaren, der innerhalb eines Jahres gleich zwei weitere Auflagen mit je 2000 Exemplaren folgten, sodass das Buch weit verbreitet war, als 1924 die fünfte, „völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage“ mit 3000 Exemplaren erschienen ist (so die Angaben in der historisch-kritischen Ausgabe von Kiesel). Die Lektüre einer der Verlagsausgaben könnte damit in die Schlussphase der Arbeit am „Zauberberg“ gefallen sein, da sich Thomas Mann laut eigener Aussage vorgenommen hatte, den Roman mit dem Kriegsbeginn enden zu lassen. Da er den Ersten Weltkrieg weder als Soldat noch als Beobachter vor Ort kennengelernt hatte, benötigte er für das Schlusskapitel Anregungen, die über die journalistische Berichterstattung hinausgehen mussten, sollte der epochale Roman wie geplant mit einem großen Finale enden.

Jüngers ungeschönte Darstellung des Krieges

Bereits die Überschrift des letzten Kapitels „Der Donnerschlag“ deutet auf ein solches Finale hin, auch wenn Thomas Mann noch mehrere Seiten benötigt, bis er von der Beschreibung der Abreise des Protagonisten zunächst in metaphorischer Form auf den Kriegsbeginn zu sprechen kommt: „Seit dem Augenblick seines Erwachens sah Hans Castorp sich in den Trubel und Strudel von wilder Abreise gerissen, den der sprengende Donnerschlag im Tale angerichtet.“ Die mehrfache Begriffsverwendung, die nun folgt, könnte eine Anspielung auf die „Stahlgewitter“ sein. Denn wie Gewitter und Donner zusammengehören, so Kugelhagel und Kanonenschläge, auf die Jünger im ersten Absatz hinweist, um das Vernichtungspotential des Krieges zu charakterisieren: „Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten an Tagen, in denen das dunkle Murren dahinten aufbrandete zu unaufhörlich rollendem Donner? Der eine früher, der andere später?“ (In der Ausgabe von 1922 nach der historisch-kritischen Edition.)

Da Thomas Mann von der Zeitökonomie des Romans her die Entwicklung des Krieges nicht beschreiben konnte, musste er eine literarische Verdichtung vornehmen, für die Jünger im ersten Kapitel der „Stahlgewitter“ bereits das Muster geschaffen hatte. Bedeutende Werke zum Krieg lagen bis zum Abschluss des „Zauberbergs“ nicht vor. Zwar haben Schriftsteller zwischen 1914 und 1920 durchaus Kriegsberichte veröffentlicht – Wilhelm Krull hat diese 2013 in der Anthologie „Krieg von allen Seiten“ zusammengestellt –, doch sind die bekannten autobiographischen und historischen Darstellungen erst Ende der Zwanzigerjahre erschienen, unter ihnen „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, der sich ebenfalls verdeckt auf Jüngers „Stahlgewitter“ bezog, nachdem er das Buch 1928 in einer Rezension sehr positiv gewürdigt hatte (abgedruckt in der historisch-kritischen Ausgabe).

Wie später Remarque, so lieferte Jüngers Buch nicht nur eine ungeschönte Darstellung des Krieges aus der Sicht eines Frontsoldaten; es war ihm auf wenigen Seiten des ersten Kapitels zugleich gelungen, das gesamte Kriegsgeschehen wie in einem Brennglas zu vergegenwärtigen: vom kollektiven Siegeswahn der ankommenden Rekruten bis hin zu den sich unmittelbar anschließenden Leidensgeschichten mit kraftraubenden Märschen in durchnässter Uniform, schweren Verwundungen und sterbenden Kameraden. „Wir“, so heißt es bei Jünger über die anfängliche Euphorie, „hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zusammengeschmolzen zu einem großen, begeisterten Körper.“ Gleich beim ersten Einsatz einen Tag später aber kommen die jungen Soldaten mit der Wirklichkeit des Krieges in Berührung: „Mit einem merkwürdig beklommenen Gefühl der Unwirklichkeit starrte ich auf eine blutüberströmte Gestalt.“ Das Resümee des Berichterstatters lautet: „Der Krieg hatte seine Krallen gezeigt und die gemütliche Maske abgeworfen.“

In Manns Roman fehlt jede Kriegsbegeisterung

Die Darstellung im „Zauberberg“ entspricht dem Bericht Jüngers. Von der Ironie der vorausgehenden tausend Seiten ist hier allerdings nichts mehr zu spüren. Vielmehr versucht Thomas Mann, den Bericht Jüngers allenfalls in Details zu überbieten. Bei ihm reisen „dreitausend fiebernde Knaben“, zu denen der Protagonist gehört, ebenfalls „mit der Bahn“ ins Kriegsgebiet nach Frankreich. Auch hier handelt es sich um ein „Regiment Freiwilliger, junges Blut, Studenten zumeist“. Und auch sie waren, wie es ebenfalls wörtlich heißt, „ein Körper“ geworden, „darauf berechnet“, so die Über­bietung, „nach großen Ausfällen noch handeln und siegen“ zu können.

Wie in den „Stahlgewittern“ gibt es auch im „Zauberberg“ bald nach Ankunft der Rekruten im Kriegsgebiet Schwerverletzte und Sterbende: „Sie werden getroffen, sie fallen, mit den Armen fechtend, in die Stirn, in das Herz, ins Gedärm geschossen. Sie liegen, die Gesichter im Kot, und rühren sich nicht mehr.“ Ob der Protagonist den ersten Angriff überlebt, bleibt offen, da der Erzähler das Geschehen an dieser Stelle abschließt: „Und so, im Getümmel, in dem Regen, der Dämmerung, kommt er uns aus den Augen. Lebwohl, Hans Castorp, des Lebens treuherziges Sorgenkind! Deine Geschichte ist aus. Zu Ende haben wir sie erzählt.“ Wie Jünger hatte damit auch der Verfasser des „Zauberbergs“ das Grauen des Krieges auf wenigen Seiten vergegenwärtigt.

Dass Thomas Mann die „Stahlgewitter“ nie genannt hat, ist bemerkenswert, hat aber Gründe. Einer ist zweifellos sein Anspruch auf Originalität, ein weiterer die gängige Praxis, Quellen von Zitaten in den Werken nicht zu nennen, wie die Forschung umfassend nachweisen konnte. Besonders ausgeprägt war diese Praxis in dem umfangreichen Buchessay „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von 1918, für den Thomas Mann die Arbeit am „Zauberberg“ unterbrochen hatte, um seine positive Haltung zum Krieg zu erläutern. In der „Vorrede“ spricht er nicht nur von einem ausgeprägten „Hilfs- und Anlehnungs­bedürfnis“, sondern auch von einem „unendlichen Zitieren und Anrufen starker Eideshelfer und ‚Autoritäten‘“. Das war, wie der Kommentar von Michael Neumann in der historisch-kritischen Ausgabe von 2002 zeigt, auch beim „Zauberberg“ der Fall.

Im Unterschied zu den „Betrachtungen“ aber fehlt in Thomas Manns Roman jede Kriegsbegeisterung. Sie wird – ebenso wie in den „Stahlgewittern“ – für die neuen Soldaten zwar registriert, durch die Beschreibung ihrer Erfahrungen bald darauf aber destruiert. „Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment“, so Jünger gegen Ende des ersten Kapitels, „hatten wir gründlich die Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren.“ Thomas Mann beginnt den letzten Absatz des Romans mit der folgenden Anrede an seinen Protagonisten geradezu sarkastisch: „Fahr wohl – du lebest nun oder bleibest! Deine Aussichten sind schlecht; das arge Tanzvergnügen, worein Du gerissen bist, dauert noch manches Sündenjährchen, und wir möchten nicht hoch wetten, dass Du davonkommst.“

Jünger und Mann standen für eine politische Haltung

Die Übereinstimmung der negativen Sicht auf den Krieg, die in diesen Zitaten zum Ausdruck beider Autoren kommt, ist nicht nur auffällig, sondern frappierend. Der Unterschied ist nur, dass Jünger in den „Stahlgewittern“ die Gründe dafür Tag für Tag und Jahr für Jahr darlegt, während sich der Erzähler des „Zauberbergs“ mit einer Frage aus der grausamen Realität verabschiedet, veranschaulicht mit einer pathetischen Metapher: „Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?“

Jünger kannte den „Zauberberg“ ebenso wie „Betrachtungen eines Unpolitischen“, wie einige seiner Artikel des Jahres 1927 zeigen, die in nationalistischen Zeitschriften erschienen sind (wieder in dem von Sven Olaf Berggötz herausgegebenen Band „Politische Publizistik“, 2001). Während er den Roman nur einmal mit Hinweis auf die Figur des Settembrini erwähnt hat, griff sein Bruder Friedrich Georg dessen Verfasser in einem Beitrag mit dem Titel „Der entzauberte Berg“, im März 1928 in der Zeitung „Der Tag“ erschienen, scharf an. „Thomas Mann“, so schreibt er, „der exakte Darsteller einiger Fäulnisprozesse am menschlichen Bestande, würde uns vollkommen gleichgültig sein, wenn er sich nicht aus seinem luftdicht abgeschlossenen Zauberberg hervorgewagt hätte, um mit seiner Feder nach dem deutschen Nationalismus zu stechen.“ Ein Grund für diese Attacke war, dass sich Thomas Mann schon 1922, zwei Jahre vor Erscheinen des „Zauberbergs“, in seiner Rede „Von deutscher Republik“ zur parlamentarischen Demokratie und zu den Friedensvereinbarungen bekannt hatte und auch weiterhin daran festhielt – ganz im Gegensatz zu den Brüdern Jünger.

Allerdings war Ernst Jüngers Kritik an den „Betrachtungen“ differenzierter, da ihm die gedankliche Nähe seiner Artikel der späten Zwanzigerjahre zu Thomas Manns Essaybuch bewusst war: Beide bekannten sich zum Krieg und zur deutschen Nation und standen damit für eine politische Haltung, die Thomas Mann 1921 in dem Beitrag „Russische Anthologie“ als „Konservative Revolution“ bezeichnet hatte. Sprach Jünger im Februar 1927 in der Zeitschrift „Arminius“ noch von der „wunderbaren Klarheit“ der „Betrachtungen“, so warnte er wenige Monate später in derselben Zeitschrift unter der Überschrift „Student sein“ mit Bezug auf Thomas Mann davor, dass sich „der Typ solcher Meister der Phrase“ in den Reihen der Nationalisten „einzunisten“ versuche. Zu einer publizistischen Kontroverse kam es in den Zwanzigerjahren nicht, da Jünger die nationalistischen Auffassungen in der autobiographischen Essaysammlung „Das Abenteuerliche Herz“ (1929) ebenfalls hinter sich gelassen hatte, auch wenn er sich davon nie so deutlich distanzierte wie Thomas Mann.

Kritik, Polemik und Ignoranz

Bedeutung bekamen die Ideen für Jünger erst wieder, als Armin Mohler 1950 unter dem Titel „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918– 1932“ ein Buch über die rechtskonservativen und rechtsradikalen Strömungen der Weimarer Republik veröffentlichte, das zuvor von der Universität Basel als Dissertation angenommen worden war. Thomas Mann nahm hier eine wichtige Rolle ein, da Mohler dessen „Betrachtungen“ als „Standardwerk“ der „Konservativen Revolution“ und den „Zauberberg“ einerseits als „Zeugnis der Ablösung“, andererseits aber auch als Ausdruck eines „starken Ihr-verhaftet-Seins“ bezeichnet. In der Tat werden die politischen Ideen der Zeit von den Hauptfiguren Settembrini und Naphta diskutiert.

Von Interesse sind Mohlers Erläuterungen zu Thomas Mann in diesem Zusammenhang vor allem, weil Abschluss und Drucklegung des Buches mit seiner Tätigkeit als Sekretär Ernst Jüngers in Ravensburg und Wilflingen zusammenfielen. Obwohl Jünger den Begriff der „Konservativen Revolution“ selbst nie für sich verwendet hatte, vereinnahmte der Verfasser seinen Chef dafür, ohne dies genauer darzulegen (stattdessen bezieht er sich auf den für Jünger zentralen Begriff des Nihilismus). Da Jünger seinem Sekretär in diesem Falle nicht öffentlich widersprach, folgte die Forschungsliteratur Mohlers Auffassungen ohne weitere Differenzierung, wie das bis heute einflussreiche Buch von Stefan Breuer mit dem Titel „Anatomie der Konservativen Revolution“ (1993) deutlich werden lässt, in dem Thomas Mann als Vordenker im Gegensatz zu Jünger keine Rolle spielt.

Dagegen meinte Jünger in der Erzählung „Das Haus der Briefe“, die 1951 in einer bibliophilen Schweizer Reihe, also an eher abgelegener Stelle, erschienen ist, dass „jede konservative Revolution ins Leere stoßen“ und damit „scheitern“ müsse, da bereits das Wort „konservativ“ von „einem Gefühl des Mangels“ zeuge. „Der Mensch“ aber, so Jünger weiter, wolle „nicht zurück“, sondern ziehe vielmehr „Erkenntnis, Vergeistigung, auch unter Schmerzen, vor“. Jünger macht damit ein anthropologisches Argument gegen die Ideologie des Konservatismus geltend. Thomas Mann hatte seine ­Neuorientierung in den Zwanzigerjahren dagegen mit der politischen Entwicklung in der Weimarer Republik begründet. Die Abkehr von nationalistischen Positionen verbindet beide Autoren. Doch wurden die Gemeinsamkeiten, die in den „Stahlgewittern“ und im „Zauberberg“ zum Ausdruck kommen, durch Kritik, Polemik und Ignoranz auf beiden Seiten dauerhaft überspielt.

https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/ernst-juenger-als-quelle-fuer-thomas-mann-110391766.html


Le Figaro, 26 avril

Les 20 classiques de la littérature qu’il faut avoir lus selon les professeurs des meilleurs lycées

PALMARÈS EXCLUSIF – Nous avons sondé une quarantaine de professeurs de français issus des 100 meilleurs établissements. Ils devaient désigner les romans classiques incontournables que tout adolescent doit lire. Voici les 20 œuvres qui ressortent de cette consultation inédite.

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«Les jeunes ne lisent plus assez, certains ne savent même pas ce qu’est un livre. C’est une génération qui n’a pas de patience, peu de concentration, qui laisse tomber au bout de dix minutes si ce n’est pas intéressant», admet frustrée Annie Carrie, professeure de français au Lycée Epin à Vitry-sur-Seine (39e au classement national). Leur temps de lecture est passé de 41 minutes par jour à 28 minutes entre 2024 et 2025, selon le baromètre de lecture 2025 du CNL. C’est dix fois moins que le temps qu’ils consacrent aux écrans avec près de 5 heures par jour. «Ils passent la majorité de leur temps sur les réseaux sociaux.  Résultat : ils n’ont pas le temps de lire», poursuit Annie. Un cercle vicieux dont parents et professeurs essaient de les extirper. «La lecture, c’est le moyen de les faire sortir de leur bulle, de leur permettre s’ouvrir, de se questionner sur eux-mêmes, sur le monde».

Et pour ça rien de mieux que des classiques. «Il y a des livres qu’un lycéen doit avoir lus, des incontournables pour comprendre la littérature, les genres», assure la professeure. Bien sûr, ne brûlons pas les étapes. «Il faut y aller progressivement, leur proposer un livre à leur niveau, puis le petit bouquin deviendra gros». Pour savoir quels romans classiques sont vraiment incontournables, Le Figaro a sondé une quarantaine de professeurs de français issus des meilleurs lycées du classement 2025. Découvrez les résultats.

N°1 : Le Père Goriot, Honoré de Balzac

  • Ce roman a été cité 14 fois, dont 3 fois en premier choix.

«Pour résumer ce monument de littérature, je commencerai par les derniers mots du roman prononcés par le héros Eugène de Rastignac : À nous deux Paris. Partir à l’assaut de la capitale et de la société bourgeoise dont il souhaite faire l’ascension : c’est le défi que se lance le jeune homme de 22 ans. Le lecteur suit l’évolution du personnage, entre ambition et désillusion. C’est un modèle qui inspire, à travers lequel les élèves peuvent se reconnaître. C’est facile à lire, pas trop long, dynamique et enjoué avec des rebondissements pour les tenir en haleine. Pour leur culture littéraire, c’est un peu un incontournable. Un roman d’apprentissage avec un héros profondément romantique au cœur noble avec des faiblesses. La Peau de chagrin, Eugénie Grandet… Tout lycéen doit avoir lu au moins un Balzac».

Domitille Rivière Facq, professeure de français au lycée de la Légion d’Honneur (Saint-Denis).


N°2 : Les Misérables, Victor Hugo

  • Ce roman a été cité 12 fois, dont 7 fois en premier choix.

«Le roman suit l’histoire de Jean Valjean, un ancien bagnard condamné pour avoir volé du pain. Dissimulé sous une nouvelle identité et devenu un homme intègre, le héros est rattrapé par son passé et poursuivi par l’inspecteur Javert, qui est déterminé à le renvoyer en prison pour un autre vol. Mais c’est encore plus complexe car le roman suit les destins croisés de plusieurs personnages. Cosette, les Thénardier, Marius Pontmercy, le policier… Autant de protagonistes que de thèmes à explorer tels que l’amour, la misère, l’injustice sociale. 

Sur fond historique, le roman permet de retracer les événements historiques du XIXe siècle. Bataille de Waterloo, émeutes de juin 1832… Les élèves apprennent beaucoup de choses. Mais, c’est un livre lourd, avec des tas de rebondissements, dans lequel on peut facilement se perdre. Le mieux pour eux, c’est de lire une partie, puis la suite progressivement, sinon c’est trop long et décourageant».

Annie Carrie, professeure de français au lycée Epin (Vitry-sur-Seine).


N°3 : L’Étranger, Albert Camus

  • Le roman a été cité 16 fois, dont 2 fois en premier choix.

«Comme l’indique le titre, Meursault, c’est un étranger, c’est un personnage déconcertant et bizarre car nous n’avons pas accès à ses pensées. Nous ne savons pas ce qu’il se passe dans sa tête. Il n’exprime rien. Il nous est étranger et est étranger de lui-même. Il reste totalement passif face aux événements qui se déroulent autour de lui. Sa mère meurt, pas de larme. Il tue un homme, pas de réaction. Il est condamné à mort, rien non plus. C’est un personnage sans morale qui semble dépourvu d’empathie et de tristesse. C’est l’archétype du anti-héros. Il n’a ni quête, ni destin tracé. Il navigue dans sa vie sans jamais s’y investir. Rien n’est fait de son propre choix. 

C’est une lecture qui bouscule les élèves, qui les poussent à se questionner sur le sens de la vie, à réfléchir sur la peine de mort, sur le bien et le mal. Personne ne reste impassible en lisant Camus. C’est un roman court, où cohabite un style épuré et lyrique. Il marque le renouvellement du genre et son entrée dans le XXe siècle».

Marie Maillot, professeure de français, au lycée Jeanne d’Arc (Colombes).


N°4 : Bel-Ami, Maupassant

  • Le roman a été cité 11 fois, dont 3 fois en premier choix.

«C’est la suite logique quand on a lu Le Père Goriot. 50 ans après, la société bourgeoise a connu une ascension et ses membres sont prêts à tout pour s’enrichir et s’élever. Alors que le héros de Balzac, Eugène de Rastignac a un cœur pur, Georges Duroy est sans scrupule. Sans le sou, mais ambitieux, il se sert de son charme pour réussir dans la vie. Après avoir échoué dans l’armée, il débarque à Paris et se lance dans le journalisme. Il n’a aucune compétence et aucun talent, mais il réussit grâce aux femmes qu’il séduit, devenant reporter puis chef de la rédaction. Cet ouvrage, c’est aussi et surtout un grand roman de portraits de femmes. Madeleine Forestier, intelligente, Mme Walter, droite et honnête, sa fille Suzanne, Laurine de Marelle, sa mère et Rachel, une prostituée. Cinq femmes différentes, qui incarnent tour à tour plusieurs facettes de l’amour. 

En plus des intrigues amoureuses, les multiples rebondissements réussissent à capter l’attention du lecteur. Pour un lycéen, c’est une très bonne lecture. Facile, accessible, avec un personnage antipathique qu’on peut haïr. Moralement, il se questionne sur les moyens de réussir, sur la place de l’argent et sur ce qu’il veut être au fond de lui».

Christelle Martin, professeure de français au lycée Fénelon Sainte-Marie (Paris 8e).


N°5 : Madame Bovary, Gustave Flaubert

  • Le roman a été cité 11 fois, dont 3 fois en premier choix.

«Celui qui ne rit pas en lisant Madame Bovary, n’a rien compris au roman. Tout n’est qu’ironie et sens caché. Il faut le lire en ayant les références. Après avoir lu Le Père Goriot ou Bel-Ami par exemple. Flaubert se moque du romantisme et de ses personnages. Emma, friande d’histoires d’amour, aspire à une vie plus romantique et passionnante. Elle s’ennuie et est frustrée car sa vie ne ressemble pas à celle d’un roman. Elle rêve de rencontrer un Rastignac, mais elle tombe sur un bourgeois sans ambition. Dès les premières pages, Charles, médecin de campagne, est ridiculisé. Comment pourrait-on lui en vouloir de tromper un mari aussi médiocre ? Le narrateur défend Emma et c’est ce qui vaudra un procès à Flaubert pour atteinte aux bonnes mœurs. C’est une grande œuvre patrimoniale que les lycéens doivent lire. D’une part, parce qu’elle marque la fin du romantisme, mais aussi parce qu’elle dit beaucoup de choses sur le cœur humain : sur notre frustration et notre insatisfaction permanente».

Domitille Rivière Facq, professeure de français au lycée de la Légion d’Honneur (Saint-Denis).

Méthodologie 

Les 37 professeurs de français, issus des meilleurs lycées selon le classement 2025 du Figaro, qui ont accepté de participer à notre enquête, devaient désigner dans un ordre de préférence les cinq romans classiques que tout lycéen devait selon eux avoir lus avant la fin de sa scolarité dans le secondaire.

Le premier roman cité remportait 5 points, le deuxième 4 points, le troisième 3 points, le quatrième 2 points et le cinquième remportait 1 point. Le classement est établi sur la base de la somme des points obtenus par chaque roman. Pour les romans qui arrivent à égalité, c’est le roman qui a été cité le plus de fois qui arrive en premier. Seuls les 20 premiers romans ayant obtenu le plus de points apparaissent dans le tableau.

Les professeurs ont choisi de répondre de manière individuelle ou de manière collective. Pour certains établissements, plusieurs professeurs ont participé, pour d’autres, il s’agit d’une liste collective. (…)

https://www.lefigaro.fr/livres/le-palmares-des-20-classiques-de-la-litterature-a-avoir-lu-avant-18-ans-selon-les-professeurs-des-meilleurs-lycees-20250426


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25 avril

Thomas Manns Sprache: Zauberberg, wiedergelesen

Wo man die Ärzte noch länger an dem Sinnlosen hantieren sah, sammelt sich das Leben im Weckglas, und die Zeit steht still: Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“, auf seine sprachlichen Mittel untersucht.

Gastbeitrag von Martin Mosebach

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Die Literatur zu Thomas Manns „Zauberberg“ ist so reich, dass es kaum einen Aspekt geben dürfte, der nicht ausführlich, kommentierend, kritisierend, ausdeutend behandelt worden wäre, und zwar von Literaturwissenschaftlern aus der ganzen Welt. Und tatsächlich ist dies Werk in seinem Gedankenreichtum unerschöpflich: Es ist ein großes Welttheater durchaus im spanisch-barocken Sinn, in welchem, wie einst bei den rappresentazioni der Jesuiten, die Wissenschaft und die geistigen Kontroversen am Vorabend des Ersten Weltkriegs, dazu die Liebe und der Tod in leibhaftigen Verkörperungen auftreten und um die Seele eines Menschen ringen, der mit seinen wenig ausgeprägten individuellen Eigenschaften dazu berufen ist, den Menschen „an sich“ darzustellen.

Der Roman folgt ja zeitlich dem Großessay „Betrachtungen eines Unpolitischen“, der im Krieg geschrieben war, in der Absicht, ihn als kulturellen Kampf zu rechtfertigen. So erscheint der „Zauberberg“ als Versuch, die Gedankenfülle dieses inzwischen nach der vernichtenden Niederlage Deutschlands wie ein Irrtum erscheinenden Essai-Werks mit den Mitteln der Kunst zu spiegeln, zu ironisieren, spielerisch aufzulösen und dadurch womöglich zu heilen – nicht indem der Autor sich ausdrücklich davon distanzierte oder es gar bereute, sondern indem er sich, wie seine Protagonisten, ins Hochland begab und von sehr großer Höhe aus betrachtete, was seine Zeitgenossen und er selbst einst gedacht hatten, vor jenen wenigen Jahren, die durch das Kriegsende als unendlich weit zurückliegende Epoche anmuteten.

Was aber diese – für den, der das erleben musste, unbegreifliche – Umwandlung aller vertrauten Verhältnisse bewirkte, das war die Zeit, diese unsichtbare, alles in ständigem Wandel haltende Macht, die nur an den von ihr bewirkten Folgen abgelesen werden kann. Sie ist der eigentliche Gegenstand des Romans, wie in ei­nem weiteren Schlüsselwerk der Epoche, der „Recherche du temps perdu“ von Marcel Proust, deren letzter, postumer Band nur drei Jahre nach dem Zauberberg erschien. Es ist bestimmt kein Zufall, dass im Moment eines gewaltigen historischen Umbruchs gleich zwei große Epiker sich der Aufgabe stellen, dem Rätsel dieser unpersönlichen, aber allmächtigen Demi­urgin näher zu kommen.

Womöglich ein Echo der Stahlgewitter

Auf sehr unterschiedliche Weise allerdings: Während Proust der verstreichenden Zeit die wirklichkeitserzeugende Kraft der Erinnerung zugesellt, die ja erst durch das Zeitverstreichen möglich wird, steht bei Thomas Mann eine Versuchsanordnung im Vordergrund, die es unternimmt, die Zeit stillstehen zu lassen, ihre Wirkungen auszubremsen und das Leben wie in einem Weckglas zu konservieren, während die Geschichte mit großen Schritten voraneilt. Wird dies Weckglas gewaltsam geöffnet, dann strömt die Zeit zischend und einen Sauerstoffschock erzeugend ein, wie es in den letzten Seiten geschieht, als Hans Castorp in die Schlacht von Langemarck versetzt ist, und fegt mit der Gewalt des Druckausgleichs alles bisher Geschehene und Erlebte beiseite. Ganz nebenbei sei die Literaturwissenschaft gefragt, ob diese letzten Seiten, mangels eigener Erfahrung und angesichts mancher Formulierungen, nicht nach Lektüre der „Stahlgewitter“ Ernst Jüngers geschrieben sein könnten – eine gewisse souveräne Unbeteiligtheit an den schrecklichen Vorgängen lässt diesen Gedanken aufkommen.

Zur Darstellung der Philosophie oder vielmehr der Nichtphilosophie des Zauberbergs, dieses Tändelns und Schwankens zwischen den extremen Positionen, man könnte sagen, für den ironischen Flirt mit dem Denken, der sich durch die beinahe tausend Seiten des Romans zieht, bedient der Autor sich eines Mittels, das immer wieder für höchste Komik sorgt.

Der Jüngling Castorp, keineswegs dumm, aber denkungewohnt und über das hinaus, was er im Gymnasium erfahren hat, nicht weiter unterrichtet (das kaiserzeitliche Gymnasium ist mit dem, was sich heute so nennt, freilich nicht in einem Atemzug zu nennen), wird zum willigen Objekt vielfältiger Bildungsanstrengungen – er wird von dem Freimaurer Settembrini in die Grundzüge der Aufklärung und des Republikanismus eingeweiht, von Naphta in den anthropologischen Pessimismus der Gegenaufklärung, er erhält ein ausführliches anatomisches Privatissimum vom Chefarzt des Sanatoriums, sammelt Erfahrungen in der Liebe, in der Psychoanalyse und Parapsychologie und in der Malerei und geht immer wieder das Wagnis des Selberdenkens ein.

Keine Doktrin könnte diese Vereinnahmung überleben

Da lässt Thomas Mann seinen Parzifal über all das, was er in naiver Faszination aufgeschnappt hat, mit eigenen Worten unter wiederholter Aufputzung der sich ihm eingeprägt habenden Begriffe drauflosphilosophieren – man erkennt an den Bruchstücken der Vorträge den Gedankengang seiner Lehrer wieder, aber nun unschuldsvoll vereinfacht. In enthusiastischer Folgsamkeit vorgetragen, einer Bereitschaft, sich Dinge zu eigen zu machen, deren Tragweite ihm gar nicht bekannt ist, werden große Gedankengebäude zu drolligen Schlagwortgirlanden – ich wage zu behaupten, dass es keine erhabene Doktrin gibt, die diese in die vollständige Demontage führende Vereinnahmung überstehen würde. Schleichender Zerfall jeder Ernsthaftigkeit wird hier nicht im Säurebad der Skepsis ausgelöst, wie man das häufig finden kann, sondern durch unschuldige ahnungslose Begeisterung, ein Experiment, ausgeführt im Laboratorium der Lungenheilanstalt, in welchem die Insassen aus den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen ihrer Herkunft über viele Jahre herausgelöst sind und sich in einer Ausnahmesituation befinden.

Denn die Länder, aus denen diese Kranken stammen, befanden sich in den Jahren vor dem großen Krieg ja keineswegs im Zustand zeitvergessener Trance. Gern sieht man die Vorkriegsjahrzehnte als Phase der Dekadenz, man sieht überall die Anzeichen eines Endes – die Kunst und Literatur sind nicht unschuldig an diesem Bild, das sich vor die explosive ökonomische Aktivität, die Entdeckungen der Naturwissenschaft, die Erschließung ganzer Kontinente schiebt, ein allgemeines Erstarken, das am Ausbruch des Weltkonfliktes durchaus ursächlich beteiligt war.

So ist denn die Szenerie der zeitlos verdämmernden Lungenkranken weniger ei­ne Parabel der ausgehenden Kaiserreiche, als Ausdruck eines tiefen Gefühls der Unwirklichkeit, das bei manchem durch Krieg und Revolution entstanden sein mag, als tausendjährige Monarchien wie die Seifenblasen zerplatzten. 1918 war Thomas Mann dreiundvierzig, er hatte bis zuletzt an den Bestand des preußisch-deutschen Kaiserreichs geglaubt. Ist ihm das, was er mit Leidenschaft im Krieg vertreten hatte, nun wie ein Traum erschienen? So könnte man denken, wenn man die im Zauberberg geführten Debatten verfolgt – die Menschheitsrhetorik des Settembrini, des sympathischen Drehorgelmannes, und den rauschhaften Pessimismus des unsympathischen Naphta, der aber, wie der Autor Hans Castorp einräumen lässt, meistens recht behält. Keinesfalls als Synthese dieser Positionen darf die überraschende und pauschale Liebesbotschaft gelten, die im berühmten Schneekapitel und am Schluss des Romans verkündet wird – ist sie am Ende eine poetische Überhöhung der Hinwendung Thomas Manns zur SPD? Es mag auch heute noch Genossen geben, denen diese Deutung plausibel erschiene.

Historismus als Stilidealvorstellung

Müsste man also sagen, dass er, der mehr als die Hälfte seines Lebens im Vorkriegsdeutschland zugebracht hatte und davon auch geformt worden ist, jedenfalls mit seinem Zauberberg noch dem neunzehnten Jahrhundert zuzuzählen wäre?

Ich möchte versuchen, diese Frage vor allem von der Sprache her zu beantworten, die bei Betrachtung eines Autors doch wohl das Wichtigste ist, was immer er an Stoffen und Ideen bearbeitet hat. Und da wird gern geurteilt, die Sprache Thomas Manns sei tatsächlich ganz neunzehntes Jahrhundert, dessen Konkursverwalter er gewesen sei, ein letzter, der die überkommene Sprache einer untergegangenen Epoche spielerisch verspottet habe, ohne imstande oder willens zu sein, etwas Neues zu schaffen.

Sprache des neunzehnten Jahrhunderts also, das ein großes Jahrhundert der deutschen Literatur war, aber daran denken wohl jene nicht, die ihm seine Sprache vorhalten. Man könnte glauben, sie dächten überhaupt nicht an Sprache, sondern an den Dekorations- und Möbelstil des Historismus, wenn sie Mann charakterisieren wollen, denn Goethe und Brentano, die Grimms, der große Stilist Johann Peter Hebel, von dem so viele gelernt haben, Stifter, Keller und C. F. Meyer, Fontane, Raabe und Nietzsche schrieben ein gänzlich anderes Deutsch. Goethes Ideal war, mit seinen Worten, „ein allgemeiner gebildeter Stil“ – ein allgemeiner, wohlgemerkt, nicht ein systematisch individualisierter, von der Duftmarke des Autors durchtränkter. Der klassische Stil des Horaz klingt darin an, der anriet, „ungewohnte und selten gehörte Wörter zu meiden wie die Felsenriffe“ – man könnte von einem Stil sprechen, den die Sprache bei richtiger Anwendung von selbst hervorbringt.

Das Familienidiom der Pringsheims

Nein, „klassisch“ in diesem Sinne des neunzehnten Jahrhunderts schrieb Thomas Mann nicht. Es ist eigentlich überhaupt nicht die Sprache der Literatur, die er für sich weiterentwickelt hat, als vielmehr die der wilhelminischen Akademien, eine Art wilhelminisches Barock, dessen überkomplizierten Konstruktionen er ei­nen genießerischen Unterton von Vergnügen daran unterlegt; in ihrer gelegentlich närrischen Gravitas und ihrem spaßigen Prunkbedürfnis machen sie den Glanz seiner Prosa aus. Es ist aber wohl so, dass besonders vertrackte ironische Wendungen, die für ihn typisch sind, dem Familienjargon der Pringsheims entstammen, der Ver­wandtschaft seiner Frau, die sich mit einer eigenen drollig verqueren Sprache verständigte – nach der Regel, Banales so hochtrabend wie möglich auszudrücken, eine leicht snobistische Überheblichkeit, die durch ihren Witz blendet; seine Kinder Klaus und Erika haben diesen Jargon weitergeführt. Spuren davon sind im ganzen Werk zu finden.

Mir scheint es aber wichtig, nicht so allgemein zu bleiben. Meine Wiederlektüre des Zauberberges nach mehr als fünf Jahrzehnten war vor allem auf diese sprachlichen Mittel des Meisters konzen­triert – die erste hatte unter den Kastanien des Frankfurter Palmengartens in der Nähe der Konzertmuschel stattgefunden – mir ist, als sei dabei unablässig leichter Regen auf das dichte Laub gefallen, ein Geräusch, das mich sanft einlullte.

Was ich bei meiner zweiten Lektüre aus Anlass des Jubiläums unter hellem ägä­ischen Himmel nun festgehalten habe, mag den Eindruck machen, ich unternähme den lächerlichen Versuch, diesem monumentalen Werk am Zeuge zu flicken – nichts liegt mir ferner. Ein Werk, das weltweit gewirkt hat und dem lebendigste Figurenschöpfungen zu verdanken sind wie Hofrat Behrens und Mijnheer Peeperkorn, ist unangreifbar. In jedem Leser des Zauberberges führen die beiden ein vom Werk schon geradezu ablösbares Eigenleben. Die Frage, ob Thomas Mann stilistisch ein Autor des neunzehnten oder des zwanzigsten Jahrhunderts ist, kann gegenüber einer längst eingetretenen Überzeitlichkeit des Buches zur Erkenntnis kaum mehr etwas beitragen.

Wie genau der Autor die Effekte erzielt

Deshalb darf dennoch festgestellt werden, dass sein Umgang mit der Sprache erst im zwanzigsten Jahrhundert möglich war, das „uneigentliche Sprechen“, das sich einen satirischen oder karikierenden Archaismus als Idiom erfindet – die Sprachskepsis der Werke, die dem Zauberberg folgten, ist in gleichem Maße modern wie die Sprachexperimente der „avantgardistischen“ Autoren – nur dass seine unter dieser Bedingung entstandenen Werke so viel genussreicher zu konsumieren sind.

Dem leidenschaftlichen Leser macht es aber einfach Spaß, sich Rechenschaft darüber abzugeben, wie genau sein Autor seine Effekte erzielt. In Fragen des Geschmacks scheiden sich die Geister ohnehin. Noch eins ist wichtig: Die nun von mir zitierten Auffälligkeiten sind nicht systematisch herausgesucht und aufgespießt worden, es fiel vielmehr schwer, ihre Zahl zu begrenzen, denn auf beinah jeder Seite des Romans ist Ähnliches zu finden. Sie sind samt und sonders typische Merkmale des Mannschen Stils.

Das Erste, was mir nun auffiel, war der exzessive Gebrauch einer grammatischen Figur, die nicht aus dem neunzehnten Jahrhundert, sondern wohl aus dem Barock der sprachschöpferischen Philologen stammt – die Übertragung oder Nachahmung des lateinischen Ablativus oder Genetivus absolutus sowie des Genetivus qualitatis ins Deutsche –, wir kennen die Übertragung von stante pede in „stehenden Fußes“ und brevi manu in „kurzerhand“. Auch „unverrichteter Dinge“ dürfte auch heute noch halbwegs populär sein.

Manches verschwindet im zweiten Teil

Die Behauptung sei gewagt, dass nicht ein einziger deutscher Autor es mit solcher Lust unternommen hat, diese Formen lateinischer Verknappung und Lakonie zu gegenteiliger Wirkung gelangen zu lassen: nämlich zu exzentrischer Aufschmückung der Sprache. Dass der deutsche Genetivus absolutus in der Beamtensprache der Kaiserreiche gern verwendet wurde, etwa in Gestalt des in der Donaumonarchie beliebten „hieramts“ oder gar „hiesigen­amts“. ist bei Thomas Mann vergessen – der Geist der Amtsstuben in strenger hölzerner Magerkeit verwandelt sich unter seiner Feder in Sprachluxus. Ich hatte mich nicht daran erinnert, dass im Zauberberg eine solch überreiche Ernte des deutschen Genetivus absolutus und des Genetivus qualitatis zu finden war, aber aus einem anderen Werk des Autors, „Königliche Hoheit“, erinnerte ich mich, dass jemand mit seinem Sportwagen „zurückgeschlagenen Verdecks“ über Land brause – ein Freund von mir, der ein Cabriolet besaß, übernahm begeistert diese Formel.

Aber im Zauberberg geht es erst richtig los: aus „kurzerhand“ wird hier, um die Redensart zu vermeiden „schlankerhand“; eine Frau, Madame Chauchat, geht „vorgeschobenen Kopfes“; eine andere ist „zurückhaltenden Wesens“; Sänger singen „formenden Mundes“; andere sprechen „gerundeten Mundes“; sind dabei „geblendeten Auges“, wenn nicht gar „unsteten Blicks“; dann auch „hochroten Gesichts“ oder „andächtig verschwimmenden Blicks“, aber auch „gebrochenen Blicks“ oder sprechen „gleichmütig gedehnten Tones“. Russische Gäste sind „barbarisch reichen Ansehens“. Die besonders exquisite Genitivbildung „maßgeblicherseits“ stammt hingegen wohl noch unmittelbar aus einer kaiserzeitlichen Kanzlei.

Dies ist nur eine Auswahl, und zwar aus dem ersten Teil des Romans. Auffällig ist, dass solche Prägungen im zweiten Teil fast ganz verschwinden – bis auf einige Prachtexemplare: „wutverblödeten Angesichts“ etwa, aber auch „verschmitzten und lebensfreundlichen Auges“ und sogar „gewahrten wissenschaftlichen Gesichtes“, das fällt während eines heftigen Streitgesprächs und soll wohl heißen: indem er sein Gesicht als Wissenschaftler wahrte; und schließlich das nicht unkomplizierte „schneebewahrten Tageslichts“ – gemeint ist vielleicht die Fähigkeit des Schnees, nach Sonnenuntergang für eine Weile noch Licht zu reflektieren. Gegen Ende des Romans wird eine Figur eingeführt, die als „Antisemit“ bezeichnet wird. Sein Judenhass wird – mehrfach wiederholt natürlich – eine „Puschel“ genannt, ein Tick, eine harmlose Obsession. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte man so etwas nicht mehr so familiär-humorig benannt. Aber die ungebremste Neigung zu solchen Genitivkonstruktionen dürfte wohl auch weiterhin „Puschel“ genannt werden.

Ein weiteres Mal mit den Händen rudernd

Eine andere stilistische Eigenart Thomas Manns ist jedem Leser gegenwärtig – es ist die Gewohnheit, seine Figuren mit feststehenden Epitheta einzuführen, die bei jedem ihrer Auftritte wiederholt werden. Ein heutiger Lektor würde sagen: „Das wissen wir doch längst“, wenn Hofrat Behrens ein weiteres Mal mit blutunterlaufenen Augen und blauen Wangen, mit den Händen rudernd auftritt, und würde alles streichen, damit aber eine Stileigentümlichkeit auslöschen. Man schreibt sie der Nachahmung der Leitmotivik Wagners zu, aber eigentlich ist diese Technik viel älter, homerisch genau genommen, wo Götter und Helden stets im Schmuck ihrer unveränderlichen Epitheta auftreten, eine originalepische Institution also. Es haben diese geradezu rituellen Wiederholungen aber noch einen anderen Effekt – den des alten italienischen Maskentheaters, das ebenfalls aus der Antike stammt und gleichfalls auf einer unüberwindlichen Typisierung der Figuren beruht.

Hans Castorp behält bis zum Schluss seine „einfachen blauen Augen“, obwohl uns suggeriert wurde, er habe eine Entwicklung durchgemacht in den sieben Jahren, Madame Chauchat ist auf ewig dazu verurteilt, mit der einen Hand ihre auseinanderfallende Frisur im Nacken zu stützen, die junge Marusja bleibt bis zum Tod im Besitz ihrer „hohen Brust“, ihres Orangen­parfüms, ihres kleinen Rubins und ihrer unbegründeten Lachlust, Settembrini lächelt von Anfang bis zum Ende „fein und schmerzlich“. Selbst in dem kurzen Auftritt von Frau Ziemssen, Vetter Joachims Mutter, muss wiederholt bemerkt werden, dass ihre seelische Gefasstheit der „Zusammengenommenheit“ ihres Haares durch ein kaum sichtbares Netz gleiche. Manchmal erzeugen die Epitheta eine überwältigende, gar nicht leicht zu analysierende Komik – etwa wenn der Liegestuhl, in dem Castorp seine Liegekur absolviert, gnadenlos von Anfang bis Ende wie in einem Reklameprospekt „vorzüglich“ genannt wird. Dies Verwöhnte und Bequeme nimmt der Lage der Todkranken viel von ihrem Ernst, sie waren mit ihrem Husten wenigstens „vorzüglich“ gebettet. Und besonders schön ist der Fall von Frau Stöhr, die notorisch unsicher im Gebrauch von Fremdwörtern ist und deshalb „ungebildet“ genannt wird – bei jeder Lebensregung: Ihre Tischmanieren sind „ungebildet“, sie lacht „ungebildet“ und es scheint ihre Unbildung sie ganz und gar im Griff zu haben und eine körperliche Eigenschaft geworden zu sein. Man glaubt zu ahnen, was er meint, aber wie das im Einzelnen aussieht, verschweigt der Erzähler listig.

Kein Problem im substantivischen Stil

Schließlich gewinnt diese Typisierung sogar die Oberhand über die Erzählung und bildet vollständig ihren Körper, wenngleich für nur wenige Sätze, ein unauffälliger artistischer Höhepunkt dieses Mittels, im Schreckmoment nach der Duellforderung Naphtas an Settembrini, da ist nichts, was nicht schon fünfzigmal gesagt worden wäre. „Die andern standen noch immer am Tisch. Ferges Schnurrbart fuhr fort auf und ab zu wandern. Wehsal hatte den Unterkiefer schräg gestellt. Hans Castorp ahmte die Kinnstütze seines Großvaters nach, denn ihm zitterte das Genick.“

„Das Verb ist die Königin der deutschen Sprache“ – wer immer diesen Satz formuliert hat, für Thomas Mann kann er keine Autorität gewesen sein, denn nicht immer, aber an wichtigen Stellen schiebt er ihn nachdrücklich zur Seite. Der wortgewaltige Formulierungsartist scheint im sub­stantivischen Stil kein Problem gesehen zu haben. „Verspätung schien eingerissen im Durchleuchtungsraum, und so stand kalter Tee in Aussicht“ – man könnte auch sagen: Man hatte sich verspätet im Durchleuchtungsraum, der Tee würde kalt werden.

„Daß es sich um eine Bestätigung seines Geschmacks handelte“ statt: seinen Geschmack bestätigte. – „Der Wunsch war un­erfüllbar, solange ein unbewehrter und unbeschwingter Fußgänger es war, der sich mit ihm trug“ – warum nicht: Der Wunsch war ohne Skier nicht erfüllbar? – „Nahm Seitenlage ein“ statt: legte sich auf die Seite – ebenso: Er hatte „Bettlage eingenommen“ statt: Er hatte sich ins Bett gelegt. – „Und so waren Geduld und Zurückhaltung denn sicherlich das ihm zukommende Betragen“ statt: Und so kam ihm sicherlich zu, sich geduldig zurückzuhalten. – „sodaß Bewußtlosigkeit einfiel“ statt: sodass sie das Bewusstsein verlor. Aber auch das „einfiel“ ist der Beachtung wert! „Bewusstlosigkeit fällt ein“, das liest man hier zum ersten und wahrscheinlich auch zum letzten Mal. – „Die Damen wurden von den verschiedensten Zuständen betreten“ statt: Die Damen gerieten in die verschiedensten Zustände. Von Zuständen „betreten“ werden, das kannte man auch noch nicht.

Aus Steifheit wird Steifigkeit

Es sei nun eine besondere Gabe Manns gestreift, seine Fähigkeit zur Wortbildung, die eine Reihe schöner Kombinationen gelingen lässt – darin erinnert er an Goethe. Ich lasse einfach einige dieser neuen Wörter folgen: „schwingenfrohe Vögel“, „talentstraffe Offenbach-Ouvertüre“, „spott­schlecht“, „krähenschreiharte Morgenfrühe“. Es gibt Peeperkorns „Königskoller“ und „Lebensaufmerksamkeit.“ Die „Rasseweiblichkeit“ und die „Dankesentgegennahme“ sind schon weniger glücklich gefunden. Auch ungewöhnlicher Gebrauch von Wörtern sei erwähnt: „schollern“ bezeichnet ein dumpfes Poltern, etwa von hinabgeworfenen Erdschollen auf einen Sarg, aber im „Zauberberg“ wird sehr glücklich dilettantisches Gitarrenspiel so charakterisiert, man hört ordentlich ein konturloses Dröhnen – aber weil er auf seinen Fund so stolz ist, wird nun immer wieder auf der Gitarre „geschollert“.

Und dann ist es erst recht, als genüge ihm der übliche korrekte Sprachgebrauch nicht und er müsse ihn auf eine andere Ebene schrauben, den Wörtern eine andere Bedeutung verleihen, nicht einfach sich einer gewählten Sprache bedienen, sondern eine Hypergewähltheit erfinden.

Aus Steifheit wird dann „Steifigkeit“, aus menschenverachtend „menschenverächterisch“. – Vetter Joachim geht nicht mehr in den Speisesaal, weil „er sich hohlwangig und überäugig wußte“ – gemeint sind die übergroß erscheinenden Augen der Todgeweihten –, aber „überäugig“? Dies Wort gefiel ihm aber wohl so gut, dass er es mehrfach gebraucht. – Die Berggipfel „überhöhten einander vor dem Blau“ statt: Sie überragten einander – Überhöhen ist ein geistiger Begriff. – Die „bedrängte Heiterkeit“ – gemeint ist eine gezwungene Heiterkeit, die dann freilich keine wäre. – „Der Ausgeschiedene“ – gemeint ist der Verschiedene, es sei denn, man betrachte das Leben als ein Turnier, bei dem die Verlierer der einzelnen Runden „ausscheiden“. – Eine Feuersbrunst wird „gestiftet“. – „Er sah sich aller Sorge um sein Gepäck überhoben“ – gemeint ist wohl „enthoben“. – „Wo man die Ärzte noch länger an dem Sinnlosen hantieren sah“ – gemeint ist der Besinnungslose, „hantieren“ ist für ärztliche Hilfe eine ungewöhnliche Wahl. Begriffe in der Diskussion haben eine „kämpferische Unbrauchbarkeit“, gemeint ist aber: Sie sind zum Kampf nicht zu brauchen.

Ab in die buddhistische Sprachhölle

Ich werde die Vorstellung nicht los, dass ein sehr gebildeter Ausländer im Bemühen, sich besonders gehoben auszudrücken, zu solchen Wendungen finden könnte, die nicht eigentlich Deutsch sind.

Genug davon, ich möchte mich, wie gesagt, nicht dem Verdacht der Respektlosigkeit gegenüber einem Größeren aussetzen. Es geht nur um eine Bestandsaufnahme – die das Staunen über dieses Werk nur vergrößern kann. Eine solche Bestandsaufnahme kann nicht schließen, ohne auf einige Prunkstücke stilistischer Anstrengung hinzuweisen.

Castorps Uhr ist stehengeblieben, aber „er hatte davon abgesehen, sie wieder in messenden Rundlauf setzen zu lassen“ – „sie reparieren zu lassen“ kann ja jeder schreiben. Auch für das Schwitzen hat er sich etwas einfallen lassen: „Sie verausgabte soviel Wasser“. Allein für den Gebrauch des Verbs „verausgaben“ hätte der von Mann so bewunderte Schopenhauer ihn in die buddhistische Hölle geschickt.

Zirkelgraphik statt Spirale

Und dann die Wahl überraschender Adjektive – das angestellte Grammophon wird „sanft kochende Wundertruhe“ genannt, das Auflegen einer Schallplatte „ein Beispiel der stummen Zirkelgraphik dem Schreine einzuverleiben, um es zum Tönen zu bringen“, wobei, nur nebenbei bemerkt, die Rillen einer Schallplatte nicht einen gezirkelten Kreis bilden, sondern eine Spirale.

Die Gewehrsalven über Vetter Joachims Grab werden „schwärmerisch“ genannt, das Grab selbst „wurzeldurchwachsen“. Rätselhaft ist „ein Gewitter von lächerlicher Überflüssigkeit“. Es gibt einen Rat Baudelaires, der Autor möge alltägliche Begriffe, wenn sie denn sein müssten, wenigstens mit überraschenden Adjektiven versehen – der Bonhommie, der Biederkeit sei dementsprechend etwa „asiatisch“ hinzuzufügen. Hat der vielbelesene Thomas Mann sich diesen Rat eines Dichters etwa zu Herzen genommen?

Manchmal frage ich mich, ob diejenigen, die Mann die Rolle eines Präzeptors der Sprache zuweisen, bei seinen sprachlichen Besonderheiten überhaupt länger verweilt haben. Natürlich haben sie ihn gelesen, sogar mit größtem Vergnügen, und sind im Banne dieser Weltbeschwörung in leicht febriler Trance über vieles hinweggeglitten, wie auch ich einst unter den regendurchtröpfelten Kastanien des Palmengartens. Das Ganze ist eben von größerer Bedeutung als seine Teile.

Ein Aphorismus Goethes

Dem nachgeborenen Autor, der nicht der Objektivität des Literaturwissenschaftlers verpflichtet ist, und der den größten Teil seiner Arbeit an einem Buch dem bisweilen mühseligen Feilen der Sprache widmet, ohne dass er mit dieser Feilerei auch nur in die Nähe eines Werkes wie des Zauberberges gelangt wäre – es möge diesem Nachgeborenen angesichts des ausgebreiteten Materials dennoch die etwas naiv klingende Frage gestattet sein: Ist das eigentlich gut geschrieben? Ist das eine schöne Sprache?

Das soll hier nicht beantwortet werden. Das sprachliche Material, aus dem der gewaltige Roman gebildet ist, möge für sich selber sprechen. Der – im Rahmen dieser Ausführungen eigentlich unmöglichen – Vollständigkeit halber darf aber nicht vergessen werden, dass es im Zauberberg viele Passagen gibt, die von dem Thomas Mann eigentümlichen Stilwillen ausgenommen sind. Ein weiteres Mal willkürlich herausgegriffen: „Sie überschritten den Steg, der über die Schlucht führte, worin im Sommer der jetzt verstummte Wasserfall niederging, der so sehr zum malerischen Charakter des Ortes beitrug.“ Oder: „Die Ausflügler bestellten einen Imbiß bei der dienstwilligen Wirtin. Den Kutschern ward Rotwein geschickt.“ Da ist er tatsächlich einmal, der behaglich biedermeierliche Erzählgestus, der aus dem neunzehnten Jahrhundert stammen könnte, aber er wirkt, als müsse der Autor hin und wieder einmal Luft holen.

Das Resümee meiner Lektüre habe ich in einem Aphorismus von Goethe gleichsam vorformuliert gefunden, im Schlusskapitel der „Wanderjahre“, bezogen auf den von ihm hochgeschätzten Lawrence Sterne. Der Aphorismus begründet sein apodiktisches Urteil nicht und regt zum Spekulieren an, bringt aber deshalb meine gemischten Empfindungen gegenüber dem Zauberberg sehr gut zum Ausdruck. „So sehr uns der Anblick einer freien Seele dieser Art ergötzt, ebensosehr werden wir gerade in diesem Fall erinnert, daß wir uns von all dem, wenigstens von dem meisten, was uns entzückt, nichts in uns aufnehmen dürfen.“

Nun, diese Gefahr ist heute gering, die Literatur nach Thomas Mann hat andere Wege eingeschlagen. Er selbst verweilte nicht ohne Wohlgefallen bei dem Gedanken „ein letzter“ gewesen zu sein. Dem wird man aber widersprechen müssen – „ein letzter“ war er nicht, wohl aber ein „einzigartiger“, ein Autor ohne Vorgänger und Nachfolger.

Martin Mosebach trug die voranstehenden Ausführungen am 6. Dezember 2024 auf einem von Dieter Borchmeyer einberufenen Symposium der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vor. Am 13. März 2025 erscheint bei dtv sein Roman „Die Richtige“.

https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/martin-mosebach-ueber-die-sprache-von-thomas-manns-zauberberg-110198965.html


IREF, 24 avril

Taxation des livres d’occasion : Emmanuel Macron persévère dans l’erreur

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Le 11 avril 2025, à l’occasion du festival du livre à Paris, Emmanuel Macron a annoncé la création d’un « droit de suite au droit d’auteur » sur les livres d’occasion, après s’être entretenu avec les représentants du Syndicat national de l’édition (SNE). Derrière cette expression technocratique se cache une réalité bien plus simple : une taxe sur la revente de livres au nom de la défense des éditeurs et des auteurs.

On nous explique que cette taxe permettrait de compenser le « manque à gagner » des ayants droit. Mais de quel droit l’État viendrait-il ponctionner chaque revente d’un bien qui, rappelons-le, a déjà été acheté, taxé, et qui appartient à son propriétaire ? Allons au bout de la logique : faut-il aussi taxer les vide-greniers, le troc ou les prêts de livres ? Après tout, c’est autant de ventes neuves « perdues ». L’argument culturel ne tient pas debout non plus : taxer les livres d’occasion, c’est taxer la lecture populaire, celle des étudiants, des jeunes, des familles qui n’ont pas forcément les moyens d’acheter leurs livres neufs en librairie.

Cette taxe n’a qu’un objectif : contenir le succès des plateformes de livres d’occasion qui permettent à des millions de lecteurs d’accéder à la culture à moindre coût. Elle aura surtout pour effet de fragiliser le modèle économique de ces plateformes, comme Recyclivre ou La Bourse aux livres, qui ne réalisent que de faibles marges. Emmanuel Macron devrait plutôt se poser la question suivante : pourquoi tant de lecteurs se tournent-ils vers l’occasion, plutôt que vers les livres neufs? Le marché du livre souffre depuis longtemps d’un manque de liberté, notamment du fait de la politique du prix unique (à l’époque, pour protéger les librairies indépendantes d’une prétendue « concurrence déloyale »). Les consommateurs de livres n’ont pas besoin d’une énième taxe.

https://fr.irefeurope.org/publications/les-pendules-a-lheure/article/taxation-des-livres-doccasion-emmanuel-macron-persevere-dans-lerreur/


Neue Zürcher Zeitung, 22 avril

Auf den Zusammenbruch folgt ein Aufbruch. Kristine Bilkaus preisgekrönter Roman «Halbinsel»

Eine Mutter und ihre erwachsene Tochter treffen in Kristine Bilkaus neuem Roman unvermittelt für längere Zeit aufeinander. Alte Konflikte brechen auf, ehe sich Neues anbahnt.

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Da ist die Erinnerung, an eine Angst, die Annett nicht loswird, sobald sie an das Aufwachsen ihrer Tochter Linn zurückdenkt, an die Momente etwa, als diese mit anderthalb Jahren waghalsig eine Treppe hochkletterte. An dieser Sorge hat sich auch nach knapp einem halben Jahrhundert wenig geändert. Annett ist mittlerweile Ende vierzig, arbeitet in einer Bibliothek und lebt in einem 1300-Seelen-Dorf auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. Ihre vierundzwanzigjährige Tochter Linn hingegen hat nach dem Studium gerade in Berlin eine Stelle angetreten, in einer Beratungsfirma, die sich um die Förderung und Finanzierung von Umweltprojekten kümmert.

Kristine Bilkaus Roman «Halbinsel» – jüngst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet – setzt mit einem Schockmoment ein. Linn ist bei einem Vortrag mit einem Kreislaufkollaps zusammengebrochen. Annett holt sie im Krankenhaus ab und nimmt sie mit in ihr Wattenmeerhäuschen. Eine Woche lang soll die Tochter zur Ruhe kommen, daraus werden schliesslich vier Monate, die voller unterschwelliger Auseinandersetzungen sind.

Aushilfsjob in der Dorfbäckerei

In mitunter zähen, von leisen Vorwürfen grundierten Gesprächen versuchen die beiden, sich einander anzunähern, und rufen – ein paar aufgefundene Kartons tragen dazu bei – Erinnerungen wach. Vor allem an Johan, Linns Vater, der fast zwanzig Jahre zuvor beim Joggen zusammenbrach und völlig überraschend starb. An seiner Präsenz in Annetts Gedanken hat sich in all der Zeit nichts geändert.

Kristine Bilkau versteht es vorzüglich, das Gefühlsgeflecht ihrer Protagonistinnen nuanciert zu durchdringen, keine Veränderung, keine Verdrängung ausser acht lassend. Nach und nach stellt sich heraus, dass Linn kurz vor ihrem Vortrag ihre Berliner Stelle gekündigt hat, unzufrieden mit dem, was ihr Arbeitgeber ausser schönen Worten für den Klimaschutz leistet. Was sie künftig tun will, weiss sie nicht. Sie geht ihrer Mutter anfangs aus dem Weg, zieht sich antriebslos in ihr Zimmer zurück und nimmt einen Job in der Dorfbäckerei an. Die aufstrebende Wissenschafterin als Graubrotverkäuferin – das übersteigt die Vorstellungskraft der entsetzten Mutter.

Annett vermag sich mit ihrer mütterlichen Fürsorge kaum zurückzuhalten. Sie leidet mit ihrer Tochter, will alle möglichen Gefahren von ihr abwenden und gibt nicht immer erbetene Ratschläge – ein Muster, das Linn durchschaut: «Wie du das schon früher nicht aushalten konntest, wenn ich mal traurig oder erschöpft war. Das hat dich angestrengt. Da war ein ständiger Antrieb. Ein unterschwelliger Druck.» Mutter und Tochter liefern sich ein Gefecht, keines, das eskaliert, und doch eines, das alte Wunden schonungslos aufreisst.

Kristine Bilkaus Roman ist klug, stimmig konzipiert und unternimmt zugleich eine Gratwanderung. Denn es ist nicht einfach, Linns Engagement für den Klimaschutz in den Plot zu integrieren, ohne dass der Eindruck entsteht, die Autorin wolle gutgemeinte Botschaften unter die Leute bringen.

«Halbinsel» entgeht dieser Gefahr fast immer und vor allem darum ganz souverän, weil die nordfriesische Landschaft kein blosses Dekorum ist. Wie Linn schon als Jugendliche animierte Weltkarten im Internet studierte, um zu sehen, welche Teile ihrer Heimat in ein paar Jahrzehnten überflutet würden, so werden beim Wandern durchs Watt alte Mythen hochgeschwemmt – zum Beispiel die sagenumwobene Siedlung Rungholt, die im 14. Jahrhundert unterging und von Detlev von Liliencron in seiner Ballade «Trutz, blanke Hans» verewigt wurde.

Ein neues Leben

Nach vier Monaten ungewohnter Zweisamkeit stehen Linn und Annett an Wegscheiden ihres Lebens. Die neuen Erfahrungen haben vieles klarer gemacht. Vor allem die in sich gekehrte Annett muss sich entscheiden, was sie künftig tun will. Immerhin wagt sie einen Schritt aus ihrem Schneckenhaus heraus, als sie auf eine Wohngruppe im Nachbarhaus zugeht. Zunächst betrachtet sie argwöhnisch deren Mitglieder, die in den Tag hineinleben und mit Entrümpelungsaufträgen ihr Geld verdienen. Doch allmählich fragt sie sich, ob deren Gelassenheit nicht erstrebenswert sein könnte. Dass Annett dann kurzerhand mit einem jungen Mann der Gruppe ins Bett geht, kommt freilich etwas überraschend.

«Halbinsel» ist ein kluger, gerade in seiner Zurückhaltung aktueller Roman, dessen Stil, der typische, reduzierte Bilkau-Sound, das Verborgene und Unausgesprochene geschickt zwischen die Zeilen platziert. Die Weite des Wattenmeers spiegelt die Weite des Romans.

Kristine Bilkau: Halbinsel. Roman. Luchterhand-Verlag, München 2025. 224 S., Fr. 34.90.

https://www.nzz.ch/feuilleton/auf-den-zusammenbruch-folgt-ein-aufbruch-kristine-bilkaus-preisgekroenter-roman-halbinsel-ld.1879895


Le Figaro, 21 avril

Frédéric Vitoux : «L’appauvrissement de la langue française me désole»

ENTRETIEN – Membre très actif de la commission du Dictionnaire de l’Académie française, l’écrivain explique comment la disparition des mots comme la méconnaissance de leur sens nuisent à la bonne compréhension du monde et interdisent toute communication subtile.

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Frédéric Vitoux vient de publier un roman passionnant sur un crime commis en 1817 et resté non résolu : La Mort du procureur impérial (Grasset). L’assassinat a eu lieu dans le sud de la France. À Paris, un journaliste relate les minutes du procès qui a lieu à Albi et à Rodez, et publie le tout sous forme de feuilleton dans une gazette. Le succès est instantané. Puis il se rend sur place et rencontre l’une des suspectes, une menteuse en réalité, s’éprend d’elle et l’aide à écrire ses Mémoires qui séduiront beaucoup de lecteurs en librairie. C’est « l’affaire Fualdès » du nom du procureur, qui passionnera toute l’Europe. Nous n’en dirons pas plus, car lorsque nous rencontrons l’académicien chez lui, à Paris, sur l’île Saint-Louis, où il est né, ce n’est pas pour parler de ses œuvres, mais de l’état actuel de la langue française. Un sujet qui lui tient à cœur.

LE FIGARO MAGAZINE. – Dans Le Monde, un linguiste nommé Rémi Soulié a déclaré que si nos enfants disent « wesh », il faut les remercier car ils contribuent à améliorer la langue française. Qu’en pensez-vous ?

Frédéric VITOUX. – Les remarques qui consistent à vanter l’inventivité du langage me semblent relever au mieux du lieu commun. Tous les jeunes de toutes les générations ont des mots à eux qui souvent disparaissent, et sont parfois repris dans le langage courant. Il n’y a pas de raison de s’en émerveiller. Ce qui me frappe et qui m’attristerait plutôt aujourd’hui dans le parler de la jeunesse, c’est moins l’invention lexicale que la pauvreté de l’invention. Le verlan qui a longtemps été populaire était tout sauf une invention de mots : dire une « meuf » au lieu d’une femme, ce n’est pas une invention, mais un système. C’est comme pour l’argot : un langage qui vous singularise par rapport au reste de la société.

Si cela crée des inventions lexicales riches, tant mieux, si ce n’est pas le cas, ce n’est pas très grave, mais il n’y a pas lieu ni de s’en indigner ni de les idolâtrer. Ce que n’importe quel linguiste devrait savoir, c’est qu’il y a des niveaux de langue. La jeunesse, autrefois, disait « c’est bath ». Ça a disparu. Le langage des jeunes n’a pas vocation à remplacer d’autres niveaux de langue. Néanmoins, s’ils inventent des vocables qui entrent dans le langage commun et qu’il y a un enrichissement du vocabulaire, il faut s’en réjouir car il est vrai que plus une langue a de mots, mieux elle peut dire ce qu’elle désigne – les sentiments, la réalité. Inversement, moins on a de mots, plus l’intelligence diminue.

Les jeunes sont capables d’inventer, mais il y a désormais beaucoup de mots dont ils ignorent la signification et qu’ils n’emploient donc plus.

Bien sûr. Ce qui me chagrine, ce n’est pas l’invention des mots, mais la perte des mots. Chez les jeunes, les mots se perdent tellement qu’ils sont moins aptes à comprendre le monde qui les entoure.

Mais il ne s’agit pas seulement de bien comprendre le monde. Il s’agit aussi de pouvoir exprimer ce que l’on pense de manière plus fine, plus subtile…

Bien entendu. Les Inuits ont par exemple 20 mots pour décrire les nuances de blanc. Dans certains pays, inversement, il existe un seul mot pour décrire plusieurs couleurs, si bien qu’ils voient la même couleur là où nous en voyons deux. Car plus on a de mots pour dire les couleurs, plus on voit de couleurs. Par conséquent, pour la connaissance psychologique de l’autre, avoir beaucoup de mots est important. On peut objecter que dans la littérature française, l’un des tragédiens qui a le mieux peint toutes les intermittences du cœur, des déchirements, des émotions, c’est Racine.

Or, il utilisait très peu de mots. Peut-être 4000. Alors que Shakespeare en utilisait 30.000. Mais chez Racine, c’était une combinatoire extrêmement raffinée qui permettait de tout dire. Donc le nombre de mots n’est pas toujours le seul critère pour mieux rendre compte des sentiments. Cela étant, tout le monde n’est pas Racine. Si un jeune homme est seulement capable de dire à une jeune femme « je te kiffe », c’est un peu court. Toutes les études démontrent l’appauvrissement du vocabulaire aujourd’hui, et cela me désole.

Les jeunes sont-ils les seuls touchés ? Les trentenaires et les quadragénaires ne le sont-ils pas aussi ?

Oui, le problème ne date pas d’aujourd’hui et vient d’une défaillance du système éducatif. Savoir si on met un r ou deux à « charrette » ou « chariot », dans le fond, ce n’est pas très important. Ce qui l’est beaucoup plus, c’est de ne pas connaître la différence entre un participe passé et un infinitif. Là, c’est très grave, car c’est toute la logique de pensée qui est affectée – je n’ai pas dit impactée ! – car ce manque de clarté dans la définition des choses nuit à leur compréhension. On confond tout, ce qui engendre une confusion d’esprit dans la manière de réfléchir. Quant à l’orthographe des mots, même si elle peut parfois nous sembler arbitraire, c’est un peu l’ombre du passé sur le présent, qu’il ne faut pas ignorer, notamment la présence du latin dans le français. Il faut regarder le présent et l’avenir, mais ne pas oublier le passé.

Les présentateurs télévisés n’ont-ils pas une responsabilité lorsqu’ils disent « suite à » au lieu de « à la suite de », « impacté » pour « affecté », « acté » au lieu de « validé » ? N’incitent-ils pas les adolescents à reproduire les mêmes fautes ?

C’est certain. On le voit notamment en ce qui concerne les liaisons. Ils craignent tellement de se tromper qu’ils préfèrent ne plus en faire du tout ! Cela supprime toute la musique de la langue française.

Comment raisonnez-vous pour inclure un nouveau mot dans le «Dictionnaire de l’Académie» ?

C’est toujours un pari car il faut que le mot tienne. « Wesh » disparaîtra sans doute. Mais « pinard », qui vient de l’argot des tranchées de la Grande Guerre, a tenu. La plupart des dictionnaires de l’époque ne l’avaient pas retenu, l’Académie a eu plus de flair en estimant que ce terme, familier, populaire, allait rester. Ce qui fut le cas. Saluons l’initiative de Maurice Druon qui, dans les années 1980, a souhaité créer la commission du Dictionnaire. Il s’agissait de demander à une dizaine ou une douzaine d’académiciens que la lexicologie intéressait de travailler d’arrache-pied trois heures tous les jeudis matin pour se pencher sur les nouveaux mots à retenir.

Le quatrième volume du dernier dictionnaire a été conçu entre 2003 et 2024. Et ce dictionnaire est disponible gratuitement sur internet ou sur une application que vous pouvez télécharger sur votre téléphone. Il est consulté par des centaines de milliers de lecteurs dans le monde entier. On peut même se pencher sur les anciennes éditions, car les mots changent souvent de sens au fil des ans. Avant, par exemple, « formidable » voulait dire « effrayant ». Dans la première édition du Dictionnaire de l’Académie française qui date de la fin du XVIIe siècle, il y avait 18.000 mots ; aujourd’hui nous en sommes à 55.000. C’est un saut qualitatif considérable. Il est également quantitatif car on peut mieux décrire ce que l’on observe. Mais il en faut encore plus !

Un sondage récent montre que les adultes lisent de moins en moins de livres . Les jeunes, eux, préfèrent les mangas. Peut-on bien parler français lorsqu’on ne lit pas ou peu ?

Évidemment, non. Mais cette disparition progressive de la lecture a une explication : lorsque j’étais adolescent, ma boulimie de lecture venait peut-être du fait que chez moi, il n’y avait pas de télévision. Aujourd’hui, les écrans, téléphones, tablettes, ordinateurs, ont remplacé la télévision. Jeunes et moins jeunes les consultent plusieurs heures par jour, sans parler des séries qui prennent du temps. Pourtant, lire, au sens large, la presse ou des livres, est fondamental. Non seulement pour mieux s’exprimer car lorsqu’on lit, on voit la formation des phrases, comment elles sont structurées, on apprend des mots, l’orthographe s’insère en nous, mais aussi pour mieux comprendre le monde.

Sans la maîtrise de la langue, on ne peut plus communiquer avec les autres que de manière simple. Et lorsqu’on n’arrive plus à dire avec finesse ce que l’on pense, on cogne. On le voit sur les réseaux sociaux : la violence est devenue une substitution à la pauvreté du langage. Cela m’effraie. Pour moi, les réseaux sociaux sont un cauchemar à bien des égards. Ils favorisent l’invective, l’insulte, ainsi que le repli sur soi, car lorsqu’on a des amis virtuels, c’est qu’on n’a plus d’amis.

https://www.lefigaro.fr/livres/frederic-vitoux-l-appauvrissement-de-la-langue-francaise-me-desole-20250418?utm_content=photo&utm_term=Le_Figaro&utm_campaign=Nonli&utm_medium=Social&utm_source=Twitter


The Economist, Book review, 18 avril

Literary retellings : A celebrated novelist grapples with “Moby-Dick”

Xiaolu Guo, a fisherman’s daughter, reimagines the whaling epic with added Taoism

Call Me Ishmaelle. By Xiaolu Guo. Chatto & Windus; 448 pages; £18.99

Full text: 

XIAOLU GUO has always been interested in people who leave. “A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers”, her novel published in 2007, follows a Chinese woman studying in London. The protagonist in “20 Fragments of a Ravenous Youth” (2008) forsakes her sleepy home in rural China for Beijing, an ever-changing city “that never showed its gentle side”.

Her tales of migration have won several prizes and have been translated into 30 languages. Along with Yiyun Li, Ha Jin and Gao Xingjian, Ms Guo is part of a cohort of celebrated writers of the Chinese diaspora who explore the experiences of émigrés. In “Once Upon A Time in the East”, an acclaimed memoir published in 2017, Ms Guo wrote about growing up in a fishing village in Zhejiang in eastern China, before moving to Beijing to attend film school and then to London for further study. She has lived outside China ever since.

In her tenth book in English—she has also written six in Chinese—Ms Guo takes the theme of journeys both physical and personal in a strikingly different direction. “Call Me Ishmaelle” retells one of the most famous adventure novels ever published: Herman Melville’s “Moby-Dick”. Like that classic tale, it chronicles a whaling voyage run by an obsessive captain. Yet, as the title implies, the narrator is an English woman disguised as a cabin boy.

Ishmaelle seeks money and freedom; she also hopes to join the man she loves in America (he is a captain aboard another ship). When she crops her hair and binds her breasts, she feels that “a truer me was somehow being born”.

Ms Guo makes other changes to Melville’s story. Her version is set two decades later, in 1861, at the start of the American civil war. Captain Ahab is reimagined as Captain Seneca, a free black man. (“My war is not with the Confederate soldier in the field,” he says, but with “a leviathan in this goddamn lost place”.) His crew includes Muzi, a Taoist monk and sailmaker, who guides the ship using divinations from the “I Ching”, an ancient Chinese text.

Photograph: Getty Images

When the author read “Moby-Dick” for the first time while studying in Beijing in the 1990s, its Shakespearean references and biblical framework were “completely lost” on her. “I always wonder how I should engage with Western cultures from a culture with no connection to biblical Christianity,” she says. Her version still explores man’s desire to establish dominion over nature. Seneca, like Ahab, considers the relationship between man and whale to be a contest between good and evil.

In her telling, however, Ms Guo toys with Manichaean ideas, not least through her cross-dressing heroine. She overlays the story with Buddhist and Taoist philosophy. The author also drops Chinese cultural references into her prose, from the bloom of “auspicious” flowers to a deckhand described as a “cockroach” (a common Chinese insult). She likens human life to a dragonfly skimming across the surface of water, touching the universe only briefly and superficially.

Ishmaelle’s time on the ship leads her to conclude that “We can only know ourselves by acting in the world.” This evokes the Taoist idea of “the way”: the question of how to chart a path through life that leaves the balance of the universe—and natural environment—undisturbed. The contest the author is interested in is an internal one. Ishmaelle’s voyage to sea is ultimately an exploration of her own psyche.

Ms Guo says recasting Melville’s work was a “bold” but obvious choice. (Other bold, strange choices include passages from the perspective of the whale: “Wwwoooooohhhhhh kkkkkkkkkkkkkkk www.”) As a fisherman’s daughter, raised on “ocean adventure stories”, she grew up knowing that life and death could be separated by a mere “three inches of deck”. She had the knowledge to imagine the “alternative possibilities” of the story.

In the end “Call Me Ishmaelle”, like Ms Guo’s other works, is about the impossibility of return. After the voyage, Ishmaelle finds England cold and different: she realises she is “made for the ocean and for that permanent exile”. ■

https://www.economist.com/culture/2025/04/16/a-celebrated-novelist-grapples-with-moby-dick


The Economist, 16 avril

A passion for freedom : Mario Vargas Llosa was shaped by authoritarianism

The Peruvian novelist and liberal died on April 13th, aged 89

Full text:  https://kinzler.org/wp-content/uploads/2025/04/16-avril-1.pdf

Link: https://www.economist.com/obituary/2025/04/15/mario-vargas-llosa-was-shaped-by-authoritarianism


Le Figaro, 15 avril

Mario Vargas Llosa, Prix Nobel de littérature et homme de convictions, est mort à l’âge de 89 ans

DISPARITION – L’écrivain hispano-péruvien était admiré pour sa description des réalités sociales. Il est décédé à Lima, où il vivait depuis quelques mois en retrait de la vie publique.

Full text: 

L’écrivain hispano-péruvien, prix Nobel de littérature 2010 et membre de l’Académie française, Mario Vargas Llosa est décédé dimanche à l’âge de 89 ans à Lima, où il vivait depuis quelques mois en retrait de la vie publique, a annoncé sa famille dans un message sur les réseaux sociaux. «C’est avec une profonde tristesse, que nous annonçons que notre père, Mario Vargas Llosa, est décédé aujourd’hui à Lima, entouré de sa famille et en paix», a écrit son fils aîné Alvaro dans un message également signé par son frère Gonzalo et sa soeur Morgana.

Ces derniers mois, les rumeurs sur la détérioration de l’état de santé de l’écrivain s’étaient multipliées. Il « est à l’aube de ses 90 ans, un âge où il faut réduire un peu l’intensité de ses activités », avait déclaré son fils Alvaro en octobre dernier, sans préciser l’état de santé de son père.

Mario Vargas Llosa faisait partie de ces écrivains qui pensent que le roman est un genre majeur, le seul à pouvoir exprimer «de façon vaste, ambitieuse, complexe» la totalité du monde fictif. « Lui seul peut profiter de toute l’expérience humaine. Témoignage subjectif, il exprime dans le même temps ce qu’ont été les hommes d’une époque et d’une société, mais aussi tous les fantômes qui l’ont créée à partir d’une réalité objective. »

Son traducteur et ami, Alain Bensoussan, écrivait déjà, en 1989, que «chaque époque, périodiquement, voit surgir son écrivain total, son démiurge qui fait de la littérature un absolu, un langage capable de déchiffrer les mystères de ce monde et de les transcender par la parole. S’il est dans l’Amérique de langue espagnole un écrivain de ce type, c’est bien, Mario Vargas Llosa». Pratiquant une confusion volontaire et permanente entre l’homme et l’écrivain, entre sa vie personnelle et la fiction, Mario Vargas Llosa ne sépara jamais son activité littéraire de son engagement personnel. Très jeune, il milita aux côtés des communistes péruviens contre la dictature du général Odría, devint journaliste à l’AFP et à Radio France, s’enthousiasma pour les thèses de Jean-Paul Sartre, adhéra dans un premier temps à la Révolution castriste, avant de rencontrer les grands écrivains latino-américains du XXe siècle : Julio Cortázar, Jorge Luis Borges, le Cubain Alejo Carpentier, son ami puis rival Gabriel García Márquez (lauréat du Nobel en 1982), et l’Uruguayen Juan Carlos Onetti. Sans renier ses engagements humanistes, il finit, en démocrate lucide, par s’éloigner du socialisme et par être, à 54 ans, le candidat de la droite libérale à l’élection présidentielle de 1990 au Pérou. Battu au second tour par Alberto Fujimori, il revint à la littérature et publia Le Poisson dans l’eau, en 1993. Dans ce livre, récit fiévreux de sa longue bataille électorale, Mario Vargas Llosa revenait une nouvelle fois sur son adolescence brimée par un père sévère, son séjour au collège militaire Leoncio Prado, où s’étaient succédé sanctions et brimades, son mariage précoce à l’âge de 19 ans avec sa tante et son voyage à Paris qui avait déterminé à jamais sa vocation d’écrivain. Cette amère expérience politique lui inspirera également un autre roman magistral, paru en 2016 : Cinco Esquinas.

« Mario Vargas Llosa ne sépara jamais son activité littéraire de son engagement personnel »

Cette vie d’adulte, jamais totalement séparée de l’enfance, passée à Arequipa, au sud du Pérou, constitue le terreau fondateur d’une œuvre multiple, variée, diverse. Il y avait, en effet, plusieurs Mario Vargas Llosa. Celui de la nostalgie, qui évoqua dans Les Cahiers de don Rigoberto les rêves de bonheur perdu du petit Fonfon. Celui de L’Orgie perpétuelle (à propos de Madame Bovary) qui s’étourdit dans la littérature afin de mieux supporter l’existence. Celui d‘Eloge de la marâtre, qui réinventa le roman érotique en dressant un malicieux catalogue de la luxure. Celui de La Guerre de la fin du monde, qui s’empara d’un thème historique pour brosser le portrait d’une société et en faire le procès. Sans oublier une intense activité journalistique, entamée dès le début des années 1960, et qu’il poursuivra dans les colonnes du quotidien madrilène El País. Il s’était également penché sur quelques destins singuliers, tels ceux de Gauguin et de Flora Tristan (Le Paradis – un peu plus loin, en 2003) ou encore celui de l’indépendantiste irlandais Roger Casement, dans Le Rêve du Celte (2010). En 2018, dans La llamada de la tribu, il avait rendu hommage à quelques penseurs du libéralisme : Adam Smith, Raymond Aron, ou encore Jean-François Revel.

Contempteur des tares et des dérives de notre société, il avait dénoncé sans relâche la civilisation du spectacle, la dégénérescence de l’art contemporain et la montée de l’islamisme en Europe, s’opposant même (et en public) aux velléités indépendantistes des Catalans, en 2017.

Invité au Collège de France par Antoine Compagnon, en 2017, il avait déclaré : «Le plus grand événement de votre vie a été l’apprentissage de la lecture à l’âge de cinq ans au collège Lassalle de Cochabamba, avec frère Giustiniano. J’ai découvert qu’en lisant, en traduisant les lettres, les mots, on pouvait vivre une existence beaucoup plus riche, beaucoup plus intéressante ou plus diverse que la vie véritable. Cela a été pour moi une découverte essentielle.»

Fasciné par Malraux, Hemingway et Faulkner

Dans tous ces livres, une question revient : quel rôle l’écrivain peut-il et doit-il jouer dans son temps ? Adolescent rebelle, le futur auteur de De sabres et d’utopies avait été affublé d’un surnom : le « vaillant petit Sartre ». Grand lecteur des Temps modernes, alors qu’il vivait à Paris, au début des années 1960, il y avait découvert que les mots sont des actes et qu’ils peuvent changer la vie : la littérature a donc une responsabilité morale vis-à-vis de l’histoire. La connaissance de ce concept issu des années de formation est indispensable à qui veut lire le Mario Vargas Llosa des œuvres de jeunesse, La Ville et les Chiens (1963), Conversation à la Cathédrale (sans doute son opus le plus ambitieux), etc… Et celui des romans de la maturité tel que La Fête au Bouc, paru en 2000.

Fasciné par les romanciers contemporains épiques comme Malraux, mais aussi par les romanciers américains de la «Lost Generation» (Hemingway, Fitzgerald, Dos Passos), sans oublier l’influence déterminante qu’exerça sur lui Faulkner, Mario Vargas Llosa savait mieux que nul autre qu’on peut décrire dans un roman des vies extraordinaires ancrées dans la réalité : «Je veux être un écrivain réaliste, mais qui raconte ce qu’il y a d’insolite dans la réalité en créant des personnages capables d’aller au-delà de leurs limites». Dans La Tante Julia et le Scribouillard (1977), Pedro Camacho était un feuilletoniste de radio qui, pour être en prise avec la réalité, avait installé son bureau dans la rue ! Sa profession de foi est hilarante : «Qu’est-ce que le réalisme, messieurs ? Quelle meilleure façon de faire de l’art réaliste que de s’identifier matériellement avec la réalité ?»

Mario Vargas Llosa, qui avait comme modèles avoués Victor Hugo et Gustave Flaubert, transformait en littérature tout ce qui lui arrivait. Ainsi sa vie entière fut-elle cannibalisée par le roman. Homme de l’incertitude lucide et du doute nécessaire, il savait que tout le monde, sans exception, pouvait être sujet de récit. Plus qu’une devise, voilà qui était une sorte de règle de vie, de posture philosophique, de théorie littéraire. Et lorsqu’on lui demandait si depuis La Ville et les Chiens, son premier roman, sa conception de la littérature avait évolué, il répondait : «J’ai lu, vu, vécu et cela a changé l’écrivain que je suis.»

« Un bon roman dit toujours la vérité, et un mauvais ment. »

Mario Vargas Llosa

Une autre «certitude» guidait son art : pour lui la notion de vérité en littérature ne relevait ni de la morale ni de l’idéologie : «Un bon roman dit toujours la vérité, et un mauvais ment.» La vérité passe donc à travers les mensonges, une vérité subjective, indirecte, mais qui enrichit et permet de mieux appréhender la réalité objective. Le roman, au sens où l’entendait Vargas Llosa, est une réponse critique à la réalité. La société produit des démons que le roman fustige. Vargas Llosa souscrivait pleinement à l’opinion de Dostoïevski affirmant que Don Quichotte était un livre où la vérité était sauvée par le mensonge. En donnant comme titre à l’un de ses recueils d’essais La Vérité par le mensonge, Vargas Llosa nous livrait une des clés de son univers. Revenons à l’un de ses livres les plus célèbres, La Fête au Bouc : le tyran dominicain Trujillo y touchait au mensonge par la vérité. Dans ces trente années de terreur, tout était vrai, et cependant tout conduisait au mensonge le plus intolérable.

Comme Flaubert, Mario Vargas Llosa affirmait qu’il fallait s’habituer à ne voir dans les gens qui nous entourent que des livres. Pour lui, la seule façon d’être écrivain était de se livrer corps et âme à la littérature. Beau projet en vérité que celui de vouloir offrir à la littérature comme mission principale l’élévation de l’homme, une sorte de salut par le livre. Contrairement à Albert Camus affirmant qu’il fallait un temps pour vivre et un autre pour témoigner de vivre, Vargas Llosa démontra avec beaucoup de conviction que vivre et écrire ne formait qu’une seule et même démarche. En racontant des histoires, l’écrivain ne s’est jamais éloigné de son siècle. Tout en lui y revient. L’œuvre de Mario Vargas Llosa, à la croisée des chemins entre biographie, roman, histoire et critique littéraire, est exemplaire. Dans Le Paradis – un peu plus loin, il montrait que la chute pouvait être aussi belle que l’envol. L’un comme l’autre sont porteurs d’espoir. Mario Vargas Llosa croyait en l’utopie. Les rêves, nous dit-il, sont nécessaires, ce sont les seules réalités de la vie. Les rêves sont ce que l’homme a de plus indécent à montrer, mais n’est-ce pas grâce à eux qu’il soulève la dalle de la nuit ?

https://www.lefigaro.fr/culture/mario-vargas-llosa-prix-nobel-de-litterature-et-homme-de-convictions-est-mort-a-l-age-de-89-ans-20250414


Neue Zürcher Zeitung, 15 avril

Aufstand gegen die Wirklichkeit: Der Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist tot

Als einer der grossen Romanciers und Essayisten Lateinamerikas schrieb er gegen Gewalt und Ungerechtigkeit an. Im Jahr 1990 bewarb er sich erfolglos um das Präsidentenamt in seiner Heimat Peru. Nun ist der Jahrhundertschriftsteller im Alter von 89 Jahren gestorben.

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Es ist ein Lärm, der da einprasselt auf die Welt, die Ohren zudröhnt und ablenkt vom Wesentlichen. Tag für Tag bedrängt er das Publikum, nimmt ihm Zeit und Kraft zur Konzentration. Kein Wunder darum, dass es irgendwann nachgibt, sich gehen lässt, den Atem verliert. Sich mit immer kleineren, immer banaleren Themen abspeisen lässt. Und als wäre das nicht schlimm genug, folgt der Gipfel von Anmassung und Unverschämtheit erst noch. Er besteht darin, dass man sich darauf geeinigt hat, den Lärm unserer Tage als «Kultur» zu bezeichnen. Als wäre Kultur nicht etwas ganz anderes als jene schnell hingeworfenen Produkte des Boulevards, die jedenfalls den Verächtern der Zerstreuung mehr und mehr die Nerven rauben.

Es sind flammende Zeilen, die Mario Vargas Llosa in seinem Essay «Alles Boulevard» der allgegenwärtigen Unterhaltungsindustrie entgegenschleuderte – ein Aufgebot aus einem Reich, das zwar nicht im Schwinden begriffen ist, dessen Bewohner es jedoch immer schwerer haben, auf sich, nein: auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Echte Kultur hat es schwer gegen Surrogatkultur. Denn echte Kultur ist unbequem, will sie doch vor allem eines: sich der Welt zuwenden, sich ihr stellen. Und es notfalls mit ihr aufnehmen. «Romane zu schreiben», notierte Mario Vargas Llosa an anderer Stelle einmal, «ist ein Aufstand gegen die Wirklichkeit, gegen Gott, gegen die Schöpfung Gottes, die die Wirklichkeit ist.»

Anders kann man wohl kaum denken, wenn man in einem Land aufwächst, das von den grossen Ideologien der eigenen Zeit zerrissen ist. Während der berühmte peruanische Philosoph José Carlos Mariátegui die Ideen des Marxismus in seinem Land und darüber hinaus zu verbreiten sucht, knüpfen die herrschenden Militärs zeitgleich Kontakte zum faschistischen Spanien General Francos. Unversöhnlich stehen sich die beiden ideologischen Lager gegenüber; in den Wahlen der folgenden Jahre gewinnt mal die eine, mal die andere Gruppe. 1968 setzt ein Putsch unter General Juan Velasco Alvarado dem politischen Kräftemessen ein Ende, zwischen Kommunismus und Kapitalismus soll es nun ein weiterer, ein «dritter Weg» richten.

«Peru ist beschissen. Alle sind beschissen»

Vargas Llosa applaudiert der Politik des Generals, der den Kleinbauern Acker- und Weideflächen zukommen und sie an den natürlichen Reichtümern des Landes teilhaben lassen will. Doch auch Velasco Alvarado regiert mit grimmiger Entschlossenheit, und so verlaufen die Entscheidungsprozesse weiterhin wie gewohnt: unter autoritären Vorzeichen. Die peruanische Gesellschaft ist straff durchorganisiert, und entsprechend gering sind die Möglichkeiten der Bürger, eigene Entscheidungen zu treffen. «Im Heer», erklärt ein Kommandant aus Vargas Llosas erstem, 1963 erschienenem Roman «Die Stadt und die Hunde», «setzt sich Gerechtigkeit früher oder später durch. Gerechtigkeit ist Bestandteil seines Systems.»

Gerechtigkeit aber, das ist vor allem Disziplin, besser noch: Disziplinierung. Mit aller Konsequenz geht das Militär seine Rekruten an, unterwirft sie einem Regime, an dem die einen wachsen und die anderen zerbrechen. «Peru ist beschissen. Alle sind beschissen. Eine Lösung gibt es nicht», erklärt einer der Protagonisten von Vargas Llosas drittem Roman «Unterhaltung in der Kathedrale». Und sosehr Vargas Llosa in diesem Roman doch bereits die formalen Grenzen erweitert, die übliche Ordnung des Erzählens durch sich überlagernde Stimmen, Zeiten und Räume erweitert hat, so präsent ist doch die peruanische Gegenwart, die drückende, lastende Wirklichkeit eines Landes, das politisch ebenso wenig vorankommt wie wirtschaftlich.

Was tun gegen die nationale Misere? Man muss die Verhältnisse auf den Kopf stellen, glaubt der junge Vargas Llosa und träumt, wie so viele Lateinamerikaner seiner Generation, von der Revolution. Ein kleiner Inselstaat in der Karibik, Kuba, hat vorgemacht, wie das geht, und darum ist auch Vargas Llosa ein glühender Verehrer Fidel Castros – zunächst jedenfalls. Aber schon in den frühen siebziger Jahren wird ihm immer unbehaglicher angesichts der unübersehbaren Repression, die Castro an den Tag legt. Eingekerkerte und mundtot gemachte Oppositionelle, eine Bevölkerung, die ihre Heimat nicht verlassen darf: Das veranlasst Vargas Llosa, seine politischen Positionen noch einmal zu überdenken.

Er irrt sich in Fidel Castro

Zu Castro wird er in den folgenden Jahren immer schärfere Worte finden. Es sei möglich, dass Castro der Einzige sei, der den Unsinn glaube, den er verzapfe, schreibt Vargas Llosa im Jahr 2004 in einem seiner Essays in der spanischen Tageszeitung «El País». Das hindere ihn freilich nicht daran, seine Lehren zu verbreiten, «als seien es offenbarte Wahrheiten». Man kann eine solche Position als «rechts» bezeichnen – ebenso gut aber auch als «liberal». Denn ebenso entschieden wie gegen linke geht Vargas Llosa gegen rechte Autokraten vor. Im Herbst 1976, kurz zuvor haben sich in Argentinien die Militärs an die Macht geputscht, schreibt er als Präsident des PEN International einen Brief an den argentinischen Staatschef General Videla, in dem er die unter den Militärs verübten Menschenrechtsverletzungen in aller Deutlichkeit anspricht.

Um nicht nur zu mahnen, sondern selbst zu gestalten, tritt Vargas Llosa 1990 als Kandidat bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen an, in denen er aber gegen Alberto Fujimori verliert, der das Land für die kommenden zehn Jahre mit harter Hand reagiert. Kaum an der Macht, droht Fujimori dem unterlegenen Gegenspieler, mit der Aberkennung der peruanischen Staatsbürgerschaft. Umgehend beantragt Vargas Llosa in Madrid, wohin er nach der Wahl gezogen ist, die spanische Staatsbürgerschaft, die ihm 1993 auch gewährt wird. Einen etablierten Rechtsstaat im Rücken, kann er sich nun mit geringerem persönlichem Risiko in die politischen Debatten der Gegenwart einmischen.

Vornehmstes Ziel seiner Kritik sind weiterhin die Autokraten: Die Regierung der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bezeichnet er 2011 während der Eröffnungsrede der Buchmesse von Buenos Aires als «völliges Desaster», als «schlimmste Form von Peronismus, Populismus und Anarchie». Nicht minder harte Worte findet er im Sommer 2013 für die politischen Verhältnisse in Venezuela. Dort sieht er «Demagogie, Korruption und Gewalt» am Werk. Für diese wie auch für viele andere gegen den Geschmack des linken Justemilieu verstossende Worte ist Vargas Llosa vielfach angegriffen worden. Und doch drückt sich in seinem politischen Sinneswandel eine keineswegs selbstverständliche intellektuelle Fähigkeit aus: nämlich die, sich zu ändern, Abschied von gewohnten Weltbildern zu nehmen, dem als richtig Erkannten auch dann zu folgen, wenn hinter einem eine laute ideologische Meute kläfft.

Wie aber haben sich die politischen Missstände Lateinamerikas so lange halten können? Teilweise durch nichts als blosse Gewalt. Wie die sich zur Herrschaftssicherung einsetzen lässt, hat Vargas Llosa in seinem Roman «Das Fest des Ziegenbocks» gezeigt, einem politisch-psychologischen Porträt des dominikanischen Potentaten Rafael Leónidas Trujillo, der sein Land bis zu seiner Ermordung 1931 diktatorisch regierte und plünderte. Doch Macht kann auch auf der Kunst der Verführung beruhen, dem Versprechen auf eine andere, bessere Welt.

Anschreiben gegen die Gewalt

Diesem Phänomen ist Vargas Llosa in seinem Buch «Der Krieg am Ende der Welt» nachgegangen. Der Roman handelt von einem heilsgeschichtlich motivierten Aufstand im Hinterland von Brasilien im ausgehenden 19. Jahrhundert. In jener Zeit herrschen dort anarchische Verhältnisse: Allmächtige Grossgrundbesitzer betrachten die unzähligen Tagelöhner als willenlose Verfügungsmasse und gehen entsprechend mit ihnen um. Ihre rechtlose Lage ist ein mehr als fruchtbarer Boden für den Glauben an das nahende Weltenende, das der Prediger Antônio Conselheiro («Ratgeber») vorhersagt. Tausende Verzweifelte sammelt er durch seine Predigten und gründet mit ihnen einen Staat im Staate. Vier Feldzüge benötigte die Regierung in Rio de Janeiro, um das Terrain wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

Eindrücklich zeigt Vargas Llosa, welche Kräfte Ideologie freizusetzen vermag. Wie sich solche Energien in den linken Heilsvorstellungen des 20. Jahrhunderts entfalten, zeigt Vargas Llosa in seinem Roman «Maytas Geschichte», in dem er die intellektuelle Entwicklung eines peruanischen Trotzkisten verfolgt. Nicht alle Werke Vargas Llosas sind indes überzeugend. Insbesondere in den letzten Jahren schien es, als seien dem peruanischen Romancier die Themen oder Ideen ausgegangen. «Der Traum des Kelten» oder «Ein diskreter Held» sind keine schlechten Bücher, können aber an die früheren, ungleich energischeren Werke des «angry young man» nur bedingt anschliessen. Dennoch: Der politisch ebenso streitbare wie persönlich liebenswürdige Peruaner ist einer der ganz grossen Autoren des 20. Jahrhunderts, der es mit seinen Werken zu höchster literarischer Anerkennung gebracht hat – unter anderem zum Rómulo-Gallegos- und zum Cervantes-, 2010 gar zum Nobelpreis.

Mario Vargas Llosa starb am Sonntag im Alter von 89 Jahren in der peruanischen Hauptstadt Lima, umgeben von seiner Familie und «in Frieden», wie sein Sohn Álvaro Vargas Llosa auf der Plattform X schrieb.https://www.nzz.ch/feuilleton/aufstand-gegen-die-wirklichkeit-nobelpreistraeger-mario-vargas-llosa-ist-tot-ld.1314970


The Wall Street Journal, 7 avril

The Incredibly Massive Number of Hackneyed Words Is Surreal

Overused, meaningless phrases fall out of fashion. It would be awesome if they did it a little quicker.

Full text: 

A hackneyed phrase is one characterized by its unoriginality, overuse and, not least, imprecision. The air seems filled with such phrases just now. Consider how the often-used word “focused” has taken on the adjective “laser,” to become the fully hackneyed “laser-focused.” Not all hackneyed language comes in full phrases; some single words also qualify. How they catch on remains a bit of a mystery, but catch on they do. “Incredible,” you might say.

You might say it, that is, if you have no ear for language and don’t mind sounding like everyone else who currently avails himself of this hackneyed word. Incredible, a synonym for unbelievable or surpassing belief, has become the hackneyed word of the day. The word has a hackneyed history. An ad for “the incredible edible egg” ran in the 1970s. The show “That’s Incredible!” was on television from 1980-84.

Now the word has flared up again. “Incredible” is much favored by President Trump, who regularly cites people he has hired for doing “an incredible job,” often not long before firing them. In the mouths of sports announcers, athletes fairly regularly bring off “incredible” feats. The experience of younger actors working with older ones tends to be “incredible.” So many otherwise quite credible experiences are now considered incredible.

The use of “incredible,” to put it another way, is massive. A home run in the late innings of a game can also be massive. “Massive” was the Republicans’ defeat of the Democrats in the last election. As for the laughter at Sarah Silverman’s most recent HBO performance, it, too, was massive. With all these things and more being massive, we no longer have a word meaning large and heavy or solid, to describe mountains or skyscrapers or offensive linemen in the National Football League. When words become hackneyed, as incredible and massive have, they lose their original, useful functions, a loss for the language and another gain for unoriginality.

Surreal, really, when you think about it. Yet if you really thought about it, you would never call anything “surreal.” Derrek Lee recently described being elected to the Baseball Hall of Fame as “incredible,” adding that the feeling was “surreal.” Originally meaning fantastic, “surreal” is now regularly used to mean just about anything out of the ordinary. Your getting a ticket for speeding was surreal. So, too, was the way you first met your wife, and the recent firing of your supervisor at work. Surreal, all of it. As for the surrealism of the artists Miró, Magritte and Dalí, what did those jokers know about the surreal?

Hackneyed words that previously had their day pass, alas not quickly enough, into oblivion. Such seems to be the case with “awesome.” I used to lunch weekly at a neighborhood restaurant, where our waiter greeted my friends and me by saying, in response to our entrance, “Awesome.” When after having been seated we told him we were ready to order, he said, “Awesome.” When he asked if everything was all right, or if one or another of us wanted more coffee, in answer to our response, he replied, “Awesome.” Leaving I always thanked him for his good service, to which he replied not “thanks,” not even “no problem,” but with a final, “Awesome.”

The awesome waiter has long since left the restaurant to attend chef school, which I trust he will find awesome. Now, though, I wish that for every one of his awesomes, I had responded with a “Whatever!,” another hackneyed word that I hope is on its way out. “Whatever!,” always understood with an exclamation mark, was used as a way to end the thread of a conversation, if not the entire conversation. You make an interesting point, and, instead of engaging you on the point, I exclaim “Whatever!,” which means, in effect, case closed, I’d rather not talk about it. Damn rude, when you think about it, but then you may not wish to think about it.

Hackneyed words and phrases come and go. Let us hope that the mis- and overused “incredible,” “massive” and “surreal” will soon depart everyday language. No doubt newly hackneyed words await in the wings. Oh, well, rack ’em up; or, should I say, hack ’em up?

Mr. Epstein is author, most recently, of “Never Say You’ve Had a Lucky Life.”

https://www.wsj.com/opinion/the-incredibly-massive-number-of-hackneyed-words-is-surreal-language-overuse-phrase-847f0a14?mod=opinion_lead_pos7


The Economist, Book Review, March 14

Living the dream? A new novel is published amid a boom in dystopian fiction

Laila Lalami’s “The Dream Hotel” tackles technology and privacy

The Dream Hotel. By Laila Lalami. Pantheon; 336 pages; $29. Bloomsbury; £16.99

Full text :  

HOW DO YOU concoct a plausible fictional near-future, in which people’s reliance on technology has gone too far? If you read “The Dream Hotel”, a gripping new novel, you can discern one recipe. First, take a big handful of “1984”, with Big Brother and the surveillance state reimagined with private-sector incentives. Sprinkle in the rational irrationality of Joseph Heller’s and Franz Kafka’s best works. Next mix in a dollop of “Minority Report” (2002), a film starring Tom Cruise in which law enforcement solves “pre-crimes” before people commit heinous acts.

So far, so Orwell. However, “The Dream Hotel” is intriguing and (mostly) satisfying, even if the ingredients feel familiar, for what the novel says about the creep of technology and the trade-offs people make for convenience.

Laila Lalami, a Moroccan-American novelist and former finalist for a Pulitzer prize and National Book Award, tells her dystopian tale by combining traditional storytelling with excerpts from a company’s terms of service, medical reports, meeting minutes and customer-service email chains from hell. The novel’s protagonist is Sara Hussein, an archivist at the Getty Museum who returns from a work trip to London and runs afoul of bureaucrats at immigration control, who say her “risk-assessment” score is too high and that she could pose a threat to her husband’s life. Sara becomes “Retainee M-7493002”, held at a facility for what is supposed to be 21 days of monitoring but stretches much longer.

What went so wrong? In retrospect it was a mistake to get the “Dreamsaver”, a small implant invented by a medical-tech firm in Silicon Valley that Sara agreed to have installed during a desperate period of sleep deprivation. (She had recently had twins.) “Imagine what you could do with more time” was the alluring sales pitch, but it came at a dear price: the device tracked her dreams and shared them with third-party firms and the government.

“The Dream Hotel” evokes a world reminiscent of China’s social-credit system, in which citizens are assessed on a variety of metrics, with a touch of America’s private-prison complex. (“Retainees” are charged vast sums for snacks and internet service and depend on family to deposit money in their accounts.) AI, algorithms, augmented reality and facial recognition all feature in the novel.

Americans, who in real life are suspicious of the “deep state”, accept surveillance in Ms Lalami’s story because a gunman shot 86 people at the Super Bowl as millions watched the atrocity live. Tracking and mining data for the sake of crime-fighting became socially acceptable. While in custody Sara reads a newspaper editorial supporting “our bias-free, science-based crime-prevention system”; “retention”, it argues, is a “humane tool for reducing violence because it saves…communities both the trauma of the crime and the cost of prosecuting it”. There is no mention of what society gives up—in personal liberty and freethinking—in the name of progress.

Dystopian fiction is booming: five classic novels, including “1984” and Ray Bradbury’s “Fahrenheit 451”, saw a boost in sales after Donald Trump’s inauguration in January. But writing it is not for the faint of heart. So many scenarios have already been imagined; others can feel unimaginatively real. Ms Lalami explores themes that authors before her have already artfully unpacked. But readers will still want to check out “The Dream Hotel”—and be grateful they never have to check in. ■

https://www.economist.com/culture/2025/03/10/a-new-novel-is-published-amid-a-boom-in-dystopian-fiction


Le Point, 13 mars

EXCLUSIF. Ce que Houellebecq dit de Trump

En 2018, le romancier du déclin occidental qualifiait Donald Trump de « bon président ». Nous lui avons demandé ce qu’il pensait de la version 2025.

Full text :  

«Donald Trump x Michel Houellebecq ». Soudain, on a pris peur. On s’est demandé si le « x » en objet de notre mail à Michel Houellebecq n’allait pas passer pour un projet de film pornographique qui, au milieu d’autres, finirait dans la corbeille de son ordinateur. Emprunté aux petits génies du marketing, ce « x » doit être entendu comme « par » dans une collaboration entre une marque et un artiste. Car, depuis l’élection de Donald Trump, on ne cesse de penser à notre romancier national, bien discret ces temps-ci. On pense à lui car son œuvre plurivoque, dans sa dimension sociopolitique, peut aider à comprendre le résultat des élections aux États-Unis, la revanche des hillbillies et même la conquête de Mars.

En 2018, dans la revue Harper’s, il avait qualifié Trump de « bon président », notamment pour son refus de mener des guerres. Quid du Trump 2025 et de cette Amérique Maga, agrégat de communautés, des plus cupides aux plus religieuses, des plus botoxées aux plus marquées par les addictions ? S’intéresser à ces marges américaines, c’est comme tourner les pages d’un roman de Houellebecq. Les références y sont certes françaises, mais l’auteur de La Carte et le Territoire a acquis, avec le temps, le statut d’auteur qui parle à tout l’Occident. De l’Ohio à Liverpool, de Dresde à Roubaix, de la banlieue de Vienne à la campagne lombarde, le lecteur se reconnaîtra dans le personnage de Michel (Extension du domaine de la lutte), de Daniel (La Possibilité d’une île) ou de Jed (La Carte et le Territoire).

Deux jours après l’envoi de notre mail, Michel Houellebecq répond : « Je n’écrirais pas aujourd’hui le même article qu’en 2018, parce qu’un événement s’est produit entre-temps : l’attaque du Capitole. À mes yeux, Trump s’est discrédité et aurait dû disparaître de la vie politique. »

Grand lecteur de Tocqueville

Dans son œuvre, le romancier traite la violence sous plusieurs formes. Plutôt que de la glorifier, il la redoute et la décrit comme une conséquence inévitable du monde moderne. Le Capitole a été une charnière. Mais, quand le même président américain retire ses troupes et prône la « paix », Houellebecq approuve : « Ce point de vue, volontairement étroit, est celui d’un Français qui ne se sent pas concerné par la politique intérieure américaine et qui, au moment de l’élection d’un président américain, se demande au fond une seule chose : va-t-il déclencher de nouvelles guerres et nous demander d’y participer ? À ce titre, Trump me paraît toujours se situer aux antipodes des Bush père et fils, et, plus généralement, de ces néoconservateurs qui ont été une des pires catastrophes de l’histoire récente. »

Je me réjouis de la politique protectionniste et isolationniste de Trump […] tout en déplorant qu’elle soit incarnée par un individu aussi peu honorable.

Sur l’Ukraine, il eut ces mots définitifs, en septembre, dans le Financial Times : « Je m’en fiche. Au début de la guerre, j’étais surpris parce que je pensais que l’Ukraine était russe. » Et, en 2018, il déclarait au sujet de l’isolationnisme voulu par Washington : « Les Américains nous lâchent le morceau. Les Américains nous laissent exister. » Déjà cette idée, aujourd’hui répandue, d’une émancipation accélérée par l’abandon – ou la trahison. Au Point, il ajoute : « Je me réjouis de la politique protectionniste et isolationniste de Trump – dont la France, au passage, ferait bien de s’inspirer – tout en déplorant qu’elle soit incarnée par un individu aussi peu honorable. »

Est-il un « populism’s prophet », comme le prétend l’écrivain britannique G. Gavin Collins ? « Il a été l’un des premiers à identifier une sous-classe de jeunes hommes asexués et sous-socialisés, désormais communément appelés “incels” [abréviation de célibataire involontaire, NDLR]. » Un chiffre circule aux États-Unis : 27 % des hommes entre 16 et 30 ans n’ont jamais eu de partenaire sexuel.

Rien de ces signaux faibles n’échappe à l’œil de Houellebecq, grand lecteur de Tocqueville. « C’est du Nietzsche et du Muray, en meilleur », dit-il, notamment s’agissant de ce passage de De la démocratie en Amérique : « Je veux imaginer sous quels traits nouveaux le despotisme pourrait se produire dans le monde : je vois une foule innombrable d’hommes semblables et égaux qui tournent sans repos sur eux-mêmes pour se procurer de petits et vulgaires plaisirs, dont ils emplissent leur âme. »

Pouvoir d’identification

De nombreux comptes Maga, sur les plateformes X, Truth Social, Gab ou Substack, mettent en avant les écrits du romancier sur la décrépitude de l’Occident et les ravages de l’individualisme. « Continuons à diffuser la vérité sur les réalisations de Trump et les paroles perspicaces de Houellebecq. Plus nous partagerons, plus nous réveillerons les masses à la réalité de la grandeur de l’Amérique ! » lit-on sur le compte Stop Socialist Tyranny. On loue sa prescience, ses portraits sociaux et le pouvoir d’identification qui émane de ses romans. Lui-même ne se définit-il pas comme « l’auteur d’une ère nihiliste et de la souffrance associée au nihilisme » (Interventions) ?

La question européenne, devenue en haut lieu une question américaine, est également présente dans les commentaires de ses lecteurs Maga. Le New York Times a rapporté que, lors de son premier mandat, Trump a invité Emmanuel Macron à sortir la France de l’Union européenne en échange d’un accord commercial bilatéral. Certains comptes trumpistes ont relayé, pour accréditer la position de leur président, les déclarations du romancier sur l’Europe, comme celle-ci de 2018 : « Je suis prêt à voter pour n’importe qui pourvu qu’on propose la sortie de l’Union européenne et de l’Otan, ça, j’y tiens beaucoup. »

Le personnage [d’Elon Musk] est sans aucun doute intéressant.

« Les conservateurs américains ont tendance à interpréter Houellebecq comme un prophète du déclin occidental, explique Mathis Bitton, docteur en philosophie, auteur d’un brillant article sur les prophéties de Houellebecq dans la revue américaine City Journal. Ils s’intéressent au côté pessimiste de son œuvre – la misère sexuelle, la peur du déclassement, l’effondrement des provinces, etc. – sans guère porter attention aux ambiguïtés qui le séparent d’un réactionnaire traditionnel. Les conservateurs chrétiens, par exemple, ont tendance à oublier que Houellebecq critique incessamment la possibilité d’un renouveau de la foi. Ceux de la Silicon Valley ont tendance à oublier que Houellebecq déteste le transhumanisme. »

« Futurs catastrophiques »

La question est directement posée à l’intéressé, notamment au sujet d’Elon Musk, lecteur, comme lui, de science-fiction. « Le personnage est sans aucun doute intéressant […] Si je me sentais vraiment en mesure de me prononcer sur les sujets qui passionnent Musk, ce ne serait pas en raison de mes études d’ingénieur. Ce serait plutôt parce que j’ai été moi aussi, dans ma jeunesse, un grand lecteur de science-fiction (ça ne m’étonnerait d’ailleurs nullement qu’Elon Musk et moi ayons lu les mêmes livres). Ce qui ne fait pas forcément de moi un enthousiaste inconditionnel de la technologie. En y regardant bien, il me semble probable que la science-fiction ait davantage décrit de futurs catastrophiques que de futurs idylliques. »

À d’autres fins, les intellectuels new-yorkais se sont également emparés de l’écrivain français le plus traduit au monde. « Je pense que l’un des romanciers clés du populisme en tant que phénomène général ou de l’épuisement tardif du libéralisme dans le monde occidental est le romancier français Michel Houellebecq », explique le chroniqueur du New York Times Ross Douthat, dont le journal a recommandé, pour comprendre le phénomène Trump, la lecture du Complot contre l’Amérique, de Philip Roth, d’Impossible ici, de Sinclair Lewis, de La Servante écarlate, de Margaret Atwood… et de tous les romans de Michel Houellebecq.

https://www.lepoint.fr/postillon/exclu-ce-que-houellebecq-dit-de-trump-12-03-2025-2584603_3961.php


The Economist, March 12

Living the dream? Orwell, Kafka, Heller: a new book taps a dystopian-fiction boom

Laila Lalami’s “The Dream Hotel” tackles technology and privacy

The Dream Hotel. By Laila Lalami. Pantheon; 336 pages; $29. Bloomsbury; £16.99

Full text :  

HOW DO YOU concoct a plausible fictional near-future, in which people’s reliance on technology has gone too far? If you read “The Dream Hotel”, a gripping new novel, you can discern one recipe. First, take a big handful of “1984”, with Big Brother and the surveillance state reimagined with private-sector incentives. Sprinkle in the rational irrationality of Joseph Heller’s and Franz Kafka’s best works. Next mix in a dollop of “Minority Report” (2002), a film starring Tom Cruise in which law enforcement solves “pre-crimes” before people commit heinous acts.

So far, so Orwell. However, “The Dream Hotel” is intriguing and (mostly) satisfying, even if the ingredients feel familiar, for what the novel says about the creep of technology and the trade-offs people make for convenience.

Laila Lalami, a Moroccan-American novelist and former finalist for a Pulitzer prize and National Book Award, tells her dystopian tale by combining traditional storytelling with excerpts from a company’s terms of service, medical reports, meeting minutes and customer-service email chains from hell. The novel’s protagonist is Sara Hussein, an archivist at the Getty Museum who returns from a work trip to London and runs afoul of bureaucrats at immigration control, who say her “risk-assessment” score is too high and that she could pose a threat to her husband’s life. Sara becomes “Retainee M-7493002”, held at a facility for what is supposed to be 21 days of monitoring but stretches much longer.

What went so wrong? In retrospect it was a mistake to get the “Dreamsaver”, a small implant invented by a medical-tech firm in Silicon Valley that Sara agreed to have installed during a desperate period of sleep deprivation. (She had recently had twins.) “Imagine what you could do with more time” was the alluring sales pitch, but it came at a dear price: the device tracked her dreams and shared them with third-party firms and the government.

“The Dream Hotel” evokes a world reminiscent of China’s social-credit system, in which citizens are assessed on a variety of metrics, with a touch of America’s private prison complex. (“Retainees” are charged vast sums for snacks and internet service and depend on family to deposit money in their accounts.) AI, algorithms, augmented reality and facial recognition all feature in the novel.

Americans, who in real life are suspicious of the “deep state”, accept surveillance in Ms Lalami’s story because a gunman shot 86 people at the Super Bowl as millions watched the atrocity live. Tracking and mining data for the sake of crime-fighting became socially acceptable. While in custody Sara reads a newspaper editorial supporting “our bias-free, science-based crime-prevention system”: “retention”, it argues, is a “humane tool for reducing violence because it saves…communities both the trauma of the crime and the cost of prosecuting it”. There is no mention of what society gives up—in personal liberty and freethinking—in the name of progress.

Dystopian fiction is booming: five classic novels, including “1984” and Ray Bradbury’s “Fahrenheit 451”, saw a boost in sales after Donald Trump’s inauguration in January. But writing it is not for the faint of heart. So many scenarios have already been imagined; others can feel unimaginatively real. Ms Lalami explores themes that authors before her have already artfully unpacked. But readers will still want to check out “The Dream Hotel”—and be grateful they never have to check in. ■

https://www.economist.com/culture/2025/03/10/orwell-kafka-heller-a-new-book-taps-a-dystopian-fiction-boom


The Economist, March 6

Full steam ahead : Erotic writing is becoming more explicit

Gardening metaphors are out. Other things are very much in

Full text :  

START WITH the nipples. The lover does in “Mistress and Mother”, a steamy romantic novel from the 1990s. Though, since it was written three decades ago, they are not always called “nipples”. Instead, the author also discreetly describes them as “little buds”.

Other erotica from this era has a similarly hearty, horticultural air: in another novel, the paramour enjoys his lover’s “rosebuds”; in a third, he moves lower to her enfolding “petals”. In other books there is swelling, blooming and, of course, “seed”. The aim is oblique eroticism. The overall effect is of an unexpectedly energetic gardening catalogue.

But eroticism is changing. Open “Onyx Storm”, the latest romantasy book (a genre that blends romance and fantasy) by Rebecca Yarros, and things are rather clearer. Hardy perennials are out. Words like “hard” are in—as too are words including “cock”, “fuck” and “straddle”. And people are buying it. Sales of erotica are booming: thanks to pre-orders, “Onyx Storm” had already been on Amazon’s bestseller list for 19 weeks by the time it was published in January. After release, it shifted almost 3m copies in a week. It sold faster than any novel in America in the past 20 years.

There is now a vast variety of erotica available, includingcosy erotica (knitwear is torn off), Austen erotica (Mr Darcy has assets even more impressive than £10,000 a year) and fairy erotica. There is even erotica featuring—readers may wish to brace themselves—physicists. These titles contain such explicit lines as, “Your dissertation on liquid crystals’ static distortions in biaxial nematics was brilliant, Elsie.”

Sex is not entirely novel for the novel, as readers of E.L. James and Alan Hollinghurst will know. But it is more frank and frequent. “The spiciness seems to be increasing,” says James Daunt, chief executive of Barnes & Noble and Waterstones, two bookshop chains. Look at the corpus of English fiction and the word “nipples” has doubled in frequency since the year 2000, while “orgasm” has quintupled; use of the word “clit” is 14 times higher (see chart).

In some ways this is unexpected. It was once assumed that erotica was a male pursuit and that its appeal was not merely the sex but the sin. Obscenity was legally defined in Britain in 1868 by a judge called—in a detail no novelist would dare attempt—Justice Cockburn. “Nine-tenths of the appeal of pornography”, wrote Bertrand Russell, a philosopher, “is due to the indecent feelings concerning sex which moralists inculcate in the young.” Obscenity laws were relaxed in Britain in the 1960s in the wake of the “Lady Chatterley’s Lover” trial, but the illicit thrill remained.

The world has changed since then. The moralists have faded. Whatever hold the patriarchy had on publishing has waned. Yet the sex remains, and it is women who are driving it. Most of these books are being written, edited and published by women. They are bought, in vast numbers, by women. The novels are promoted by women on social-media platforms, particularly TikTok, using hashtags such as #Spicybooks and #Steamyreads, then appear on Amazon with the phrase “TikTok made me buy it!”, which sounds less like an endorsement than a defence.

As the interest in #Darkromance shows, this sex is not all nice. In Ms Yarros’s books, the hero pins the heroine violently to the floor in wrestling matches; in the romantasy novels of Sarah J. Maas, who has sold almost 40m copies, faeries do things that would make Tinker Bell blush.

What has driven this is new digital formats, such as audiobooks. (Ms Yarros and Ms Maas dominate those charts, too.) The e-book has been especially consequential. It is discreet—no one can see what you are reading on a tablet. And it lets authors self-publish cheaply, as Ms James did in 2011 with “Fifty Shades of Grey”, a story of sadomasochism. It was later republished by Vintage, but romance lovers retained the habit of reading books digitally.

Authorial autonomy online means it is “impossible to police” what goes into books, says Hal Gladfelder of the University of Manchester. The ubiquity of internet pornography means that even to try to do so would feel “ridiculous”.

In one sense this new generation of erotic prose is more realistic than what came before. Floral analogies are out; proper body parts are in. But in another sense, it is not remotely realistic. Everyone is gorgeous; names like “Xaden” and “Aetos” dominate; most characters have remarkable powers, if not superpowers.

In Ms Yarros’s books, the hero and heroine, who are long-term lovers, can creep into each other’s minds, where they find each other thinking hot thoughts in an italic font, such as “How do you want me to take you?” and “You’re astounding” rather than, as might be the fear, “Did I switch the tumble dryer on?” or “It was definitely your turn to take the bins out.”

It is easy to smirk, but writing about sex is tricky—as a trawl through the back catalogue of the Bad Sex in Fiction Awards shows. The now-defunct prize, which ended during the pandemic, was set up in 1993 by Britain’s Literary Review to “highlight and gently discourage redundant, poorly written or unnecessarily pornographic descriptions of sex in fiction”. Given that the contenders in its final years included such phrases as she “offer[ed] her moist parts to my triumphant phallus” and her vagina was “slowly chugging my organ as a boa constrictor swallows its prey”, perhaps the discouragement was too gentle.

Part of the difficulty in writing about sex is what Julian Barnes, an English writer, called “the naming of parts”: “At the basic level, he put his what into her—or indeed his—what?” “Boa constrictor” is probably best avoided, but, as Mr Barnes observed, almost all terms are tricky. “Where between the Latinate and the Anglo-Saxon do you pitch it?”

Being biological can be as bad as being too oblique, as a contender for the Bad Sex award in 2019 clearly showed. “I have 8,000 nerves in my clitoris,” explained one character. “Your penis gets by on 4,000.” (Such a pronouncement would leave most lovers unsure whether to take notes or take flight.) At times characters seem to be enjoying sex as little as the reader. In a nominated work of 2019 a character, in a moment of high passion, “screamed as though [she] were being run over by a train”. The reader can only sympathise.

Most winners of the prize were, unsurprisingly, men: the male gaze does not always improve male prose. But the internet is changing the balance of power in fictional sex, just as it has in actual sex. Male misbehaviour is called out by such things as the “menwritingwomen” Reddit thread. (John Updike—the “penis with a thesaurus”—features heavily.) A popular parody pokes fun at a man writing a woman’s morning: “Cassandra…breasted boobily to the stairs, and titted downwards.”

Eroticism always “reflects what is going on in society at the time”, says Sharon Kendrick, a popular British romantic author. In the liberal 1970s, literary lotharios were in fashion. The arrival of the AIDs pandemic in the 1980s brought on a period of “sexual fastidiousness” and heroes who had one true love (and a condom).

The new generation of erotic prose may be easy to mock. But it is reflecting a society in which women can often get precisely what they want. That should give any feminist a bit of a thrill. ■

https://www.economist.com/culture/2025/02/27/erotic-writing-is-becoming-more-explicit


The Wall Street Journal, February 28

Fyodor Dostoevsky’s Struggle With Faith

The Russian novelist accepted the idea that belief includes doubt and embraces wonder.

Full text :  

As Fyodor Dostoevsky was taken to Siberia as a political prisoner in 1850, Natalya Fonvizina gave him a copy of the New Testament, the only book prisoners were allowed to have. It sustained him in adversity and led him to faith. Five years later, when Fonvizina was deeply depressed, Dostoevsky consoled her in what is doubtless the best-known letter in Russian literature.

Recalling his own days of despair, Dostoevsky explained that “at such moments one thirsts for faith like ‘parched grass,’ and one finds it at last because the truth becomes evident in unhappiness.” The faith Dostoevsky found resembled not an unshakable conviction but a struggle with doubt. “I will tell you that I am a child of this century, a child of disbelief and doubt,” he wrote. “I am that today and (I know) will remain so until the grave.”

Since the rise of modern science, educated people have often found it difficult to believe with calm certainty the ideal of their medieval predecessors. Like Dostoevsky, they experience a painful internal conflict. “How much terrible torture this thirst for faith has cost me even now, which is all the stronger in my soul the more arguments I find against it,” Dostoevsky wrote.

Readers of “The Brothers Karamazov” will recognize this same tortured struggle in its intellectual hero, Ivan. As a student of natural science, Ivan accepts that amoral natural laws govern everything and that good and evil are social conventions. But he can’t relinquish a belief in transcendent, absolute morality. His whole being tells him that not all standards are mere convention; some things, such as child abuse, are plainly wrong. Ivan is torn by this contradiction. Dostoevsky’s spokesman, Father Zosima, assures Ivan that even if he never finds faith, he will never give up searching for it. “That is the peculiarity of your heart,” Zosima instructs, “but thank the Creator who has given you a lofty heart capable of such suffering . . . [and] of seeking for higher things, for our dwelling is in the heavens.”

To be sure, Dostoevsky writes to Fonvizina, God sometimes sends blissful moments when “I love and feel loved by others.” Then he affirms his own “credo”: Nothing is “more beautiful, profound, sympathetic . . . and more perfect than Christ.” Whether or not Christ existed, his image is an unsurpassable ideal, a picture of the best possible moral being.

Dostoevsky continues: “If someone proved to me that Christ is outside the truth, and that in reality the truth were outside Christ, I should still prefer to remain with Christ rather than with the truth.” How can one believe in what one knows to be untrue? In the Gospel of Mark, the father who implores Jesus to cure his afflicted child exclaims: “Oh Lord I believe, help Thou my unbelief.” That Dostoevsky writes “even if” someone were to prove that the truth excludes Christ already indicates that he, like Ivan, will never be content with the complacent nihilism of other intellectuals.

This peculiar kind of faith, which consists partly of doubt, has become Dostoevsky’s trademark and explains why he has brought so many people to God. It is hard to imagine educated Westerners converted by Dante or Milton, for whom God’s existence was a simple fact. Dostoevsky’s idea that the essence of faith lies in the process of searching for it speaks to those who are also children of “disbelief and doubt.”

Dostoevsky’s focus on process rather than goal shaped his view of human life. The utopian socialists of his day presumed that if you gave people everything so that they had nothing to strive for, they would be happy. Dostoevsky believed the opposite. People would instead soon see that “they had no more life left, no freedom of spirit . . . no personality. . . . They would see that their human image had disappeared.” They would recognize “that there is no happiness in inactivity, that the mind which does not labor will wither, that it is not possible to love one’s neighbor without sacrificing to him of one’s own labor.” In short, Dostoevsky concluded: “Happiness lies not in happiness but only in the attempt to achieve it.” So does faith.

Variations on this theme appear in several of his novels. In “The Idiot,” Ippolit declares that “Columbus was not happy when he had discovered America, but when he was discovering it. . . . It’s life that matters, nothing but life—the process of discovering, the everlasting and perpetual process, not the discovery itself.” But that is absurd, the unnamed hero of “Notes From Underground” comments. After all, once one knows he doesn’t really want the goal, how can he strive for it? For the underground man, “there seems to be a kind of pun in it all.”

Tolstoy once criticized Dostoevsky as “all struggle,” but it is that characteristic that explains why his ideas resonate with so many. Those who can’t view life with fashionable complacency, who understand that uncertainty can be a blessing and that no scientific discovery will ever reveal life’s meaning, find inspiration in Dostoevsky’s supremely paradoxical idea that true faith includes doubt and embraces wonder.

Mr. Morson is a professor of Slavic languages and literatures at Northwestern University.

https://www.wsj.com/opinion/fyodor-dostoevskys-struggle-with-faith-russian-novelist-doubt-wonder-cbf9bc0f?mod=opinion_lead_pos10


The Economist, February 25

Banned books : Eight books you are forbidden from reading

In some places, at least. A brief world tour of book bans in the 21st century

Full text:

OVID WAS exiled by Augustus Caesar to a bleak village on the Black Sea. His satirical guide to seduction, “The Art of Love”, was banished from Roman libraries. In 1121 Peter Abelard, known for his writings on logic and his passion for Héloïse, was forced by the Catholic church to burn his own book. And in perhaps the most famous modern example of hostility to literature, Iran called for the murder of Salman Rushdie, author of “The Satanic Verses”, in 1989. For its perceived blasphemy, the novel remains banned in at least a dozen countries from Senegal to Singapore. Book-banning remains a favourite tool of the autocrat and the fundamentalist, who are both genuinely threatened by the wayward ideas that literature can contain. In democracies books can provoke a different sort of panic. Armies, prisons, prim parents and progressive zealots all seek to censor literature they fear could overthrow their values. Bans on books that shock, mock or titillate reveal much about a time and place. They invariably attract legions of curious readers, too. Here are eight books you shouldn’t read.

Lajja. By Taslima Nasrin. Translated by Anchita Ghatak. Viking-Penguin India; 337 pages; $13 and £9.99

Lesser-known than the fatwa condemning Sir Salman to death, but probably inspired by it, is that aimed at Taslima Nasrin for “Lajja” (Bengali for “shame”). Her novel depicts the revenge meted out by Muslims to Bangladesh’s Hindu minority after a Hindu mob tore down a mosque in Ayodhya in India in 1992. It observes the Dutta family, who still bear the scars of earlier spasms of anti-Hindu violence; each member of the family deals in their own way with the latest. Bangladesh’s government banned the book. Ms Nasrin fled to Sweden and won the European Parliament’s Sakharov prize for freedom of thought in 1994. Photocopies of “Lajja” spread in Bangladesh; in India, Hindu fundamentalists distributed it as propaganda on buses and trains. Yet her novel was less about the conflict between Hindus and Muslims, said Ms Nasrin, than about that “between humanism and barbarism, between those who value freedom and those who do not”. The story still reverberates: a temple to Ram, a Hindu god, will open in 2024 on the site of the destroyed mosque.

Friend. By Paek Nam Nyong. Translated by Immanuel Kim. Columbia University Press; 288 pages; $20 and £14.99

“Friend” is the first novel approved by North Korea’s totalitarian regime to be available in English. Published in 1988, it is a beloved classic there. A compassionate account of characters caught up in marital strife and disappointed by their spouses, it is based on Paek Nam Nyong’s experience of sitting in on North Korean divorce hearings. An illuminating afterword by the book’s translator, who has met Mr Paek, situates it within North Korea’s literary output. It is the government of the country’s democratic neighbour, South Korea, that has banned the book for some readers. “Friend” is sold in the South’s bookstores. But its defence ministry includes it in a list of 23 “seditious books” banned for reading in the South Korean army (among them are two by Noam Chomsky, a linguist with radical politics). This prohibition applies to all male citizens for the 18 months, or more, of their mandatory military service. The ministry’s apparent fear is that a sympathetic portrait of South Korea’s hostile northern neighbour could undermine soldiers’ resolve to defend their country. Readers of “Friend” can expect some socialist-realist moralising. But this novel’s power is in its depiction of ordinary lives.

The Devils’ Dance. By Hamid Ismailov. Translated by Donald Rayfield. Tilted Axis Press; 200 pages; £12

When Hamid Ismailov was forced to flee Uzbekistan in 1992, he stood accused by his government of “unacceptable democratic tendencies”. In exile ever since, Mr Ismailov has written more than a dozen novels. All are banned in Uzbekistan. Aptly, “The Devils’ Dance”—the first of his Uzbek novels to be translated into English—reimagines the lives of real Uzbek dissident intellectuals during their time in prison before their executions in 1938. They include the protagonist, Abdulla Qodiriy, a poet and playwright, and Choʻlpon, who translated Shakespeare into Uzbek. When Qodiriy was locked up by Stalin’s secret police a novel he had been writing on 19th-century khans, spies and poet-queens was destroyed. Mr Ismailov imagines that Qodiry reconstructs in his cell the novel he had been writing. (We reviewed the book in translation in 2018.)

The Bluest Eye. By Toni Morrison. Vintage International; 206 pages; $16 and £9.99

Toni Morrison’s celebrated novel about beauty and racial self-hatred has long appeared on lists of books banned in some of America’s high schools. Parents complain about passages that depict sexual violence; teachers counter that such topics are best broached in the classroom. “The Bluest Eye” was the fourth-most-banned book in the school year ending in 2022, says PEN America, a free-speech body. (Ahead of it were two on LGBT themes and a novel about an interracial teen couple.) The American Library Association (ALA) says that its tally of ban requests from school boards and removals from library shelves has never been so high: 1,600 titles in 2021. The political stakes have grown. In 2016 Virginia’s legislature passed the “Beloved bill”—named for another of Morrison’s controversial novels—to allow parents to exempt their children from reading assignments if they consider the material to be sexually explicit. The state’s Democratic governor vetoed the bill; his opposition to it was one reason he lost a bid for re-election to a Republican in 2021. “There is some hysteria associated with the idea of reading that is all out of proportion to what is in fact happening when one reads,” Morrison said—more than 40 years ago.

China in Ten Words. By Yu Hua. Translated by Allan H. Barr. Duckworth; 240 pages; £8.99

China’s government keeps tight control over printed matter: publication codes such as ISBNs are allocated, with rare exceptions, only to state-run publishers; censors scrutinise works before they go to print. But the boundaries for fiction can be more fluid. That let Yu Hua become a best-selling author in his native country of novels that depict China’s journey from the brutality of the Cultural Revolution to the dislocations wrought by materialism. But Mr Yu saw commonalities between history and the present, and to expand on these he turned to non-fiction: “China in Ten Words”, a collection of essays each built around a Mandarin term, is a mixture of memoir and meditation on past and contemporary China. It could not be published there. The first chapter, “People”, refers to the bloodshed at Tiananmen Square in 1989. Mr Yu refused to excise it. In expounding on words from “Revolution” to “Bamboozle” he offers a view of how China got to where it is.

Piccolo Uovo. By Francesca Pardi. Illustrated by Altan. Lo Stampatello; 22 pages; €11.90
And Tango Makes Three. By Peter Parnell and Justin Richardson. Illustrated by Henry Cole. Little Simon; 36 pages; $8.99 and £7.99

What harm could one small, anthropomorphic egg do? A lot, if you ask the mayor of Venice. In 2015, within days of being sworn in, Luigi Brugnaro ordered Venetian nursery schools to ban 49 children’s books deemed a threat to “traditional” families. Uproar ensued, and Mr Brugnaro agreed to reinstate all but two of the books. One still off-limits is “Piccolo Uovo”, a delightful tale inspired by the real story of a penguin egg adopted by two male penguins in New York’s Central Park Zoo. Piccolo uovo (“Little egg”) is afraid to hatch because it wonders what its family will look like. It goes on a journey to meet families of many compositions and colours, and is satisfied that all are magnificent. Readers old and young who do not speak Italian might instead seek out an American children’s book about the same penguins that makes the same point: “And Tango Makes Three” has appeared on nine occasions in the ALA’s annual list of top-ten books banned from American libraries.

The Bible. By various authors. Translated by various people. Various publishers; varying numbers of pages; various prices

Parts are deemed by some religious traditions to be the word of God. Others bring the good news of Jesus. But the two-volume work has its first murder in its fourth chapter. And there is no mistaking the erotic charge of the Song of Songs. In June 2023 a school district in Utah removed the King James version of the Bible from the shelves of elementary and middle-school libraries under a state law that permits the ban of “instructional material that is pornographic or indecent”. But this petition was brought by a parent frustrated with bans of other books, including “The Bluest Eye”. Upset by the stunt, conservatives accused the parent of seeking to undermine Utah’s efforts to protect children from pornography. The Bible banner seems to share the perspective of Leviticus 24: “eye for eye, tooth for tooth”. ■

https://www.economist.com/the-economist-reads/2023/02/24/eight-books-you-are-forbidden-from-reading?utm_content=ed-picks-image-link-1&etear=nl_special_1&utm_campaign=r.special-edition-newsletter&utm_medium=email.internal-newsletter.np&utm_source=salesforce-marketing-cloud&utm_term=2/22/2025&utm_id=2063932


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Februar

Jacques Rivière: Die Angst der Deutschen vor Irrtümern

„Sie begehren, sie erwarten, sie verlangen nichts“: Für Jacques Rivière waren die Deutschen das Gegenteil von Franzosen. Heute vor hundert Jahren ist der Essayist und Literaturkritiker gestorben.

Auszüge:

Ein französischer Schriftsteller gerät schon im August 1914 in deutsche Gefangenschaft. Das bewahrt ihn vor dem Schicksal seines besten Freundes, Henri-Alban Fournier, der im September desselben Jahres bei Verdun fällt. Alain-Fournier, wie er sich als Autor nannte, war der größte literarische Verlust aufseiten der Franzosen. Mit „Der große Meaulnes“ hatte er 1913 einen Roman über das Leben auf der Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein geschrieben, ein Buch über einen, „dessen Kindheit zu schön war“, wie Alain-Fournier in einem Brief schreibt. Zu schön, um sie nicht mitnehmen zu wollen, zu schön, um sie mitnehmen zu können. Es schildert das gemeinsame, oft vergebliche Warten, „über das wir nie sprachen“, ineinander und durcheinander Verliebter. Niemand, der eine Jugend hatte, kann dieses Buch lesen, ohne von ihm ergriffen zu sein.

Jacques Rivière, der durch Gefangenschaft am Leben bleibende Freund, geht drei Jahre lang durch deutsche Lager, nach einem Fluchtversuch auch durch ein Straflager. Dort beobachtet er die Deutschen und schreibt nach dem Krieg ein Buch über sie, „L’Allemande“, das Leser hierzulande noch heute aufzuwühlen vermag. Wenn Rivière einsetzt, es bestehe zwischen ihm als Franzosen und den Deutschen eine Unvereinbarkeit ihres Wesens, so klingt das wie die damals üblichen Pamphlete mit ihren unsinnigen Entgegensetzungen von Aufklärung und Preußentum, Händlern und Helden, Zivilisation und Kultur. Nichts davon vermag uns heute noch zu berühren.

Rivière jedoch unterscheidet anders. Er lehnt ab, wie die Deutschen, denen er begegnet ist, fast allesamt Männer, fühlen und denken. Er stellt einen Mangel an Temperament an ihnen fest. „Sie begehren, sie erwarten, sie verlangen nichts.“ Es gibt nichts, für das sie sich bedingungslos einsetzen. Sie warten vielmehr, bis ihnen jemand sagt, was zu tun sei, und führen die Anweisung dann mit großer Akkuratesse und Energie aus. Den Deutschen sei Ungeduld fremd, nichts jucke sie, vieles sei ihnen egal, gegenüber selbstsicherem Auftreten geben sie leicht nach, sie haben ständig Angst, sich zu irren. „Der Deutsche ist nicht fähig, irgendetwas zu tun, ohne sich vorher dazu verpflichtet zu haben.“

Die Belege für seine These sind bei Rivière deutsche Offiziere, die sich von den französischen Gefangenen verspotten und beleidigen lassen. (…)

Als es 1924 zu einer zweiten Auflage seines Buches kommt, kritisiert sich Rivière im Vorwort für den parodistischen Ton seines „ethnischen Porträts“. Es sei auch eines der Franzosen. In ihrer Welt atme die Seele oft zu schnell, sei oft von großer Einfalt, lege sich voreilig fest und sei bereit zu jeder Art von Ungerechtigkeit, weil sie sich stets mit Leidenschaft und dem „Nicht anders können“, dem Französischsein eben zu rechtfertigen vermag.

Der zweite Teil des Buches setzt sich mit zwei Aufsätzen des deutschen Philosophen Paul Natorp über das Wesen des deutschen Geistes auseinander. 1920 antwortete Natorp unter dem Titel „Hassenswert, weil wir nicht hassen?“ und warf Rivière vor, die Deutschen mit ihren Offizieren zu verwechseln und ihnen den Mangel an nationalen Gefühlen, der die Deutschen tatsächlich charakterisiere, schlecht anzurechnen. Es würde sich wirklich lohnen, wenn ein deutscher Verlag diesen Dialog herausbrächte. (…)

ls Jacques Rivière am 14. Februar 1925 in Paris an Typhus starb, war er noch nicht vierzig. Der Medizinersohn aus Bordeaux, der an der Universität gescheitert war, leitete damals die führende französische Literaturzeitschrift „Nouvelle Revue Française“ (NRF). 1909 hatte sie André Gide mit einer Handvoll seiner Freunde gegründet, und bald besaß sie einen eigenen Verlag. Rivière war von 1910 an, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, ihr Redaktionssekretär.

Als André Gide es ablehnte, den ersten Band von Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ im Verlag der NRF zu drucken, widersprach Rivière als Einziger. Für ihn war die Literatur seiner Zeit von zwei Gefahren bedroht, die Proust, wie der von ihm verehrte Paul Claudel, beide überwunden hatte: den Naturalismus als sklavische Nachahmung und Verzicht auf eine innere Welt und die Romantik als Verklärung vieldeutiger Gefühle. Hinreißend ist seine Beschreibung der Analysen, denen Proust in „Die Gefangene“ die Liebe unterzogen hat. Ri­vière nennt ihn mehrfach einen Wissenschaftler. Klarheit war ein ästhetischer Schlüsselbegriff für ihn. (…)

Rivière war ein kompletter Kritiker, er hatte die ganze französische Kunst seiner Zeit im Blick, schrieb über Musik, Ballett, Malerei und das politische Tagesgeschehen. Ein eigener schriftstellerischer Erfolg blieb ihm versagt. Sein 1922 veröffentlichter Roman „Aimée“, ein zweihundertseitiger innerer Monolog eines Mannes, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist, wurde von der Kritik weitgehend ignoriert. Übersetzt ins Deutsche ist sein nachgelassenes Buch über Arthur Rimbaud, in dem sich seine Abwendung vom literarischen Symbolismus und die Hinwendung zur katholischen Kirche abzeichneten. Nach seinem Tod erschienen philosophische und theologische Schriften sowie seine Briefwechsel, beispielsweise mit Alain-Fournier, Paul Claudel, Marcel Proust und Antonin Artaud. Hier, mehr aber noch aus seinen ästhetischen Essays, gibt es viel zu übersetzen.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/vor-hundert-jahren-starb-der-essayist-jacques-riviere-110294722.html


Neue Zürcher Zeitung, 27. Januar  

Er schreibt: «Heute bin ich wieder etwas blöd.» Sie nennt ihn «mein liebstes Kleines»: Im Briefwechsel mit seiner Frau sieht man Hugo von Hofmannsthal in geradezu sympathischer Verwandlung

Hugo von Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau Gerty im Maschinenraum der Beziehung sitzt. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen der Intimität.

Extraits:

Wer ein wahrer Weltbürger werden soll, der wird schon im Zeichen der Krise gezeugt. Just als Hugo von Hofmannsthals künftige Eltern zur Tat schritten, brach die internationale Finanzwirtschaft zusammen. Das Vermögen der Familie war weg, aber der Sohn war 1874 da. Der Schock habe ihn zu einem Hypersensiblen gemacht, wird der Dichter später erzählen. Er hat sich selbst stilisiert und seinen Stil aus Intellekt und Nervosität geschöpft.

Es schadet nicht, wenn das Pathos seiner Selbstinszenierungen entlarvt wird, und schon deshalb ist die Edition der Briefe, die er mit seiner Ehefrau gewechselt hat, eine Grosstat. Hier sieht man den Sprachzweifler beim hemdsärmeligen Handwerk der Ehe und in geradezu sympathischer Verwandlung. Liebt der Dichter, wird er schlichter: «Geliebtestes Engerl, ich dank Dir für Dein gutes Brieferl und die Photografierl. Ich freu mich so sehr, dass du wirst arbeiterln. Ich thu aber auch dichten», notiert Hugo von Hofmannsthal für seine Gerty, «denn wer schreibt Stücki, der hat Geldi.»

Geld war es nicht, das die beiden glücklich machte, denn davon hatten sie sehr wenig. Es war die Liebe, die sich über drei Jahrzehnte erstreckte und bis zum plötzlichen Tod des Schriftstellers währte. Gerty Schlesinger war die Tochter eines höheren Wiener Bankbeamten. Die Hochzeit mit Hofmannsthal im Jahr 1901 bedeutete einen Aufstieg in den Adel und zugleich das Abenteuer einer Ehe zweier seelenverwandter Ungleicher. «Mir ist die Ehe etwas Hohes, wahrhaft das Sacrament – ich möchte das Leben ohne die Ehe nicht denken», hat der Schriftsteller einmal festgehalten. Gerty war sein Anker, er ihr Schiff auf hoher See. Immer unterwegs, eine ideale Bedingung, um Briefe schreiben zu können, wie der 1800-Seiten-Band «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» zeigt.

(…) Dass die jetzt von Nicoletta Giacon sorgsam edierte und grossartig genau kommentierte Korrespondenz dennoch ohne Dramen auskommt, liegt an einer klaren Rollenverteilung. «Das grausig Einsame des Künstlerdaseins» steht der Frau als einer «überschwänglich Hilfreichen, Lastenabnehmenden» gegenüber. Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau die Lasten des Alltags zu tragen hat.

Viele Berichte, die Hugo von Hofmannsthal an seine Frau schickt, sind eine Mischung aus Meteorologie und Gemütswetterlage. «Heute bin ich wieder etwas blöd, übrigens ohne Nervosität», schreibt er aus dem Kurort Semmering. Aus Salzburg berichtet er von «sehr starkem Hitzschnupfen» und «rothem Hals». «Übelkeit, Schneefälle, Herumfahrerei» werden aus München gemeldet. «Gestern stockheiser, ganzen Tag allein im Zimmer» steht auf einer Postkarte aus Berlin.

Der Schriftsteller führt das Leben eines Neurasthenikers. Oft ist er am Rande des Zusammenbruchs und am Ende seiner Nerven. In den Briefen wird die behauptete Erschöpfung mitunter auch zur rhetorischen Figur, zu einem Weltbewältigungsmodell, das das lesende Gegenüber zur Empathie zwingt und es damit in einen Erlebniszusammenhang bringt. So wird die Ferne überbrückt. Nicht nur geografisch, sondern auch substanziell. (…)

Aus 973 Briefen, Postkarten und Telegrammen besteht die oft in einer kindlichen Spezialsprache geführte Korrespondenz zwischen Hugo und Gerty von Hofmannsthal. Das alles ist in der jetzigen Edition nachzulesen, und wenn es darin Redundanzen gibt, dann hat das System. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen einer Intimität, die sich ihres heiligen Reichs täglich neu versichert. Im Hin und Her der Briefe ist ein Nebeneinander simuliert, das es im täglichen Leben kaum gibt. Man schreibt einander, als wäre man im Gespräch. Obwohl es zu Beziehungszeiten der Hofmannsthals das Telefon schon gab und ein Apparat sogar in der Villa in Rodaun hing, war ihm diese Technik suspekt.

Das geschriebene Wort war das gültige, obwohl der Briefwechsel keineswegs elaboriert ist, sondern eine Art Jahrhundertwende-Chat-Format. (…)

Im Gegensatz zu anderen Schriftstellerbriefwechseln ist Hofmannsthals Korrespondenzverkehr gleich auf mehrfacher Ebene skandalfrei. Hier wird nichts und niemand entblösst. Das Unisono einer glücklichen Ehe hat keinen doppelten Boden, sondern eine bisweilen fast ans Langweilige grenzende Vorbildlichkeit. (…)

Schon die Familie des Vaters hat in Wirtschaftskrisen immer wieder Geld verloren, und der Schriftsteller selbst wird durch seine künstlerischen Unternehmungen nicht reich. Die Villa, die er mit Gerty und der Familie in Rodaun, am Rand von Wien, bewohnt, ist in bedauerlichem Zustand. Hofmannsthals Reisen sind klandestine Fluchten, Expeditionen auf der Suche nach den Idealreichen der Kunst. Er will Orte zum Schreiben finden, und es gehört zu seiner psychosomatischen Natur, dass das leibliche Wohl dabei nicht zu kurz kommen darf. «Kleines Nachtmahl, Schinken u ½ Fachinger auf dem winzigen Schreibtisch, und dabei so einen guten Kopf, sowohl für das Politische als für andere Dinge», schreibt der Dichter aus Berlin. «Hier ist gutes Essen. Hugo», steht auf einer Ansichtskarte aus Ragusa, die einen Passagierdampfer zeigt. Arthur Schnitzler schickt auch herzliche Grüsse mit.

Sich für Politik interessieren zu sollen, war für Hugo von Hofmannsthal eine gelinde Überforderung. Weil er mit seiner Konstitution kaum wehrtauglich war, wird er kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs ins Wiener Kriegsfürsorgeamt versetzt und schreibt in der Etappe statt Belletristik bellizistische Propaganda. Seine Frau lässt er im Herbst 1914 wissen, dass der Feind nur «um der niederträchtigen Überzahl willen» auf polnischem Gebiet die ersten Siege einfährt. Es gibt «ungeheure Opfer», aber: «Man muss es halt ertragen, und wenn noch Schwereres kommt, wird man es auch ertragen müssen.» (…)

Gerty von Hofmannsthal sitzt im Maschinenraum der Beziehung. Sie ist Hausfrau, Mutter der drei gemeinsamen Kinder und Sekretärin des Schriftstellers. Umsichtig leitet sie wichtige Post weiter und bekommt dafür in einem Brief-PS Lob vom Ehemann: «Wie rührend brav du alles besorgst! So viele Sachen!» (…)

Um sich in der Liebe auf Augenhöhe zu begegnen, braucht es solches offenbar nicht auch noch im sonstigen Beziehungsalltag. Das Ehepaar Hofmannsthal liefert in den Briefen Anzeichen dafür, dass man in Sachen Libertinage modern ist und sich seine Freiheiten gönnt. Andere emanzipatorische Möglichkeiten scheinen allerdings etwas zu kurz zu kommen. Das Gefälle bleibt, und Gerty richtet sich in ironischer Demut darin ein. Aus Frankfurt schreibt der Dichter, er sei froh, «dass du so selbständig bist, das ist so herzig, ganz wie ein Grosses benimmst du dich, das gefallt mir sehr».

Gertys Grösse liegt darin, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Ihre Liebesbriefe sind genauso anrührend, wie sie den Alltagskram in pragmatischer Nüchternheit rapportiert. «Mein liebstes Kleines» nennt sie ihren Ehemann. Sie holt ihn damit zielsicher vom hohen Ross der Kunst, um sich selbst in Poesie zu versuchen: «Unser Leben kommt mir wie etwas schönes Geschlossenes vor», schreibt Gerty im Jahr 1900 an Hugo von Hofmannsthal. «Deine Briefe sind auch so wie geschlossene Teile aus einem grossen Ganzen, so wie Sternschnuppen vom Himmel!» Am Firmament aller Ehen strahlte diese besonders hell. Dass sie ganz plötzlich verglühen musste, als Hugo von Hofmannsthal bei den Vorbereitungen zum Begräbnis seinen Sohnes Franz an einem Schlaganfall starb, hat deshalb eine besondere Tragik.

Gerty von Hofmannsthal und Hugo von Hofmannsthal: «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» Briefwechsel 1896–1929. Herausgegeben von Nicoletta Giacon. Mit einem Nachwort von Ursula Renner. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. 1840 S., Fr. 115.90.

https://www.nzz.ch/feuilleton/er-schreibt-heute-bin-ich-wieder-etwas-bloed-sie-nennt-ihn-mein-liebstes-kleines-im-briefwechsel-mit-seiner-frau-sieht-man-hugo-von-hofmannsthal-in-geradezu-sympathischer-verwandlung-ld.1867472


The Economist, January 24    

Pontificating autobiographies : Sex, drugs or chastity?

Pope Francis has written the first memoir by a sitting pope. God help us

Hope. By Pope Francis with Carlo Musso. Translated by Richard Dixon. Random House; 320 pages; $32. Viking; £25

Extraits:

His Holiness Pope Francis—the 266th bishop of Rome, supreme pontiff of the Universal Church, sovereign of the Vatican City State—is a man with fancy titles, a simple soul and simpler prose. He likes punctuality (“I like punctuality”), does not feel worthy (“I feel unworthy”) and thinks war is stupid (“War is stupid”).

He reveres humility, his grandmother, football, God and pizza, probably not in that order. His great sadness on becoming pope was that he could no longer pop out for pizza but must order it in to the Vatican instead (“quite a different flavour”). He is very nice, very kind and very, very boring.

Pope Francis is a good man who has written a bad book. This hardly matters. It is the first autobiography by a sitting pope and will probably sell millions of copies. Spiritual memoirs are often big hits: St Augustine’s “Confessions”, written in the fourth century, still attracts faithful buyers.

Autobiographies of the very famous sell better yet: Prince Harry’s “Spare” was the bestselling autobiography of 2023 in America, and Melania Trump’s was top of the charts in 2024. Meanwhile, in Britain one of the most popular books over Christmas was “A Pawtobiography”, the memoir of a celebrity dog called Ted (ghostwritten by a human, of course). It contains phrases like “We all love a lamppost.”

The pope had intended “Hope” to be published posthumously—perhaps even popes fear reviewers—but he has brought it forward because of “the needs of our times”. Less the “life story” promised by the blurb than a sermon, its evident aim is to make readers question such things as inequality, poverty and war. But “Hope” also raises other questions, such as: surely the pope can find a way to go out for pizza? Is it a good idea to have a book title that rhymes with your own title? And above all, what makes a good autobiography?

Bestseller lists offer some answers. They tend to feature lives that have gone very right or appallingly wrong (in the past couple of years two memoirs by Holocaust survivors, Elie Wiesel and Viktor Frankl, have been in America’s top ten). Or, better yet, both: the memoir of Matthew Perry, an actor who died of a drug overdose, sold well in 2023 and 2024. Mere fame is not enough, says Jonny Geller, a literary agent who represented John le Carré and Nelson Mandela: “It’s got to be a good story.”

This is tricky for a pope. Almost by definition, if you are a good candidate for the papacy, you are a bad one for biography. “I’m not sure it’s possible in that position to write a frank book,” says Robert Harris, a novelist, who was inspired by Pope Francis to write his novel “Conclave” (now a film). A great memoir should be “intimate, genuine and revelatory”, and that would “hardly be compatible with the job”. (…)

Part of the problem is that the pope did not use a ghostwriter, who might have taken more control. (Instead he worked with a co-author, Carlo Musso, an Italian writer.) This was a mistake. Holy fathers are better with holy ghosts. “People can be exceptional in certain fields,” says Mr Geller, “then write very wooden prose.” (…)

“Hope” still offers some nice moments. The pizza is one; Pope Francis’s refusal to wear the usual papal white trousers (“I don’t want to be an ice cream seller”) is another. But far too much of this is too abstract to be gripping. (…)

Even philosophers can be clear: Nietzsche’s autobiography has chapters called “Why I Am So Wise”, “Why I Am So Clever” and “Why I Write Such Good Books”. But Pope Francis’s chapters are vaguer. His introduction is titled “All Is Born to Blossom”—an ominous start. Things get little better from there. One chapter is called “Life and the Art of Encounter”; another is “I Am Just One Step”. Most feel like quotes from Paulo Coelho, an indecipherable Brazilian novelist, which have been translated by ChatGPT. (…)

One reason autobiography is so hard is that people assume it is easy: everyone thinks he is an expert about his own life. But as Robert Douglas-Fairhurst, a professor of English at the University of Oxford and author of his own memoir, “Metamorphosis”, points out, you are not. “The one person that you can’t watch is yourself.” You are your own “great blind spot”. (…)

The very best autobiographies do more: they take the humdrum daily detail of life, fillet, shape it and so, says Mr Douglas-Fairhurst, “redeem all that chaos”. The pope’s biography does not do this. It gives the reader a mass of detail: trousers, pizza, his parents’ first address. But it does nothing with this. As a result, this biography of a pope offers, ironically, no redemption—and precious little sense of the man himself. The devil, as always, is in the details. The pope, alas, is not. ■

https://www.economist.com/culture/2025/01/23/sex-drugs-or-chastity


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18 janvier, article payant        

Julia Schochs Trilogie: Der traurige DDR-Soldat im Birkenwald

So wie die Mauer ein Land teilte, teilte der Mauerfall Biographien: Julia Schoch beendet mit ihrem Roman „Wild nach einem wilden Traum“ ihre bewegende Trilogie „Biographie einer Frau“.

Extraits:

„Wild nach einem wilden Traum“ bewegt sich zwischen der Berliner Gegenwart, aus der sich die Ich-Erzählerin erinnert, und dem Jahr 2002, als sie, damals noch angehende Literatur­wissenschaftlerin an der Universität, einen Sommer in einer amerikanischen Künstlerkolonie in den Catskill Mountains nördlich von New York verbringt. Und ausgerechnet hier, in den Wäldern der Appalachen, erinnert sie sich an eine längst vergangene Episode, als sie zu DDR-Zeiten als Offizierstochter in der Garnisonsstadt E. im Wald auf einen Soldaten traf, der eigentlich Gärtner war und die Literatur liebte und nicht so recht in die Kasernenwelt zu passen schien.

Auf knapp 180 Seiten entfaltet Julia Schoch ein Panorama von vierzig Jahren. Ohnehin schreibt die 1974 in Potsdam geborene Autorin ja nur vordergründig von sich, um in Wahrheit Material zu bergen, das den Blick auf eine ganze Epoche öffnet. 

Erst jetzt, da der dritte und letzte Band von Julia Schochs „Biographie einer Frau“ vorliegt, zeigt sich die innere Mechanik dieser Trilogie. Darauf verweist in „Wild nach einem wilden Traum“ schon der erste Satz, der bei dieser ­Autorin ja immer einen kurzen Stromschlag auslöst: „Ich setze noch einmal an, an einem andern Punkt.“

Das Triptychon besteht also nicht aus Erzählungen, die aufeinander aufbauen, sondern aus drei verschiedenen Zugängen zu einem Leben, die nicht chronologisch erzählt werden, sondern stofflich und motivisch inspiriert sind und immer autofiktional. Die Schlüsselfrage lautet dabei nicht, wie so oft in diesem Genre: Wer bin ich? Sie lautet vielmehr: Wer bin ich im Verhältnis zu anderen? Auch deshalb erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin mal als Mutter, Tochter oder Schwester (Teil 1), mal als Mutter, Freundin oder Ehefrau (Teil 2) und nun im dritten Teil mal als Schülerin, Geliebte oder Mutter erwachsener Kinder, um nur einige ihrer Rollen zu nennen. (…)

So schlicht mitunter Schochs Prosa anmutet, ist sie doch alles andere als einfach. Denn Julia Schoch als Beobachterin des eigenen Lebens ist das Ich ihrer Geschichten und ist es zugleich auch nicht. Im ersten Teil der Trilogie, „Das Vorkommnis“, fällt nicht zufällig der Satz „Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie“. Und natürlich kennt sie das berühmte Zitat von Jonathan Franzen: „Je größer der autobiographische Gehalt im Werk eines Schriftstellers, desto geringer die oberflächliche Ähnlichkeit mit seinem eigentlichen Leben.“ (…)

Die große Geschichte, das Welt­geschehen, wird bei ihr nicht zum ­dekorativen Hintergrund einer intimen Selbsterkundung, sondern lauert immer und überall. Dieses Spannungs­verhältnis zwischen Innen und Außen, Gesellschaft und Einzelnem wird in vielen Details deutlich. Im aktuellen Band vor allem in den Szenen in der Garnisonsstadt E., die von der Militär- und Gewaltgeschichte der DDR bis in die Gegenwart reichen, als die Ich-Erzählerin befürchtet, dass ihr siebzehnjähriger Sohn der neuen Wehrpflicht unterliegen wird. Hier wird das pessimistische Geschichtsbild der Autorin greifbar. Sosehr wir auch glauben und hoffen, den Fortschritt zu erleben, am Ende erweist sich alles als Zirkelschluss, und wir sind wieder da, wo wir schon einmal waren. (…)

Erstaunlich ist, dass diese Erinnerungsprosa das Ungeheuerliche meist in aller Kürze entwirft. Im ersten Teil der Trilogie, „Das Vorkommnis“, genügen fünf Worte, um der Ich-Erzählerin den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Es ist der Satz einer Fremden: „Wir haben übrigens denselben Vater.“ Das bringt die Herkunftsfamilie aus dem Gleichgewicht und wirft die Frage auf: War sie je im Gleichgewicht? (…)

Auch im zweiten Teil, „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, geht Schoch dem Verlorenen nach, wendet es hin und her, schaut es an, um Klarheit in das Unbegreifliche zu bringen: das Ende einer Beziehung nach 31 Jahren, von der ersten Begegnung in der Plattenbauwohnung, als es noch Telefone mit Kabel gab und man auf dem Boden saß. Selbst da gab es schon Erinnerung, wenn das junge Paar nach Bukarest fuhr, um dort das verlorene Land seiner Kindheit wiederzufinden.

Die Zeit und wie sie vergeht, ist wohl einer der größten Unsicherheitsfaktoren bei Julia Schoch, die verheerendste Triebfeder für Enttäuschung und Erschöpfung. Davon und ob man sich dagegen wappnen kann, handelt nun „Wild nach einem wilden Traum“. So kann man diesen Abschlussband auch isoliert lesen, aber das Vergnügen steigt, wenn man die beiden vorangegangenen Titel kennt. Zumal der Zugriff aufs „Ich“ bei Julia Schoch noch einmal eine andere Dimension erfährt.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/julia-schochs-roman-wild-nach-einem-wilden-traum-110237958.html


Neue Zürcher Zeitung, 12 janvier, article payant     

Man muss sich weit von der Erde entfernen, um sie noch einmal neu entdecken zu können

Samantha Harvey schickt in ihrem Roman «Umlaufbahnen» sechs Menschen in den Weltraum und öffnet den Lesern die Augen für eine gefährdete Schönheit.

Extraits :

Endlich frei sein, endlich nichts mehr mit Katastrophen und Kriegen zu tun haben, endlich die Erde hinter sich lassen, sie allenfalls aus der Ferne betrachten. Wer hätte nicht schon einmal dieses Sehnen empfunden, wissend, dass es sich dabei um eine blosse Tagträumerei handelt? Die englische Autorin Samantha Harvey gibt sich mit solchen kleinen Fluchten nicht zufrieden. Ihr fünfter, vor kurzem mit dem Booker Prize 2024 ausgezeichneter Roman «Umlaufbahnen» macht aus Wünschen Ernst und gibt sechs Menschen, sechs Astronauten, die Möglichkeit, sich neun Monate lang im wahren Wortsinn über die Erde zu erheben.

Vier Männer und zwei Frauen – die Britin Nell, der Amerikaner Shaun, der Italiener Pietro, die Japanerin Chie und die Russen Anton und Roman – verbringen ihr Leben in einer Raumstation, einer «Sardinenbüchse», die der International Space Station nachempfunden ist. Mit einer Geschwindigkeit von 28 000 Kilometern in der Stunde umkreist die «fliegende Familie» die Erde, sechzehn Mal an einem Tag, was ihr sechzehn Sonnenaufgänge und sechzehn Sonnenuntergänge beschert.

Nur diesen einen Tag schenkt Samantha Harvey ihren Figuren und ihren Lesern – vierundzwanzig Stunden irdischer Zeitrechnung, die angefüllt sind mit Aufgaben, die die Besatzung zu erledigen hat. Man analysiert Mikroben, experimentiert mit Mäusen, führt Protokolle aller Art, unternimmt Weltraumspaziergänge, hütet sich, Flüssigkeiten – auch keine Tränen – abzusondern, treibt ausgiebig Morgensport und versucht mit dem eingeschränkten Nahrungsangebot zurechtzukommen. (…)

Samantha Harvey hat einen staunenswerten, brillanten und mutigen Roman geschrieben, der mit spielerischer Leichtigkeit davon Zeugnis ablegt, was die Uraufgabe von Literatur ist: sich fremde Sphären anzueignen und an diesem Akt der Imagination teilhaben zu lassen. (…)

Harveys Roman, der gar nichts von herkömmlicher Science-Fiction an sich hat, braucht keinen Plot, um in Bann zu ziehen. Allenfalls ein schwerer Taifun, der sich über den Philippinen zusammenbraut, reisst die Weltraum-Reisenden aus ihrem staunenden, ziellosen Schauen heraus. Pietro hat dort seine Flitterwochen verbracht und sorgt sich um die Fischer, die er damals kennenlernte. Werden sie dem Wirbelsturm entkommen? Eine Möglichkeit des Eingreifens ist ihm und seinen Mitstreitern verwehrt. Distanz führt jedoch nicht zur Empathielosigkeit.

Die Routinen der wissenschaftlichen Aufgaben werden von dem Glück begleitet, dass die Forscher sich dem Zauber der Erde und ihrer entrückten Schönheit hingeben können. Samantha Harvey findet dafür grossartige Bilder, die heftige Emotionen spiegeln, dabei erliegt die Autorin an keiner Stelle der Gefahr, in Nature-Writing-Kitsch zu verfallen. Denn der entzückte Blick auf diesen einzigartigen blauen Planeten legt zugleich dessen Verletzbarkeit offen, er ist bestimmt von der Einsicht, dass der Mensch nie von seinem Bestreben, zu prägen und zu gestalten, ablassen wird. (…)

So ist dieser Roman voller dichter sinnlicher Eindrücke, die neue Sichtweisen eröffnen. Er reflektiert in einem Atemzug den Glauben an eine göttliche Schöpfung und die Abläufe des Urknalls, und er spielt mit Motiven der Kunst. Naheliegend ist es, an Virginia Woolfs «Die Wellen» zu denken, an einen Roman mit sechs Akteuren und einer erzählten Zeit von einem Tag.

Gleich zu Anfang erinnert Samantha Harvey an das Gemälde «Die Hoffräulein» des Spaniers Diego Velázquez. Welche Perspektiven dieses einnehme, was es zeige und nicht zeige, wurde in der Kunstgeschichte unzählige Male erörtert. Der Reiz solcher nie an ein Ende kommenden Betrachtungen liegt in Velázquez’ Bild und auf ganz andere Weise in Samantha Harveys beglückend grossartigem Roman.

Samantha Harvey: Umlaufbahnen. Roman. Aus dem Englischen von Julia Wolf. DTV, München 2024. 224 S., Fr. 33.90.

https://www.nzz.ch/feuilleton/samantha-harvey-schickt-in-umlaufbahnen-sechs-astronauten-ins-all-ld.1862981


Wall Street Journal, Book Review, 21 décembre    

Fiction: ‘The MANIAC’ by Benjamín Labatut

‘The Pole’ by J.M. Coetzee.

Extraits:

The great man interpretation of history is making a resurgence, though in place of the usual statesmen and generals a new crop of destiny-makers has arisen: scientists and tech pioneers. Following close after Christopher Nolan’s marathon biopic on J. Robert Oppenheimer and Walter Isaacson’s hagiography of Elon Musk appears Benjamín Labatut’s darkly absorbing novel, “The MANIAC,” which proposes a lesser known candidate for the pantheon of world-changing demigods: John von Neumann (1903-1957), the Hungarian-born polymath who established the mathematical framework for quantum mechanics, founded the field of game theory, was integral in the Manhattan Project and, most ominously to Mr. Labatut, made the first serious advances into the creation of artificial intelligence.

Mr. Labatut, a Chilean who has also lived in Europe, will be known to American readers for his unlikely breakthrough “When We Cease to Understand the World” (2021), a collection of essays and fictions about 20th-century scientific trailblazers such as Fritz Haber and Werner Heisenberg. Though grounded in fact, these pieces read like works of Gothic horror, depicting geniuses driven to insanity by the ramifications of their discoveries. “The MANIAC” continues the nightmarish portrayal of modernity, opening with a prelude about the 1933 suicide of an Austrian physicist, Paul Ehrenfest, whose despair was spurred by the quantum revolution, in which a coherent model of the physical world was replaced by impossibly complex mathematics, a regime change that simultaneously unveiled the secret processes of the universe and rendered its meanings altogether opaque. (…)

Mr. Labatut stresses an inherent continuity between thermonuclear weapons and AI, both staggering innovations that pose existential threats to humanity. Von Neumann, in this telling, is another Dr. Frankenstein, but it is only after his death that his digital progeny slouch toward Silicon Valley to be born. The novel ends with a coda set in 2016 that dramatizes the victory over the grandmaster of Go, the world’s most complicated board game, by AlphaGo, a computer program trained through machine learning—a Pyrrhic triumph of “pure calculation” over human artistry and intuition.

It all makes for a brooding, heady narrative that is addictively interesting and, at times, somewhat troublingly unreliable. (…) But while the streamlined story arc he fashions—this is essentially an age-old cautionary tale of scientific progress run amok—makes “The MANIAC” highly readable, it brooks very little uncertainty or nuance. A bit of a Dr. Frankenstein himself, Mr. Labatut arrogates the power to imagine the innermost thoughts of real people, and he has shaped those thoughts to conform to a portentous vision of spiritual terror. The science and biography lend a veneer of factual validity to what is really a work of fantasy. Certainly read this gripping, provocative novel—but read it with utmost skepticism.(…)

https://www.wsj.com/arts-culture/books/fiction-the-maniac-by-benjamin-labatut-c54ad210


L’Express, 17 décembre, article payant      

Lendemain, licorne, tante… Petite histoire des “mots soudés”

Sur le bout des langues. Nous ne nous en rendons pas toujours compte, mais de nombreux termes de la langue française sont issus de la jonction de plusieurs mots différents. Et parfois de manière extravagante…

Extraits:

C’est le genre d’histoire que j’adore. Savez-vous qu’une licorne s’appelle ainsi à la suite d’une double erreur? Eh oui! Cet animal fabuleux se nommait en latin unicornis, autrement dit “doté d’une seule corne”. Seulement voilà : au fil du temps, notre “unicorne” a été comprise comme l’article indéfini “une” suivi du nom “icorne” : “une icorne”. Dans la foulée, on a donc “logiquement” créé “l’icorne”, avec un article défini. Première erreur! Mais on ne s’en est pas tenu là. Un peu plus tard, on a perdu de vue qu’il s’agissait de deux mots séparés pour les rassembler en un seul : “l’icorne” est alors devenue “licorne”, d’où “la licorne”! (…)

C’est là une illustration amusante du destin de certains termes que l’on appelle les mots soudés. On les emploie tous les jours sans y prendre garde, en oubliant qu’à l’origine, ils se composaient de deux vocables différents. Et pourtant, ces agglutinations, comme disent aussi les linguistes, se rencontrent fréquemment, vous allez le voir.

Certains présentent tous les dehors de l’évidence. “Bonjour” correspond bien sûr à une composition associant “bon” et “jour”. “Bonhomme” à l’union de “bon” et d'”homme”. Il en va de même pour “adieu”, “entracte”, “madame”, “portefeuille”, etc.

D’autres ont été légèrement déformés par le temps et sont un (tout petit) peu plus difficiles à reconnaître. “Naguère” correspond ainsi à la soudure de l’expression “n’a guère” (il n’y a pas longtemps); “gendarme” à la liaison de “gens” et “d’arme”, et “vinaigre” à celle de “vin” et d'”aigre”. Dans ce dernier exemple, c’est la prononciation qui a changé, puisque l’on ne prononce pas “vin” “aigre”, mais “vi-naigre”. Au départ, pourtant, il s’agissait bel et bien d’un vin aigri par la production de l’acide acétique.

D’autres encore supposent de réelles connaissances linguistiques pour être reconstitués. Jugez plutôt :

L’expression “être dupe” est la contraction de “de” et de “huppe”, ce terme désignant un passereau réputé stupide. Terme argotique à l’origine, il a accédé par la suite à la langue littéraire avec le sens de “crédule”, “naïf”, “niais”, acceptions que l’on retrouve aussi dans “plumé” et dans “pigeon”. Pauvres piafs!

“Jadis” est l’évolution de l’ancien ja a dis,dis faisant référence aux jours (comme dans lundi, mardi, mercredi, tous issus du latin diem). Il faut donc comprendre “il y a déjà plusieurs jours”.

Plus extravagant encore : comme notre licorne, certains mots soudés résultent de “mécoupures” totalement rocambolesques. En clair : des erreurs dans la transcription écrite du découpage des sons que l’on entend à l’oral. Jugez plutôt.

On l’ignore souvent, mais “le lendemain” est un effroyable pléonasme! En effet, on a affaire ici à l’agglutination de l’article “l'” et du mot “endemain”. C’est à force d’effectuer la liaison que l’erreur a été commise. “L’endemain”, qui se suffisait à lui seul, a fini par être perçu comme un vocable en soi, si bien que l’on a éprouvé le besoin de le faire précéder d’un “le” superfétatoire. Un peu comme si l’on disait “le lavion” ou “le lorage”…

Même phénomène pour le lierre, qui s’écrivait au Moyen Age iereou ierre. Ce mot est en effet issu du latin hederaet devrait donc s’écrire “l’ierre”. Notons au passage que le vocable a également changé de genre, puisqu’il était au départ féminin.

“Tante” est la contraction de l’ancien français ta ante, ante (sans le “t” initial) désignant la soeur du père ou de la mère (on le reconnaît facilement dans l’anglais aunt).

Erreur encore pour “l’alaise” (on peut écrire aussi “l’alèse”) puisqu’il s’agit en fait de la laize, ce dernier mot ayant au départ le sens général de “largeur”, et notamment de “largeur d’étoffe”. C’est en raison d’une mauvaise interprétation que la laize est devenue “l’alaise”…

Il en va de même pour “la griotte”, qu’il faudrait en fait écrire “l’agriotte”, puisque le terme provient du provençal agriota(cerise aigre).

C’est aussi probablement le cas de “la boutique”, que l’on suppose venir du grec apothêkê(lieu de dépôt, magasin de vivres), l’aboutiquedevenant au fil du temps “la boutique”. On retrouve d’ailleurs le mot originel dans “apothicaire”, création tardive du XIIIe siècle.

Autant de bizarreries qui, selon certains, justifieraient une sérieuse réforme de notre orthographe, mais qui, selon d’autres, contribuent au contraire à faire le charme de l’alangue française…

Source : Dictionnaire historique de la langue française, éd. le Robert.

https://www.lexpress.fr/culture/lendemain-licorne-tante-quand-les-mots-se-soudent-au-petit-bonheur-la-chance-ADA6DLWF6JGV3D2IIMW7YWWKMA/