III. 2. L’Allemagne en crise


Frankfurter Allgemeine Zeitung, tribune, 23 novembre, article payant        

Wie es um unser Land steht: Kein Grund zur Panik um die deutsche Wirtschaft!

Wir sind nicht auf der Titanic und auch nicht in der DDR. Aber wir brauchen eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik. Eine Erwiderung auf den Befund von Werner Plumpe über den Zustand der deutschen Wirtschaft.

Extraits :

Am 11. November erschien in der F.A.Z. ein beunruhigender Artikel des pensionierten Frankfurter Wirtschaftshistorikers Werner Plumpe mit dem Titel Die gekaufte Zeit ist abgelaufen; die derzeitige Lage in Deutschland erinnere an die späte DDR, heißt es im Vorspann. (…)

Trotz aller aktuellen Probleme der Bundesrepublik ist der Vergleich mit der untergegangenen DDR für die Diagnose der Gegenwart wenig hilfreich. Die Bundesrepublik ist weit von einer Überschuldung entfernt. Sie gehört zu den wenigen Ländern der Welt mit einem AAA-Rating und rangiert damit knapp vor den USA und deutlich vor den meisten europäischen Staaten und erst recht weit vor Japan. Der Schuldenstand, der Anteil der öffentlichen Schulden am Bruttoinlandsprodukt (BIP), sank nach dem coronabedingten Höchststand und lag 2023 nur noch knapp über dem Maas­trichtkriterium von 60 Prozent des BIP. Das ist nicht ideal, aber kein Grund zur Panik.

Der Rückgang des Produktivitätswachstums alarmiert auf den ersten Blick. Er ist aber ein allgemeines Phänomen westlicher Industriestaaten. Er hat auch mit der Zunahme der Beschäftigung in Dienstleistungssektoren mit niedriger Produktivität zu tun. Dieser Struktureffekt egalisiert die produktivitätssteigernden Effekte der Digitalisierung, bei der die Bundesrepublik allerdings Nachzügler ist. Auch die nicht zu bestreitende gesamtwirtschaftliche Investitionsschwäche schlägt sich in den mauen Produktivitätszahlen nieder. Der Vergleich mit OECD-Durchschnitten ist aber nur bedingt aussagekräftig, da dort die Werte vieler sich entwickelnder Volkswirtschaften eingehen, die Erstinvestitionen in Bereichen tätigen, welche in Deutschland schon vorhanden sind. (…)

Untergangsnarrative haben jedoch schon länger Konjunktur, und die Standortdebatten schwelgen regelmäßig in düsteren Szenarien. Der Historiker Arnulf Baring meinte schon 1997 „das Beben des Bodens“ zu spüren, das die Zukunft Deutschlands gefährde. Er diagnostizierte eine nachlassende Wirtschaftskraft, einen schrumpfenden Mittelstand, steigende Arbeitslosigkeit und eine Überschuldung des Staates. Wir müssten also heute schon längst am Ende sein. Der massenwirksamste Untergangsapostel war 2010 der damalige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin. Sein Niedergangsepos „Deutschland schafft sich ab“ wurde zu einem der meistverkauften Sachbücher seit 1945. Es gibt wohl so etwas wie eine „German Angst“ oder eine „Lust am Untergang“ (Friedrich Sieburg), die den Blick für die Realität vernebelt.

Es sollte hier aber keineswegs der Eindruck entstehen, dass alle Sorgen unbegründet seien und man selbstzufrieden in die Zukunft blicken könne. Plumpe ist insofern zuzustimmen, als es aktuell hochbrisante Herausforderungen gibt, auf die entschieden und zeitnah zu reagieren ist. Möglicherweise würde dabei aber ein gewisser Optimismus nicht schaden. Zu den gravierenden Fehlentwicklungen zählt erstens der aufgeblähte Staat. (…)

Zweitens besteht eine notorische Investitionsschwäche, die unter anderem auch eine Folge der Überregulierung ist. Es fehlt daneben an einer international wettbewerbsfähigen Steuer- und Abgabenhöhe, an einer produktivitätsorientierten Lohnfindung und an Wagniskapital, um die großen Zukunftsaufgaben wie die Digitalisierung, die Ertüchtigung der Bundeswehr sowie die Energie- und Verkehrswenden zu bewältigen. Der Staat wies in den 2010er-Jahren zum Teil negative Nettoinvestitionen auf. Es begann der schleichende Verfall der Infrastruktur. Der vielfach angekündigte Abbau der Subventionen fand nicht statt. (…)

Drittens hat sich der Sozialstaat in ein gefräßiges Monstrum entwickelt, dessen Appetit ständig wächst. Er verschlingt schon jetzt auf Bundesebene bei Einbeziehung aller Ministerien über 50 Prozent des Haushaltes. Die Kosten des Sozialsystems betragen etwa das Zehnfache aller Investitionen der öffentlichen Hände. Der heute real existierende Sozialstaat ist schon aus demographischen Gründen langfristig unhaltbar. Seine Kostenexpansion ist gleichsam auf Autopilot gestellt. Der Bedarf an Zuschüssen der Sozialkassen aus dem Haushalt wächst ständig. Die Verlockung, über neue soziale Wohltaten Wählerstimmen gleichsam zu kaufen, besteht fort.

Der Sozialstaat hat sich partiell von einem System für bedürftige Menschen in Not zu einer allgemeinen Alimentierungsagentur entwickelt, die auch gut situierten Bürgern Leistungen auszahlt. Die Pflegeversicherung wird zuweilen als „Erbenschutzversicherung“ verspottet, da sie selbst Millionäre entlastet. Das Bürgergeld setzt im Zusammenspiel mit anderen großzügigen und zeitlich unbegrenzten Leistungen arbeitsfähigen Menschen starke Anreize, offene Stellen auszuschlagen. Der grassierende Sozialbetrug wird nicht effektiv bekämpft. Der entschiedene Rückbau des Sozialstaates ist politisch heikel, aber unvermeidbar. (…)

Viertens benötigte das Land eine Migrationspolitik, die diesen Namen verdient. Es sind in großen Zahlen geeignete Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben und Flüchtlinge schneller zu schulen und zu integrieren. Integrationsunwillige Zuwanderer sollten von Sozialleistungen ausgeschlossen und kriminelle schnell abgeschoben werden. Diese Minderheit erschwert die Eingliederung der Mehrheit gutwilliger Migranten und bietet Rechtspopulisten ein gefundenes Fressen. Ohne eine massive Einwanderung werden weder die Probleme des Arbeitsmarktes noch der Sozialkassen auch nur annähernd zu lösen sein. (…)

Fünftens schließlich fehlt eine klare, langfristig orientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Merkel und ihr sozialdemokratischer Wiedergänger Scholz haben sie nicht betrieben, sondern den Bürgern ganz opportunistisch vermittelt, dass alles so weitergehe wie bisher und keine einschneidenden Veränderungen zu befürchten ständen. Rücksichten auf Koalitionspartner und das ständige Schielen auf Meinungsumfragen brachten einen faulen Kompromiss nach dem anderen hervor. In der Summe ging Bestandsschutz stets vor Zukunftssicherung. (…)

Hartmut Berghoff ist der Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Göttingen und leitete von 2008 bis 2015 das Deutsche Historische Institut in Washington.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kein-grund-zur-panik-um-die-deutsche-wirtschaft-antwort-auf-werner-plumpe-110123521.html


The Economist, Leader, 22 novembre, article payant      

Germany cannot afford to wait to relax its debt brake

It should move before the election

Extraits :

GERMAN POLITICIANS and economists have bickered over the country’s “debt brake” for years. So it was no surprise that a row over the rule, a constitutional provision that bars the federal government from running anything other than minuscule budget deficits, finished off Olaf Scholz’s despised “traffic-light” coalition earlier this month. The good news is that the consensus for easing the brake to allow more public investment in bridges, buildings and brigades is now stronger than ever. The bad news is that a quirk of Germany’s electoral system could stop reform in its tracks.

Germany’s early election, expected on February 23rd, is likely to see Mr Scholz, from the Social Democrats (spd), tossed out of the chancellery and replaced with Friedrich Merz, leader of the centre-right Christian Democrats (cdu) (…)

The debt brake was written into the constitution under Angela Merkel, the previous cdu chancellor, in 2009. But thanks in part to pressure from the party’s regional chiefs, the cdu is coming round to the need for reform. Germany’s stagnant economy, which in real terms has barely grown since before the pandemic, and the need to fund Ukraine and its own army, the Bundeswehr, have added to the pressure.

The Economist’s preference would be to do away with the debt brake entirely, but we accept that may be a step too far for many voters. Instead, a Chancellor Merz would probably agree to ease the debt brake after the election in exchange for concessions from his coalition partners, perhaps on welfare or on immigration, as part of the give and take of coalition talks in Germany. The trouble is that, because the debt brake sits inside the constitution, amendments to it need two-thirds majorities in both houses of parliament. And polls suggest that when Germany votes next year, enough small parties could fall below the 5% threshold needed to enter the Bundestag to bestow a blocking minority on a pair of fringe parties—the hard-right Alternative for Germany and the new “left-conservative” Sahra Wagenknecht Alliance. (…)

In the normal course of things, working out the details of such far-reaching changes would be left until after the election. Making legally sound distinctions between productive investments and government consumption is hard. In addition, legal appeals to Germany’s powerful constitutional court would be inevitable. Mr Merz seems minded to follow this logic, hoping to obtain as high a price as possible from his coalition partners after the election.

But the dangers of waiting are too great. Should the afd and the bsw achieve their blocking minority, Mr Merz may find himself leading a government that cannot tackle urgent problems, including Germany’s crumbling public sector and Ukraine, which could be vulnerable if it had been forced into a bad peace. In that case, the cash-strapped Mr Merz might end up being a one-term chancellor. For his own sake, as well as Germany’s and Europe’s, he should act now. ■

https://www.economist.com/leaders/2024/


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22 novembre, article payant        

Deutschlands Wirtschaftskrise: „Wir Geisterfahrer“

Gastbeitrag von Hans-Werner Sinn: Die jetzige Krise der deutschen Industrie ist noch schlimmer als die Misere, die Schröder einst mit seiner Agenda 2010 bewältigte. Deutschland steht an einem historischen Wendepunkt. Seine Existenz als globale Wirtschaftsnation ist in Gefahr.

Extraits :

(…) Zentrale Brandherde liegen in der Automobil- und in der Chemieindustrie. Bei den Autos lag der Produktionsrückgang von 2018, dem Jahr der dramatischen Verschärfung der Flottenverbrauchswerte, bis jetzt bei 17 Prozent. In der Chemie betrug er in der gleichen Zeitspanne 15 Prozent, die gesamte Industrieproduktion schrumpfte um 13 Prozent. Viele andere Sektoren, so die Pharmaindustrie, die Elektrotechnik und der Maschinenbau, sind ebenfalls massiv betroffen. Die viel beschworene Deindustrialisierung ist kein Horrorszenarium der Zukunft, sondern seit sieben Jahren im Gange.

Was sind die Ursachen? Natürlich gehört die kriegsbedingte Durchbrechung der Handelsketten mit dem Rohstoff- und Energielieferanten Russland zu den Erklärungen. Die demographischen Verwerfungen aufgrund der Kinderarmut der Deutschen sind ebenfalls wichtige Treiber. Die Babyboomer, die heute sechzig Jahre alt sind, werden bald Arbeitsleistungen und Renten von Kindern verlangen, die sie nicht haben. Das Schulsystem ist außerstande, im internationalen Wettbewerb der Pisa-Tests zu bestehen. Der überbordende Sozialstaat kostet nicht nur viel Geld, sondern betätigt sich auf dem Arbeitsmarkt als mächtiger Konkurrent der privaten Wirtschaft. All dies bildet ein explosives Gemisch, das zur Erklärung der deutschen Krise beiträgt und dringenden Politikbedarf signalisiert.

Die wichtigste Erklärung liegt aber wohl doch auf dem Energiesektor, speziell der Klimapolitik. Unter dem Druck von EU-Verordnungen und EU-Direktiven, aber auch durch eigenen Entscheid hat sich Deutschland einem besonders ambitionierten Dirigismus verschrieben. Das ist die Giftliste: Ölheizungsverbot ab 2024; „Verbrenner-Aus“ 2035; Verschärfung der Flottenverbrauchsformel 2018; „Kohleaus“ bis 2038; Erdgasausstieg bis 2045; Planungen zum Rück- und Umbau der Gasnetze 2024; Energieeffizienzgesetz 2023; Atomausstieg 2023.

Kein Land der Erde folgt Deutschland bei seinem Atomausstieg. Wir sind der Geisterfahrer auf der Autobahn. Keiner hat etwas Ähnliches wie das Energieeffizienzgesetz, das eine Reduktion des Energieverbrauchs von 2008 bis 2045 um 45 Prozent verlangt, selbst wenn die gesamte Energie grün sein sollte. Nur Deutschland verordnet sich eine Deindustrialisierung.

Die deutsche Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre war nicht nur beispiellos, sondern auch utopisch. Warum, das sieht man unter anderem an den Vorgaben für den zeitlichen Ablauf der CO2-Reduktion. Deutschland hat sich verpflichtet, seinen CO2-Ausstoß über wohldefinierte Zwischenstufen bis 2045 gegenüber dem Jahr 1990 auf null zu reduzieren. Schaffen wir das, ist das realistisch? Leider nein.

Bislang, bis zum Jahr 2023, wurden schon 43 Prozent des hundertprozentigen Rückbauversprechens erfüllt. Das klingt beeindruckend, ist es aber nicht, denn die Ursachen lagen zunächst vor allem im Untergang der DDR-Industrie. Dann kam der Ausbau der grünen Energien. Seit 2018 trug die nun auch in Westdeutschland beginnende Deindustrialisierung zur Erfüllung der Vorgaben bei.

Es ist vollkommen unmöglich, in den bis 2045 noch verbleibenden zwanzig Jahren in die Gegend von null zu kommen, ohne alles kaputt zu machen. Was sind zwanzig Jahre? Ein Wimpernschlag der Geschichte. (…)

Noch im März 2023 sagte der Bundeskanzler: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland Wachstumsraten erzielen können wie tatsächlich in den 1950er- und 1960er-Jahren.“ Später sprach er vom „Wachstumsturbo“ und malte in schönsten Farben eine Wiederholung des Wirtschaftswunders an die Wand. Heute weiß jeder, welch absurde Fehleinschätzung seinen Aussagen zugrunde lag. Wie kann man durch Verbote und Gängelungen wirtschaftliches Wachstum erzeugen? Das ist genau das Gegenteil der Erhard’schen Rezeptur für das Wirtschaftswunder. (…)

Wie blindwütig die deutsche Politik voranschritt, sieht man daran, dass sie selbst noch während des Ukrainekrieges und nach der Zerstörung der deutsch-russischen Erdgasleitung weitere Kohlekraftwerke außer Betrieb nahm und die restlichen Atommeiler demolierte. (…)

Der grüne Strom braucht als Partner zwingend regelbaren konventionellen Strom zur Abdeckung der Dunkelflauten, und zwar unabhängig davon, wie viele Solarpaneele und Windräder installiert sind. Die doppelten Fixkosten für grüne und traditionelle Anlagen sind der Hauptgrund dafür, dass Deutschland so ziemlich die höchsten Strompreise der Welt hat. Es ist eben sehr schwierig, den grünen Flatterstrom, der aus Wind und Sonnenlicht gewonnen wird, auf der Zeitachse in jene Perioden zu verschieben, während derer er gebraucht wird. Das gilt insbesondere für das Unterfangen, diesen Strom im Sommer einzusammeln und ihn während der winterlichen Dunkelflauten zur Verfügung zu stellen. Wirtschaftlich auch nur halbwegs tragfähige Möglichkeiten, die saisonalen Differenzen zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt mit Speichern zu überbrücken, sind nicht in Sicht.

Ich möchte nicht missverstanden werden. Von der Notwendigkeit einer weltweiten Klimapolitik und dem Übergang zu CO2-freien Energieformen bin ich überzeugt. Die Erderwärmung ist ein Faktum und die menschliche Ursache sehr wahrscheinlich. Doch muss die gewählte Politik auch machbar sein und die angestrebten Ziele erreichen, ohne alles abzuwürgen und die Bevölkerung auf die Palme zu bringen. (…)

Am schlimmsten für unser Land sind die Verbrennerverbote, denn sie treffen ins Herz unserer Industrie, und das ist nun mal die Automobilindustrie. Dabei geht es nicht nur um das Vollverbot im Jahr 2035, sondern auch um die irrigen CO2-Verordnungen der EU, die Flottenverbrauchswerte definieren und dabei E-Autos mit einem CO2-Ausstoß von null unterstellen, obwohl deren Auspuff nur ein bisschen weiter im Kohle- oder Gaskraftwerk liegt. Moralisch ist diese Schummelei der EU auch nicht besser als die Abschaltvorrichtungen der Autohersteller. (…)

Ähnlich zu beurteilen ist der Versuch, den Import von Rohöl in der Chemie und von Kohle bei der Stahlindustrie zurückzudrängen und stattdessen Wasserstofftechnologien zu erzwingen. Der Zwang zum Umstieg treibt die Produktion aus dem Land, weil niemand den Wasserstoff bezahlen wird, auch nicht der Steuerzahler.

Leider hilft das Verbot, fossile Brennstoffe zu importieren, nicht einmal dem Klima selbst. Der Grund liegt in dem Umstand, dass dieses Verbot nur die Nachfrage nach Öl auf den Weltmärkten reduziert und nicht an der Wurzel des Problems anpackt, nämlich bei der Extraktion der fossilen Lagerstätten. (…)

Viele sagen, Deutschland und die EU hätten nur einen kleinen Einfluss auf das Weltklima, weil ihre Verbrauchsanteile klein sind. Das ist leider nicht richtig. Tatsächlich haben sie, zumindest beim Erdöl, gar keinen Einfluss, weil die von den Europäern nicht mehr verbrannten Kohlenstoffmengen anderswohin geliefert und dort verbrannt werden. Was wir Europäer ohne eine weltweite Koordination unserer Handlungen durch Verbrenner- und Verwendungsverbote erreichen können, ist bestenfalls eine Preissenkung für Rohöl auf den Weltmärkten. Doch führt eine solche Preissenkung dazu, dass andere Verbraucherländer den Klimaschutz unterlaufen, nicht aber dazu, dass die Förderländer dann weniger extrahieren. (…)

Das natürliche Experiment der Corona-Krise zeigt, dass zwar weltweit koordinierte Nachfrageeinschränkungen den CO2­­Ausstoß verringern können, etwa im Zuge eines wirksamen Klimaklubs, dass jedoch unilaterale Maßnahmen einzelner Länder oder Ländergruppen wie der EU vollkommen wirkungslos sind. Wer wo wie viel einspart, spielte außer in der Corona-Krise bislang keine Rolle für das Klima. Es spielte nur eine Rolle für die Frage, welche Länder ausgebremst und welche angeschoben wurden.

Der Versuch, einen wirklich umfassenden Klimaklub mit einem Emissionshandelssystem zu errichten, bleibt zwar löblich, doch wird er scheitern, solange sich die USA, China, Indien, Brasilien und mit ihnen viele andere aufstrebende Industrieländer einer messbaren Selbstbeschränkung versagen. Deshalb sollte Europa eine Kehrtwende vollziehen und sich vorläufig auf Maßnahmen konzentrieren, die auch im Alleingang sinnvoll sind.

Die Verbrennerverbote und CO2-Verordnungen sind sofort zu kippen. (…) Kein Recht kann stark genug sein, einen solch massiven Schaden für unsere Volkswirtschaft zu erzwingen, insbesondere dann nicht, wenn es für das Klima rein gar nichts bringt.

Die neueren der abgeschalteten 17 deutschen Atomkraftwerke sollten schleunigst wieder in Betrieb genommen werden. Das dürfte mit überschaubaren Kosten möglich sein.

Sodann sollte sich Deutschland auch an der Entwicklung kleiner modularer und inhärent sicherer Reaktoren beteiligen, wie sie in vielen Ländern vorangetrieben wird. (…)

Vor allem sollten wir damit beginnen, das bei der Verbrennung entstehende CO2 zu verflüssigen und in alte Lagerstätten von natürlichen Ressourcen und andere Kavernen unter dem Boden der Ozeane zu leiten. Der Wasserdruck hält das CO2 flüssig; und da es schwerer als Wasser ist, kann man es dort dauerhaft lagern. (…)

Grundsätzlich würde es sich für den Klimaeffekt sogar lohnen, wenn Deutschland mehr statt weniger fossile Brennstoffe auf den Weltmärkten kaufen, verwerten und danach in Form von CO2 sequestrieren würde. Das wäre nicht nur klimaneutral, sondern würde den CO2-Ausstoß der Welt verringern, weil der Kohlenstoff anderen, weniger umweltbewussten Ländern entzogen und neutralisiert wird.

Dieses Programm klingt verwegen für jene, die mich missverstehen wollen. Es ist aber nicht verwegen. Verwegen ist nur eine Politik der unilateralen Nachfrageeinschränkungen bei fossilen Kohlenwasserstoffen, die die Angebotsseite der Märkte außer Acht lässt und nichts anderes bewirken kann, als unsere Industrien zu ruinieren.

Hans-Werner Sinn war bis 2016 Präsident des Ifo-Instituts in München. Der Artikel ist die gekürzte Rede, die Sinn anlässlich der Verleihung des 30. Deutschen Mittelstandspreises an ihn Anfang November gehalten hat.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/deutschlands-existenz-als-globale-wirtschaftsnation-in-gefahr-hans-werner-sinn-110123342.html


The Economist, 21 novembre, article payant      

The Germans don’t do it better : Once dominant, Germany is now desperate

As an election looms its business model is breaking down

Extraits :

THE FINANCE ministry of the southern German state of Baden-Württemberg, home to giants like Bosch, Mercedes and zf Friedrichshafen, is not a bad spot from which to probe Germany’s anxieties. The country is gripped by fears of deindustrialisation as it heads into an election that seems certain to throw its chancellor, Olaf Scholz, out of his job if his party does not dump him first. That ministry’s occupant, Danyal Bayaz, frets that Germany has squandered the “globalisation dividend” of the past 15 years, underfunding the public realm in an era of low interest rates. Now, facing an energy squeeze, growing competition from China and the prospect of Donald Trump’s America slapping 10-20% tariffs on imports, the country’s business model, fears the minister, is “collapsing”.

Mr Bayaz laments Germany’s inability to get to grips with new tech, despite its strengths in basic research and engineering. He notes that Germany’s last successful big startup was sap, a software firm, founded just as an intensely sideburned Franz Beckenbauer led the West German football team to victory in the 1972 European championships. Germany has over 60 times as many people as Estonia, but only 15 times as many “unicorns” (privately owned startups worth over $1bn).

THE FINANCE ministry of the southern German state of Baden-Württemberg, home to giants like Bosch, Mercedes and zf Friedrichshafen, is not a bad spot from which to probe Germany’s anxieties. The country is gripped by fears of deindustrialisation as it heads into an election that seems certain to throw its chancellor, Olaf Scholz, out of his job if his party does not dump him first. That ministry’s occupant, Danyal Bayaz, frets that Germany has squandered the “globalisation dividend” of the past 15 years, underfunding the public realm in an era of low interest rates. Now, facing an energy squeeze, growing competition from China and the prospect of Donald Trump’s America slapping 10-20% tariffs on imports, the country’s business model, fears the minister, is “collapsing”.

Mr Bayaz laments Germany’s inability to get to grips with new tech, despite its strengths in basic research and engineering. He notes that Germany’s last successful big startup was sap, a software firm, founded just as an intensely sideburned Franz Beckenbauer led the West German football team to victory in the 1972 European championships. Germany has over 60 times as many people as Estonia, but only 15 times as many “unicorns” (privately owned startups worth over $1bn).

It is a familiar litany. German industry, especially its small and medium-sized Mittelstand firms, has focused on incremental innovation, leaving it unprepared for technological shocks like the advent of electric vehicles. Cosy links between business, banks and politicians bred complacency and resistance to reform. Dogmatic adherence to fiscal rules led to rusting bridges, decaying schools and delayed trains. Growth in foreign markets fattened Deutschland ag’s profits (and treasury revenues) for a while, but that export-led model left Germany exposed when the winds of globalisation turned chill.

Now Germany, which last year replaced Japan as the world’s third-largest economy, is reaping the harvest. It is difficult to discern any net growth in real gdp since before the pandemic. (…)

High energy prices, especially after Germany had to divest from Russian gas following Vladimir Putin’s invasion of Ukraine in 2022, are a common grumble among firms in a country where manufacturing still accounts for 20% of gross value added. That remains almost twice the figure for France, even though industrial production peaked in 2018 and has since sagged more quickly than elsewhere in the eu (see chart 1), especially in energy-intensive sectors such as steelmaking. (…)

Other laments include a lack of skilled workers, as Germany ages, and layers of red tape, much of it emanating from Brussels, that the Ifo Institute in Munich reckons cost the economy €146bn ($154bn) a year. One crucial development, according to Sander Tordoir of the Centre for European Reform (cer), a think-tank, is the changing relationship with China. In the 2000s and 2010s Germany was perfectly placed to satisfy Chinese appetites for its cars, chemicals and precision-engineered widgets: goods exports to China rose by 34% between 2015 and 2020, even as those to other countries fell. As recently as 2020 China was a net importer of cars but last year it became the world’s largest exporter. Chinese firms are morphing from customers to competitors, coming to eat the lunch not only of the German auto industry but also of the Mittelstand. “The car story is emblematic, but it’s also about machines and chemicals,” says Mr Tordoir.

As Clemens Fuest of Ifo notes, China now accounts for just 6% of total German exports, around the same share as the neighbouring Netherlands. But the China story is not just about export dependence. (…)

As German exports to China have declined, America has partly stepped into the breach (see chart 2). Some firms have been able to exploit opportunities opened by America’s decoupling from Chinese tech; others have grown fat on the subsidy bonanza triggered by the Inflation Reduction Act. But Mr Trump threatens all that. Not only do tariffs loom—the Bundesbank thinks they could lop a percentage point off German gdp—but new American restrictions could hit German manufacturers that use Chinese inputs. They will also accelerate Chinese exporters’ hunt for alternative markets, including Europe.

German industry is split on China, notes a diplomat: although many Mittelstand companies, especially machinery firms, back the policy of “de-risking”, carmakers and conglomerates like basf are doubling down. Volkswagen and bmw are planning big new investments in Chinese production, as are car-parts firms like Continental. (…)

The deindustrialisation story can be more complicated than it looks. Losing manufacturing jobs cuts into Germany’s already sagging productivity. But gross value added in manufacturing has remained stable even as production has slumped. Some German manufacturers, in other words, may be making more valuable stuff while selling less of it. This “quality over quantity”, as Deutsche Bank puts it, suggests a future for German firms in high-end tech, including fancy cars. Germany retains an edge in green technology, including wind turbines and electrolysers.

But this can hardly compensate for losses elsewhere. Germany must get over its “industry fetish”, reckons Moritz Schularick of the Kiel Institute for the World Economy. Energy-intensive industries have not grown for two decades. The car sector has been shedding jobs for six years, and a reversal seems unlikely. “For years they had this belief that ‘We are the best’, and suddenly it’s over,” says an eu official. (…)

For some, a handier tool for juicing the economy would be to reform another piece of the German model that no longer seems fit for purpose: the debt brake, a peculiarity of the constitution that limits the federal government’s annual structural budget deficit to 0.35% of output. The debt brake is an artefact of a bygone age, says Max Krahé of Dezernat Zukunft, a Berlin-based research outfit, when Germany relied on other countries running deficits to stoke its economy. In a world where globalisation has stalled, that model no longer works.

Meanwhile Germany’s public-investment needs—one widely cited estimate puts them at €600bn over ten years—have become too big to ignore (see chart 3). Moreover, fresh funds will have to be found for defence: this year Germany at last reached the nato target of 2% of gdp, but only thanks to a special fund that will soon expire, and even more is likely to be needed to appease the incoming Trump administration.

For these reasons, there is a growing sense that the next coalition, probably led by Friedrich Merz, leader of the centre-right Christian Democrats, will be open to a modest reform of the debt brake. (…)

Thorsten Benner, who runs Berlin’s Global Public Policy Institute, says Germany has swung from the “facile optimism” of the Angela Merkel years to a “gloom trap” in which dysfunctional politics, the constraints of the debt brake, overbureaucratisation and public distrust reinforce one another. He hopes the next government can act as a “circuit-breaker”.

That does not seem forlorn. So despondent has the mood become that, in contrast even to six months ago, there is a growing sense that deep-seated change is unavoidable. That will form the backdrop to the next coalition agreement, which may see a “grand bargain” in which Mr Merz accepts debt-brake tweaks if his partners agree to tax cuts or welfare reform. But there would be a grim irony to parliamentary arithmetic thwarting change just as the stars align for it. ■

https://www.economist.com/europe/2024/11/20/once-dominant-germany-is-now-desperate


Wall Street Journal, 21 novembre, article payant      

The Unusual Power of VW’s Union Boss Is Being Put to the Test

Daniela Cavallo faces the battle of her career as she fights what would be the first German factory closures in the automaker’s history

Extraits :

To hear Volkswagen VOW3 -1.08%decrease; red down pointing triangle union boss Daniela Cavallo tell it, the standard rules of capitalism shouldn’t apply to the world’s second-largest carmaker.

“Volkswagen is no normal company,” she said in a September speech to thousands of workers.

Labor is unusually powerful at VW. Cavallo’s explanation was historical: In the 1930s, the Nazis used union money to build the company’s first factory in Wolfsburg, North Germany.

“Volkswagen doesn’t just belong to shareholders. Volkswagen also belongs to us, the workforce,” Cavallo said.

The 49-year-old has shot to prominence in recent weeks for her central role in negotiations over what could be a wide-reaching overhaul of the car company. VW has proposed wage cuts and raised the specter of factory closures in Germany for the first time in the company’s history as it battles a host of troubles

Cavallo, who as head of VW’s works council represents more than 680,000 employees and has a seat on the company’s board, has vowed to fight plans for a major restructuring. (…)

The diminutive daughter of Italian “guest workers”—immigrants invited to fill labor shortages during Germany’s postwar “economic miracle”—Cavallo only received German citizenship in 2021. In the male-dominated, doctorate-driven German business world, she didn’t study at college, instead pursuing a professional training program at VW. (…)

At VW, Cavallo embodies the German tradition of Mitbestimmung or co-determination—the principle that rank-and-file employees help steer the companies where they work.

Large German companies are typically governed by supervisory boards split equally between representatives of workers and shareholders. These factions are jointly responsible for appointing the chief executive and other top managers, though the chairperson comes from the shareholder side and has a casting vote.

Labor’s influence at VW is further enhanced by public ownership. The state of Lower Saxony owns just over 20% of the company’s voting stock, and typically sides with workers. A special “VW law” requires a four-fifths majority vote for important shareholder resolutions, giving politicians a blocking minority.

Now the power of workers is being put to its toughest test in decades. The company is asking workers to help shoulder the pain amid a bumpy transition to electric vehicles, a shrunken home market in Europe and rising competition from lower-cost Chinese EVs.

VW has said significant changes are needed to boost the competitiveness of its core European operation, which it says has roughly two factories’ worth of excess production capacity.

In response, Cavallo has taken a more combative tone, shedding her reputation as a pragmatist during rhetoric-filled speeches to big crowds. (…)

Cavallo last year agreed to a wide-ranging cost-saving program. But the mood soured after management said the business needed bigger cuts to withstand a deteriorating market. VW’s net profit is forecast to fall by more than one-third this year. (…)

VW’s management hasn’t yet published detailed restructuring plans, beyond calling for a 10% general salary cut and other pay-related measures as part of the continuing wage negotiations.

How far the company can go depends in part on Lower Saxony. So far, Minister President Stephan Weil, who leads the state shareholding, hasn’t come down clearly on Cavallo’s side, as he did in her 2021 conflict with Diess.

“At the end of the day, a company needs to be competitive,” he told a German talk show last month, underlining how some capitalist norms do apply to VW.

Union power at VW also rests on the same foundation as at any other big industrial company: the threat of strikes. 

Workers downed tools this month at a small factory. Most of the company’s German plants are governed by a labor agreement that bars strikes before the end of November. (…)

Cavallo has started to dangle the possibility of a mass walkout. (…) “I can only warn all board members and everyone at the top of the company: Don’t mess with us.”

https://www.wsj.com/business/autos/the-unusual-power-of-vws-union-boss-is-being-put-to-the-test-9e2703be?mod=hp_lista_pos2


Der Spiegel, 21 novembre, libre accès  

What would a-Chancellor Merz do differently ?

Extraits :

Rarely in German history has the situation at the beginning of a campaign been as clear as it is right now. The CDU and CSU (together known as the Union) are far ahead of the other parties, twice as strong as Scholz’s Social Democrats (SPD). Indeed, Scholz is so unpopular that hardly anyone in his own party has much confidence in his ability to make up the deficit in the three months before the snap election, which has been set for February 23. It seems almost as though it has already been decided.

Campaigns, of course, don’t usually go as predicted. (…)

Should he find success, he will inherit a deeply insecure country in which the political fringes, especially the right, are stronger than ever – a situation that has produced a strange mixture of irritability and despondency. The next chancellor must finally convince German voters that the country needs to do much more – spend far more – for their own defense. He or she must reestablish positive relationships with Germany’s most important partners in Europe, France above all. Irregular migration must be brought under control while at the same time making the country more attractive to foreign experts. The next chancellor will have to fix the country’s aging infrastructure, prepare the welfare state for the future, ensure energy supply, strengthen Germany’s status as a place of doing business. And more. And all of those tasks must be tackled in a world where authoritarian systems are expanding their power and liberal democracy is on the defensive. (…)

In the campaign, Merz will try to draw a clear distinction between the conservatives and the SPD, and to the Greens as well. In truth, however, his platform is reminiscent of the one that Gerhard Schröder rode to victory over incumbent Helmut Kohl in 1998. Schröder promised that he didn’t want to do everything differently, he just wanted to do a lot of things better.

https://www.spiegel.de/international/germany/germanys-new-elections-what-would-a-chancellor-merz-do-differently-a-12962697-685f-4067-b32c-465da1eb8332


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21 novembre, article payant        

Wirtschaftskrise: Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit im freien Fall

Die Industrie verliert im Konkurrenzkampf so stark wie nie zuvor, warnt das Ifo-Institut. Nur durch ein Bündel von Maßnahmen könne eine „großflächige Abwanderung“ noch verhindert werden.

Extraits :

(…) Als Gründe für den Abwärtstrend nennen die Ökonomen einerseits die vergleichsweise hohen Energiepreise, anderseits „den hohen Bürokratieaufwand“, höhere Kosten bei Vorprodukten sowie steuerliche Belastungen. „Die Gründe verursachen höhere Produktionskosten des Standorts Deutschland als in vielen anderen Ländern“, bilanziert das Ifo. (…)

 „Besonders negativ fällt die Bewertung auf den ausländischen Märkten aus. Außerhalb der EU stellt sich die Marktposition der deutschen Industrieunternehmen dabei am brenzligsten dar.“ Die Ifo-Analyse deckt sich mit internationalen Wettbewerbsrankings. In der renommierten Rangliste der Schweizer Hochschule IMD verliert Deutschland seit Jahren und ist auf Platz 24 zurückgefallen. (…)

„Die aktuellen Exportrückgänge sind das Ergebnis einer Kumulation erdrückender Faktoren. Eine global schwache Nachfrage, geopolitische Spannungen und Handelskonflikte treffen auf Zweifel an der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland“, sagte VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.

Als Kurzfristmaßnahme rät das Ifo-Institut zu einer „zügigen Regierungsbildung nach Neuwahlen auf Bundesebene“, mittel- und langfristig müsse die Wettbewerbsfähigkeit durch eine Verringerung der Energiekosten, einen Abbau bürokratischer Hürden und eine Modernisierung der Infrastruktur gestärkt werden. Nur dann könne eine „großflächige Abwanderung der industriellen Produktion aus Deutschland möglicherweise verhindert werden“.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/wirtschaftskrise-deutschlands-wettbewerbsfaehigkeit-im-freien-fall-110122648.html


New York Times, 21 novembre, libre accès

Ford to Cut 4,000 Jobs in Europe as Electric Vehicle Sales Slow

The American automaker said the cost-cutting measure would help it compete with Chinese rivals in the face of slowing demand for electric vehicles.

https://www.nytimes.com/2024/11/20/business/ford-layoffs-europe.html


L’Opinion, 19 novembre, tribune, article payant      

La CDU a en main l’avenir de l’Europe – par Hakim El Karoui

Dans un contexte de forte hausse des prix de l’énergie suite à la rupture de l’approvisionnement en gaz russe et de compression du marché chinois (en attendant la guerre commerciale sino-américaine), l’Europe est face à des choix stratégiques majeurs

Extraits :

L’élection de Donald Trump est, pour parler comme Stendhal, le « pistolet au milieu d’un concert » qui manquait pour réveiller l’Europe. A moins que ce ne soit le préalable à une fusillade mortelle qui enterrera définitivement le rêve européen, emporté par la décroissance et l’incertitude sur sa sécurité.

On connaît les termes du problème : l’Europe s’enfonce dans le cercle infernal de la perte de compétitivité, ses principaux leaders (Allemagne et France) sont affaiblis, l’attaque russe sur l’Ukraine est de plus en plus pressante et les Européens de plus en plus dépendants du soutien américain. (…)

Dans un contexte de forte hausse des prix de l’énergie après la rupture de l’approvisionnement en gaz russe et la compression du marché chinois (en attendant la guerre commerciale sino-américaine), l’Europe est face à des choix stratégiques majeurs.

Mais qui va prendre la décision ? Avec quelle dynamique ? Quels leaders ? Emmanuel Macron est affaibli par sa défaite politique de l’été et les impasses financières françaises. Olaf Scholz, lui, vient de congédier son ministre des Finances, Christian Lindner (…). La coalition a explosé. De nouvelles élections vont très probablement avoir lieu dans quelques mois, à la fin de l’hiver.

Dès lors, l’avenir de l’Europe repose sur les épaules d’une formation politique, la CDU, et d’un homme, Friedrich Merz, son leader. Pourquoi ? Parce que la CDU est largement favorite des prochaines élections allemandes. Alliée au SPD, aux Verts et aux libéraux, la CDU aurait la majorité au Bundestag. (…)

Il a dénoncé récemment « l’état de désolation » dans lequel se trouve la politique étrangère et de sécurité commune européenne. Il milite pour un renforcement de l’aide à l’Ukraine et la fin des tergiversations. Mais, avec quel argent et quel matériel si les Américains ne suivent pas ? Friedrich Merz n’aura probablement pas d’autres possibilités que d’inventer une nouvelle étape de la construction européenne. Avec une dette commune? Un programme de rigueur imposé aux mauvais élèves ? Un accord avec l’extrême droite pour amadouer Trump? Les prochains moins seront décisifs.

Associé au sein d’un cabinet international de conseil en stratégie, Hakim El Karoui est normalien et agrégé en géographie. Ancien conseiller de Matignon, fondateur du club XXIe siècle, il est l’auteur d’essais comme Réinventer l’Occident ou La lutte des classes d’âges.

https://www.lopinion.fr/international/la-cdu-a-en-main-lavenir-de-leurope-par-hakim-el-karoui


Kiev Post, 19 novembre, libre accès  

Eurotopics: Scholz Calls Putin – Europe’s Press Reacts

Europe’s commentators criticise the call and discusse it in connection with Scholz’s candidacy in the upcoming federal elections

Extraits:

For Jutarnji list (Croatia), Scholz’s call to the Kremlin was a disgraceful mistake:

“Why did Hungarian Prime Minister Viktor Orbán face a hail of criticism when he travelled to Moscow in July, but when the German chancellor calls the Kremlin that’s okay? Orbán and Scholz both did something that is forbidden – they spoke to a war criminal about Ukraine without Ukraine’s prior knowledge. … Scholz is a political corpse and without doubt the worst German chancellor since reunification. His predecessors Helmut Kohl, Gerhard Schröder and Angela Merkel were high-calibre statespeople, just like Konrad Adenauer and Willy Brandt in the distant past. Unlike theirs, his legacy is an economically and geopolitically weakened Germany.”

Europe has no use for a chancellor like this, Corriere della Sera (Italy) rails:

“Germany and, by extension, Europe, have wasted three years under the leadership of Olaf Scholz, a chancellor without merit who, after raising hopes with his famous ‘turning point‘ speech, tried to salvage what was left of an untenable model instead of reinventing it. Devoid of charisma and incapable of providing the leadership he had promised, Scholz has made an already dysfunctional coalition ungovernable. … In a strange game of mirrors, while Germany’s voice in Europe has been weakened and is now barely audible, France is also paralysed: by a brilliant but out-of-touch and adventurous president, and now by a government without a majority.”

https://www.kyivpost.com/post/42455


Frankfurter Allgemeine Zeitung, opinion, 19 novembre, article payant        

Herr von Humboldt und die Bundestagswahl

Am 23. Februar entscheiden die Bürger, wer sie künftig regieren soll. Zur Auswahl stehen zwei fundamental unterschiedliche Vorstellungen von Staat und Gesellschaft. Warum es sich lohnt, Herrn von Humboldt zurate zu ziehen.

Extraits :

In der wirtschaftspolitischen Debatte Deutschlands stehen sich aktuell zwei unterschiedliche Denkrichtungen gegenüber. Auf der einen Seite gibt es die Hoffnung auf eine Industriepolitik durch staatliche Feinsteuerung über kreditfinanzierte Subventionen und selektiv ausgewählte Regulierungen. Auf der anderen Seite wird eine marktbasierte, diskriminierungsfreie und somit technologieoffene Angebotspolitik durch eine umfassende Verbesserung des Ordnungsrahmens gehandelt. Einmal geht es um direkte Wirtschaftseingriffe etwa zur Stärkung einzelner sogenannter Schlüsselindustrien (Auto, Zulieferer, Chip) als Reaktion auf eine geopolitisch veränderte globale Ökonomie. Das andere Mal geht es um die Schaffung optimaler Wettbewerbsbedingungen für alle, nicht nur für ausgewählte Firmen.

So ungefähr steht es auf Seite fünf in Christian Lindners auch nach dessen Rausschmiss aus dem Kabinett sehr lesenswertem Scheidungspapier „Wirtschaftswende Deutschland“. Die Beschreibung der Alternative ist zutreffend; der Bürger hat bei der bevorstehenden Bundestagswahl eine echte Wahl. Solche Klarheit gab es in den Merkel-Jahren nicht. Insofern ist diese Wahl ein Glücksfall, nicht nur, weil es höchste Zeit war, die Ampel abzuschalten.

„Aktive Industriepolitik“ gilt als modern, „Ordnungspolitik“, „Angebotspolitik“, „Soziale Marktwirtschaft“ gelten als altmodisch und den heutigen Gefahren und Herausforderungen (Trump, China, Klima) nicht gewachsen. Weil Industriepolitik teuer ist, stört die Schuldenbremse, argumentiert etwa der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck. In den Augen von Grünen und SPD ist sie nichts anderes als ein Dogma der Ewiggestrigen in der FDP (und Teilen der Union). Dass das Verschuldungsverbot vom Grundgesetz vorgeschrieben wird, unterschlagen die „Modernisierer“ dabei. (…)

Grün und Rot wollen aktive Industriepolitik; Liberale und Union wollen Angebotspolitik. Die anderen Parteien lassen wir außen vor. Wenn es gut geht, entscheiden die Bürger am 23. Februar zwischen einer konservativ-liberalen und einer rot-grünen Koalition. Im Kern geht es dabei um zwei fundamental unterschiedliche Vorstellungen vom Staat und dessen Verhältnis zu Markt und Gesellschaft. Wie viel Steuerungskompetenz und Bürgerwohltätigkeit soll und kann sich der Staat zutrauen?

In diesen Wahlkampf-Wochen gibt es die Chance, den ein oder anderen Klassiker zurate zu ziehen. (…) Heute bringe ich Wilhelm von Humboldts 1792 erschienene „Ideen zu einem Versuch, die Gränzen [sic!] der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ in die Debatte. Anders als Nozick schlägt Humboldt nicht der Vorwurf des kalten Neoliberalisten und Turbokapitalisten entgegen. Wilhelm und sein Bruder Alexander sind Nationalheilige, die die deutschen Werte eines neuhumanistischen Bildungsideals verkörpern.

Lange vor der Erfindung des umverteilenden Sozialstaats, aber im Angesicht eines sich am Glück der Untertanen orientierenden aufgeklärten Wohlfahrts- und Fürsorgestaates interessiert Humboldt die Frage, „ob der Staat auch den positiven Wohlstand der Nation oder bloß ihre Sicherheit abzwecken soll“. Wenn man so will, standen sich auch damals schon interventionierende Sozialpaternalisten und nüchterne Ordnungspolitiker gegenüber, die die Aufgaben des Staates auf die Garantie der Rahmenbedingungen für Bürger und Unternehmer beschränken wollten.

Humboldt schlägt sich auf die Seite der Ordnungspolitik. Ein Staat, der sich anmaße, in die Wohlfahrt seiner Bürger einzugreifen (selbstredend nur zu deren Bestem), müsse zwingend eine Beschränkung der Freiheit dieser Bürger in Kauf nehmen. Der Schaden, den dieser Eingriff anrichtet, sei allemal gravierender als der mögliche Nutzen staatlich gesteigerten bürgerlichen Glücksempfindens für Unternehmen und Gesellschaft.

Humboldts zentraler Satz lautet: „Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger und gehe keinen Schritt weiter als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist; zu keinem anderen Endzweck beschränke er ihre Freiheit.“ (…)

Wo der Staat das Soziale monopolisiert, werden die Menschen untereinander „zu gegenseitiger Hilfsleistung träger“. Mit anderen Worten: Der umverteilende oder mit Schulden finanzierte Staat macht die Menschen weniger solidarisch. Wenn meine Konkurrenten Subventionen bekommen, mein Unternehmen aber nicht, werde ich entweder resignieren oder, was wahrscheinlicher ist, mich ebenfalls in den Wettlauf um Staatsknete einreihen.

Übersetzen wir Humboldts Sprache des deutschen Idealismus in die Sprache des deutschen Wahlkampfes, dann folgt aus seinem Staatsbuch: Priorität für das Handeln des Staats hat die äußere und innere Sicherheit. (…)

Wenn Sicherheit teurer wird, kann nicht gleichzeitig auch das Soziale (Bürgergeld, Rente, Pflege) teurer werden. Hier bewährt sich die disziplinierende Wirkung der Schuldenbremse. Es geht nicht um einen Abbau des Sozialstaats, wie die SPD erzählt. Es reicht schon, ihn nicht ständig weiter auszubauen, würde Wilhelm von Humboldt heute konzedieren, großzügig seinen aufgeklärten Radikalismus von damals relativierend.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hanks-welt/hanks-welt-bundestagswahl-2025-aus-sicht-von-wilhelm-von-humboldt-110113704.html?premium=0xe4dc0d054f55c3c0a7823d56efd2970c2eab69213e2a99eb5108a3f5db484c35


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18 novembre, article payant        

Abschwung: Fünf Mythen über die Wirtschafts-Misere

Der Wirtschaft in Deutschland geht es nicht gut. Darunter leidet auch die Politik. Ob Konjunkturkrise, Energieproblem oder Massenarbeitslosigkeit – über die Ursachen gibt es einige Missverständnisse.

Extraits :

1. Mythos: Deutschland steckt in einer Konjunkturkrise

Trotzdem ist es falsch, die Misere als Konjunkturkrise zu beschreiben. Wer von Konjunktur spricht, meint damit meistens den einigermaßen regelmäßigen Wechsel zwischen guten und schlechten Jahren – die „Schwankungen im Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung“, wie das Wirtschaftsministerium selbst das Wort definiert. Doch die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands schwankt nicht. Deutschland kommt vielmehr seit fünf Jahren nicht vom Fleck. In der gleichen Zeit haben die meisten anderen europäischen Länder sich deutlich besser entwickelt, die USA noch viel mehr. „Die aktuellen Probleme sind strukturell“, sagt Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft.

Diese strukturellen Probleme werden nicht in ein paar Monaten oder Jahren wieder von allein weggehen. Das fängt mit der Überalterung der Gesellschaft an. „Die demographische Entwicklung bringt eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und der wirtschaftlichen Dynamik“, sagt der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest.

Dazu kommen Entwicklungen auf dem Weltmarkt, der die Exportnation Deutschland lange getragen hat, insbesondere das sich verändernde Verhältnis zu China. (…)

2. Mythos: Die Probleme begannen mit Putin

Während der Pandemie wurde Deutschland von seinen Nachbarn noch um die Stärke der Wirtschaft und um seine Finanzkraft beneidet. Als Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hatte, als Gas und in der Folge auch Strom in Deutschland teurer wurden, da begannen die Sorgen um die Wirtschaft. Doch die Ursachen sind älter, einige davon werden schon seit Jahren beklagt. (…)

3. Mythos: Das E-Auto ist schuld an der Autokrise

Hätten die deutschen Autohersteller nur früher auf Elektromobilität gesetzt, dann würden sie jetzt mehr Autos verkaufen – so heißt es oft. Ganz so einfach ist es nicht, denn die ersten Zweifel beginnen schon damit, dass die Fabriken mit der schlechtesten Auslastung und dem größten Personalabbau in Deutschland oft gerade die E-Auto-Fabriken sind, deren Absatz sich nicht so schnell entwickelt wie erhofft. Umgekehrt liegt es auch nicht unbedingt am Verbrennerverbot. In China werden mehr Elektroautos verkauft, doch auch dort sind die deutschen E-Autos nicht sonderlich beliebt.

All das hat nur zu kleinen Teilen damit zu tun, ob die deutschen Autobauer die Antriebsart beherrschen. Auch da ließe sich zwar mit mehr Erfahrung mehr herausholen. Mindestens so wichtig ist aber, was die Autos sonst zu bieten haben. VW leidet bis heute darunter, dass seine Software für die Autos nicht richtig vom Fleck kam. Fertig entwickelte Modelle konnten erst mit jahrelanger Verspätung auf den Markt kommen, als sie schon nicht mehr taufrisch waren. Was deutsche Autos an Unterhaltung bieten, passt ebenfalls nicht zur Nachfrage auf anderen Erdteilen. (…)

4. Mythos: Teure Energie ist das Hauptproblem

Dass Deutschland im internationalen Vergleich besonders hohe Energiepreise hat, wird immer wieder als Grund angeführt, warum Unternehmen lieber anderswo investieren. Es stimme zwar, dass die Strompreise in Deutschland „auf dem Papier“ hoch seien, sagt Moritz Schu­larick. „Wir haben aber gleichzeitig so viele Ausnahmen und Sonderregelungen, dass es schwer ist, überhaupt zu sagen, was der deutsche Industriestrompreis ist.“ Im Maschinenbau machen die Energiekosten ohnehin lediglich drei Prozent der Wertschöpfung aus. Schön sind hohe Stromkosten für diese Unternehmen nicht, aber sie sind auch nicht entscheidend für das Geschäftsmodell. Die wirklich energieintensiven Branchen, für die die Kosten eine größere Rolle spielen, machen nur drei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung aus. Die Energiepreise allein können also kaum erklären, warum gerade die gesamte deutsche Wirtschaft stagniert. (…)

5. Mythos: Dem Land droht Massenarbeitslosigkeit

Die Schwäche der Industrie schwächt auch den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahlen sind gestiegen, statt 2,2 Millionen suchen jetzt rund 2,8 Millionen Menschen eine Stelle. Andere finden zwar neue Arbeit, verdienen dort aber nicht mehr so viel wie früher. Angesichts der Schwäche der deutschen Wirtschaft darf dieser Anstieg allerdings trotzdem als ziemlich verhalten gelten. Die öffentliche Hand und staatsnahe Betriebe wie Krankenhäuser stellen immer mehr Menschen ein. Heute arbeiten in Deutschland so viele Menschen wie nie zuvor. (…)

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/abschwung-der-wirtschaft-fuenf-mythen-ueber-die-misere-110114101.html


Le Monde, 17 novembre, article payant

👎Allemagne : la fin du tabou de l’augmentation de la dette publique

Friedrich Merz, chef de file des conservateurs de la CDU et probable prochain chancelier, n’exclut pas de modifier la Constitution pour autoriser l’Allemagne à accroître ses dépenses. Le frein à l’endettement est accusé de limiter les investissements dont le pays a besoin.

Extraits :

Le prochain gouvernement allemand pourrait-il se réconcilier avec la dette, un mot si lourd de sens en allemand qu’il signifie à la fois endettement et culpabilité ? Friedrich Merz, le candidat conservateur de la CDU-CSU pour les élections législatives du 23 février 2025, et probable prochain chancelier, s’est montré ces derniers jours ouvert à l’idée d’une réforme du « frein à la dette », cette disposition constitutionnelle à laquelle les conservateurs allemands sont traditionnellement attachés, et qui corsète le déficit budgétaire à 0,35 % du produit intérieur brut (PIB) hors effets de la conjoncture.

Ce mécanisme, qui symbolise à lui seul toute la rigueur allemande en matière de finances publiques, fait l’objet de critiques récurrentes, qui se sont accentuées ces dernières années. Tenu responsable du manque chronique d’investissements dans les infrastructures délabrées du pays, il est désormais aussi brocardé pour ses effets sur la lenteur du réarmement allemand, alors que la guerre est aux portes de l’Europe. Les pays européens y voient également l’un des freins au redémarrage du Vieux Continent, dont l’économie allemande est historiquement le moteur, et menacé par la prochaine présidence de Donald Trump outre-Atlantique. A 60 % du PIB, la dette allemande est, de fait, l’une des plus faibles des pays de l’Organisation de coopération et de développement économiques (OCDE). (…)

Depuis le milieu des années 2010, les experts sont de plus en plus nombreux à souligner les effets pervers de cet instrument. Accusé d’abord de restreindre les investissements publics dans les infrastructures, même en période de croissance économique, le frein à l’endettement est devenu une bombe à retardement dans un contexte de perte de compétitivité du pays et de baisse des recettes fiscales. Plusieurs économistes de renom en Allemagne et à l’étranger, ainsi que le Fonds monétaire international, recommandent une réforme, arguant que le frein à l’endettement corsète l’action politique sans nécessité.

La débâcle politique du gouvernement Scholz, le jour même de la victoire de Donald Trump, peut-elle faire tomber les dernières réticences ? « Trump remet en question deux fondements sur lesquels l’Allemagne avait construit son succès depuis la seconde guerre mondiale : une économie mondiale ouverte et la sécurité militaire grâce aux Etats-Unis,analyse Moritz Schularick, président de l’institut économique de Kiel, dans le magazine Der Spiegel du 8 novembre. Tous les partis démocratiques doivent maintenant se réunir et exclure du frein à l’endettement les dépenses de défense financées par des crédits. La sécurité de l’Europe est menacée, cet instrument ne doit pas y faire obstacle. Il n’a jamais été conçu pour cela. »

https://www.lemonde.fr/international/article/2024/11/15/l-augmentation-de-la-dette-publique-n-est-plus-taboue-pour-la-droite-allemande_6394719_3210.html?lmd_medium=al&lmd_campaign=envoye-par-appli&lmd_creation=android&lmd_source=default


Le Point, 17 novembre, article payant   

Olaf Scholz brise la glace et appelle Vladimir Poutine

Pour la première fois depuis deux ans, le chancelier allemand s’est entretenu avec Vladimir Poutine. Un coup de téléphone qui irrite davantage qu’il ne fait naître l’espoir d’une solution pacifique.

Extraits :

Une heure. C’est la durée de la conversation téléphonique qu’ont eue, vendredi après-midi, Olaf Scholz et Vladimir Poutine. C’est le chancelier allemand qui en a pris l’initiative. Les deux dirigeants ne s’étaient pas directement parlé depuis le 2 décembre 2022, date de leur dernier échange téléphonique, qui n’avait abouti à rien. (…)

Pas question de laisser tomber l’Ukraine. L’Allemagne est, après les États-Unis, le premier pays pourvoyeur d’armes à l’Ukraine. « Nous sommes, rappelle Olaf Scholz, le pays européen qui a le plus soutenu l’Ukraine, et nous continuerons à lui apporter notre appui à l’avenir. En même temps, cela me contrarie beaucoup de voir que plusieurs pays qui s’étaient engagés à apporter leur aide ne l’ont pas fait. Notre message est clair : nous sommes prêts à soutenir l’Ukraine le temps qu’il faudra. »

En Allemagne, on s’interroge sur le moment choisi par Olaf Scholz pour tenter de relier le dialogue avec le chef du Kremlin. À l’approche du troisième hiver de guerre, l’Ukraine se trouve dans une situation particulièrement tendue face à la progression des troupes russes. Le retour de Donald Trump à la Maison-Blanche inquiète beaucoup les Allemands. Va-t-il tenter de conclure un accord de paix avec Vladimir Poutine sans demander leur avis aux Ukrainiens ? (…)

Mais le calendrier de politique intérieure explique aussi l’initiative d’Olaf Scholz. Après l’implosion de la coalition au pouvoir depuis près de trois ans, la date des élections anticipées a été fixée au 23 février. Le temps presse donc et la campagne doit être menée au pas de charge. D’autant que les chances d’Olaf Scholz, qui entend se représenter pour un second mandat, sont extrêmement minces. (…)

L’analyse du report des voix des récentes élections (européennes au mois de juin et trois régionales dans les Länder de l’Est à l’automne) montre que les partis aux deux extrêmes de l’échiquier politique ont profité de l’impopularité des partis de la coalition « feu tricolore » (SPD, Verts et libéraux) au pouvoir à Berlin. Or l’AfD à l’extrême droite et le BSW à l’extrême gauche réclament tous les deux l’ouverture de négociations de paix avec la Russie, la fin des livraisons d’armes et la levée des sanctions occidentales mises en place en février 2022 après l’invasion russe en Ukraine.

Le Bund Sahra Wagenknecht (BSW), fondé au mois de janvier dernier, a cartonné lors des élections régionales dans l’ancienne RDA. C’est la première fois que ce nouveau-né se présentera à des législatives et, si l’on en croit les récents sondages, il risque fort de franchir la barre des 5 % qui conditionne l’entrée au Bundestag. Sa dirigeante, Sahra Wagenknecht, fait de l’arrêt de l’aide militaire à l’Ukraine et de négociations diplomatiques avec Moscou la condition sine qua non à sa participation à toute forme de gouvernement de coalition au niveau régional.

Beaucoup d’électeurs de l’ancienne RDA partagent cette vision des choses et souhaitent que l’argent consacré à soutenir « inutilement » l’Ukraine soit employé à renflouer l’économie allemande en récession et dédié à des dépenses sociales en Allemagne. (…)

https://www.lepoint.fr/monde/olaf-scholz-brise-la-glace-et-appelle-vladimir-poutine-16-11-2024-2575472_24.php


The Economist, 15 novembre, article payant      

Kanzlerdämmerung : The sun begins to set on Olaf Scholz’s chancellorship

The contours of Germany’s coming election campaign are coming into view

Extraits :

IN MOST DEMOCRACIES a “snap” election might be expected a few weeks hence. In Germany, it will take three and a half months. Party lists must be drawn up, ballot papers printed, municipalities and volunteers mobilised. Moving any quicker, the chief elections officer has warned, would present “incalculable risks”. Yet measured against the usual tempo of change in Germany, political events have developed at a blistering pace.

On November 6th long-bubbling rows in Germany’s three-party coalition finally boiled over, when Olaf Scholz, the Social Democrat (spd) chancellor, fired Christian Lindner, his finance minister, leader of the liberal Free Democrats (fdp), in a spat over economic and fiscal policy. That evening, after eviscerating Mr Lindner as an “egotist”, Mr Scholz proposed subjecting himself to a confidence vote in January, and bringing forward an election scheduled for next September to late March.

But Mr Scholz’s plainly risible suggestion did not withstand intense pressure from the opposition centre-right Christian Democrats (cdu) and others; and after six days he bowed to the inevitable. The confidence vote, the first in two decades and only the sixth in post-war German history, will now take place on December 16th. As the head of what is now a minority government with the Greens, Mr Scholz will expect to lose it. That will set the stage for Germany’s president to dissolve parliament and call elections, now planned for February 23rd. The cdu may help pass a handful of laws in the meantime, says Kai Whittaker, one of its mps. (…)

The cdu and the Christian Social Union (csu), its Bavarian ally, are leading opinion polls with around 33%, a little over the combined score of the three parties of the late coalition. Depending on the election outcome, and in particular on whether the fdp secures the 5% needed to retain a presence in the Bundestag, the conservatives should have their pick of coalition partners. (Some in their ranks quietly wonder if an unprecedented outright majority is within reach.) Mr Merz himself has not won over German voters, but in head-to-head match-ups is well ahead of his deeply unpopular rival. Barring a huge surprise, he will ensure that Mr Scholz becomes one of the shortest-serving chancellors in Germany’s democratic history (see chart). (…)

Earlier the same day, Mr Merz, whose party led the effort to create the debt brake 15 years ago, offered his clearest hint yet that he would be open to reforming it, so long as doing so enabled investment rather than extra social spending. That looked like a signal to the spd and Greens, at least one of which is likely to rule in coalition with the cdu/csu, of how to prepare for post-election governing negotiations. If so, it is to be welcomed.

Yet there are also reasons to doubt that the coming campaign will squarely counter the serious challenges confronting Germany. In parliament, neither Mr Scholz nor Mr Merz had much to say about the threat posed to German prosperity and foreign policy by the return of Donald Trump, beyond 2016-era waffle about ensuring that Europe does more for its own security. It was left to the Bundesbank to warn that Mr Trump’s threatened tariffs could knock a full percentage point off German gdp. Is Germany ready for that?

https://www.economist.com/europe/2024/11/14/the-sun-begins-to-set-on-olaf-scholzs-chancellorship


Wall Street Journal, Opinion, 15 novembre, article payant      


Germany’s Government Gets Mugged by Climate-Change Reality

It all started with a 2023 court decision that made Berlin treat green policy like any other issue.

Extraits :

In case you missed it—there’s been some other big news the past week—at the same time the U.S. was electing a new administration, Germany was losing its old one. The awkward three-party coalition that has governed in Berlin since December 2021 collapsed on Nov. 6 in a paroxysm of policy sparring and political recriminations over climate policy. Chancellor Olaf Scholz announced this week he plans to call an early election for February, which he’s widely expected to lose.

This fulfills, albeit later than expected, a prophecy voiced in this column a year ago. Germany’s highest constitutional court ruled in November 2023 that the government’s climate spending must be paid for on the government balance sheet, rather than via off-balance-sheet borrowing as Berlin had intended. At a stroke green subsidies became subject to Germany’s version of a balanced-budget amendment. Henceforth if the government wanted to fund the green transition, it would need to raise new revenue or find offsetting spending cuts elsewhere.

The net effect of this ruling was to make climate change like any other political issue, which is to say one of fiscal trade-offs. Choosing between competing priorities is the essence of governing—at least if your country doesn’t issue the world’s reserve currency. Mr. Scholz’s administration couldn’t survive this new political pressure because its constituent parts were singularly ill-suited to performing this task in concert. (…)

Mr. Scholz’s Social Democratic Party (SPD) is internally divided on climate issues between its labor-union base and its upper-income urban wing. The Green Party, the other large coalition partner, has little to offer the electorate other than its commitment to fighting climate change no matter the cost, a project it describes in messianic terms. The coalition’s junior partner, the free-market Free Democratic Party (FDP), is sympathetic to the Greens’ good-governance ethos, but hostile to the antibusiness implications of net zero and the massive fiscal transfers required to offset those effects. (…)

It’s now impossible to avoid awkward questions about what Germany must really pay to achieve net zero and whether the benefits of doing so are really worth the cost. The end of Mr. Scholz’s administration finally came when he fired Finance Minister Christian Lindner, leader of the FDP, for crystallizing these arguments for the public. Mr. Lindner published a paper arguing the meager global benefits of decarbonizing Germany aren’t worth the fiscal and economic harms, and that Berlin should ditch net zero in all but name and pursue economic-growth policies instead. (…)

What’s collapsing here—aside from a German coalition—is the political method of net zero. That method, devised by activists and evangelized by political, business and media converts, was to shift the issue out of the political realm and into an otherworldly space where stopping climate change became a religious mission for moral redemption. But governments deliver budgets, not salvation. And when it comes to budgets, politics always wins.

https://www.wsj.com/opinion/germany-gets-mugged-by-climate-reality-coalition-collapse-began-with-2023-court-decision-d8b5210a?mod=hp_opin_pos_2#cxrecs_s


The Economist, 14 novembre, article payant      

Return of the Wundertüte : Donald Trump is bad news for German business

But some companies will be hit much harder than others

Extraits :

German bOSSES can’t catch a break. Since Russia’s invasion of Ukraine nearly three years ago their firms have been pummelled by surging energy prices, slowing demand in China, stiffening competition, fractious workers and a dysfunctional (though soon to be ousted) government. Shares in German companies have risen by just 3% since the start of 2022, compared with 16% for those in rich countries as a whole (see chart). Now the country’s CEOs are wringing their hands over Donald Trump’s return to power.

They have much at stake. America is by far their biggest export market. Last year Germany shipped $160bn-worth of goods there, and imported $77bn in return. Only China, Mexico and Vietnam have larger trade surpluses with America. That will put German businesses squarely in Mr Trump’s protectionist cross-hairs. Shortly after the American election the bdi, Germany’s main industry association, warned that, with Mr Trump back in the White House, “the tone will become harsher and the protectionist course will consistently be pursued.” The Ifo Institute for Economic Research in Munich has estimated that German exports to America could drop by as much as 15% if the president-elect sticks with his promise of slapping a tariff of up to 20% on all imports.

Germany’s bosses may take solace from three things. The first is that Mr Trump often blusters, and much of what he has said will not come to pass. “Nobody knows what lies ahead with the Wundertüte [bag of surprises] Trump,” says Michael Hüther, head of the German Economic Institute, a think-tank in Cologne. (…)

And however hard Germany is hit with tariffs, China is bound to be hit harder still—a second source of consolation for Deutschland AG. Mr Trump has spoken of imposing a 60% levy on imports from China, which compete with those from Germany in industries ranging from white goods to machinery. (…)

Perhaps the biggest source of comfort, at least for some German businesses, will be the investments they have already made to manufacture more of their wares in America. Lured by the country’s relatively cheap energy and the lavish subsidies on offer through the Inflation Reduction Act, German companies announced almost $16bn of investments in America last year, roughly double the previous year’s level and far in excess of the $6bn they pledged to China, according to fDi Intelligence, a data provider. Investments in America accounted for 15% of the total by German businesses abroad in 2023, compared with 6% the year before.

On the campaign trail Mr Trump declared, “I want German car companies to become American car companies. I want them to build their plants here.” They have already done that. Last year German carmakers manufactured 900,000 cars in America, half of which were exported, according to the vDA, a lobby group for Germany’s auto industry. That is much more than double the number they exported to America. (…)

Germany’s smaller manufacturers, collectively known as the Mittelstand, will not be so lucky. Few of them have the scale necessary to set up a factory in America. (…) Germany’s bosses are right to worry about the return of Mr Trump—but some stand to lose more than others. ■

https://www.economist.com/business/2024/11/13/donald-trump-is-bad-news-for-german-business


Le Figaro, 13 novembre, article payant

Pourquoi le modèle économique allemand est-il menacé d’effondrement?

ANALYSE – Compétitivité de l’industrie automobile, sous-investissement public, concurrence commerciale… L’Allemagne affronte des défis colossaux.

Extraits :

Tout un symbole. Dans le rayon des essais consacrés à l’Allemagne, Kaput, livre de l’ancien journaliste du Financial Times, Wolfgang Münchau, sorti début novembre, a succédé à Why the Germans Do it Better (Pourquoi les Allemands font mieux) du chroniqueur britannique John Kampfner, de 2020. En quatre ans, le regard du monde sur l’Allemagne, et des Allemands sur leur propre modèle économique, a profondément changé. Après des années de prospérité insolente, Berlin est en passe de redevenir l’homme malade de l’Europe. Les indicateurs illustrent la crise : selon les dernières prévisions du gouvernement : après un recul de 0,3 % l’an dernier, le produit intérieur brut (PIB) du pays devrait à nouveau fléchir de 0,2 % en 2024.

Ces deux années de récession rappellent de bien mauvais souvenirs à Berlin : la dernière fois que le pays avait connu un tel marasme, c’était juste avant les réformes Hartz, en 2002 et 2003. À l’époque, plombée par la facture de la réunification, l’Allemagne souffrait d’une compétitivité en berne. Libéralisation du marché du travail, refonte de l’assurance sociale… Pour relancer l’industrie, un remède de cheval, amer mais efficace, lui avait été administré. Le choc qu’affronte aujourd’hui l’économie allemande est comparable par son ampleur aux défis des années 2000.

Tous les piliers du modèle qui avait assuré la stabilité des années Merkel vacillent. D’abord la suprématie de l’industrie automobile est remise en cause par la concurrence chinoise, en avance vis-à-vis de l’Europe sur le sujet crucial de conversion aux technologies électriques. (…) « Quand l’industrie automobile commencera à décliner, tout le pays suivra », avance Wolfgang Münchau dans son essai. (…)

La guerre commerciale promise par Donald Trump avec des hausses de tarifs douaniers entre 10 % et 20 % devrait encore un peu plus complexifier la donne pour l’industrie européenne. (…)

La compétitivité de l’industrie est encore minée par le coût de l’énergie. Dépendant depuis vingt ans du gaz russe, l’Allemagne a dû revoir en catastrophe son système dans la foulée de la guerre en Ukraine. Elle importe désormais massivement du GNL américain, et promet de réorienter son modèle énergétique vers l’hydrogène et les renouvelables. (…)

Malgré les demandes de nombreux entrepreneurs d’un soutien à la croissance, la droite, comme les libéraux demeurent inflexibles sur les questions budgétaires. Christian Lindner a ainsi provoqué la chute de la dernière coalition en raison de sa farouche opposition à une inflexion au frein à la dette, mécanisme juridique qui encadre au plus près les dépenses publiques. La majorité des économistes réclament pourtant un assouplissement de ces règles. Fin octobre, un des responsables du FMI, insistait, dans un entretien à la Süddeutsche Zeitung : « Sans infrastructures fonctionnelles, il n’y a pas d’économie productive. » (…)

https://www.lefigaro.fr/conjoncture/pourquoi-le-modele-economique-allemand-est-il-menace-d-effondrement-20241112


Neue Zürcher Zeitung, opinion, 13 novembre, article payant     

Der Euro ist mitschuldig an der Krise in Deutschland – die Abschaffung der D-Mark war ein Fehler

Dass die Schweizer Wirtschaft erfolgreicher ist als die deutsche, liegt auch am Franken: Eine starke unabhängige Währung verhilft zu mehr Wohlstand. Diesen Trumpf haben die Deutschen leichtfertig verspielt.

Extraits :

Am 15. Januar 2015 erlebte die Schweiz einen traumatischen Tag – den Franken-Schock. Exakt um 10 Uhr 30 entkoppelte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Franken vom Euro. Über Jahre hatte sie einen fixen Euro-Kurs von 1.20 Franken garantiert. Das galt plötzlich nicht mehr: Stattdessen sollte der Markt das Kommando übernehmen.

Der Beschluss löste an den globalen Finanzmärkten eine Schockwelle aus. Die Schweizer Börse krachte auf einen Schlag um 14 Prozent in die Tiefe. Gleichzeitig wertete sich der Franken enorm auf – was die SNB zuvor mit aller Kraft hatte verhindern wollen. Anstatt 1.20 kostete der Euro nun weniger als 1 Franken.

«Job-Killer der Nation» nannte die Boulevardzeitung «Blick» den SNB-Präsidenten Thomas Jordan. Und illustrierte ihn als Monster Godzilla, das eine ganze Stadt verwüstet. Die Gewerkschaftszeitung «Work» zeigte ihn derweil vor einer brennenden Fabrikhalle unter dem Titel: «Jordan, der Zerstörer». Die desaströse Politik der Nationalbank führe die Schweiz in den Selbstmord, kritisierte das Blatt.

Die Abnabelung vom Euro war schmerzvoll. Trotzdem kann man zehn Jahre später festhalten: Der Entscheid hat sich gelohnt. Kaum jemand hierzulande wünscht sich noch einen fixen Wechselkurs. Nicht einmal die Gewerkschaften sprechen davon. Zu viele Vorteile hat die eigene Währung, welche eine unabhängige Geldpolitik ermöglicht.

Die zweite wichtige Lektion lautet: Von einer starken Währung, wie es der Franken ist, profitieren das Land und seine Bevölkerung. Mustergültig zeigt sich das am Kontrast zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg in der Schweiz und der tiefen Krise in Deutschland. Denn diese hängt wesentlich mit der Abschaffung der D-Mark und der Einführung des Euro zusammen.

Gewiss, man kann die jüngste Rezession auch mit unglücklichen äusseren Umständen erklären, wie das die gestürzte Ampelkoalition tat. Als Sündenböcke bemühte sie primär die hohen Energiepreise und die Dumping-Strategie der Chinesen in der Industrie, etwa bei den Elektroautos.

Damit erhielt sie einen Vorwand, um bedrohte Firmen aus dem Schiffsbau oder der Stahlproduktion mit Milliardengeldern künstlich am Leben zu erhalten. (…)

Mit Strukturerhaltung aber wird die deutsche Wirtschaft nicht aus der Misere herausfinden. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erodiert schon deutlich länger: Aktuell liegt die Industrieproduktion um 5 Prozent tiefer als noch im Jahr 2011. (…) In der Schweiz dagegen ist der industrielle Output in der gleichen Periode um 40 Prozent gestiegen. Notabene schaffte die Wirtschaft diesen Effort, obwohl der Franken zum Euro um 25 Prozent zulegte.

Statt die Schuld auf die Energiepreise und China zu schieben, sollte sich Deutschland fragen, warum seine Wirtschaft dermassen verletzlich geworden ist. Hier lohnt sich ein Blick zurück auf den folgenschweren Entscheid, die Deutsche Mark aufzugeben. Traditionell gehörte diese zu den härtesten Währungen der Welt. Im Vergleich zur italienischen Lira etwa verdoppelte sich ihr Wert alle zehn Jahre. Selbst mit dem Schweizerfranken konnte die D-Mark mithalten.

«Der Name Deutsche Mark ist ebenso untrennbar mit Wiederaufbau und Wohlstand wie mit dem hohen Grad gesellschaftlicher Stabilität dieses Landes verbunden», so lobte der damalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer kurz vor der Abschaffung der eigenen Währung. Diesen Trumpf hat Deutschland leichtfertig aus der Hand gegeben und ist ab 1999 ins Lager der Weichwährungsländer gewechselt. So hat sich der nominale Euro-Kurs zum Franken seit der Einführung beinahe halbiert, er sank von 1.60 auf 0.94.

Anfängliche Erfolge stellten sich schon bald als trügerisch heraus: Zwar profitierten die südeuropäischen Länder plötzlich vom deutschen Stabilitätsanker. Weil die Zinsen sanken, konnten sich Bürger und Staaten günstiger verschulden. Worauf in Spanien eine gigantische Immobilienblase entstand, während Griechenland auf den Staatsbankrott zusteuerte.

Der Crash fiel heftig aus: Südeuropa musste sich einer Rosskur unterziehen. Derweil sprang Deutschland mit grosszügigen Krediten in die Bresche. Und zog trotzdem den Hass der Südländer auf sich. Denn die Deutschen konnten – vermeintlich – sämtliche Früchte der Einheitswährung für sich einheimsen. Der billige Euro wirkte für die Exportfirmen wie ein gigantisches Subventionsprogramm: Dank dem Übertritt von einer Hart- zu einer Weichwährung explodierten die Ausfuhren der deutschen Industrie. Der Exportüberschuss kletterte in nur sieben Jahren von 60 auf 200 Milliarden Euro.

«Wir sind Exportweltmeister», jubelte Deutschland. In Wahrheit jedoch wirkten die künstlich aufgeblähten Überschüsse wie ein süsses Gift. Das Strohfeuer überdeckte zudem, dass die Produktivitätsfortschritte schon damals stagnierten. Derweil durchlief die Schweizer Wirtschaft mit ihrem harten Franken ein beständiges Fitnessprogramm. Um zu überleben, mussten sich die Firmen auf Geschäfte mit einer hohen Wertschöpfung fokussieren – in der Pharma oder Medizinaltechnik etwa gehören sie heute zur Weltspitze. (…)

Martin Hirzel, der Präsident des grössten Schweizer Industrieverbands, Swissmem, hat es kürzlich treffend formuliert: «Der starke Franken ist kurzfristig unser härtester Feind und langfristig unser grösster Freund.» Selbst den Franken-Schock von 2015 hat die Schweiz ohne Rezession überstanden – entgegen den anfänglichen Untergangsszenarien.

Die deutsche Wirtschaft hingegen, verwöhnt durch das Export-Dumping mit dem günstigen Euro, entging diesem Anpassungsdruck. (…)

Der Reflex ist stets derselbe: Sobald eine Wirtschaft stagniert, greifen die Staaten und Notenbanken zum Rezept der schwachen Währung. Damit allerdings werden die Probleme nicht gelöst, sondern höchstens kaschiert. Schlimmer noch: Die Leidtragenden sind die Konsumenten, sie verlieren an Kaufkraft. (…)

Der jüngste Inflationsschub hat indes eindrücklich vor Augen geführt, wie eine Weichwährung den Wohlstand untergräbt. Seit Ende 2020 summiert sich die Teuerung in Deutschland auf schmerzhafte 19 Prozent. In der Schweiz sind die Preise derweil um lediglich 7 Prozent gestiegen. Denn die SNB liess den Franken bewusst aufwerten, um die importierte Inflation zu dämpfen. (…)

Die deutschen Verbraucher zahlen somit einen hohen Preis für die Abschaffung der D-Mark. Wenn dieser Verzicht wenigstens die Industrie gestärkt hätte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der schwache Euro ist mitverantwortlich dafür, dass die Unternehmen nötige Strukturbereinigungen verschlafen haben.

Eigentlich wäre zu erwarten, dass die schädliche Wirkung des Euro zu heftigen Debatten in der deutschen Öffentlichkeit führen würde. Weit gefehlt: Was dem Land durch die Aufgabe einer unabhängigen Währung entgeht, ist kaum noch ein Thema. Man begegnet der Einheitswährung zunehmend mit Fatalismus.

(…) Der starke Franken ist nichts anderes als ein Gütesiegel für die Fitness der Schweizer Wirtschaft – auch wenn er den Exporteuren zuweilen schlaflose Nächte bereitet. Umgekehrt bleibt für Deutschland zu hoffen, dass die lange Tradition der harten D-Mark im Euro nicht gänzlich vergessengeht.

https://www.nzz.ch/meinung/der-euro-ist-mitschuldig-an-der-krise-in-deutschland-die-abschaffung-der-d-mark-war-ein-fehler-ld.1854161


Le Grand Continent, 12 novembre, libre accès         

« La situation est grave » : Scholz expose la crise politique en Allemagne

La coalition « feu tricolore » est tombée. Dans un discours d’une brutalité à l’opposé de son style politique, Scholz a défendu le bilan des trois ans de gouvernement SPD-Verts-FDP et attaqué frontalement Christian Lindner, limogé quelques heures plus tôt de son poste de ministre des Finances. Pour comprendre où va l’Allemagne alors que le pays s’apprête à entrer dans une campagne hivernale, il faut partir de cette traduction inédite et du commentaire ligne à ligne que nous proposons d’un discours historique — sans doute le moins « scholzien » d’Olaf Scholz.

https://legrandcontinent.eu/fr/2024/11/07/lallemagne-en-crise-gouvernementale-le-discours-de-scholz/


Le Figaro, 8 novembre, article payant

La coalition d’Olaf Scholz entraîne dans sa chute le couple franco-allemand

DÉCRYPTAGE – Le départ du FDP de la coalition au pouvoir à Berlin clarifie la ligne allemande à Bruxelles, mais fragilise les relations avec Paris.

Extraits :

Ce devait être son premier voyage à Berlin, mais la crise politique allemande en a décidé autrement : le ministre français des Finances, Antoine Armand, a été contraint de renoncer à sa visite, initialement programmée vendredi, auprès de son homologue Christian Lindner. Ce dernier a été démissionné la veille avec fracas par le chancelier Olaf Scholz, qui l’a accusé d’« égoïsme ».

Dans un surprenant jeu de miroirs avec l’Hexagone, le chef du parti libéral, se voyait reprocher son refus de laisser filer la dette pour financer l’industrie et accroître la sécurité du pays. Les deux ministres devaient parler de « simplification administrative » et du projet de réforme du marché européen de capitaux, jugé essentiel au financement de la croissance du continent. Exit ces discussions.

Ce contretemps diplomatique est loin d’être anecdotique. La crise politique allemande atteint la première économie de l’UE, dont le modèle industriel vacille, et qui est remis en cause par les tentations protectionnistes de Trump. Elle fragilise également un pays censé incarner la stabilité démocratique dans un continent gagné de longue date par les forces centrifuges. (…)

Trois jours avant Antoine Armand, le ministre français délégué à l’Industrie, Marc Ferracci, avait plaidé devant un auditoire allemand impuissant, en faveur d’une révision du plan européen de réduction des émissions automobiles de CO2. Berlin se retrouve impuissant à définir une ligne nationale pour le secteur phare de son économie. La visite de Marc Ferracci s’inscrivait dans une séquence de relance des relations franco-allemandes, par le gouvernement Barnier. Ce plan est désormais compromis. (…)

Principal bénéficiaire, dans l’immédiat, de la crise politique, la CDU pourrait rapidement se profiler sur le terrain diplomatique. Friedrich Merz, favori des sondages en cas d’élections, partage avec Emmanuel Macron de nombreuses orientations doctrinales et Michel Barnier fait partie de son camp. Aujourd’hui, malgré les pressions de la morale politique allemande et l’urgence diplomatique, le dirigeant conservateur refuse de conclure un compromis transitoire avec le gouvernement Scholz.

https://www.lefigaro.fr/international/la-coalition-d-olaf-scholz-entraine-dans-sa-chute-le-couple-franco-allemand-20241107


Eurotopics, Revue de presse européenne, 9 novembre, libre accès  

German government collapses: what’s going on?

After the collapse of the traffic light coalition between the the Social Democrats (SPD), Liberals (FDP) and Greens, Germany seems to be heading for new elections. Chancellor Olaf Scholz wants to wait until January to call a vote of confidence and put other important decisions to parliament in the meantime, but opposition leader Friedrich Merz (CDU) is pushing for elections as soon as possible. Europe’s press looks on in concern, but also sees opportunities.

https://www.eurotopics.net/en/?pk_campaign=et2024-11-08-en&pk_kwd=logo


Neue Zürcher Zeitung, 8 novembre, article payant     

Das Ultimatum des Kanzlers: elf Seiten für den Koalitionsbruch

Die Milliardenforderungen von Olaf Scholz für die Ukraine und die kriselnde Wirtschaft liessen Christian Lindner nur die Wahl zwischen Verfassungsbruch und Koalitionsende. Der FDP-Chef wählte Letzteres.

Extraits :

Elf Seiten umfasst das Dokument, das Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochnachmittag, kurz nach der wöchentlichen Kabinettssitzung, seinem Finanzminister Christian Lindner vorlegt. Der Inhalt: Steuererleichterungen für die Unternehmen, Energiekostenzuschüsse für die Industrie. Und auch weitere Militärhilfen für die Ukraine.

Viel Zeit bleibt dem FDP-Politiker nicht, um das Schriftstück mit seinen Beratern zu prüfen. Schon wenig später ist das nächste Treffen mit dem Kanzler angesetzt, diesmal im Koalitionsausschuss. Scholz drängt Lindner dort am frühen Abend zu einem Bekenntnis. Er will wissen, ob der FDP-Chef bereit sei, «den Weg mitzugehen», den der Kanzler in seinem Papier skizziert hat.

Spätestens jetzt dämmert es den FDP-Verhandlern: Was vor ihnen auf dem Tisch liegt, ist keine Wunschliste, sondern ein Ultimatum. Es ist ein Massnahmenkatalog, den es umzusetzen gilt, koste es, was es wolle: In Zeiten der Not sei Handeln nicht nur Recht, sondern auch Pflicht der Bundesregierung, wird Scholz später am Abend vor laufender Kamera erklären. (…)

Tatsächlich steht Scholz’ Massnahmenpaket rechtlich auf wackeligen Beinen. «Ein grosser Gemischtwarenladen» – so charakterisiert der Verfassungsrechtler Hanno Kube von der Universität Freiburg das «Ampel»-Paket. Von Netzentgeltsubventionen in Milliardenhöhe über Steuergeschenke an die Wirtschaft bis hin zu weiteren Ukraine-Hilfen reiche die Palette.

Dabei stellt der Experte vor allem die von der Bundesregierung bemühte «Notlage» als Begründung für neue Kredite infrage. «Einen exogenen Schock sehe ich gegenwärtig nicht», erklärt Kube im Gespräch mit der NZZ. Die Voraussetzungen für eine Notlagen-Kreditaufnahme seien damit nicht erfüllt.

Seine Begründung: Sowohl der Mittelbedarf für Bundeswehr und Ukraine-Hilfe als auch die Notwendigkeit wirtschaftlicher Impulse seien «seit Jahren bekannt». Der Jurist kommt zu folgendem Schluss: «Nur weil jetzt das Geld für eine weitere Ausdehnung der Staatstätigkeit nicht ausreicht, kann kein Notlagenbeschluss gefasst werden.»

Der Ökonom Stefan Kooths zweifelt zudem an der Sinnhaftigkeit der wirtschaftlichen Massnahmen. Statt die Ursachen der Energiekrise anzupacken, habe Scholz mit seinen Milliardensubventionen nur die Symptome verschleiert. Mit ermässigten Netzentgelten und ausgeweiteter Strompreiskompensation werde ein «dauerhafter Subventionstatbestand» geschaffen. «Der Standort wird in Summe nicht gestärkt, da die erforderlichen Mittel an anderer Stelle fehlen», mahnt Kooths.

Die Bundesregierung verkenne zudem die wahren Kostentreiber komplett. Die hohen Netzentgelte seien direktes Ergebnis einer Politik, die auf eine Stromversorgung hauptsächlich durch schwankungsanfällige Erneuerbare setze. Die Koalitionshoffnung auf sinkende Energiekosten durch die Öko-Wende entlarvt Kooths als Illusion: Dies gelte «nur für die variablen Erzeugungskosten, nicht für die systemischen Kosten». (…)

https://www.nzz.ch/international/das-ultimatum-des-kanzlers-elf-seiten-fuer-den-koalitionsbruch-ld.1856445


The Economist, 8 novembre, article payant      

The exploding traffic light : Germany’s fractious coalition falls apart—and how!

Olaf Scholz finally runs out of patience with Christian Lindner

Extraits :

EARLY IN THE morning of November 6th, as Europe digested the result of America’s presidential election, three senior figures in Germany’s government were huddling for crisis talks in Berlin. But Olaf Scholz, the chancellor, Robert Habeck, the vice-chancellor, and Christian Lindner, the finance minister, were not sketching a response to Donald Trump’s promised tariffs, or working out how Germany might compensate for a loss of American support to Ukraine. Instead, they were deciding whether to blow up their fraying coalition.

Barely 12 hours later, it was all over—and how. In a blistering speech delivered after last-ditch coalition talks fell apart Mr Scholz, from the Social Democrats (spd), eviscerated Mr Lindner, head of the pro-business Free Democrats (fdp), for his “completely incomprehensible egotism” and for “breaking my trust”. He fired Mr Lindner, announced a parliamentary vote of confidence in January, and said he expected that an election that had been due next September would be brought forward to March. Thus does one of the most unpopular governments in modern German history reach its ignoble end.

The three parties in the “traffic-light” coalition, which took office in 2021 promising to modernise the country, long ago ran out of patience with each other. But the proximate cause for the collapse was a set of demands for changes to tax, social and climate policy issued by Mr Lindner at the end of last week. Economists welcomed some of them; Germany’s stagnant economy desperately needs a reboot. But Mr Lindner, whose party was the smallest of the trio, will have known that his proposals were impossible for the spd and Mr Habeck’s Greens. His paper looked like a pretext to quit the government. In response Mr Scholz sought a compromise that would have obliged Mr Lindner to agree to a suspension of Germany’s deficit-limiting “debt brake”—a red line for the fdp—in part to enable more support for Ukraine. When his minister balked, Mr Scholz pushed him before he jumped. (…)

ew will mourn the end of Mr Scholz’s unloved coalition. Yet the chancellor’s move raises at least as many questions as it answers. Chief among them is how Germany will pass a budget for 2025. With a financing gap of around €8bn-9bn ($8.6-9.7bn) to plug, it was already unclear how the Bundestag would meet its deadline of November 14th. Now, without a functioning majority, Mr Scholz may have to strike a deal with the opposition Christian Democrats (cdu). Mr Scholz said he also hoped to work with the cdu to pass other measures, including on pensions and migration, before the Christmas break.

Yet Friedrich Merz, head of the cdu, does not want to dance to Mr Scholz’s tune. The morning after the coalition’s collapse he said the confidence vote should be brought forward to next week. (…)

Yet as time went by the government proved incapable of marshalling a proper response to Germany’s economic rot. The debt brake began to bite as revenues fell and spending pressures mounted, rendering unbearable the ideological differences between the fdp and its progressive partners. The traffic-light coalition was the first casualty of a political fragmentation in Germany that has made the business of forming coherent coalitions devilishly difficult. It may not be the last. ■

https://www.economist.com/europe/2024/11/07/germanys-fractious-coalition-falls-apart-and-how


L’Opinion, 7 novembre, libre accès  

Allemagne: Olaf Scholz limoge son ministre des Finances, des élections anticipées en perspective

Le chancelier allemand a remercié, mercredi 6 novembre, Christian Lindner, par ailleurs chef de file du Parti libéral-démocrate (FDP), ce qui a entraîné le départ du gouvernement de tous les ministres du même parti

https://www.lopinion.fr/politique/allemagne-olaf-scholz-limoge-son-ministre-des-finances-des-elections-anticipees-en-perspective


Le Point, 8 novembre, article payant    

En Allemagne, la coalition gouvernementale enterrée dans la douleur

Excédé par des mois de querelles avec son ministre des Finances libéral, Christian Lindner, le chancelier Scholz a décidé de donner le coup de grâce à « la coalition feu tricolore », à l’agonie depuis des mois.

Extraits :

La situation n’était plus tenable. Olaf Scholz a décidé de mettre fin à une coalition à bout de forces, épuisée par les querelles et les dissensions qui la discréditent depuis des mois. Le chancelier social-démocrate a annoncé hier dans la soirée qu’il ne souhaitait plus travailler avec son ministre des Finances, le chef du parti libéral Christian Lindner, et qu’il mettait fin à cette collaboration. Trois autres ministres libéraux partiront avec lui. Le gouvernement se retrouve en minorité au Bundestag, le parlement allemand.

Une annonce à laquelle on s’attendait depuis quelque temps à Berlin, mais qui a tout de même fait l’effet d’une bombe quelques heures après la victoire de Donald Trump. De nombreux analystes pensaient qu’Olaf Scholz allait retarder cette rupture annoncée pour ne pas fragiliser le pays alors que les cartes viennent d’être rebattues outre-Atlantique et que l’Europe a plus que jamais besoin d’une Allemagne forte et capable de prendre des décisions. Les chaînes de télévision ont été obligées d’interrompre en toute hâte leurs émissions spéciales consacrées à l’analyse du vote américain pour diriger leurs caméras vers la chancellerie.

Olaf Scholz, le visage grave, a assuré à ses concitoyens qu’il aurait préféré leur épargner un tel bouleversement par les temps qui courent. L’Allemagne, particulièrement dépendante des États-Unis en matière de sécurité et économiquement, risque d’être très affectée par le retour de Donald Trump à la Maison-Blanche. Sortant de sa légendaire réserve, Olaf Scholz, visiblement très en colère, n’a pas mâché ses mots vis-à-vis de son ministre des Finances, dont il dénonce le manque de loyauté, la volonté de bloquer systématiquement pour des motifs idéologiques les propositions de ses partenaires (…).

Des mots très durs auxquels Christian Lindner n’a pas tardé à répondre avec tout autant de virulence, accusant le chancelier de manquer d’ambition et de poigne : « Olaf Scholz a malheureusement démontré qu’il n’a pas la force de mener notre pays vers un nouveau départ. » (…) Christian Lindner affirme qu’Olaf Scholz l’a placé hier soir face à un ultimatum : soit vous acceptez de desserrer le frein à la dette, soit vous partez.

Le frein à la dette inscrit dans la Constitution est au cœur des divergences entre SPD et Verts, d’une part, et libéraux, de l’autre. Alors que l’économie allemande est en crise et qu’avec la victoire de Donald Trump le budget de la défense va devoir être renfloué pour soutenir l’Ukraine et mettre à flot la Bundeswehr, l’armée allemande, les divergences idéologiques entre les deux camps sont de plus en plus éclatantes. Le SPD et les Verts plaidant pour davantage de souplesse pour pouvoir procéder, si nécessaire, à des investissements, le FDP défendant bec et ongles la rigueur budgétaire. Le document exigeant des baisses d’impôts et des mesures pour protéger les entreprises que Christian Lindner a fait paraître la semaine dernière sans consulter ses partenaires a précipité ce divorce attendu.

Olaf Scholz a donc choisi une solution radicale, selon le vieil adage allemand : mieux vaut une fin dans la douleur qu’une douleur sans fin. Il a annoncé qu’il soumettrait un vote de confiance au Parlement le 15 janvier. Des élections anticipées devraient avoir lieu au plus tard à la fin du mois de mars (au lieu du 28 septembre 2025), 60 jours après la dissolution, comme le veut la Constitution. (…)

https://www.lepoint.fr/monde/en-allemagne-la-coalition-gouvernementale-enterree-dans-la-douleur-07-11-2024-2574658_24.php#xtmc=lindner&xtnp=1&xtcr=1


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8 novembre, article payant        

FDP-Forderungen: Was taugt Lindners Wirtschaftspapier?

Climat, retraites, impôts, travail : le ministre des Finances exige des réformes économiques de grande envergure. Des experts de premier plan examinent ses idées pour la F.A.Z. de fond en comble.

Klima, Rente, Steuern, Arbeit: Der Finanzminister verlangt weitreichende Wirtschaftsreformen. Führende Fachleute prüfen für die F.A.Z. seine Ideen auf Herz und Nieren.

Extraits :

1. Unternehmenssteuern senken

Deutschland positioniert sich im internationalen Standortwettbewerb als ein Land, das keine Investitionen und keine Gewinne haben will. So beschreibt der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, die steuerliche Lage. Im Kreis der großen Industriestaaten stehe Deutschland mit einer Steuerlast von 29,9 Prozent auf Unternehmen an der Spitze, sagt Fuest. „Es ist keine günstige Position, der Allerteuerste zu sein“, sagt der Wissenschaftler. Die Vorschläge des Finanzministers, die Unternehmenssteuerlast mittelfristig auf 25 Prozent zu senken, hält Fuest in der Stoßrichtung hin zu mehr Wachstum für zielführend.

Kostenlos, oder selbstfinanzierend auf kurze Sicht, sei das aber nicht zu haben, erklärt Fuest. „Man muss es sehen wie eine Investition“, erklärt er. „Man lässt den Unternehmen mehr, um Wachstum zu erreichen, und muss dafür erst mal auf Steueraufkommen verzichten.“  (…)

2. Klimapolitik entschärfen

Lindner zufolge belasten in der Klima- und Energiepolitik übertriebene nationale Ziele die Haushalte und Unternehmen, ohne dass das im internationalen Kontext klimapolitisch Wirkung entfaltet. Er fordert, das deutsche Ziel der CO2-Neutralität bis 2045 auf den EU-Termin 2050 zu verschieben. Sonst übernehme die Bundesrepublik innerhalb des EU-Emissionshandels ETS die Aufgaben anderer Staaten. (…)

Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) sagt: „Es ist sehr vernünftig, weil immens kostensparend, Deutschlands Treibhausgasneutralitätsziel von 2045 auf 2050 zu verschieben“. Das hohe Tempo, mit dem Deutschland auf sein Klimaziel hinarbeite, „führt zu extrem teuren Fehlern, allen voran die unüberlegte Forcierung des Ausbaus der Photovoltaik-Leistung von heute 90 auf 215 Gigawatt im Jahr 2030, obwohl Stromspeicher, Netze und die Nachfrage fehlen“. Nationale Alleingänge seien kontraproduktiv: „Wenn sich Deutschland als klimapolitischer Musterschüler aufspielt, dabei die eigene Wirtschaft schädigt und die Politik wie beim Heizungsgesetz die Bevölkerung gegen sich aufbringt, wird das keine Nachahmung in der Welt finden.“ (…)

Die Streichung der Subventionen für Ökostrom nach 25 Jahren EEG-Förderung hält Ökonom Frondel für „längst überfällig“. Es sei richtig, CCS einzusetzen und die eigene Erdgasförderung anzukurbeln: „Es ist weitaus treibhausgasärmer, Erdgas per Fracking in Deutschland zu gewinnen, anstatt es als LNG in Tankern tiefgekühlt aus den USA zu importieren.“ Frondel setzt sich für einen einheitlichen europäischen CO2-Preis nach Einbeziehung von Verkehr und Gebäuden in den ETS ein: „Das würde helfen, auch die USA und China von den Vorteilen eines Emissionshandels zu überzeugen.“ (…)

3. Rente anpassen

Im Wendepapier dringt die FDP auf die „Eindämmung des Anstiegs der Sozialversicherungsbeiträge“. Das Gegenteil bewirkt jedoch das geplante „Rentenpaket II“ der Ampel, das die Rentenkasse mit Zusatzkosten von 500 Milliarden Euro bis 2045 belasten würde. (…)

Statt den Gesetzentwurf, ein Herzensanliegen der SPD, zu stoppen, verlangt die FDP zwei zusätzliche Maßnahmen zur „Sicherung der Generationengerechtigkeit: Einerseits soll der Abschlag bei vorzeitigem Rentenbeginn steigen, andererseits die Berechnung des Mindestrentenniveaus verändert werden. Eckpunkt wäre dann künftig nicht mehr ein Rentner, der 45 Jahre Durchschnittsbeiträge gezahlt hat, sondern etwa 46 bis 47 Jahre, da das gesetzliche Rentenalter nun höher liegt und länger gearbeitet werden muss. Beides klingt technisch, könnte die Rentenausgaben aber durchaus bremsen, wenn SPD und Grüne mitziehen.

Beides „ist hilfreich“, urteilt der Rentenfachmann Axel Börsch-Supan. Allerdings reichen diese Korrekturen aus seiner Sicht nicht annähernd aus, um die Kosten der Stilllegung des Dämpfungsfaktors auszugleichen. „Klare Antwort nein!“, sagt er der F.A.Z. Selbst „die superoptimistische Berechnung des Bundesarbeitsministeriums“ sehe den Beitragssatz um rund vier Punkte ansteigen. Superoptimistisch sei diese Berechnung, weil sie auf Basis der 15. Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts (Ende 2022) von einer niedrigeren Lebenserwartung, einer steigenden Geburtenrate und hoher Migration ausgehe – inzwischen seien die gegenteiligen Tendenzen jedoch eingetreten. (…)

4. Arbeiten attraktiver machen

In Deutschland wird zu wenig gearbeitet, findet Lindner. Es brauche dringend verbesserte Rahmenbedingungen, um die Arbeitszeiten in Deutschland „signifikant auszuweiten“. Im Blick hat der FDP-Chef vor allem die Bürgergeldempfänger. In der Praxis führen die schlecht aufeinander abgestimmten Leistungen Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag dazu, dass es sich für viele Betroffene nicht oder kaum lohnt, mehr zu arbeiten. „Das System sollte reformiert werden“, schreibt Lindner.

Ifo-Ökonom Andreas Peichl findet das noch zu zurückhaltend formuliert. „Das System sollte nicht reformiert werden, es muss reformiert werden“, sagt er. Peichl selbst hat in den vergangenen Jahren verschiedene Reformvorschläge gemacht. Am meisten Sympathie hat der Volkswirt dafür, Transferempfängern vom ersten verdienten Euro an, 70 Prozent zu entziehen. Derzeit ist das System kompliziert, wer Arbeit aufnimmt, kann am Monatsende sogar weniger Geld in der Tasche haben. „Bei meinem Vorschlag gibt es zwar auch Verlierer und etwas mehr Transferempfänger, aber der Anreiz zu arbeiten steigt deutlich“, sagt Peichl.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-grosse-lindner-tuev-was-taugt-sein-


Die Zeit, Interview, 8 novembre, article payant

Michael Hüther: „Mit einer Sparschwein-Mentalität kommen wir nicht weiter”

Im Interview mit ZEIT Online fordert IW-Direktor Michael Hüther milliardenschwere Investitionen in Straßen, Bahn und Bildung. Der Sparkurs von Finanzminister Christian Lindner sei ideologisch.

Extraits :

(…)  Sie schrieben neulich in einem Beitrag, dass sich mit einer “Sparschwein-Mentalität” vielleicht ein privater Haushalt führen ließe, aber nicht die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Was meinen Sie damit?

Vor uns liegen gewaltige Aufgaben. Wir wollen bis 2045 klimaneutral sein und müssen dafür eine prägende Grundlage unserer Volkswirtschaft komplett umstellen, nämlich die fossile Energieversorgung. Selbst Lindners wirtschaftspolitische Berater haben inzwischen anerkannt, dass in Deutschland eine große Investitionslücke besteht, vor allem bei der öffentlichen Infrastruktur. Nun ist es aber so, dass allein der Staat verantwortlich ist für die Infrastruktur in diesem Land, kein anderer. Mit einer Sparschwein-Mentalität kommen wir deshalb nicht weiter. Da hilft es nicht, wenn der Finanzminister darauf hinweist, dass die öffentlichen Investitionen auf einem historischen Höchststand seien – und das gilt auch nur, wenn man die Inflation nicht berücksichtigt. Unsere Infrastruktursysteme sind weiterhin in einem schlechten Zustand. Lindner müsste nachweisen, dass wir mit der bisherigen Politik eine Trendwende schaffen.

Wie viel Geld müsste Deutschland aufbringen, um seine Infrastruktur grundlegend zu verbessern?

Wir haben dazu am IW schon im Sommer folgende Berechnung gemacht: Wir bräuchten rund 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren.

Also 60 Milliarden Euro pro Jahr, mehr als ein halbes Sondervermögen, wie es 2022 die Bundeswehr bekommen hat. Wofür so viel Geld?

Es würde in die Verkehrsnetze fließen, und zwar in alle. In das Bahnnetz, in das Autobahnnetz, aber auch in die Bundeswasserstraßen. Es würde auch einfließen in die kommunalen Straßen und die Landesstraßen, die häufig nicht mitgedacht werden. Es hilft nichts, wenn die Autobahnen funktionieren, aber die Anschlusssysteme nicht ertüchtigt sind und man nicht durch die Orte kommt. Das Geld würde in den Energiebereich fließen und in den Bildungssektor, wo letztlich die Innovationen stattfinden. Wir haben 20 Jahre lang mit unseren öffentlichen Investitionen unter dem Durchschnitt der Industrienationen gelegen. Das rächt sich jetzt. Übrigens wird auch das Sondervermögen für die Bundeswehr nicht ausreichen, um diese wirklich zu ertüchtigen. (…)

Christian Lindner und sein Wirtschaftsberater Lars Feld sind überzeugt, dass der Staat sich nicht direkt in den Markt einmischen sollte, also durch Subventionen und Regulierung für einzelne Branchen. Wie sehen Sie das?

Mich erinnert das an frühere Debatten, als man die deutsche Industriepolitik im starken Kontrast zur Herangehensweise in Frankreich gesehen hat. Darum geht es jetzt aber nicht. Wir haben ein Transformationsproblem, und zwar per Termin 2045. Der Staat macht dafür heute ein Versprechen an die Unternehmen, dass er die erneuerbaren Energien, das Netz und Speichermöglichkeiten ausbaut, sodass der Börsenstrompreis letztlich bei vier oder fünf Cent pro Kilowattstunde liegt. Das ist aber noch nicht der Fall. Die Unternehmen müssen trotzdem jetzt entscheiden, in welche Technologie sie für die kommenden 15 bis 20 Jahre investieren. Dazu aber findet man in dem jetzigen Konzept nicht viel Neues. Dieses Transformationsproblem allein über einen steigenden CO₂-Preis steuern zu wollen, wie die FDP das möchte, wird man nicht durchhalten. (…)

Der Bundeshaushalt ist schon jetzt über dem Limit, dabei erreichen die Investitionen noch lange nicht das Ausmaß, das Sie fordern. Woher soll das zusätzliche Geld kommen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auch trotz – oder gerade mit – der Schuldenbremse. Eine ist, man schafft ähnlich wie bei der Bundeswehr ein Sondervermögen, allerdings diesmal für einen Infrastruktur- und Transformationsfonds. Der wird von Bund und Ländern getragen und in einem Planungs- und Beschleunigungsgesetz festgeschrieben. Die Projekte, die man sich dann vornimmt, werden über zehn Jahre abgearbeitet. Das setzt allerdings voraus, dass die Maßnahme im Grundgesetz eingebaut wird. Christian Lindner argumentiert dagegen mit den europäischen Schuldenregeln. Nur ist Deutschland hier eigentlich kein Problemfall, unsere Schuldenstandsquote liegt momentan gerade einmal bei rund 63,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Europäische Kommission ließe sicher mit sich verhandeln, nicht zuletzt, weil sie dafür plädiert, dass Deutschland mehr investieren solle. (…)

Sie sagten neulich, dass sich “keineswegs die Pforten der Hölle öffnen”, wenn man die Schuldenbremse aufweicht. Sind Sie da ganz sicher?

Absolut. Es kommt immer darauf an, wofür man Schulden aufnimmt. Das gilt auch für jeden privaten Haushalt. Wenn Sie Schulden machen, um sich ein neues Handy zu kaufen oder um ins Kino zu gehen, dann haben Sie womöglich ein Ausgabenproblem. Es hat aber eine andere Qualität, wenn man einen Kredit aufnimmt, um ein Eigenheim zu kaufen, das einen Gegenwert hat, der sich über die Zeit entwickelt und der Altersvorsorge dient. So ähnlich ist es auch, wenn der Staat in die Infrastruktur investiert. Wenn wir in den kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro investieren, können wir auch mit zusätzlichen Steuereinnahmen rechnen, etwa in Höhe von 114 Milliarden Euro. Dadurch wäre ein Teil der Investitionen gedeckt.

https://www.iwkoeln.de/presse/interviews/michael-huether-mit-einer-sparschwein-mentalitaet-kommen-wir-nicht-weiter.html


Capital, 8 novembre, article payant

Ökonomen zum Ampel-Aus„Die Wirtschaft braucht so schnell wie möglich Neuwahlen“

Deutschlands Wirtschaft könne nicht bis zu Neuwahlen warten, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Ökonomen wie Ifo-Präsident Fuest widersprechen: Das Gegenteil sei richtig

Extraits :

(…) „Neuwahlen zu verzögern, um Einzelmaßnahmen noch durchs Parlament zu bringen, schädigt die Wirtschaftsentwicklung, weil die Phase der Unsicherheit verlängert wird“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest zu Capital. „Deshalb braucht die Wirtschaft so schnell wie möglich Neuwahlen.“ (…)

Schuldenbremse wird zum Wahlkampfthema

Das Thema Schuldenbremse wird daher aber unweigerlich den Wahlkampf bestimmen, meinen die Ökonomen. Ob und wie sinnvoll die aktuellen Regeln sind, darüber wird in der Szene leidenschaftlich gestritten. Ordoliberale Ökonomen wie Lindner-Berater Lars Feld wollen an ihr festhalten, die meisten, darunter auch die Ökonomen vom Wirtschaftssachverständigenrat, plädieren für umfassende Reformen der starren Regeln, und vor allem progressive Ökonomen würden sie am liebsten ganz abschaffen. 

„Ich halte einen wirtschaftspolitischen Durchbruch mit der aktuellen Schuldenbremse für unmöglich“, sagte ING-Volkswirt Brzeski. Man müsse zwar nicht die Schuldenbremse abschaffen – auch Sondertöpfe und Reformen seien möglich – aber klar sei, so Brzeski: „Die lange Liste an notwendigen Reformen und Investitionsvorhaben kann ich nur durchsetzen, wenn ich an der Schuldenbremse rüttele.“ Selbst die von Christian Lindner vorgelegten Pläne hätten nach Meinung Brzeskis wohl ein Aussetzen der Schuldenbremse notwendig gemacht. Auch wenn Lindner das selbst anders bewertet. (…)

Viele Ökonomen zeigen indes Sympathie für die Vorschläge Lindners. Diese sahen zum Beispiel Kürzungen beim Bürgergeld, Bürokratieabbau und Steuersenkungen vor. „Der Fehler von Christian Lindner besteht nicht darin, das Forderungspaper vorgelegt zu haben. Der Fehler von Christian Lindner besteht darin, dieses Papier nicht bereits im Sommer 2023 vorgelegt zu haben. Aber besser spät als nie“, sagte Flossbach-von-Storch-Experte Tofall. Und auch Brzeski hält die Forderungen grundsätzlich für richtig. „Das Papier enthält viele gute Elemente. Das Problem sind die rigiden Staatsfinanzen.“ (…)

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/lindner—scholz–oekonomen-sprechen-sich-fuer-schnelle-neuwahlen-aus-35207438.html


The Guardian, 8 novembre, libre accès  

German government collapses after Olaf Scholz sacks finance minister

Unexpected move throws Europe’s largest economy into political disarray and is likely to lead to snap elections in March

https://www.theguardian.com/world/2024/nov/06/german-government-on-brink-of-collapse-after-olaf-scholz-sacks-finance-minister


Wirtschaftswoche, 8 novembre, article payant

„Ich habe die Folgen des Energieeffizienzgesetzes durchgerechnet. Das Ergebnis ist erschreckend“

Wo könnte es Kompromisse geben zwischen Lindners Forderungen und Habecks Agenda? Top-Ökonom Clemens Fuest über vernünftige Vorschläge – und absurde Ideen.

Extraits :

(…) Das sogenannte Energieeffizienzgesetz ist ein Energieverbrauchsdeckelungsgesetz. Das ist absurd. Denn es gibt keinen Grund, den Energieverbrauch zu senken, unabhängig davon, ob Energie aus erneuerbaren Quellen ist oder nicht. Ich habe die Folgen einmal durchgerechnet. Das Ergebnis ist erschreckend.

Das Energieeffizienzgesetz verlangt bis 2030 eine Senkung des Energieverbrauches um rund 22 Prozent bis 2030. Damit es trotzdem normales Wirtschaftswachstum geben kann, müsste sich das jährliche Wachstum der Energieeffizienz ungefähr verdreifachen. Das ist unrealistisch. Das Gesetz ist damit ein Wachstumskiller. 

Es ist nicht einzusehen, warum da nicht differenziert wird zwischen grüner und nicht grüner Energie. Wir wissen genau, dass viele Zukunftstechnologien, etwa die Künstliche Intelligenz, extrem energieintensiv sind. Warum soll man dafür nicht mehr, aber eben saubere Energien verwenden? Das ist Gesetzgebung, die kontraproduktiv ist, wenn wir auf den Zukunftsmärkten künftig noch eine Rolle spielen wollen. 

Lindner fordert auch deshalb, dass Deutschland nicht der Musterschüler sein soll: es würde reichen, wenn Deutschland wie der Rest der EU erst 2050 Klimaneutral ist – und nicht schon 2045. Ist die Verschiebung aus Ihrer Sicht ebenfalls sinnvoll?
Ja, dafür spricht viel, denn für die gesamteuropäischen Klimaemissionen ist ja überhaupt nichts gewonnen, wenn wir schon 2045 klimaneutral sind. Wir ermöglichen anderen Ländern damit nur, über das EU-Emissionshandelssystem, das Emissions Trading System ETS, mehr Treibhausgase zu emittieren. Eine strikte Europäisierung der Klimapolitik wäre gut – was aber voraussetzt, dass die Bereiche Verkehr und Gebäude mit ins Emmissionshandelssystem aufgenommen werden, und zwar ohne Deckelung des CO2-Preises. Man muss betonen: Das ist schon voraussetzungsreich. (…)

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/zerbricht-die-ampel-koalition-ich-habe-die-folgen-des-energieeffizienzgesetzes-durchgerechnet-das-ergebnis-ist-erschreckend/30071224.html


Neue Zürcher Zeitung, 7 novembre, article payant     

Ein guter Tag für Deutschland: Das Elend der «Ampel» ist endlich zu Ende – Un bon jour pour l’Allemagne : La misère de la « coalition feu tricolore » est enfin terminée.

Der deutsche Kanzler wirft den liberalen Finanzminister aus der Regierung und stellt ihn als Hallodri dar. Seine Rede ist eine einzige Realitätsverweigerung.

Extraits :

Olaf Scholz bleibt sich auch im Niedergang treu. Während der Kanzler den liberalen Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend bei seiner Pressekonferenz in Berlin als kleinkarierten und vertrauensunwürdigen Taktierer beschimpft und aus der Regierung wirft, klopft er sich selbst auf die Schultern. Es ist ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei.

Die irreguläre Migration nach Deutschland? Habe die Regierung unter seiner Führung stark verringert, sagt Scholz. Energiesicherheit und Klimaschutz? Seien auf Kurs. Renten und Löhne? Gestiegen. «Deutschland ist ein starkes Land», behauptet Scholz. Es ist nicht die einzige kolossale Fehleinschätzung dieses Abends.

In Wahrheit ist Deutschland schon lange kein starkes Land mehr. Es ist eine von der Deindustrialisierung bedrohte Nation, deren Unternehmen unter einer enormen Steuerlast, viel zu hohen Energiekosten und einer aberwitzigen Bürokratie leiden. Die innere Sicherheit ist durch die nach wie vor weitgehend ungeregelte Massen- und Armutsmigration erodiert. Deutschlands Schulen werden in internationalen Vergleichen nach unten durchgereicht. Und die notorisch unpünktliche Bahn, die kaputten Brücken und die fehlenden Stromleitungen sind zum Schämen. Fast jeder weiss das. Nur der Kanzler biegt sich die Realität zurecht, auch jetzt noch. (…)

Die zweite Fehleinschätzung von Scholz steckt in seiner Warnung vor amerikanischen Zuständen. Die USA seien ein zerrissenes Land, wo politische Unterschiede Freundschaften und Familien zerstört hätten. «Das darf uns in Deutschland nicht passieren», mahnt der Kanzler nun und beweist damit ein weiteres Mal seine Fähigkeit, die Realität im eigenen Land auszublenden.

Deutschland ist längst ein zerrissenes Land, und auch daran haben Scholz und seine Partei kräftig mitgewirkt: einmal durch die «Willkommenskultur», auf die sie in der SPD heute immer noch stolz sind. Und einmal durch den Hang, jeden Kritiker daran als Rassisten, Rechtsradikalen oder Nazi auszugrenzen. Das zentrale Ergebnis dieser Politik war der Aufstieg der AfD. Die Rechtsradikalen sind im Osten des Landes heute – leider – das, was die SPD unter Scholz nicht mehr ist und vermutlich nie wieder sein wird: eine Volkspartei. Und ihr feindseliger Blick auf die etablierten Parteien ist auch eine Folge jener Ausgrenzung, die Politiker wie Scholz seit Jahren betreiben. (…)

Der erste deutsche Kanzler Konrad Adenauer hat die Westbindung gegen massive Widerstände durchgesetzt. Gleiches gilt für Helmut Kohl und die Wiedervereinigung oder Gerhard Schröder und seine Wirtschafts- und Sozialreformen zum Beginn dieses Jahrtausends. Sie alle waren Staatsmänner, die sich um ihr Land verdient gemacht haben, indem sie kompromisslos waren, als es darauf ankam. Olaf Scholz gehört nicht in diese Reihe. Er ist ein Beamter, der sich ins Kanzleramt verlaufen hat.

Gut, dass er bald gehen muss.

https://www.nzz.ch/meinung/ein-guter-tag-fuer-deutschland-endlich-sind-scholz-und-seine-ampel-am-ende-ld.1856369


The Economist, 24 octobre, article payant

The disrupter-in-chief : Germany’s populist superstar demands peace with Russia

In an interview Sahra Wagenknecht trashes the consensus on Ukraine—and much more

Extraits :

FEW GERMAN politicians divide opinion like Sahra Wagenknecht. A Putin-loving demagogue to her detractors, simply “Sahra” to her legions of adoring fans, Ms Wagenknecht has injected a high-octane blast of populism into a country that prefers its politics staid and consensual. Invariably decked out in her trademark high-necked jackets, Ms Wagenknecht rules the airwaves with her brainy but pointed polemics on Ukraine, immigration and other prickly subjects. Her political formula is unorthodox, yet the success of her Sahra Wagenknecht Alliance (BSW), a party she launched only in January, proves a talent for political entrepreneurship. And she has developed an uncanny knack for forcing other politicians to dance to her tune.

In an interview in her parliamentary office in Berlin, Ms Wagenknecht outlines her political philosophy and her aims. “Without a prominent face, no one knows what young parties stand for,” she says, explaining why she launched a party with her image and under her name (the BSW will eventually be renamed, she says). “It is simply a programme that corresponds to what many people want. On the one hand, social justice. On the other, a conservative politics based on cultural traditions and reduction of migration, and which addresses the question of war and peace.”

What Ms Wagenknecht calls her “left-conservative” politics blends a traditional left-wing menu—higher taxes on the rich, more generous pensions and minimum wage, scepticism towards big business—with a nationalist concern for cultural identity and a healthy dose of woke-bashing. The holder of a doctorate in microeconomics, she strongly backs Germany’s industrial model and its backbone of the Mittelstand, small and medium-sized business she credits with providing ordinary Germans with decent wages and careers. She says Germany’s government, which she has called the “stupidest in Europe”, has hobbled firms by putting sanctions on Russian gas, and she laments the “foolishness” of, for example, climate activists who wish to kill off the combustion engine, the source of so much of Germany’s past prosperity. And she is vocal about the “major problems” of irregular migration, which she says is “overwhelming Germany”.

Front and centre of her offer is Ukraine, or what she calls “peace”. Long steeped in the NATO- and America-bashing of the German hard left where she served her political apprenticeship, Ms Wagenknecht has found in the war an issue that clearly sets her aside from Germany’s pro-Ukraine mainstream. She condemns Vladimir Putin’s invasion, but says it sprang from Russia’s legitimate concerns over NATO expansion. In June, together with the hard-right Alternative for Germany (AfD), BSW MPs boycotted a Bundestag address by Volodomyr Zelensky, whose “uncompromising attitude” she blames in part for the ongoing fighting. There is a market for these views, especially in Germany’s east. (…)

Sarah Wagner, a BSW-watcher at Queen’s University Belfast, believes that Ms Wagenknecht does not want compromises over state governments to jeopardise her campaign for next year’s federal election, her real priority. “The basis of this party is opposition, and that isn’t going to work if they’re in government,” she says. One insider says the party would be delighted to retain its current polling level of around 9% at that election. That would be enough to turn the BSW into a spoiler, making the business of forming coalitions yet more complicated than it already is, but not enough to move Ms Wagenknecht’s party out of her oppositional comfort zone. Perhaps that is fine with her. ■

Germany’s populist superstar demands peace with Russia


NZZ, 16 octobre, article payant

Die Menschen in Ostdeutschland wollen wieder eine Wende. Dieses Mal soll sie aber nicht von den Wessis diktiert sein

Sie sind enttäuscht, das Versprechen des Westens von sicherem Wohlstand, von Freiheit, von parlamentarischer Demokratie hat ihnen nicht gebracht, was sie wollten. Sie sehnen sich nach der DDR, der Berechenbarkeit des Lebens, der straffen Führung von oben. Eine Fahrt durch den Osten Deutschlands.

Extraits :

Ein hässlicher Ausblick? «Man jewöhnt sich dran», sagt Thomas, der Tiefbauunternehmer. Manchmal, wenn das Abendrot auf die beiden dampfenden Meiler hinter seinem Haus fällt, werde ihm richtig warm ums Herz. Der 52-Jährige kramt sein Handy hervor und zeigt ein Foto. Stimmt schon: Die untergehende Sonne verleiht selbst dem Braunkohlekraftwerk «Schwarze Pumpe» eine gewisse Schönheit.

Thomas hat sich mit seinem Nachbarn zu einem Feierabendbier auf dem Parkplatz vor dem Haus getroffen, auf der Ladefläche seines Pick-ups steht eine Kiste Lausitzer Pils. Die beiden leben seit Kindesbeinen hier neben der Schwarzen Pumpe im südbrandenburgischen Spremberg. Er erzählt gerne von früher, von der DDR. Schmutziger sei es gewesen. Nach der Wende wurde dann ein neues Kohlekraftwerk gebaut, eingeweiht von Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit. Seither regnet es in Spremberg keine Asche mehr, auf den Apfelbäumen in seinem Garten wachsen Flechten und Moos. Lebt es sich heute besser? «Besser nicht», sagt Thomas. «Es ist anders.» Die Luft mag klarer sein, dafür fehle der Zusammenhalt. Früher hätten sich die Menschen mehr umeinander gekümmert, es habe weniger Egoismus gegeben. «Ham ja auch alle mehr oder weniger gleich viel verdient. Da war keiner mehr wert als der andere.» Ein wenig von der guten, alten Ordnung – das wünscht er sich jetzt zurück.

34 Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen. Aber die DDR, der ehemals sozialistische Osten Deutschlands, ist in den Köpfen vieler Leute immer noch allgegenwärtig. Wer durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen fährt, um zu verstehen, warum hier die in Teilen rechtsextreme AfD so erfolgreich ist, hört überall Anekdoten von früher. Nicht von den Foltergefängnissen, dem Schiessbefehl an der Grenze oder der Bespitzelung durch die Stasi. Sondern davon, dass das Leben berechenbarer war. Ehrlicher. Man hört von scheinbar Banalem, von Küchengeräten und Mopeds, die so gebaut wurden, dass sie möglichst lange funktionierten. Keine Wegwerfprodukte mit eingebauten Sollbruchstellen. Viele fühlen sich betrogen. (…)

Besonders im Osten Deutschlands ist die AfD mit ihren Parolen weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Sie ist zu einer bestimmenden Kraft geworden: stärkste Partei in Thüringen, wo der besonders radikale Scharfmacher Björn Höcke als Spitzenkandidat antrat. Nur knapp auf den zweiten Platz verwiesen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. (…)

Thomas, den Bauunternehmer, frustriert das. Die Ausgrenzung der Rechten sei undemokratisch, sagt er, sie solle ihre Chance zum Mitregieren bekommen. Kriegt sie aber nicht. «Es spielt keine Rolle, wie wir wählen. Am Ende schliessen sich die anderen Parteien zusammen.» Seine Stimme und die vieler anderer werde nicht ernst genommen. (…)

Die Sehnsucht nach den alten Verhältnissen schwingt bei vielen Rednern in Gera durch. Man trauert nicht dem Kommunismus nach, wohl aber der straffen Führung. Mehr noch als über die liberale Einwanderungspolitik, die Sanktionen gegen Russland und die teuren Klimaschutzmassnahmen schimpfen sie über die Schwäche der Regierenden. Über deren halbherzige Kompromisse – dem Wesen der parlamentarischen Demokratie geschuldet. Und ein Vorwurf kommt immer wieder: Als die DDR vor 35 Jahren am Ende war, sei man vom Westen «annektiert» worden. Nun aber liege das System der liberalen Demokratie, der «woke Wertewesten», in Trümmern. Und der Osten werde sich revanchieren. Es ist «payback time». Wendezeit, wie schon 1989. Der Osten will nicht werden wie der Westen. Er wollte es nie. (…)

Aber wurde die ehemalige DDR von der Bundesrepublik annektiert? Kein anderes Land des Ostblocks ist nach der Wende so weich gelandet. Immer noch liefert ein Teil der deutschen Steuerzahler 5,5 Prozent ihres Einkommens als «Soli» für den Aufbau der Wirtschaft im Osten ab. Grossstädte wie Dresden, Leipzig oder Jena haben sich in blühende Metropolen mit starker Industrie und Hightech-Konzernen verwandelt. Die Wirtschaftsleistung wächst in den neuen Bundesländern, während sie in den alten schrumpft. Die Transformation, also der Umbau der DDR in eine nach den Prinzipien der Marktwirtschaft ausgerichtete Demokratie, ist eine Erfolgsgeschichte. Einerseits.

Andererseits bleibt das Lohnniveau im Osten um gut ein Viertel niedriger als im Westen. Und es gab im Zuge der Wiedervereinigung tiefe Kränkungen. Darüber, dass westdeutsche Beamte, die in den Osten geschickt wurden, eine monatliche Prämie bekamen, die im halboffiziellen Sprachgebrauch «Buschzulage» hiess. Dass die einst staatlichen Unternehmen fast ausschliesslich von westdeutschen Firmen übernommen wurden, die in vielen Fällen bloss die Filetstücke herauslösten und dann den Grossteil der Belegschaft kündigten. Auch das ist Kapitalismus. Aber so hatten sich das die Menschen nicht vorgestellt, als am Abend des 9. November 1989 die Grenzen geöffnet wurden. (…)

Von DDR zu AfD: Die Sehnsucht der Ostdeutschen nach Sicherheit und Führung (nzz.ch)


Geschlechtergerechtigkeit: Arme Männer

Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt ändern sich dramatisch. Die alten Narrative – Frauen sind immer Opfer – werden dagegen unverändert weitererzählt. Leider. (FAZ, 15 octobre, article payant) 

Extraits :

Frauen sind benachteiligt: Sie verdienen weniger als Männer, sind schlechter ausgebildet und tragen die Hauptlast der Kindererziehung. An dieser Ungerechtigkeit ändert sich nur wenig. So geht die gängige Erzählung. Deshalb haben die Politiker den Equal Pay Day erfunden, werden gesetzliche Quoten für Vorstände und Aufsichtsräte erzwungen und Mint-Programme eingeführt, mit denen Schülerinnen die Freude an Mathe, Physik und Informatik vermittelt werden soll, was ein höheres Einkommen verspricht.

Das ist alles nicht völlig falsch, wenn man sich statisch auf den Ist-Zustand konzentriert. Überall klaffen Lücken: Einkommens-, Betreuungs-, Gerechtigkeitslücken. Lücken, die geschlossen werden wollen. Doch die statische Betrachtung verstellt den Blick auf die Dynamik der Veränderung im Zeitverlauf. Leicht wird übersehen, dass die Frauen nicht nur aufholen, sondern bereits überholen. Eine gute Nachricht. Nur sollte man die Frage, wo die Opfer stecken, neu justieren.

Ein paar Daten: Seit Wintersemester 2021/2022 studieren erstmalig mehr Frauen als Männer an deutschen Hochschulen. In einer ganzen Reihe reicher Länder ist inzwischen der Anteil der Frauen mit einem Diplom höher als der der Männer. In den USA und Großbritannien beträgt der Unterschied jeweils mehr als zehn Prozent. Im Vereinigten Königreich sind inzwischen mehr junge Frauen in Lohn und Brot als junge Männer. Auch das Gender-Pay-Gap beginnt sich zu drehen.

Das sind Daten der OECD, die ich einem statistischen Überblick der „Financial Times“ von Mitte September entnehme. Man könnte eine Erfolgsfanfare erschallen lassen, gäbe es nicht eine Kehrseite. Das sind die jungen Männer. Sie fühlen sich im Wettbewerb mit den überholenden Frauen überfordert und nicht zu besseren Leistungen herausgefordert. Stattdessen neigen sie zu Resi­gnation. Über alle OECD-Länder hinweg wächst der Anteil junger Männer, die sich nicht in Job oder Lehre befinden. In Großbritannien, Frankreich, Spanien und Kanada befinden sich inzwischen mehr junge Männer als Frauen abseits gesellschaftlicher Teilhabe. So etwas gab es seit dem Beginn der Indus­trialisierung nicht.

Wenn junge Frauen weder in Ausbildung noch in Arbeit sind, dann weil sie sich auf Familie und Kinder fokussieren. Das ist bei jungen Männern nicht der Fall. Sie machen buchstäblich nichts, leiden zunehmend unter psychischen Krankheiten. Und neigen dazu, populistische und extremistische Parteien (seien sie rechts- oder linksextremistisch) zu wählen.

In Deutschland lässt sich das alles nur in abgeschwächter Form beobachten. Das ergibt meine Nachfrage bei Enzo Weber. (…)

Ich fasse zusammen: Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt ändern sich dramatisch. Die alten Narrative – Frauen sind immer Opfer – werden dagegen unverändert weitererzählt. Dabei sind im Zeitverlauf die Frauen die wahren Gewinner wachsender Gleichberechtigung. Das ist ein Fortschritt, den Frauen und Männer feiern sollten, statt die alten Weinerlichkeiten zu pflegen.

Geschlechtergerechtigkeit: Arme Männer (faz.net)


Of firewalls and fragmentation : Germany’s party system is coming under unprecedented strain

Forming governments after the eastern state elections looks nightmarish (The Economist, 25 septembre, article payant) 

Extraits :

IT COULD HAVE been even worse. That was the only consolation for opponents of the hard-right Alternative for Germany (afd), which on September 1st secured its first-ever state-election win, in Thuringia, and in neighbouring Saxony ran the centre-right Christian Democrats (cdu) a close second. At least many anti-afd voters lent their support to the cdu to bolster opposition to the radicals. The Brandmauer (firewall) against the afd remains intact, ensuring it cannot take office. But few could avoid the conclusion expressed by Olaf Scholz, Germany’s chancellor, that the results were “bitter”. Nor the anxiety that attends the start of a lengthy period of coalition talks in the two eastern states.

It was not supposed to be like this. West Germany’s post-war institutions, extended to the east after reunification in 1990, were designed to see off the chaos of the pre-Nazi Weimar years. Strong “people’s parties” like the cdu and the Social Democrats (spd) were encouraged, to weaken fringe outfits. Parties’ role in politics was even anchored in the constitution. Other safeguards included a rule that parties had to win 5% of the vote to enter parliaments. Courts were permitted to ban parties that violated democratic principles, although none has done so since 1956.

For decades the system yielded strong parties and coherent coalitions. Two factors have eroded it. The first, familiar to many democracies with proportional voting, is a fragmentation of the party system. Seven party groups now sit in the Bundestag. (…)

Fragmentation alone did not undermine coalition politics. The addition of the Greens to parliament in the 1980s, for example, in time simply expanded the coalition options available to the spd. But then came the growth of parties that sit beyond the firewalls. In other European countries these have eroded as, usually, centre-right parties have given up resisting the success of national populists: recent examples include Sweden and the Netherlands. In Germany, by contrast, the Brandmauer holds at national and state level.

This applies chiefly to the afd, an outfit radical even by the standards of European right-wing populism. But its strength makes the mathematics of coalition formation that much harder. In Thuringia, for example, the afd now commands 32 of the 88 Landtag seats. That leaves four parties, occupying a spectrum of hard left to centre-right, to assemble a 45-seat majority from 56 seats (see chart). And the cdu’s refusal to work with the Left party, owing to its communist heritage, in effect makes the formation of a stable governing majority impossible. Tricky negotiations, and perhaps the sacrifice of sacred cows, lie ahead.

No wonder the Brandmauer risks crumbling. (…)

These problems are magnified in the east, where voters are volatile and more open to extremists or charismatic individuals. But comparable forces are at work in the west, where 85% of Germans live. Since 2021 the federal government has been an awkward three-party coalition, Germany’s first for nearly 70 years. Its early promise soon gave way to endless in-fighting. The dismal results of all three parties on September 1st do not appear to have inspired a renewed attempt to find common ground.

What to do? Mr Stecker thinks parts of Germany should consider less formal modes of governance, including minority or shifting coalitions. But the country does not appear ready for that. Depressingly, one likely outcome after next year’s election is yet another grand coalition of the cdu and the spd—precisely the sort of contraption that the afd has previously found it so profitable to oppose. ■

Germany’s party system is coming under unprecedented strain (economist.com)


Erziehungsrepublik Deutschland: Olaf Scholz und seine Regierung reden zu den Wählern, als ob sie Kinder wären

Die Deutschen laufen den etablierten Parteien davon. Das könnte auch daran liegen, dass manche Politiker wie Pädagogen auftreten. Es braucht endlich wieder Kommunikation auf Augenhöhe. (NZZ, 23 septembre, article payant) 

Extraits :

Friedrich Merz, der frisch gekürte Kanzlerkandidat der deutschen Christlichdemokraten, ruft bei linksliberalen oder grün orientierten Journalisten oft eine heftige Reaktanz hervor. Möglicherweise hat das nicht nur mit dessen politischen Positionen zu tun, die seine Gegner regelmässig als «rechts» – sprich: indiskutabel – zu denunzieren versuchen.

Vielleicht ist es auch Merz’ Habitus, der die Ablehnung des kommentierenden Justemilieu auslöst: Der CDU-Politiker tritt dezidiert als Erwachsener auf. Er ist stets korrekt gekleidet, was das Tragen einer Krawatte ein- und das Tragen von Turnschuhen zu offiziellen Anlässen ausschliesst. Und er adressiert sein Publikum wie erwachsene Staatsbürger: ohne Kumpelei, ohne Anbiederung oder Herablassung. Ausserdem frei von der Angst, komplizierte Sachverhalte in ganzen Sätzen darzustellen.

Dieses Erwachsene wirkt in der deutschen Politik mittlerweile fast wie ein Fremdkörper. Hatte der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder rhetorisch noch den zwar autoritären, aber diskursfähigen Arbeiterführer gegeben, so pädagogisierte seine christlichdemokratische Nachfolgerin Angela Merkel die Kommunikation zwischen Regierung und Bürgern radikal.

Häufig liefen ihre Äusserungen darauf hinaus, die Menschen sollten sich keine Sorgen um dieses oder jenes Problem machen; die Regierungschefin werde schon «eine gute Lösung finden». Öffentliche Diskussionen, so der Subtext, seien gar nicht nötig. Die kulturellen Eliten lernten von Merkel die pseudonaturwissenschaftliche Attitüde, es gebe auf die komplizierten und widersprüchlichen Fragen der Gegenwart ohnehin nur noch jeweils eine einzige «richtige» Antwort.

«Das ist das Paradigma der Alternativlosigkeit», sagte die Schriftstellerin und brandenburgische Verfassungsrichterin Juli Zeh in einem Interview mit dem Magazin «Cicero»: «Unsere Zeit wird als Dauerkrise oder gar als Ausnahmezustand beschrieben, und daraus folgt dann die Idee von zwingenden Handlungsdirektiven, die nicht mehr debattiert, sondern nur noch ‹kommuniziert› werden. So kommt es zum pädagogischen Ansatz in der Politik.» (…)

Dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz wird zumindest hinter vorgehaltener Hand auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen, er «erkläre» nicht ausreichend, was er gerade tue. Tatsächlich mag das insofern stimmen, als Scholz oft sinngemäss sagt, was die Regierung mache, sei gut – denn wenn es nicht gut wäre, würde sie es ja nicht machen. Da ist erklärtechnisch sicher noch Luft nach oben. (…)

Belege für die Pädagogisierung des Publikums finden sich jedoch nicht nur in der Regierungskommunikation. Beinahe jede landläufige kommerzielle Werbung hält die Kunden zu ökologischem Verhalten an oder pocht auf «Diversity»-Freundlichkeit. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsorganisationen bekämpfen alles, was sie für «Rassismus» halten – und natürlich «rechte Parteien», gern in Diversity-gerechter Gendersprache. (…)

Verschiedene Massnahmen, die sich die deutsche Regierung durchaus eine Menge (Steuer-)Geld kosten lässt, verstärken den Eindruck, dass die Bevölkerung zur richtigen politischen Haltung erzogen werden soll: 200 Millionen Euro im Jahr darf das grün geführte Bundesfamilienministerium mittlerweile für das Programm «Demokratie leben!» ausgeben, dessen schwach evaluierte Projekte und Initiativen sich vor allem «gegen rechts» wenden. Die Bundeszentrale für Politische Bildung bekommt für alles andere nur rund 80 Millionen Euro jährlich. (…)

Die politische Öffentlichkeit spürt die Absicht – und sie ist verstimmt. Viele Bürger reagieren mit Entfremdungsgefühlen oder mit Trotz. Das Vertrauen in Deutschlands demokratische Institutionen ist dramatisch gesunken. Laut aktuellen Zahlen vom Institut für Demoskopie Allensbach hat fast die Hälfte der Bundesbürger das Gefühl, ihre Meinung nicht frei sagen zu können, ohne dafür moralisch in die böse Ecke verbannt zu werden. 54 Prozent stimmen der Aussage zu «Die Politik möchte mir immer mehr vorschreiben, wie ich mein Leben zu führen habe».

Deutschland hat offiziell noch nie so entschlossen gegen «rechts» agitiert – und zugleich gab es noch nie so viele Wähler rechter Parteien. Irgendetwas an dieser Strategie muss falsch sein, und der Verdacht liegt nahe, dass es die Pädagogisierung der politischen Kommunikation sein könnte. Die Politik, und mit ihr die Medien, sollte also davon ablassen. Sie muss aufhören damit, ständig wie Bundeskanzler Scholz von «Respekt» nur zu sprechen, und stattdessen damit beginnen, sich von Staatsbürger zu Staatsbürger auf ein Gespräch unter Erwachsenen einzulassen.

Scholz und seine Regierung reden zu den Wählern, als ob sie Kinder wären (nzz.ch)


Schicksalwahl : The hard right takes Germany into uncharted territory

The parties in Olaf Scholz’s coalition are crushed in state polls (The Economist, 2 septembre, article payant)  

Extraits:

AS THE DUST settled after elections in Saxony and Thuringia, two states in eastern Germany one thing was clear: the hard right had notched up a first. In Thuringia the Alternative for Germany (AfD)—a party whose branches in both states have been formally designated as extremist—topped the polls in a state election for the first time since its founding just over a decade ago. In Saxony it fell just behind the centre-right Christian Democratic Union (CDU)—and only because many voters lent their votes to the conservatives to keep the AfD from top spot. Turnout in both states was high. Olaf Scholz, Germany’s chancellor, called the result “bitter” and urged other parties to keep the AfD from power. (…)

The symbolic nature of the results will resonate more than their substance. It is true that over 40% of voters in both states plumped for populist parties that sometimes sound like Kremlin mouthpieces. But German states have little power to shape the country’s foreign policy. Nor can election results in two small states whose combined population of 6.2m represents about 7% of the German total be taken as any sort of national bellwether. (…)

Yet Michael Kretschmer, the CDU premier in Saxony, was not wrong to say before the vote that his state was confronting a Schicksalwahl, or “fateful election”. The AfD has morphed from a group of grouchy Eurosceptics to a party whose more radical members, such as Mr Höcke, sometimes operate at the margins of democracy; some in Germany reckon the party should be banned. Its exploitation of grievances over inflation, immigration and Ukraine has found substantial backing not only in east Germany but across the country: the AfD has long occupied second spot in national polls, behind the CDU plus its Bavarian sister party, but ahead of all three parties of Germany’s national coalition.

The poor results for those parties will amplify tensions in the national coalition. The SPD will hope for a better performance in Brandenburg, another eastern state, which votes on September 22nd. But while the country chews over the consequences of the state elections, politicians in Saxony and Thuringia will now begin the painstaking work of negotiating coalitions—something that takes several weeks even at the best of times. (…)

Ms Wagenknecht, though, has made it clear that she will be no pushover in coalition talks. Before the elections she said that her BSW would only join parties in government that were committed to rejecting Mr Scholz’s recently agreed plan to station long-range American missiles in Germany from 2026. That may seem like a hubristic demand to make of a government that should be occupied with housing, education and policing. But it is a reflection of the uncharted territory into which German politics appears to be heading. ■

The hard right takes Germany into uncharted territory (economist.com)


Far Right Gets Historic Win in Eastern German Elections

Ballots in two states deliver the first far-right victory in Germany since the end of World War II—and a fresh embarrassment for Olaf Scholz’s government (WSJ, 2 septembre, article payant)  

Extraits:

BERLIN—The nationalist AfD scored its first electoral victory in a German state election since its creation 11 years ago, according to projections on Sunday—a political earthquake and a milestone for a continent where centrist parties are increasingly on the defensive. 

The AfD was ahead in Thuringia and a close second in Saxony while the three centrist parties forming Chancellor Olaf Scholz’s embattled government in Berlin were all but wiped out, initial surveys by public broadcaster ZDF showed shortly after the balloting ended.

With a combined population of just over six million, the two eastern states rarely make national news and the results have no practical bearing on the balance of power in Berlin. Despite its score, the AfD is unlikely to end up governing any of the states because it would need to form a coalition with a rival party and most have ruled out working with it. 

Yet the vote has high symbolic value in Germany, where no far-right group has won a state or general election since the end of World War II and where centrist parties have successfully kept the AfD out of power since its creation in 2013. (…)

Far Right Gets Historic Win in Eastern German Elections – WSJ


Mit den Wahlen in Thüringen und Sachsen bricht die Debatte über die Identität des Ostens und die Ignoranz im Westen wieder auf

Die Deutschen müssen sich jetzt eingestehen, dass man mit der Wiedervereinigung die alten bundesrepublikanischen Verhältnisse verliess. (NZZ, 2 septembre, opinion, article payant)  

Extraits:

(…) Der Osten Deutschlands? Im Normalfall interessiere dieser so sehr «wie die Rückseite des Mondes», aber bei Wahlen beobachte man jedes Mal «das grosse Zittern», als würden «mongolische Heerscharen vor den Toren Europas stehen», stellte Dirk Oschmann in seinem Buch («Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung», 2023) fest. So tobt auch um die Landtagswahlen 2024 in Thüringen und Sachsen sowie Brandenburg (22.9.) der Deutungskampf.

«Phu, der Osten!», seufzte die «FAS» vergangenen Sonntag und benannte – eher selten in der ewig schwierigen deutsch-deutschen Debatte – dann doch den tieferen Grund für die Hinwendung der Ostdeutschen zu populistischen Parteien wie der AfD und nun dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die sich gegen das bestehende System richten und sich Putins autokratischem Russland zuwenden wollen: «Er liegt in der DDR.»

Was in Fachkreisen nie angezweifelt wurde, was Autoren wie Ilko-Sascha Kowalczuk («Die Übernahme»), Dirk Oschmann, Ines Geipel («Fabelland»), Steffen Mau («Ungleich vereint») oder Juliane Stückrad («Die Unmutigen, die Mutigen») seit Jahren thematisieren – die ambivalente Identitätssuche, die Kränkungen, die Wut, die Fremdenfeindlichkeit, die historische Kontinuität zweier Diktaturen im Osten und die mangelnde Aufarbeitung –, das alles interessierte die etablierte Politik kaum.

Nun bekommen allen voran die Grünen und die SPD von den Wählern die Quittung dafür, dass sie das Phänomen Ostdeutschland ignorieren und sich lieber mit Regenbogen- und Genderpolitik beschäftigen, Fragestellungen, die einem Malermeister in der Oberlausitz wurscht sind. Die AfD hat Themen wie Migration, innere Sicherheit, Arbeitslosigkeit, Corona-Politik auf ihre Art besetzt und die Ostdeutschen geschickt abgeholt: Umfragen prognostizieren der Rechtsaussenpartei 30 Prozent der Stimmen. Die Ursache liegt in einer Mischung aus postsozialistischer Entwicklung und reaktiver gesamtdeutscher Abwehrhaltung.

Es war eine Fehlannahme, dass man die rückwärtsgewandte, national gestimmte und nun zunehmend überalterte ostdeutsche Gesellschaft in ihrem Rückzug und ihrer Verklärung der DDR einfach in Ruhe lassen könnte. Warten, bis es vorbeigeht: Diese Ignoranz dürfte nun nicht in die Wahlurne einzahlen. (…)

Mittlerweile feiern auf sozialen Plattformen viele wieder eine DDR, die es so nie gab. Auf dieses hochpolierte nostalgische Moped springt nun locker auch ein Björn Höcke auf. Der thüringische AfD-Spitzenkandidat, Landes- und Fraktionsvorsitzende knattert auf Wahlplakaten mit einem hochpolierten Simson-Motorrad durch die Landschaft unter dem Motto «Wir lassen uns von den Grünen den Spass nicht verbieten». Währenddessen warnt im tiefen Westen Hamburgs die dortige Grünen-Justizsenatorin vor dem Einzug des «Faschismus».

Es ist nicht so schwer, sich vorzustellen, was einen mehr anzieht, wenn man das Gefühl hat, auf der dunklen Seite des Mondes zu sitzen.

Identität Ost und Ignoranz West: Haben die Deutschen nichts dazugelernt?


Bundesverfassungsgericht: Politiker in Roben

Im Urteil zum Wahlgesetz hat Karlsruhe Augenmaß gezeigt. Doch insgesamt mischt sich das Gericht zu oft in Angelegenheiten ein, die politischer Natur sind. (FAZ, 5 août, opinion, article payant) 

Extraits:

Auf öffentliche Zustimmung kann sich das Bundesverfassungsgericht meistens dann verlassen, wenn es die Grundpfeiler der Demokratie schützt. Die von der Regierungskoalition durchgepeitschte Wahlrechtsreform war allzu offenkundig darauf gerichtet, sich einen Vorteil zu verschaffen und der CSU – also der Union – zu schaden. Das Gericht hat diesen Verstoß gegen die Wahlgerechtigkeit ausgehebelt, ohne die berechtigte Stoßrichtung der Reform – die Verkleinerung des Bundestags – zu gefährden. So sieht verfassungsrichterliches Augenmaß aus.

Perfekt ist das veränderte Prozedere damit nicht. Dass den Siegern eines Wahlkreises weiterhin die Garantie vorenthalten wird, diesen auch im Bundestag zu vertreten, ist mehr als ein Schönheitsfehler. Hier untergräbt die Entpersonalisierung des deutschen Wahlrechts den demokratischen Repräsentationsgedanken.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass kein Wahlsystem der Welt hundertprozentige Gerechtigkeit schafft. In Großbritannien hat die Labour Party gerade mit einem nur geringfügig höheren Wähleranteil als vor drei Jahren ihre Fraktionsstärke im Unterhaus verdoppelt. Ernsthaft gefährdet ist die Westminster-Demokratie ob solcher Verzerrungen nicht. Entscheidend ist und bleibt der Eindruck der Wähler, dass ihre Stimme einen Unterschied macht, dass ein Regierungswechsel möglich ist und es im Großen und Ganzen mit rechten Dingen zugeht.

Die überwiegend positiven Reaktionen auf das Karlsruher Urteil zeigen, wie weit der Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht reicht. Das lässt sich nicht mehr über alle staatlichen Institutionen behaupten. Das beinahe einhellige Lob erinnert aber auch daran, dass die Entscheidungen der Verfassungsrichter nicht immer so unumstritten waren, vor allem dann nicht, wenn es zu Angelegenheiten angerufen wurde, die eher oder sogar rein politischer Natur sind. Für Urteile, die das staatlich zu garantierende Existenzminimum für Bürger definieren oder der Regierung Nachhilfe beim Klimaschutz erteilen, gilt, was der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert einmal gesagt hat: Je mehr das Gericht als politischer Akteur wahrgenommen wird, desto stärker leidet seine Autorität. (…)

Das Bundesverfassungsgericht mischt sich oft in die Politik ein (faz.net)


Bundestagswahlrecht: Nur eine kurze Atempause im Streit über das Wahlrecht

Mit seinem Urteil über die Wahlrechtsreform der Ampel hat das Verfassungsgericht Geschichte geschrieben: Die Abschaffung der Überhang- und Ausgleichsmandate ist verfassungskonform, andere Teile sind nichtig. Gut so. (FAZ, 30 juillet, opinion, article payant) 

Extrait:

(…) Was war geschehen? Mit ihrer Novelle des Bundestagswahlgesetzes vom März 2023 hatten die Ampelparteien einerseits versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen, der zuletzt zu einer Vergrößerung des Bundestags um fast mehr als ein Viertel der Mindestsitzzahl von 598 Abgeordneten geführt hatte. So weit, so gut, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt befand. Die sogenannte Zweitstimmendeckung der Mandate, die eine Partei direkt in Wahlkreisen gewonnen hat, ist – anders als von der CSU bis zuletzt vorgebracht – prinzipiell verfassungsgemäß. Es ist also künftig möglich, dass ein Wahlkreisgewinner nicht in den Bundestag zieht, weil die Partei, die ihn aufgestellt hat, ansonsten mehr Abgeordnete hätte, als dem Anteil ihrer Zweitstimmen entspräche.

En passant hatten die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP indes die Wahlgesetznovelle im März vergangenen Jahres aber auch dazu genutzt, das Wahlrecht zum gezielten Nachteil von genau zwei Oppositionsparteien zu ändern: Durch den Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel sollte es künftig allen Parteien verwehrt sein, auch dann in den Bundestag einzuziehen, wenn sie an der bundesweiten Sperrklausel von fünf Prozent gescheitert waren, aber mindestens drei Wahlkreise durch Direktkandidaten gewonnen hatten.

Karlsruhe hatte zwar über diese Instrumentalisierung des Wahlrechts für parteipolitische Zwecke als solche nicht zu befinden. Dem Gericht musste es ausreichen, dass die Abschaffung der Grundmandatsklausel bei gleichzeitiger Beibehaltung der Fünfprozenthürde zu einer Verfälschung des Wählerwillens geführt hätte, die dem Wahlakt als der Quelle demokratischer Legitimation einen Tort angetan hätte.  (…)

Was wäre stattdessen zu tun? Am einfachsten zu verwirklichen wäre eine Übung, die eine lagerübergreifende Koalition in der vergangenen Woche am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts exerziert hat. Wie die Regelungen, die die Zusammensetzung und die Funktionsweise das oberste deutsche Gericht dem Zugriff einer einfachen Parlamentsmehrheit entziehen sollen, könnte man bestimmte Elemente des Wahlrechts unmittelbar in die Verfassung schreiben, mindestens aber für jede Änderung des Wahlgesetzes ein höheres Quorum als eine einfache Mehrheit festschreiben, etwa eine Dreifünftel- oder eine Zweidrittelmehrheit. (…)

Verfassungsgericht: Atempause im Streit über das Wahlrecht (faz.net)